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Ist es sinnvoll, den Import russischer Bücher zu verbieten?

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Buchstand russischer Verlage
Am 15. Januar hat der ukrainische Parlaments-Abgeordnete Ostap Semerak sich mit einer Eingabe an die Regierung gewendet, die Einfuhr von Büchern und anderen Printprodukten aus Russland in die Ukraine zu verbieten. Anschließend hat der Leiter des Ministerkabinetts Arsenij Jazenjuk untergebene Minister angewiesen, diesen Vorschlag zu prüfen. „Es geht nicht darum, russische Literatur oder Sprache zu verbieten, sondern um eine Antwort an die Adresse der Russischen Föderation auf die militärische Invasion und Propaganda und um die Etablierung gerechter und patriotischer Spielregeln zugunsten ukrainischer Verleger“, kommentierte Ostap Semerak seine Idee auf Facebook.

Ich möchte Ostap Semerak, dem Urheber der Eingabe, den Import russischer Bücher zu verbieten, und ebenso Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk sowie dem Ministerkabinett klar machen, dass in der gegenwärtigen Welt ein selektives „Bücher-Embargo“ in dem Sinne, wie es jetzt in der Ukraine erwogen wird, ein selten verwendeter Anachronismus ist.

Sie werden richtige Schwierigkeiten bei der Übersetzung haben. Der sprachliche Ausdruck „Bücher-Embargo [Zurückhalten von Büchern]“ betrifft international heute meist nicht den Import, sondern verweist (stärker in allegorischer Weise) auf die Praxis von Abwehrmaßnahmen gegen Leute, die den Inhalt verraten und verbreiten und ungleiche Chancen im Handel, wenn ein Verlag den Medien verbietet, ein Buch vor Verkaufsbeginn zu zitieren und den Buchhandlungen, sie vor einem festgelegten Termin ins Regal zu stellen.

Ein vollständiges Verbot der Einfuhr von Büchern hat sehr spezifische Vorläufer – beispielsweise die israelische Blockade im Gaza-Streifen. Uns hingegen erwartet der Begriff Zensur mit der schmerzhaften Last historischer Erinnerungen, mit denen die russische Propaganda sehr gerne spekulieren wird und womit man uns sonst assoziiert werden wird.

Man wird uns damit assoziieren, weil so das allgemeine Bewusstsein der Massen funktioniert, unabhängig von Nationalitäten. Etiketten wie „Zensur“ wird man lesen und augenblicklich entfaltet sich als Reaktion ein wenig sympathisches Gesamtbild. Nach einem zweiten Satz von Erklärungen über die filigranen ukrainisch-russischen Verlagsbeziehungen und die Rolle der Propaganda im hybriden Krieg schließt der ausländische Leser schlicht die Webseite oder wechselt den Kanal. C’est la vie.

Einen wirklichen Nutzen bringt solch ein „Buch-Embargo“ nur einigen wenigen Verlagen, die ihre eigenen Business-Interessen schätzen und ein Monopol auf russischsprachige Bücher in der Ukraine möchten, der Schaden für das Image der Ukraine in der Welt ist indessen mit Händen greifbar.

Haben wir vielleicht zu wenig äußere Bedrohungen im Informationskrieg, dass wir selber neue Probleme schaffen und dann für ihre Meisterung Kräfte aufwenden müssen, die heute offen gesagt schwach sind? Außerdem wird so eine Geschichte nur zum Anwachsen von Buchschmuggel und Korruption führen. Ich rate dringend, das Wort „Embargo“ in Hinblick auf Kulturerzeugnisse zu vergessen.

Zur Einschränkung von Importen und zur Stimulation des nationalen Marktes gibt es andere Mittel, die in der Welt als angemessener wahrgenommen werden.

Zum Beispiel eine hohe Steuer. Ich verweise darauf, dass nach ukrainischem Recht importierte Bücher bereits so mit 20 Prozent Mehrwertsteuer belegt werden (wobei die ukrainischen Verlage eine staatliche Förderung genießen und gar keine Mehrwertsteuer zahlen). In Europa ist das eine der höchsten Besteuerungen.

