Die Wahl von Viktor Janukovyč zum Präsidenten der Ukraine – Teil III


Teil III: Die innenpolitische Konsequenzen

von Winfried Schneider-Deters

1. Autoritäre Restauration ?

2. „Regierender Präsident“

„Kampf gegen die Armut“ – anhaltender Populismus

„Bekämpfung der Korruption“ – allen Ernstes ?

„Niedrige Gaspreise“ – Täuschung der Wähler

Wirtschaftliche Reformen – in wessem Interesse ?

3. „Kaderpolitik“

4. Janukovyč – Präsident aller Ukrainer oder „Präsdident des Donbass“

Wirtschaftliche Reformen – in wessem Interesse ?

„Versöhnung“ von Ost und West ?

Bisher erschienen:

Die Wahl von Viktor Janukovyč zum Präsidenten der Ukraine – Teil I: Wahlsieg nach fünfjähriger Sperrfrist

Die Wahl von Viktor Janukovyč zum Präsidenten der Ukraine – Teil II: Machtwechsel in der Ukraine

Die Wahl von Viktor Janukovyč zum Präsidenten der Ukraine – Teil IV und Schluss: Rückkehr zu bi-vektoraler Außenpolitik?

1. Autoritäre Restauration ?

Der neue Präsident Janukovyč diente dem kriminalisierten Regime des autoritären Präsidenten Kučma nicht nur als Premierminister, sondern auch als williger Vollstrecker anderer Aufträge, durch die er sich diesem als Nachfolger empfahl. Ob der bisherige Vorsitzende der Partei der Regionen in der Opposition geläutert wurde, sei dahin gestellt;1 in den drei Wochen vor der entscheidenden Wahl am 7. Februar verschmierte in der Tat nur selten die Maske, welche die professionellen politischen Visagisten aus den USA ihm aufgetragen hatten.2 Doch selbst wenn er noch „kutschmistische“ Neigungen verspüren sollte: Janukovyč kann das Rad nicht mehr zurückdrehen: Die Ukraine ist seit der Orangenen Revolution eine Demokratie, die allerdings weniger auf internalisierten demokratischen Normen basiert, als vielmehr auf dem Gleichgewicht der politischen Kräfte, d. h., der elektoralen Balance zwischen dem „national-demokratischen“, ehemals „orangenen“ und dem „regionalen“ Lager. Eine Rückkehr zum Stil des Präsidenten Kučma, der sich zur Absegnung seiner autoritären Entscheidungen durch Drohung und Nötigung immer eine Mehrheit im Parlament beschaffen konnte, ist nicht mehr möglich. Insofern ist die Orangene Revolution“ mit der Wahl von Janukovyč zum Präsidenten nicht „gescheitert“, wie Pessimisten behaupten: „Dank der Orangenen Revolution sind demokratische Wahlen nun in der Ukraine eine Realität“, sagte Matyas Eörsi, der Leiter der Wahlbeobachter-Delegation der Parlamentarischen Versammlung des Europa-Rates.3

Die politische Gleichrichtung von Exekutive und Legislative, die dem Präsidenten Janukovyč innerhalb von vierzehn Tagen nach der Übernahme seines Amtes gelang, bestätigt seinen Ruf als „Macher“. Es wird ihm vorgeworfen, dass er sie durch die Dehnung – oder gar Überdehnung – der Verfassung erreichte; die Alternative wäre die endlose Fortsetzung der Suche nach einem Kompromiss – sprich des Geschachers um Posten – mit den prätensiösen „Führern“ der Fraktion NU-NS gewesen, und damit die Verlängerung der politischen Instabilität. Die letzten fünf Jahre haben gezeigt, dass das institutionelle Kräftedreieck Präsident – Parlament – Premierminister in der Ukraine nicht eine „balance of power“ sichert, sondern eine gegenseitige Blockade bewirkt, die nur situativ durch verdeckte – „kuluarnische“4 – Deals durchbrochen wird.

Die größte Errungenschaft der Orangenen Revolution ist die „Freiheit des Wortes“, konkret die Pressefreiheit und -vielfalt, auch wenn die Medien den kommerziellen (und politischen Interessen) ihrer oligarchischen Eigner unterworfen sind. Janukovyč bewertete in einem Interview mit Associated Press die freie Meinungsäußerung positiv; doch der Preis, den das ukrainische Volk dafür bezahlt habe, sei „zu hoch“.5 Demokratie bedeute vor allem die „Herrschaft des Rechts“; und diese sei von den Protagonisten der Orangenen Revolution ausgehöhlt worden.6 Die gedankliche Nähe zu Putin ist unüberhörbar; doch die Macht, dessen Form von Demokratie zu imitieren, fehlt dem neuen ukrainischen Präsidenten. Mit der ihm persönlich weit überlegenen Julija Tymošenko in der Opposition wird Präsident Janukovyč eine „effektive“, aber nicht eine autoräre Exekutive etablieren können. Und seine oligarchischen Hintermänner brauchen einen international respektablen Statthalter an der Spitze des ukrainischen Staates, keinen ungebärdigen Autokraten.

2. „Regierender Präsident“

In der Opposition wird die Wiederherstellung politischer Handlungsfähigkeit des ukrainischen Staates durch Janukovyč naturgemäß kritisch gesehen: In einem Interview mit der Wochenzeitung „Zerkalo Nedeli warnte der ehemalige Erste Stellvertretende Premierminister Oleksandr Turcynov vor der „absoluten Macht“, die Präsident Janukovyč sich aneigne. Präsident Janukovyč habe selbst das Ministerkabinett formiert, selbst die Chefposten der bewaffneten Organe staatlicher Gewalt („siloviki“), d. h., des Innen-(Polizei-Ministeriums und des geheimen (Staats-)Sicherheitsdienstes („SBU“), besetzt und sei nun dabei, sich gänzlich die exekutive Vertikale (die Organe der staatlichen Verwaltung in den Oblasti und nachgeordneten Verwaltungseinheiten) zu unterwerfen. Ein großer Teil des Kabinetts zeichnet sich nicht durch „Professionalität“ der Minister aus, sondern durch deren persönliche Loyalität – konkret deren Ergebenheit – gegenüber dem Präsidenten Janukovyč. Der Turčynov bezweifelt, dass die großen Sponsoren den Präsidenten Janukovyč, dem sie zur Macht verholfen haben, einhegen könnten. Auch in Russland hätten die Oligarchen geglaubt, sie hätten den Präsidenten Putin im Griff; sie seien schnell eines anderen belehrt worden.7

