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Der Majdan ist für nichts verantwortlich: Vom Leben im Gestern

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Majdan - Leben im Gestern

„Meine Hütte steht am Dorfrand – ich weiß von nichts“ – ein Sprichwort, das bereits seit langem zur Losung vieler Ukrainer wurde. Man könnte es sogar in die Verfassung schreiben, dieses Verfassungsgericht erlaubt das auf jedem Fall.

Ein weiterer Majdan-Jahrestag [Am 21. November 2013 begannen die Proteste, die im Februar 2014 zum Sturz von Präsident Wiktor Janukowytsch führten. A.d.Ü.] bringt eine große Zahl an Auftritten, Diskussionen und Posts über die Werte des Majdans mit sich, an die wir uns erinnern, die wir erneuern, bewahren oder in der Wirklichkeit umsetzen sollen. Die Menschen sprechen von Erwartungen, die sich realisierten oder nicht, obgleich sie dennoch aktuell sind.

Hunderte, und wenn nicht Tausende Politiker, Staatsangestellte, Aktivisten werden auf dem Blut der Opfer PR betreiben. Auf dem Blut derjenigen, die ihr Leben für ein besseres Schicksal für ihre Nahestehenden, Freunde, Kinder und jeden von uns gaben. Doch wir leben sieben Jahre in der Hütte am Dorfrand entfernt von den wichtigen Prozessen im Lande, der Gemeinde, der Stadt. Wir wollen keine Verantwortung für die eigene Freiheit und, außer Tränen bei offiziellen Veranstaltungen, sind wir nichts bereit zu geben, um die Situation zu ändern.

Die Rolle des Majdans ist riesig, und die Menschen, die sich selbst opferten, sind Helden. Jedoch braucht man das Leben im Land und die Menschen in diesem nicht in vorher und nachher teilen. Die moderne Welt entwickelt sich äußerst dynamisch und man muss auf die Veränderungen reagieren, und nicht die Vorgänge reflektieren, die lange vorbei sind, ihre Rolle gespielt haben und real die Situation gerade nicht beeinflussen. Doch wurde der Majdan leider für viele zum Anlass nichts zu machen, sich an der Mehrzahl der hauptsächlichen Prozesse im Land nicht zu beteiligen.

Die Politik hat das Leben der Ukraine in vor und nach dem Majdan geteilt. Wir haben zwei Lager erhalten: Postmajdanführer und -parteien und die Revanchisten (diejenigen, die infolge des Majdans verloren). Für sie ist es vorteilhaft, so zu arbeiten und sich an die entsprechende Rhetorik zu halten. Ihre Wählerschaft ist dann klar umrissen und es ist einfach politische Kampagnen und Auftritte zu artikulieren und aufzubauen. Dagegen spiegelt das die reale Situation im Lande überhaupt nicht wider. Die Manipulation der heroischen und gleichzeitig tragischen Ereignisse ruft nur weitere Emotionen hervor.

Den Majdan zum Ausgangspunkt aller Prozesse machend, reduzieren wir alle erforderlichen und wichtigen Reformen auf politischen Populismus. Zum Beispiel, wenn wir über die Antikorruptionsreform als Umsetzung der Forderung des Majdans reden, stellen wir diese automatisch den Menschen gegenüber, welche die Protestaktionen nicht unterstützten. Eben deswegen ist es für die prorussischen Kräfte so leicht ihre Wähler zu manipulieren, eben deswegen tauchen die korrupten Urteile des Verfassungsgerichts auf, eben deswegen ist es so einfach, das Thema der „Verschwörungstheorien“ weiter zu entwickeln.

Wir hatten ziemlich wichtige Ereignisse in dieser Zeit, welche die Entwicklung des Landes stark beeinflussten. Und all das mit dem Majdan zu überdecken, lohnt sich nicht. Wenn alles so einfach wäre, dann würde es ausreichen zum nächsten großen Protest auf die Straße zu gehen und alles erneut zu ändern.

In sieben Jahren haben sich zwei Präsidenten, zwei Parlamente geändert, es gibt eine neue Verwaltungsaufteilung des Landes, zweifach wurden neue Organe der örtlichen Selbstverwaltung gewählt, die Krim und Teile der Gebiete Donezk und Luhansk sind besetzt. Ja und auch der Krieg mit Russland ist nicht verschwunden. Und all diese Prozesse sind nicht komplett Folgen des Majdans und es lohnt sich nicht, diese mit dem Jahr 2014 zusammenzubringen.