Zum Vergleich: in den meisten europäischen Ländern liegt die Mehrwertsteuer für importierte Bücher zwischen fünf und zehn Prozent, einzelne Staaten haben sie aufgehoben oder verringert. So wird die Einfuhr nach Großbritannien und Irland nicht besteuert, in Spanien, Italien und Luxemburg ist der Beitrag auf fünf Prozent festgelegt. Nur Bulgarien, Tschechien und Dänemark überschreiten den Rahmen mit 20, 15 bzw. 25 Prozent.

Zu den 20 Prozent Mehrwertsteuer muss man noch die nicht gerade geringen ukrainischen Transportkosten hinzurechnen, mit denen die ukrainischen Buchhändler zu tun haben, und generell bildet sich ein Preis für importierte Bücher, der die Rabatte der Verlage für ausländische Buchhändler übersteigt (im Durchschnitt berechnen sie 30-40 Prozent). Um keine Verluste einzugehen, bildet der Verkäufer eine Gewinnspanne, und das Buch wird automatisch erheblich teurer als dort, von wo es eingeführt wurde, und auf Anhieb teurer als ukrainische Bücher.

Allgemein kauft man in der Ukraine meistens nur dann importierte Bücher, wenn sie wirklich notwendig sind: für berufliche Zwecke, für das Studium, für wissenschaftliche Arbeit usw. Wenn es seitens ukrainischer Verleger entsprechende Angebote gibt, die die Interessen des Käufers befriedigen, dann wird dieser ihn fast immer favorisieren.

Daher sollte man „Weinen und Stöhnen“ beenden und Anstrengungen darauf verwenden, eine qualitativ hochwertige Alternative zu den russischen Ausgaben zu erstellen.

Diesen Trend einer wachsenden Nachfrage nach Büchern ukrainischer Verleger können die Buchhändler bestätigen. Lassen Sie mich aus den öffentlichen Diskussionen auf Facebook den Kommentar von Artem Lytwynez zitieren, den Manager der großen Internet-Buchhandlung Yakaboo, der darauf hinweist, dass bei ihnen der Verkauf russischer Bücher von 2009 bis 2016 um 30 Prozent gesunken, die Nachfrage nach ukrainischen Büchern aber im gleichen Maß gestiegen ist.

„Wir zum Beispiel wachsen im Vertrieb ukrainischer Bücher, kaufen Auflagen ukrainischer Ausgaben (<…> das Geld wird von den Verlegern wahnsinnig schnell in neue ukrainische Ausgaben investiert) und verkaufen erfolgreich; <…> allein im vergangenen Jahr gab es in der Ukraine so viele neue Verlags-Initiativen, wie es die letzten fünf Jahre nicht gab.

Was passiert mit den ukrainischen Buchverlagen, wenn sie [die russischen Verlage, dank der Initiative von Herrn Semerak – O. Schuk] die Gelegenheit bekommen, Russischsprachiges in der Ukraine zu drucken? Über was für einen Wettbewerb kann man dann reden? Wer wird die Mühe auf sich nehmen und gute Übersetzungen ins Ukrainische machen, und nicht Übersetzer aus Russland anheuern?

Import ist eine Art Hindernis hierfür und eine Beihilfe für den einen ukrainischen Verlag plus ein festes Vertrauen darauf, dass es einen Wettbewerb um die Qualität von Übersetzungen, Verlagen und Buchdruck geben gibt.“

Der Embargo-Vorschlag könnte zu einer Krise oder Schließung vieler Buchhandlungen führen, von denen es für so ein großes Land bereits ohnehin viel zu wenig gibt. Das wiederum würde Auswirkungen haben auf den Umsatz ukrainischer Verlage.

Außerdem möchte ich die Aufmerksamkeit auf eine Reihe von populistischen Spekulationen in der Argumentation der Unterstützer der Eingabe von Herrn Semerak lenken, die nichts mit den Realitäten des Marktes zu tun haben.