Die vordringlichste Aufgabe, die Überwindung der schweren wirtschaftlichen Krise, die Sanierung des staatlichen Haushalts und des Rentenfonds, die Restrukturierung und Rekapitalisierung des Finanzsektors, die unabdingbare Wiederaufnahme der Zusammenarbeit mit dem Internationalen Währungsfonds8 fallen verfassungsrechtlich in die Zuständigkeit der Regierung, konkret des Premierministers Azarov. Präsident Juščenko hatte sich damit begnügt, alle Initiativen der Premierministerin Tymošenko im Kampf gegen die Krise durch sein Veto und seine legislative Intrigen in der Verchovna Rada – aus niederen persönlichen Motiven – zu konterkarieren. Präsident Janukovyč maßte sich gleich am Tage seines Amtsantritts verfassungswidrig die Befugnis an, eine „schnelle Lösung sozial-ökonomischer Fragen umzusetzen.“ Um diese ihm „aufgrund der Verfassung zustehende Vollmacht – genau diese Vollmacht wurde dem Präsidenten durch deren Reform genommen – effektiv ausüben“ zu können, verfügte er die Umbenennung des „Sekretariats des Präsidenten“ in „Administration des Präsidenten“.9 Schon im Wahlkampf sprach der Kandidat Janukovyč – wie übrigens auch alle seine Konkurrenten – nicht über seine zukünftigen Aufgaben als Präsident im Rahmen der von der Verfassung eingeschränkten präsidialen Vollmachten, sondern so, als ob ihm mit seiner Wahl „alle Macht“ zufallen würde. Wie Präsident Juščenko hat auch Janukovyč die „politische Reform“ vom Januar 2006 nicht internalisiert: wie dieser meint er, dass die „Richtlinienkompetenz“ noch immer beim Präsidenten liege. So „versprach“ er in einer Sendung („Šuster live“) des TV-Kanals TRK “Ukraina”, das Parlament nicht aufzulösen zu wollen, wenn dieses den politischen Willen aufbringe, sein Programm umzusetzen. In einem Interview mit dem Fernseh-Kanal „Rossija 24“ drohte er: „Die Verhandlungen (mit den im Parlament vertretenen Parteien) werden zeigen, ob das Parlament imstande ist, sich auf der Basis meines Programm zu konsolidieren“; wenn nicht, würde es aufgelöst.10 Welches – „kutschmistische“ – Verständnis er von seiner Rolle als Präsident hat, demonstrierte er am Tage nach seinem Amtsantritt: Er bestellte den Parlamentspräsidenten Lytvyn in den Präsidialpalast ein und „beauftragte“ ihn in einer – ganz im Stile des russischen Präsidenten Medvedev – in den Fernseh-Nachrichten übertragenen „Unterredung“, für die Auflösung der de jure bestehenden Koalition, dem sein „Block Lytvyn“ angehöre, zu sorgen. Wie ein getadelter Schüler versicherte Lytvyn, der um sein Amt bangte, dass die Koalition de facto schon nicht mehr existiere.

Die in Verfassung angelegte Konkurrenz zwischen Präsident und Premierminister bzw. Parlament kann nur durch eine Verständigung auf der persönlichen Ebene gemildert werden. Durch die Ausschaltung der widerspenstigen Fraktion NU-NS aus dem dem Koalitionsprozess „handelte“ sich Präsident Janukovyč mit den „Tuški“ eine handzahme „pro-präsidentiale“ Mehrheit im Parlament ein, die ihm einen folgsamen Premierminister wählte, mit dem er die „effektive Exekutive“ bildet, die er in seiner Antrittsrede am 25. Februar angekündigt hatte.11

„Kampf gegen die Armut“ – anhaltender Populismus

Im Wahlprogramm12 des Präsidentschaftskandidaten einer Partei, die als „politischer Arm“ des reichsten Oligarchen der Ukraine gegründet wurde, und die im Parlament durch eine große Zahl von (USD-)Millionären vertreten ist, figuriert der „soziale Schutz“ der Bevölkerung ganz oben. In seinem skrupellos populistischen Wahlkampf hatte Janukovyč mit der schlichten Losung: „Eine Ukraine für die Menschen!“13 geworben. Die mitten in der Krise von seiner Fraktion in der Verchovna Rada durchgesetzte Erhöhung der Mindestlöhne und Renten14 war aber nicht etwa das praktische Bekenntnis einer ideologisch „sozialdemokratisierten“ Partei der Regionen zu sozialer Gerechtigkeit, sondern ein schamlose Bestechung der Wähler. Es ist kaum zu glauben, dass die verkündete „Bekämpfung der Armut“ auch das wichtigste Anliegen des (verdeckten) Regierungsprogramms des Präsidenten Janukovyč sein wird; sie ist eher Teil der Wahlkampfbereitschaft der Partei der Regionen für den Fall vorgezogener Parlamentswahlen und für die anstehenden Kommunalwahlen. Wohl deshalb begann Präsident Janukovyč schon ab dem ersten Tag nach seiner Machtübernahme „seine Wahlversprechen zu erfüllen“, wie er seinen Pressedienst verlauten ließ:15 Mit seinem ersten „Ukaz“ nahm er den „Kampf gegen die Armut“ auf. Dabei sind realiter mehr als symbolische Gesten nicht möglich: Der ukrainische Fiskus ist hoch verschuldet und das Defizit des staatlichen Rentenfonds (Pensijnyj fond Ukraïny) ist enorm, u. a. auch deshalb, weil nur die offiziell erklärten 10 bis 50 Prozent der im privaten Sektor bezahlten Entgelte für die von den Arbeitgebern abzuführenden Beiträge zur Altersversorgung herangezogen werden.16 Die oligarchischen „Sponsoren“ des Wahlkampfes des Präsidenten Janukovyč werden wohl kaum für Armutsbekämpfung spenden; und die vielen Fabrikanten in der Parlamentsfraktion seiner Partei der Regionen haben kein Interesse an der Erhöhung der Mindestlöhne. Bereits vier Tage nach der Stichwahl entlarvten sie sich: Nur zwei „regionale“ Parlamentarier stimmten in der zweiten Lesung für den von ihrer Fraktion vor den Wahlen eingebrachten Gesetzentwurf über die Erhöhung des Kindergeldes.17 Es ist nicht ersichtlich, wie die Regierung Azarov, die den Haushalt sanieren muss, das Gesetz über die Erhöhung der Mindestlöhne und Renten umsetzen kann; die Regierung Tymošenko hatte sich geweigert, dieses geltende Gesetz, das vom Parlament verabschiedet und vom Präsidenten durch seine Unterschrift in Kraft gesetzt worden war, zu verwirklichen.18

Bekämpfung der Korruption – allen Ernstes ?