Der Großprotest der Ukraine öffnete nur all diese Problem, die einfach auf unterschiedliche Weise gelöst wurden. Das Problem der Krim entstand nicht erst nach den Zusammenstößen mit der „Berkut“ [offiziell inzwischen aufgelöste Sondereinheit der damaligen Polizei, A.d.Ü.], dieses gab es schon vorher. Doch der Krim, die „am Rande“ blieb, wurde von den Lenkern der Ukraine nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt und das führte zur Besetzung. Danach wiederholte sich die Situation im Osten des Landes.

Wie dann den Majdan auffassen? Das ist das Streben nach Freiheit, das ist ein Opfer für ein würdiges Leben, das ist die Geburt nationaler Werte, das ist die Erhöhung der Zahl der aktiven Bevölkerung des Landes?! Jedoch nicht die Aufteilung in vorher und nachher, in Gute und Schlechte und zudem nicht die Ursache der Probleme.

Die einen lasten dem Majdan alle Probleme an und stehen abseits. Andere erklären, dass sie ihre Funktion erfüllt haben, indem sie die Proteste unterstützten, sowohl finanziell, als auch durch persönliche Teilnahme, doch jetzt sollen die Politiker arbeiten. Beiden Seiten leben auch weiter im gestrigen Tag, dabei in allem auf die Vorgänge der Vergangenheit verweisend. Dieses Unvermögen der Ukrainer sich vorwärtszubewegen, führt nicht zu einem größeren Verständnis der Probleme und Bedürfnisse, sondern zu ihrer Konservierung.

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Der Wunsch vieler Politiker, Aktivisten und sogar Journalisten darüber zu sprechen, dass eben im Jahr 2013 eine „neue Ukraine“ geboren wurde, dass alles vergessen werden muss, was vorher war, führt zum Durchstreichen der Schicksale einer bedeutenden Anzahl von Menschen. Das Leben und die Entwicklung eines großen Landes – das ist kein Text in einer Datei auf dem Computer, den man löschen kann, nur das dalassend, was einem gefällt, und irgendetwas Neues schreibend.

Die Erfahrung, die wir bis zum Jahr 2013 gemacht haben, ist wichtig. Ja, sie ist nicht immer angenehm und nicht an alles will man sich erinnern, doch man muss sich daran erinnern, um die Fehler nicht zu wiederholen. Ebenso darf man nicht vergessen, dass Millionen Ukrainer abseits der Ereignisse der Jahre 2013/2014 standen. Ihre Hütte steht bis heute am Rande. Die inaktive Mehrheit hat keine Teilung in vorher und nachher, doch kann man ohne sie kein Land aufbauen.

Die letzten sieben Jahre hängen wir an den Majdan das Etikett des Allheilmittels von allen Problemen der Vergangenheit an. Wir analysieren das Wesen nicht, sprechen nicht über die Ursachen, wer zum Protest hinausging und wie ihre Motivation aussah. Alles auf den nichtunterzeichneten Assoziierungsvertrag zurückzuführen, ist eine Vereinfachung der Situation. Dieser Faktor war ein Katalysator, doch war er nicht die Ursache.

Sich selbst an den Majdan binden, ist sich selbst von anderen Prozessen entfernen, die im Land seit dieser Zeit stattfanden. Ja, im Land fanden Veränderungen statt, doch in der Schlüsselrichtung, und eben im Regierungssystem gab es keine wesentlichen Verschiebungen. Ebenso sollte man nicht alle Prozesse seit dieser Zeit als lineare betrachten. Jede Änderung wirkte sich auf die weiteren Vorgänge aus.

Bei uns wird weiter das Vorbild des Majdans, dessen Helden ausgebeutet, doch vermeidet man radikale Änderungen. Jeder strebt danach alle Prozesse anderen Leuten zu überlassen, letztendlich, so wie es bis zum Jahr 2013 war. Um unsere Aufmerksamkeit abzulenken, reden sie von irgendeiner abstrakten „Neuen Ukraine“.

Wir haben bereits geschrieben, dass wir in den vergangenen sieben Jahren, viel über Demokratie redend, es nicht vermochten, ein effektives System der Beteiligung der Menschen an der Gemeindeverwaltung zu errichten. Ja nicht einmal die Möglichkeit der Einflussnahme wie das Wählen nutzen wir. [An den Kommunalwahlen am 25. Oktober beteiligten sich gerade einmal 37 Prozent der wahlberechtigten Ukrainer. A.d.Ü.] Doch diese, wie es schien, banalen Dinge beeinflussen unsere Entwicklung und binden nicht an die Vergangenheit. Wir sollten uns daran erinnern, jedoch [den Majdan] nicht in alle Prozesse „hineinstecken“.

19. November 2020 // Stanislaw Besuschko

Quelle: Zaxid.net

Übersetzer:   Andreas Stein — Wörter: 1181

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