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Hilft der Ukraine ein Diktator?

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Man kann nicht in Abrede stellen, dass auch in der postsowjetischen Welt, der Autoritarismus, die Erwartung einer “starken Hand” nicht wenige Anhänger hat. Die Formel des Philosophen Platon nutzend, sehen sogar “vollständig anständige Leute” in der Tyrannei eine effektive Form der Organisation der Gesellschaft. Und unter den aktuellen Bedingungen der Finanzkrise, künftiger Massenarbeitslosigkeit und Wirren ist das Volk ganz und gar erstarrt in Erwartung eines Helden und Retters der Nation.

Vor kurzem habe ich in Lwow auf dem Markt eine alte Galizierin, die mit Pilzen, Beeren und Sauerkraut handelte, gefragt. “Nun wie ist es, Großmutter, wann lebte es sich am besten: unter den Polen, den Deutschen, den Sowjets, den Demokraten?”, fragte ich. “Unter den Deutschen”, antwortete die Frau. “Da war Ordnung!”, resümierte sie. Im Allgemeinen, können Menschen viele Nöte ertragen. Doch nehmen sie dem Volk die Vorhersehbarkeit und die Hoffnung, das heißt die Zukunft, dann beginnt so etwas. Dann erinnern wir uns an Marx: “das Proletariat hat nichts zu verlieren, außer seinen Ketten”.

Auf allen ukrainischen Fernsehsendern reden politische Schwergewichte und “weise” Allwissende-Politologen nur davon, dass es nur wenig braucht und das Volk zieht auf die Straßen und fordert von allen – den Rechten und Linken, den Nationalisten und der Opposition, den Separatisten, den Gerichten, der Regierung und der Opposition – Rechenschaft und dann, wie die Brüder reden, “reißt” es diese in Stücke. Kurz gesagt, alle reden über einen baldigen Volksaufstand, der blutig und grausam ist.

Doch dem Autor dieser Zeilen scheint es, dass kaum das ukrainische Volk, welches sich noch an die 90er des letzten Jahrhunderts erinnert und diese durchlebte, Jahre ohne Strom und Gas, ohne Renten und Löhne, in Unruhe, Verzweiflung, Zorn und Anspannung, Verlusten und Entbehrungen, heute mit Heugabeln auf die Regierung losgeht. Wir sind klug geworden, wir haben den Geist des Paternalismus (als Gegenleistung zur Loyalität) seit langem aufgegeben und vertrauen nur noch auf uns selbst und nicht auf den Staat. Alle haben Ersparnisse, Geld oder Lebensmittel.

In den Genen, in dem historischen Volksgedächtnis sitzen Hunger, Entbehrungen und Mittel, wie man mit der nächsten Dummheit der Regierung fertig wird. Da ist meine Tante, Großmutter Marina, sie ist 84 Jahre alt, wohnt allein in einem Dorf in der Oblast Shitomir. Im Herbst war die Ernte gut. Im Keller wurden rund 40 Säcke mit Kartoffeln und neun Säcke mit Weizen eingelagert, und weitere “Eigenproduktionen” an etwa 200 Gläser. Ich frage: “Großmutter Marina, wozu brauchen Sie so viel?” “Lass es so sein, von eurer Regierung kann man alles erwarten”, antwortete mein weises Tantchen. Wie heißt es: der Vorrat an Beständigkeit des Volkes ist unerschöpflich – den Hunger haben wir überlebt und den Überfluss überleben wir.

Und wenn wir ernsthaft und sehr philosophisch-politisch sind, dann begeistert unsere Regierung ihre Bürger mit der Absurdität der von ihr getroffenen Entscheidungen. So rief Präsident Wiktor Juschtschenko zu einem Moratorium der politischen Streitigkeiten auf, versammelte um sich einen Areopag – die Klügsten, Reichsten und Einflussreichsten mit einem einzigen Ziel – auf die ewigen Fragen zu antworten: Wer ist schuld, womit anfangen und was tun? Spannte man vor den Wagen, wie ein Poet sagte, einen Stier, ein Pferd, einen Elefanten und einen zitternden Hirsch.