Angebracht ist Skepsis auch bei der angekündigten Bekämpfung der Korruption, denn Bestechung und Bestechlichkeit liegt im Interesse aller Ukrainer – des Verkehrssünders und des „biznesmen“, des Beamten und des „Deputierten des Volkes“. Korruption ist das Schmieröl der ukrainischen Gesellschaft – mit verhängnisvoller Langzeitwirkung. Mit seinem dritten Erlass gründete Präsident am Tage nach seinem Amtsantritt ein konsultatives „Komitee gegen Korruption“ (Antykorupcijnyj komitet), zu dessen Leiter er sich selbst und zu dessen „Exekutivsekretärin“ er die Leiterin („Sekretärin“) des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates (Rada nacional’noï bezpeky i oborony Ukraïny), Raïsa Bohatyr’ova, ernannte.19 Die in diesem Erlass angeregte Vereinfachung der Lizensierungsprozeduren für kleinere und mittlere Unternehmen, welche die Zahl der Hebel reduzieren würde, mittels derer korrupte Beamte ihr offizielles Gehalt vervielfachen, ist ein hoffnungsloses Unterfangen.20 Ein aufschlussreicher Lakmus-Test für die Ernsthaftigkeit des Kampfes an dieser breiten Front wird der Umgang des Präsidenten Janukovyč mit den Interessen der Oligarchen, namentlich einer der Hauptsponsoren seines Wahlkampfes, des suspekten „gas traders“ Dmitro Firtaš sein, der seine dubiose (Zwischen-)Handelsgesellschaft „RosUkrEnergo“ wieder in das Erdgasgeschäft der Ukraine mit Russland und Zentralasien einschalten will, aus dem sie von den beiden Premierministern Tymošenko und Putin ausgeschlossen worden war.

Niedrige Gaspreise – Täuschung der Wähler

„Eine Ukraine für die Menschen!“ lautete die einzige Losung des Präsidentschaftskandidaten Janukovyč im Wahlkampf, die nach der gewonnenen Wahl weiter plakatiert wurde: „Den Menschen“ versprach er niedrigere Gaspreise durch eine Revision des Abkommens, das Premierministerin Tymošenko Anfang des Jahres 2009 mit ihrem russischen Kollegen Putin geschlossen hat. Julija Tymošenko hatte sich mit Putin darauf verständigt, den Import und Transit russischen Erdgases auf Markt-Preise zu basieren – der stärkste Antrieb für Investitionen in Energieeffizienz und damit für die Minderung der Abhängigkeit von russischen Lieferungen.21 Mit der angedeuteten Bereitschaft, das ukrainische Gastransportsystem (GTS) in ein internationales Konsortium einzubringen,22 an welchem Russland beteiligt ist, vermittelte er die Illusion, die Ukraine könne in Zukunft aus Russland wieder Gas „unter Marktpreis“ beziehen. Angesichts der russischen Marktmacht ist dies eine bewusste Täuschung der ukrainischen Wähler; wenn überhaupt, dann kämen „privilegierte“ Gaspreise nur in kompensatorischen Deals den Industriemagnaten zu gute, nicht den privaten Verbrauchern. Im übrigen sinkt das Interesse Russlands an dem Gastransportsystem der Ukraine mit dem Baufortschritt der Projekte Nord- und South-Stream.

Wirtschaftliche Reformen – in wessem Interesse ?

Am Tage nach seinem Amtsantritt rief Präsident Janukovyč ein „Komitee für wirtschaftliche Reformen“23 ins Leben. Zur Geschäftsführerin (vykonavčyj sekretar’ ) ernannte er Iryna Akimova, die Erste Stellvertretende Leiterin der Präsidialadministration – und einzige Ökonomin mit post-sowjetischer wirtschaftswissenschaftlicher Ausbildung (Zentrum für Wirtschaftsforschung, Universität Warschau; Abteilung für Wirtschaft, Universität Magdeburg). Er selbst übernahm den Vorsitz in diesem Komitee, was darauf schließen läßt, dass Präsident Janukovyč es zumindest mit den Reformen in der Wirtschaft ernst meint. Dem Komitee gehören des weiteren der Premierminister Azarov sowie alle Vizepremierminister und der Leiter der Präsidialadministration an, von denen in der Vergangenheit keiner einen besonderen Reformeifer an den Tag gelegt hat.

Reformen im wirtschaftlichen Bereich werden sich eher an den Interessen der Finanz- und Industrie-Konglomerate („FPGs / finansovo-promyšlennye grupy“, russ. / finansovo-promyslovi hrupy, ukr.) als an den Bedürfnissen der kleinen und mittleren Unternehmen orientieren; denn: was gut ist für den Oligarchen Achmetov und seinesgleichen, wird auch als gut für das ganze Land ausgegeben werden. Zu deren weiterer Bereicherung werden wieder „privilegierte“ Privatisierungen staatlicher Unternehmen gehören – wie zu Präsident Kučmas Zeiten. Julija Tymošenko hat schon angekündigt, dass ihre „oppositionelle Regierung“ ganz besonders den Umgang des Präsidenten Janukovyč und seines Premierministers Azarov mit dem staatlichen (Betriebs-)Vermögen im Auge behalten wird.24