Erstens ist die Annahme nicht ersichtlich, dass das Verbot der Einfuhr von Büchern aus Russland automatisch bedeutet, dass ukrainische Verlage es unternehmen werden, sie zu drucken oder dass sie es schaffen, genau so eine Ausgabe zu machen, die die Leser brauchen. Um zum Beispiel die geleerten Regale zu füllen und in guter Qualität eine große Zahl übersetzter Literatur zu drucken, braucht man nicht nur Zeit, sondern auch eine ausreichend große Zahl professioneller Übersetzer (ganz zu schweigen von dem Fehlen von Übersetzern ins Ukrainische aus einer Vielzahl von Sprachen der Welt)

Nimmt man eine bestimmte professionelle oder akademische Literatur, so sind Verleger mit entsprechender Bildung notwendig, die sich tief im Thema auskennen und die aktuellen Bedürfnisse des Publikums kennen. Während indessen die Verleger neue Marktsegmente ausmachen (wie lange kann man schwer vorhersagen, 2, 3, 4, 5 Jahre?) oder eine neue Generation von Verlegern auftaucht, wo wird der Leser sein Geld ausgeben, der es gelernt hat, selber zu wählen, und nicht einfach „zu essen, was man ihm hinwirft“? Im Ausland werden die Internet-Buchhandlungen jedenfalls überhaupt nicht das Budget füllen.

Zweitens begehen die Befürworter des Embargos einen anderen logischen Fehler: eine falsche Verallgemeinerung, die passiert, wenn offensichtliche Ausnahmen von der allgemeinen Regel völlig missachtet werden. Musterbeispiel: „Einen Menschen mit dem Messer schneiden ist ein Verbrechen. Ein Chirurg schneidet einen Menschen mit dem Messer. Also ist der Chirurg ein Verbrecher“ oder „Alle Schafe, die ich sah, sind schwarz. Also sind alle Schafe schwarz.“

Diese Maßnahmen, die man gerne für die russische antikukrainische Propaganda-Literatur möchte, kann man nicht wirklich auf gute intellektuelle Literatur anwenden. Ebenso stellen abfällige imperialistische Bemerkungen und Tatsachen-Verdrehungen in den Kommentaren einzelner russischer Autoren und Verleger nicht die Gesamtlage dar (es gab auch solche, die es riskierten und mit vereinzelten Plakaten zur Unterstützung der Ukraine auf die Straße gingen, die moderne ukrainische Autoren verlegen und gerade schwere Zeiten erleben).

Ich möchte mich auch für jene Leser einsetzen, die Olexander Krasowyzkyj, der Direktor des „Folio“—Verlages und einer der Befürworter des Embargo-Vorschlages „anspruchsvoll“ nennt und von denen er meint, dass es für sie normal ist, zwei- oder dreimal so viel für ein intellektuelles importiertes Buch auszugeben, normal, es auf dem Schwarzmarkt oder auf eine andere unschöne Weise zu kaufen.

Ich erinnere daran, dass „anspruchsvolle Leser“ diejenigen sind, die den Bildungsstandard prägen, Fortschritte in Wissenschaft und Technologie in der Ukraine vorantreiben, diejenigen, die ihr Image in der Welt verbessern, sie sind auch kulturelle Führungskräfte, Meinungsführer und zukünftige Führungskräfte: die Studenten.

Der Vorschlag von Herrn Semerak trägt überhaupt nicht zur ihrer Arbeit und Entwicklung bzw. anschließend zur Entwicklung der Ukraine bei. Statt lebhaft über das Embargo zu debattieren, sollte man lieber an der Umsetzung anderer Vorschläge arbeiten. In vielen Ländern, die Mitglieder der UNESCO sind, gibt es umgekehrt Anreize für die Einfuhr – je nach Inhalt und Zweck der Bücher: nach dem Abkommen von Florenz werden nicht nur Buchausgaben im Feld von Kultur, Kunst, Bildung, Wissenschaft, sondern auch solche, die auf Anfrage von Bibliotheken oder Bildungseinrichtungen eingeführt werden, nicht besteuert.

Das Ziel dieser internationalen Übereinkunft ist es, den freien Austausch von Ideen zu erleichtern, den freien Verkehr von Büchern durch die Zollgrenzen und andere Handelsbarrieren zu stimulieren. Unsere Politiker allerdings erwägen all diese Nuancen nicht und werfen uns damit weit zurück, weit zurück in die Sowjetzeit.

Olexander Afonin, der Präsident des ukrainischen Verbandes der Verleger und Barsortimenter sagt:
„Diese Nischen-Genres, wie zum Beispiel: Medizin, Technik, Technologie, Chemie, Genetik usw. werden vor allem durch Importe aus Russland gedeckt. Und im Grunde nicht von russischen Autoren sondern Übersetzungen von Welt-Bestsellern ins Russische.