Und irgendwie wünschte ich, dass es so einfach wäre, wie in einer eingefahrenen Spur zu schreiben, etwa, dass “jeder nationale Organismus, im Endeffekt, sich auf eine gewisse Bedeutungs und weltanschauliche Grundlage ihrer Existenz” stützt. Ich rufe jeden dazu auf eine Liste aus wenigstens zehn Denkern der modernen Ukraine aufzustellen und sie führen das Land genau auf den Weg zum Tempel. So ist es nicht, alle Erklärungen liegen außerhalb des gesunden Menschenverstands, im Bereich des Freudschen Unbewussten, mit einer Heilung im Tod, dem Nitzscheanischen Willen zur Macht und natürlich dem marxistisch-leninistischen Klassenkampf, “der Krieg aller gegen alle”.

Mir scheint, dass alle Probleme der Ukraine im Bereich der politischen Psychologie und nicht des sozialen Managements liegen. Aus der Geschichte der Kriege wissen wir, dass sogar unbegabte Generale, die ihren Untergebenen falsche Aufgaben stellten, doch die Erfüllung ihrer Forderungen (unter großen Verlusten) erreichten, immer zu Siegern wurden. Und die moralische Wahl “der Preis der Frage” interessierte nur wenige.

Sich in wissenschaftlicher Sprache ausdrückend, ist in der Ukraine das Subjekt der Politik verschwunden, es verschwanden die sozialen vertikalen Lifte, die für die Regierung notwendige Leute nach oben hoben, auf den politischen Olymp. Es ist die politische Konkurrenz verschwunden und unsere junge ukrainische Elite ist noch vor der Vollendung der 20 Jahre ermüdet, wurde altersschwach, handlungsunfähig. Die ukrainische politische Klasse hat keine Programme für einen Ausweg aus der Krise, mehr noch, besitzt sie keine Befähigung zur Ausarbeitung eines solchen und das bedeutet, dass sie keine öffentlichen Führer-Strategen, denen das Volk vertrauen würde. Stimmen sie zu, wir wünschten uns alle neue Gesichter in der Politik zu sehen, kluge, professionelle, ehrliche Patrioten.

Andererseits, hat die “Orange Revolution” die Illusion hervorgerufen, dass es einen gewissen politischen ??“Netz-”??Mechanismus der Straße und des Maidans gibt, der fähig ist in der Ukraine einen Wechsel der Elite durchzuführen, einen organisierten Basisprotest, der eine qualitativen Wechsel des politischen Systems und sogar eine ökonomische Transformation der Gesellschaft durchzuführen.

Doch selbst das Gras wächst nicht von selbst. Es jeden Tag Regen nötig oder es zu gießen. Mich bewegt seit langem das Problem, wie der Duce, “der Führer”, “der Vater aller Völker” innerhalb kurzer Zeit aus dem Volk eine Herde willenloser machte und ob diese historischen Individuen auffallende Personen, mit sozusagen “bösen Genen” waren? Und, was der bekannte deutsche Journalist Joachim Fest über den Gründer des Nationalsozialismus schrieb: “Die eigenartige Größe Hitlers ist auf direkteste Weise mit seinem exzessiven Charakter verbunden – das war eine ungeheuerliche, alles existierenden Größen übersteigende Verschwendung von Energie. Natürlich, gigantisch – das bedeutet noch lange nicht historische Größe. Da das triviale auch Stärke besitzt” (das Zitat ist nur rückübersetzt!! A.d.Ü.)

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Enden möchte ich damit, womit ich anfing. Nicht in auf Analyse und die Betrachtungen eingehend, ob der Ukraine ein Diktator hilft, möchte ich daran erinnern, dass alle “Retter der Nation” mit Volkslosungen kamen, Programmen der Hilfe für die Armen und Hilflosen, Arbeiter- und Bauernparteien anführten. Doch alle endeten mit Fackelmärschen, Terror, Konzentrationslagern und der Vernichtung von Andersdenkenden.

Doch alles fängt mit uns an, mit den einfachen Philistern/Spießern, mit unserer Umerziehung. Der autoritäre Retter der Ukraine benötigt kaum einen Ukrainer, der von Bibliotheken verdorben und Museen eingeschüchtert ist. An die Macht kommen Abenteurer die Agressivität, Hass, Exerzierschritt und Aufruhr glorifizieren.

Wiktor Timoschenko

Quelle: UNIAN

Übersetzer:   Andreas Stein — Wörter: 1102

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