Das „investitiv-innovative Modell der Entwicklung“ der ukrainischen Wirtschaft, das der Präsidentschaftskandidat Janukovyč in seinem Wahlprogramm propagierte, ist eigentlich eine rückwirkende Verurteilung seiner oligarchischen Sponsoren. Sie waren es, die bislang Investitionen und Innovationen in die staatlichen Betriebe, die sie sich in den „informalen Zeiten“ (Rinat Achmetov) angeeignet haben, unterließen – und die ihre exorbitanten Gewinne aus der globalen Rohstoff-Konjunktur der vergangenen Jahre off shore versteckten, anstatt sie in die – nunmehr von „ihrem“ Präsidenten angemahnte – Modernisierung der ukrainischen Industrie zu investieren. Ein großer Teil des ukrainischen Bedarfs an Erdgas – und damit die prekäre Abhängigkeit der Ukraine von russischen Lieferungen – geht auf das Konto der extrem energieintensiven Dinosaurier der oligarchischen – ehemals sowjetischen – Kombinate der metallurgischen und chemischen Industrie. “Viele unserer Probleme wurden dadurch verursacht, dass wir – anstatt uns auf eine postindustrielle Gesellschaft des 21. Jahrhunderts hin zu bewegen – den Pfad der ursprünglichen Kapitalakkumulation», den so genannten «wilden Kapitalismus» gewählt haben,“ sagte Präsident Janukovyč in seiner Antrittsrede.25 Der impliziten Kritik an der ukrainischen Oligarchie war sich Janukovyč sicher nicht bewusst, als er diesen Satz vom Blatt ablas.

3. „Kaderpolitik“

Im Wahlkampf – und auch nach seiner Wahl zum Präsidenten – betonte Janukovyč immer wieder, dass er sein Programm umsetzen wolle. Nach Überzeugung kritischer Beobachter liegen den von Janukovyč im Wahlkampf bezogenen Positionen in der Innen- und Außenpolitik keine tiefen eigenen Überzeugungen zu Grunde; „seine“ Politik unterliegt den partikularen Interessen der oligarchischen Gruppierungen in der Partei der Regionen – und dem Einfluss der maßgeblichen Politiker, die diese repräsentieren. Auf inhaltliche politische Positionen der beiden Koalitionspartner, der Kommuistischen Partei und des „Blocks Lytvyn“, braucht er wenig Rücksicht zu nehmen; der letztere existiert nur, um seinem Namenspatron den Posten des Parlamentspräsidenten zu sichern; und den Kommunisten hat Janukovyč durch seinen „Kampf gegen die Armut“ allen Wind aus den Segeln genommen.

Janukovyč galt in der Vergangenheit nicht als ein Politiker, der eigene Akzente setzt, sondern eher als einer, der die Politik anderer effektiv umsetzt, als geborener „zweiter Mann“ sozusagen. Nicht von ungefähr hat der Donecker Oligarch Achmetov ihn zu seinem Statthalter in Kiew gemacht und Präsident Kučma ihn zu seinem Nachfolger bestimmt. Aus Äußerungen über ihn lässt sich ableiten, dass Janukovyč Entscheidungen lieber Personen seines Vertrauens überlässt – so dem (bisherigen) Leiter seines Büros L’ovočkin, den er noch am Tage seines Amtsantritts zum Leiter der Präsidialadminstration ernannte. Es wurde von einigen Beobachtern vermutet, dass Janukovyč das „Geschäft“ des Präsidenten anderen überlassen werde; der „Auftakt“ seiner Präsidentschaft – seine Kampfansagen an die Übel der Gesellschaft, die unverzügliche Aufstellung „seiner“ Mannschaft und seine umgehenden Antrittsbesuche in Brüssel und in Moskau lassen erkennen, dass Janukovyč entschlossen ist, das Heft selbst in die Hand zu nehmen.

Es ist weniger die Person26 des Präsidenten Janukovyč, als vielmehr seine Hintermänner, die in Teilen der Bevölkerung in der Mitte und im Westen der Ukraine Besorgnis erregen. Ihnen wird eine nur instrumentelle Akzeptanz der Demokratie unterstellt; während die Politiker auf der Bühne „Demokratie“ inszenieren lassen, betreiben „sie“, die Oligarchen, hinter den Kulissen partikulare Interessenpolitik. Auch wenn diese Besorgnisse sich eher sich auf die auswärtige Orientierung der Ukraine beziehen27 als auf die direkten Auswirkungen der Wahl von Janukovyč im Inneren, so wird mit einer Abwendung von „Europa“ (konkret von der Europäischen Union) und einer Hinwendung zu Russland eine Regression in der inneren Entwicklung der Ukraine befürchtet.

Die Partei der Regionen ist kein monolithischer Block. Die ukrainischen Industrie- und Finanzmagnaten, die nicht nur „ihr“ Geld gewaschen, sondern auch sich selbst vom „Dreck“ ihrer speziellen Form der ursprünglichen Kapitalakkumulation gereinigt haben,28 repräsentieren heute eher das „fortgeschrittene“ Element innerhalb dieser Partei; ihre längerfristigen geschäftlichen Interessen erfordern die „Modernisierung“ der Ukraine, ihre Öffnung nach Westen, ihre „Europäisierung“. Der Donecker Oligarch Achmetov läßt in zwei Think Tanks darüber nachdenken, wie die Zukunft der Ukraine aussehen soll – in der Foundation for Effective Governance und im Bureau for Economic and Social Technologies (BEST). Die Vorstellungen der ukrainischen Millionäre über die wünschenswerte Entwicklung der Ukraine sind von ihren Erfahrungen im Westen Europas geprägt, wo sie ihren Reichtum verleben. Doch daraus ließe sich auch der umgekehrte Schluss ziehen, wie es Ljudmylla Šangina tut:29 Sie genössen alle Freizügigkeiten eines demokratischen Staates dort, wo sie feiern, sich erholen, sich medizinisch behandeln und ihre Kinder ausbilden lassen. Die Ukraine interessiere sie nur insoweit, als sie in diesem Land ihr Geld verdienten. Sie interessiere nur die – billige – ukrainische Arbeitskraft; und politische Stabilität in der Ukraine interessiere sie nur insoweit, als sie Ruhe an der Arbeitsfront sichere. Julija Tymošenko hieb in ihrer Botschaft an das ukrainische Volk vom 22. Februar in diese Kerbe: „Die Oligarchie […] braucht billige Arbeitskraft, arme und rechtlose Menschen, die sie zwingen können, in ihren Fabriken für niedrige Löhne zu arbeiten […] Sie sind nicht interessiert an Eurem Schicksal und an der Zukunft Eurer Kinder. Schon seit langer Zeit leben sie nicht in der Ukraine; sie beuten diese nur aus.“30