Das totale Verbot der Auslieferung von Literatur wirkt als solches in langfristiger Perspektive gegen die Nation, weil es rasch ihre Kompetenz verringert und den intellektuellen Niedergang vertieft. Es wird wie in einem alten ukrainischen sarkastischen Sprichwort: „Ich verkaufe im Austausch für ein Übel dem Feind eine Kuh, damit die Kinder keine Milch trinken.“

Außerdem: Nach den Angaben der staatlichen Steuerbehörde hat die Ukraine im Jahre 2015 aus Russland für 3,25 Millionen US-Dollar Bücher importiert, und zur gleichen Zeit aus der Ukraine nach Russland für 12,187 Millionen exportiert, Kinderbücher, Bilder, Postkarten und Karten nicht eingerechnet. Das zeigt vor allem, dass Russland ein wichtiger Markt für ukrainische Verleger bleibt, und ein scharfes Embargo nicht nur für lokale Buchhandlungen eine Krise schaffen wird.

Schließlich: Wenn gegen jeden gesunden Menschenverstand eine Entscheidung für ein Embargo russischer Bücher getroffen wird, so schlage ich vor, vielleicht über diese Ausnahmen nachzudenken. Außerdem auch darüber, dass die Einschränkungen an sich, nicht einen Durchbruch für die ukrainischen Buchverlage bedeuten.

Der Staat will wirklich günstige Bedingungen für die Entwicklung der Buchbranche schaffen, nicht Gewächshausbedingungen für einzelne Verlage?

Dann sollte man nicht verbieten, sondern an dem arbeiten, was noch nicht geschehen ist: die Abhaltung von nationalen gesellschaftlichen Kampagnen zu unterstützen, das Interesse der Leser zu erhöhen, Anreize nicht nur für die ukrainische Verlage, sondern auch für Buchhändler (z.B. niedrige Mietpreise von kommunalem Eigentum) zu geben, ein Förderprogramm für Übersetzungen zu schaffen, rechtzeitig die Vorstellung des ukrainischen Nationalstandes auf der Frankfurter Buchmesse und auf anderen internationalen Buchmessen zu finanzieren, ukrainische Buchfestivals usw. zu fördern.

Vor uns liegt eine Menge Arbeit und Herausforderungen, und zwar wirklicher.

27.01. 2016 // Olha Schuk

Quelle: Ukrajinska Prawda – Schyttja

Die Autorin hat über fünf Jahre als Kuratorin des Kiewer Buch-Arsenals gewirkt, ihre Aufgabe im Februar an Oksana Hmelyovska, eine der beiden Gründerinnen des Buchportals chytomo übergeben und ist am 9. Februar in das Außenministerium gewechselt. Ende Februar wurde das Gesetzesprojekt vom 28.01.2016 über die Einrichtung eines ukrainischen Buchinstituts (analog zu dem in Polen bestehenden Instytut książki) verabschiedet. Zuvor hatte am 20. und 21. Februar im Kiewer Kunst-Arsenal der 2. Kongress „Werbung für ukrainische Literatur“ stattgefunden.

Übersetzer:    — Wörter: 1924

Christian Weise trägt seit 2014 übersetzend und gelegentlich schreibend bei zu den Ukraine-Nachrichten. Im Oktober 2020 erschienen von ihm zwei literarische Übersetzungen: Vasyl’ Machno, Das Haus in Baiting Hollow. Leipziger Literaturverlag und Yuriy Tarnawsky, Warme arktische Nächte. Ibidem, Stuttgart. Im Januar 2020 bereits erschien seine Übersetzung des Bandes Verfolgt für die Wahrheit. Ukrainische griechisch-katholische Gläubige hinter dem Eisernen Vorhang. Ukrainische katholische Universität, Lwiw.

Mit ukrainischen Themen ist er seit 1994 vertraut, als er erstmals Kiew und Lemberg besuchte und sich zunächst mit kirchengeschichtlichen Fragen beschäftigte. Wenn nicht Pandemien hindern, bereist er etwa fünfmal im Jahr die Ukraine.

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