Neben – oder inzwischen möglicherweise „über“ – diesem bislang in der Partei der Regionen dominierenden oligarchischen Klan hat sich durch massive finanzielle Unterstützung im Wahlkampf die Gruppe Dmitro Firtaš im Machtapparat des Präsidenten Janukovyč positioniert. Firtaš hat sein Milliarden-Vermögen (in USD versteht sich) durch „Abschöpfung“ der ukrainischen Erdgasimporte aus Zentralasien mittels der intransparenten Zwischenhandelsgesellschaft „RosUkrEnergo“, an welcher er mit 45 Prozent beteiligt ist, gemacht.31 Mit seinem „Agenten“ Serhij L’ovočkin als Leiter der Präsidialadministration steht er dem Präsidenten am nächsten, und mit Jurij Bojko als Minister für Kraftstoff und Energie ist er auch in der Regierung Azarov gut vertreten; zur notfalls repressiven Absicherung seiner Interessen konnte Firtaš „seinen Mann“ Valerij Choroškovs’kyj als Chef der ukrainischen KGB-Nachfolgeorgansiation „SBU“ ( Služba bezpeky Ukraïny, Sicherheitsdienst der Ukraine) installieren. Die Ernennung von Choroškovs’ky zum Leiter des „Sicherheitsdienstes der Ukraine“ (SBU) ist ein eklatantes Beispiel für die Kapitulation der Politik vor oligarchischer Macht. Es erhebt sich die Frage, zu welchem Zweck der Multimillionär und Medienmogul Choroškovs’ky ein öffentliches Amt benötigt – und noch dazu den des Chefs des Geheimdienstes. Präsident Juščenko hatte diesen Mann im Januar 2009 zum Stellvertretenden Leiter dieser „Behörde“ ernannt. Zuvor war er Chef des Zollamtes (Deržavna mytna služba Ukraïny), eine der korruptesten Behörden der Ukraine, aus welcher ihn Premierministerin Julija Tymošenko entfernt hatte. In seiner neuen Funktion befahl er dem Sondereinsatzkommando („specnaz“) der SBU eine Operation im Sitz der staatlichen Erdgasgesellschaft Naftohaz, die in der Öffentlichkeit als eine gegen Julija Tymošenko gerichtete Aktion angesehen wurde, die Anfang des Jahres 2009 mit Hilfe des russischen Premierministers Putin die Vermittlungsgesellschaft „RosUkrEnergo“ (RUE) seines Compagnons Firtaš aus dem russisch-ukrainischen Erdgasgeschäft herausgedrängt hatte.32 Die intransparente „RosUkrEnergo“, an der Firtaš mit 45 Prozent beteiligt ist, war der Profitgenerator des enorm lukrativen – und korrupten – Zwischenhandels mit russischem und zentralasiatischen Erdgas. Wenige Tage nach dem Amtsantritt von Präsident Janukovyč wurden die Abbau- und Aufbereitungsbetriebe für Titanerz, die von der Regierung Tymošenko „rückverstaatlicht“ worden waren, auf Befehl Choroškovs’kys unter Einsatz von bewaffneten Einheiten des staatlichen Sicherheitsdienstes an den Oligarchen Firtaš „rückerstattet“, wie Julija Tymošenko vor der Verchovna Rada mitteilte. Bojko war in der zweiten Amtszeit des Präsidenten Kučma Vorsitzender der staatlichen Gesellschaft „Naftohaz Ukraïny“ und gleichzeitig Stellvertretender Energieminister; in der zweiten Regierung Janukovyč – in der Amtszeit des Prädidenten Juščenko – war er Minister für Kraftstoff und Energie, das u. a. zuständig ist für den Gassektor.33 Aufgrund seiner Geschäftsbeziehungen zu Gazprom ist der Milliardär Firtaš „nach Osten“ orientiert.

Borys Kolesnikov und Andrij Kljujev repräsentieren den Typ des „biznesmen-polityk“ in der Partei der Regionen: Erfolgreiche Geschäftsleute, die durch einen (über die Parteiliste erworbenen) Sitz in der Verchovna Rada ihre kommerziellen Interessen absichern und persönliche Immunität genießen – und sich zusätzlich zu ihrer ökonomischen auch noch politischer Macht erfreuen. Kolesnikov vertritt in der Regierung Azarov die Interessen des Oligarchen Achmetov, dem er geschäftlich verbunden ist. Kolesnikov war „on speaking terms“ mit ex-Präsident Juščenko und ex-Premierministerin Julija Tymošenko. Mit der Ersten Stellvertretenden Leiterin der Administration des Präsidenten, der liberalen Irina Akimova, hat Achmetov einen direkten Draht zu Janukovyč, der sich von seinem Gönner emanzipiert hat. Kljujev vertritt in der Regierung Azarov als Erster Stellvertretender Premierminister mit dem Verantwortungsbereich Energie seine eigenen Interessen – und die seines Bruders Serhij, die den Elektrizitätssektor der ukrainischen Wirtschaft beherrschen.

Die Einflüsse der großen Interessengruppen in der Partei der Regionen erscheinen somit ausgewogen. Die „reinen“ Parteipolitiker wie Janukovyč selbst und Mykola Azarov haben sich ihrer sowjetischen Mentalität noch nicht ganz entledigt – daher die ihnen gemeinsame Neigung zum politischen Osten. Sie denken in Kategorien sowjetischer „vlada“ (russ. vlast’): „alle Macht“ ihrer Partei. Zum Glück für das Land zwingt sie das Kräfteverhältnis in der Verchovna Rada zu einer Koalition; vor allem aber sehen sie sich einer „vereinigten Opposition“ unter Julija Tymošenko konfrontiert, die über 40 Prozent der Stimmen verfügt, und die ihrem heimlichen Wunsch nach einem „demokratischen Zentralismus“ Grenzen setzt. Der Regierungsstil dieser Parteikader wird durch politische Patronage, durch Klientelismus und Favoritismus geprägt sein; die ersten nepotistischen Ernennungen wurden schon bekannt.34 Die Interessen der Industrie- Finanz- und Medien-Magnaten, die selbst Mitglieder der Partei der Regionen sind oder ihr nahe stehen, sind alle in der Administration des Präsidenten Janukovyč und in der Regierung „seines“ Premiermnisters Azarov repräsentiert. Ihre Konkurrenz ist eine Garantie dafür, dass die ukrainische Oligarchie nicht zu einer präsidialen Autokratie wie in der Ära des Präsidenten Kučma ausartet.

Premierminister Mykola Azarov: Ein „Apparatschik“ als Chef einer „Reform-Regierung“

Um die dem Land versprochene „effektive Regierung“ organisieren, d. h., endlich eine „gleichgerichtete“ Politik der dualen Exekutive realisieren zu können, braucht Präsident Janukovyč einen „kooperativen“ Premierminister. Mykola Azarov, Mitglied des Präsidiums des Politischen Rates der Partei der Regionen, galt von Anfang an als der für Janukovyč „komfortabelste“ Premierminister; doch “nicht einmal für eine Milliarde“ würden die Mitglieder der Fraktion NU-NS für Azarov stimmen, sagte Taras Čornovil.35 Doch auch innerhalb der Partei der Regionen hat Azarov nicht nur Freunde; Achmetov gehört nicht zu ihnen. Die Wahl von Azarov zum Premierminister durch die neue Regierungskoalition lässt darauf schließen, dass es Präsident Janukovyc darauf ankam, eher einen „exekutiven“ Funktionär in diesem Amt zu haben – als einen eigenwilligen „Reformer“. Nicht von ungefähr steht die Maxime „Stabilität“ vor „Reform“ im Titel seiner Regierungskoalition. “Das Jahr 2010 wird ein Jahr der Stabilisierung sein“, sagte Azarov im Parlament.36 Die politische und ökonomische Stabilisierung ist sicher die vordringlichste Aufgabe – und die Voraussetzung für Reformen in Wirtschaft und Gesellschaft. Und für diese Aufgabe mag Azarov der richtige Mann aus dem Umfeld des Präsidenten Janukovyč sein.

Der neue Chef der ukrainischen Regierung, ein gebürtiger Russe, spricht nur „gebrochen“ ukrainisch. Azarov ist ein Parteipolitiker (Mitbegründer der Partei der Regionen), der sich im zurück liegenden Wahlkampf mehr durch sein Talent für Agitprop auszeichnete als durch ökonomische „Professionalität“, für die seine Partei ihn preist. In der Ära des Präsidenten Kučma war Azarov als erster Leiter der – von ihm gegründeten – Staatlichen Steuerbehörde (Deržavna Podatkova Administracija Ukraïny / DPA) berüchtigt wegen der „steuerlichen“ Einschüchterung oppositioneller Medien und „unfreundlicher“ Firmen. Azarov diente dem Premierminister Janukovyč zweimal als Finanzminister (2002-2004; 2006-2007). Azarov orientiert sich eher nach Osten als nach Westen; in Präsident Kučmas Auftrag forcierte er im Jahre 2004 die Integration der Ukraine in Präsident Putins „Einheitlichen Wirtschaftsraum“. [37]

Die Stabilisierung der ukrainischen Wirtschaft ist eine Aufgabe, welche auch die neue Regierung nicht allein bewältigen kann. Seine Regierung werde mit allen internationalen Finanzinstitutionen einschließlich des Internationalen Währungsfonds zusammenarbeiten, kündigte Azarov an. Die wichtigste und dringlichste Aufgabe sei die Aufstellung und Annahme eines realistischen Haushalts, wofür die Regierung einen Monat benötigen würde. Er werde Ordnung in die Finanzen der großen staatlichen Unternehmen bringen. Die strukturelle Reform des Steuersystems und des Rentenfonds sind dabei Elemente der Stabilisierungspolitik. Ob die Regierung Azarov parallel dazu mit der angekündigten Förderung neuer Technologien bereits das Wachstum der Wirtschaft vorantreiben kann, ist aufgrund des hierfür erforderlichen Zeitraums – und aufgrund des kurzfristigen Profitorientierung der Industriemagnate – zu bezweifeln. Ein gewisses Wachstum wird sich infolge der Erholung der Weltwirtschaft von der globalen Krise durch die wieder steigende Nachfrage nach den Exportprodukten der Ukraine einstellen, was nicht ein Verdienst der Regierung Azarov sein wird. Besondere Aufmerksamkeit will der neue Premierministr der Reform der Gerichtsbarkeit und dem Kampf gegen Korruption gewidmet. Die „demokratische Opposition“ wird diese Ankündigung sicher nicht für ernst gemeint halten – schließlich ist die Käuflichkeit von allem und jedem ein konstitutives Element des Systems, das sich in der Ukraine herausgebildet hat.

Wenn das Verfassungsgericht „mitspielt“ und die Aufnahme von einzelnen Mitgliedern in die Regierungskoalition nicht als wider die Verfassung beurteilt, dann kann mit einer raschen Herstellung politischer Stabilität gerechnet werden, da zum ersten mal seit fünf Jahren Präsident, Regierungskoalition und Pemierminister „auf einer Linie“ liegen. Die Stabilität der der Regierungskoalition wird Geld kosten, da die „tuški“ Faktoren von Unsicherheit sind – aber darüber verfügen die Sponsoren der (Regierungs-)Partei der Regionen.

Das Ministerkabinett – eine „Regierung sowjetischen Typs“

Präsident Janukovyč hatte ein „professionelles“ (anstatt eines nach parteipolitischem Proporz gebildetes) Ministerkabinett angekündigt;38 mit der von ihm durchgesetzten Wahl von Mykola Azarov erhielt er ein Ministerkabinett von „Administratoren, und nicht von Reformatoren“, wie Tihipko sagte, der dieses eine „Regierung sowjetischen Typs“ nannte, noch bevor sie gebildet war.39 Umso überraschter waren die politischen Beobachter, dass er sich von seinem „alten Patron“ Janukovyč – formal von Premierminister Azarov – zu einem der sechs Stellvertretenden Vizepremierminister ernennen (und von der Verchovna Rada bestätigen) ließ. In einem Interview mit der Zeitschrift „Kontrakty“ nannte Vizepremiermnister Tihipko Premierminister den Premierminister Azarov einen „guten Administrator“, aber keinen „Reformator“ (Reformer). „Wenn ein gestriger Premierminister und eben solche Minister an die Macht kommen, […] dann finden diese Leute Schliche, die es ihnen erlauben, im alten Stil zu arbeiten“, sagte Tihipko über seine neuen Kollegen.40 Serhij Tihipko ist der einzige „Reformer“ in der Regierung Azarov. Er ist der designierte „Prügelknabe“41 für den Fall, dass die von ihm angekündigten „unpopulären Reformen“ den Unmut der Bevölkerung und die Popularität des Präsidenten Janukovyč beeinträchtigen. Es ist nicht ersichtlich, warum sich der materiell und politisch unabhängige Tihipko in diese Regierung einbinden ließ.

Zum Ersten Stellvertretenden Premierminister wurde Andrij Kljuev ernannt, ein „biznesmen“ aus Doneck, der im zweiten Kabinett Janukovyč Energieminister war; zu einem der sechs (!) weiteren Stellvertretenden Pemierministern avancierte der Magnat Borys Kolesnikov, der dem Oligarchen Achmetov geschäftlich verbunden ist. Beide waren bis dato Mitglieder der Fraktion der PR.42

Zum – eigentlich überflüssigen – Minister für Wirtschaft wurde (aufgrund der Koalitionsquote der KPU) der Kommunist Vasil’ Cuško ernannt.43 Seine belächelten Intelligenzdefizite werden durch die ökonomische Kompetenz des „Stellvertretenden Premierministers für wirtschaftliche Fragen“, Tihipko, kompensiert. Der reformorientierte Vizepremierminister Tihipko ist für Cuškos Parteichef Symonenko, den „Ersten Sekretär des Zentralkomitees“ der Kommunistischen Partei der Ukraine und Vorsitzenden ihrer Fraktion in der Verchovna Rada, ein rotes Tuch; in dessen verbaler Attacke auf Tihipko kurz nach dessen Ernennung44 manifestiert sich die große „ideologische“ Spannbreite der Regierungskoalition. Der starr in sowjetischen Kategorien denkende – wenn auch nicht handelnde – Kommunist Symonenko plädiert für einen rigorosen Protektionismus, kritisiert die Mitgliedschaft der Ukraine in der Welthandelsorganisation und bekämpft alle eurointegrationistischen Tendenzen, was ihn nicht daran hindert, mit dem Klassenfeind eine Koalition einzugehen. Zum Vorsitzenden des “Fonds des staatlichen Vermögens“ („FGI“ / „Fond gosimuščestva“, russ. Fond gosudarstvennogo imuščestva, ukr. „Fond deržavnoho majna Ukraïny“, eine Art “Treuhandgesellschaft” staatlicher Unternehmen) ernannte die Regierung den Quoten-Kommunisten Oleksandr Rjabčenko.45 Angeblich hat sich der „rote Oligarch“ Kostjantyn Grygoryšyn, der die Kommunistische Partei finanziert, für ihn eingesetzt.

Mit der erneuten Ernennung des ehemaligen Präsidenten der staatlichen Gesellschaft „Naftohaz Ukraïny“ Jurij Bojko zum Energieminister befürchtet die Opposition die Rückkehr zu den intransparenten, d. h., korrupten Praktiken der Vergangenheit im Erdgasgeschäft. Zum Innenminister wurde der (in Russland geborene) ehemalige Polizeichef (Leiter der Hauptabteilung des Ministeriums für innere Angelegenheiten) der Autonomen Republik Krim, Anatolij Mogilev (russ.) ernannt, der in einer Zeitung die Deportation der Krim-Tataren durch Stalin gerechtfertigt hat.46 Er war Leiter des Wahlkampfstabes des Präsidentschaftskandidaten Janukovyč auf der Krim. Die Ernennung des Historikers Dmytro Tabačnyk zum Mijister für Bildung und Wissenschaft war eine Provokation der ukrainischen Patrioten. Vjačeslav Kyrylenko, der Vorsitzende der Partei „Za Ukraïnu“ in der Fraktion NU-NS, beantragte im Parlament sofort die Entlassung Tabačnyks wegen „antiukrainischer Äußerungen und einer negativen Einstellung zur nationalen Identifikation der Ukrainer“.47 In einem Artikel, den er im September 2009 in der Zeitung „Izvestija“ veröffentlichte, hatte Tabačnyk einen Bogen „Von Ribbentrop bis zum Majdan“ gezogen.: „…die Galizier haben praktisch nichts gemeinsam mit dem Volk der Großen Ukraine […] ihre «Helden» (Bandera, Šuchevyč) sind für uns Mörder, Verräter und Handlanger von Hitlers Henkern.“
In dem neuen Ministerkabinett (Kabinet Ministriv Ukraïny) mit seinen 29 (!) Ministern dominieren die Mitglieder Partei der Regionen – sechs der sieben Stellvertretenden Premierministern gehören der PR an – und der Doneck Klan: 13 Minister stammen aus der Oblast Doneck, 3 sind, wie Azarov selbst, gebürtige Russen, die ihre Karrriere in Doneck begannen.

In der Besetzung der Leitungsstellen seiner „Administration“ brauchte der Präsident keine Rücksicht auf das Parlament zu nehmen; noch am Tage seines Amtsantritts ernannte er Serhij L’ovočkin, dessen „Nähe“ zu den parasitären Händlern im grenzüberschreitenden Gasgeschäft bekannt ist, zum Leiter der Präsidialadministration. Mit dessen Ernennung hat der oligarchische „gas trader“ Firtaš einen direkten Draht zum Präsidenten. Firtaš hat wohl die größte Summe in die Wahl von Janukovč investiert, um unter dessen Präsidentschaft seine lukrative Position im Zwischenhandel mit Russland und Zentralasien, aus der ihn Premierministerin Julja Tymošenko verdrängt hatte, wieder zu gewinnen. Seine persönliche „Sprecherin“ Anna Herman, bis dato Stellvertretende Vorsitzende der Partei der Regionen, ernannte Präsident Janukovyč zu Stellvertretenden Leiterin der Administration des Präsidenten, eine administrative Funktion, in der sich die Journalistin mit Talent für „public relations“ nicht wohl fühlen kann; in der Tat fungiert sie auch nach ihrer Ernennung in dieses Amt weiter als sein „Sprachrohr“, eher noch als seine Interpretin – und als heimliche First Lady.

Anders als das „national-demokratische Lager“, das durch die offene Austragung seiner – als „konzeptionelle“ Differenzen kamuflierten – persönlichen Rivalitäten die Orangene Revolution diskreditiert hat, dringen aus der Partei der Regionen nur Gerüchte über die konkurrierenden Interessen nach außen.48 Die politische Disziplin – und eine gewisse „omertà“ – in der PR basiert auf dem „Landfrieden“ der oligarchischen Clans, aber nicht zuletzt darauf, dass die inzwischen „ehrbaren Kaufleute“ die „informalen Zeiten“ (Rinat Achmetov) noch in lebendiger Erinnerung haben und bei einem Ausbruch von Feindseligkeiten nicht nur um „Hab und Gut“, sondern um ihr Leben fürchten müssen. „Regionale“ Politiker scheuten sich, ihre Verquickung mit kriminellen Hintermännern zu lösen, um den Ausgleich ihrer Interessen, den im wahren Sinne des Wortes modus vivendi, den sie gefunden haben, nicht zu stören, meint Taras Čornovil, ein „insider“, der bis Oktober selbst Mitglied der Partei der Regionen war.49

Viktor Janukovyč – Präsident aller Ukrainer oder „Präsident des Donbass“ ?

Die Demokratie hat sich etabliert in der Ukraine; nicht nur die Verfassung, auch das reale Gleichgewicht der politischen Kräfte läßt eine Usurpation „aller Macht“ durch den Präsidenten nicht zu. Die bürgerschaftliche Gesellschaft ist stark genug, um etwaigen autoritären Versuchungen des Präsidenten zu begegnen. Und auch die ukrainischen Oligarchen sehen ihre Interessen in der Demokratie, in der sie auf politische Entscheidungen großen Einfluss nehmen können, gewahrt. Achmetov meinte gegenüber Journalisten, dass in den Präsidentschaftswahlen des Jahres 2010 die Ideale der Orangenen Revolution gesiegt hätten.50 Ein Rückfall in den Autoritarismus der Ära Kučma ist also nicht zu befürchten, d. h., die Wahl von Janukovyč ist kein „Grund zum Auswandern“.

In der Amtszeit ihres Präsidenten Viktor Janukovyč werden die Ukrainer im Osten und Süden des Landes – 20 Jahre nach Erlangung seiner Unabhängigkeit – endlich die unabhängige Ukraine auch als ihren Staat begreifen. Am 22. Januar, dem „Tag der Einheit“ (Den’ sobornosti), sagte Janukovyč: „Der Tag der Einheit ist heute aktueller denn je – für die Einigung des Volkes, für die Vereingung des Landes.” Eine seiner wichtigsten Aufgaben als Präsident werde die Einigung des Landes sein.51 Wie Janukovyč das Land zu einigen gedenke, sei schwer zu sagen, schrieb Myroslav Popovyč, der Direktor des Instituts für Philosophie der Ukrainischen Akademie der Wissenschaften, denn dieser habe „keinerlei Plattform für die Einigung“.52 Der scheidende Präsident Juščenko verband seinen telefonischen Glückwunsch an Janukovyč mit der Hoffnung, dass dieser im Amt des Präsidenten seine ganze Kraft der Konsolidierung der Ukraine widme. Jetzt sei die Möglichkeit gegeben, die Losung “Ost und West zusammen“ (vostok i zapad vmeste) umzusetzen.53 Juščenko selbst hat sich um die Lösung dieser existenziellen Aufgabe eines „Präsidenten aller Ukrainer“ nicht einmal bemüht; durch seinen forcierten Ausstieg aus den gemeinsamen Kapiteln der russisch-ukrainischen Geschichte. Einige Aussagen des neu gewählten Präsidenten Janukovyč waren jedoch auch kein Beitrag zur „Einigung“ der Bevölkerung des Landes, sondern eher zur Vertiefung ihrer Spaltung; der neue Präsident reizte die ukrainischen Patrioten mit der Andeutung einer möglichen Verlängerung des Flottenvertrages mit Russland und die Erhebung der russischen Sprachen zur zweiten Staatssprache und mit der – dem Moskauer Kreml – versprochenen Zurücknahme der Verleihung des Titels „Held der Ukraine“ an Stepan Bandera. Gegen die Ernennung des auch in der PR umstrittenen „ukrainophoben“ Historikers Tabačnyk zum Erziehungsminister hat Präsident Janukovyč die ersten widerständischen Aktionen – Hungerstreik von patriotischen Studenten – provoziert.

Präsident Janukovyč wird auch den Drang seiner Anhänger „nach Westen“ im Zaum halten müssen, wo sie lukrative Pfründe wittern; die Bevölkerung vor allem in der Hauptstadt Kiew befürchtet eine „feindliche Übernahme“ durch den „Donecker Klan“. Die höchsten Posten in der Abteilung Verkehrspolizei (DAI, Deržavna Avtomobil’na Inspekcija) der Stadt und der Oblast Kiew des Innenministeriums haben bereits „Donec’ki“ erbeutet, wie die Internet-Zeitung Ukrainskaja Pravda (russ. Version) berichtet.54 Den Vorsitzenden der „Prokuratura“ (Staatsanwaltschaft) der Hauptstadt Kiew ersetzte er durch einen loyalen Staatsanwalt aus Doneck (Jurij Udarcov).55 Dass Janukovyč drei Honoratioren seiner Geburtsstadt Makeevka in der Oblast Doneck mit Posten auf der Krim versorgt hat, wird in der Hauptstadt Kiew nur mit einer gewissen Häme vermerkt.

In der Sprachenfrage machte Janukovyč bereits einen unerwarteten Rückzieher: In einer Zeremonie am Grab des ukrainischen Nationaldichters Taras Ševčenko in Kaniv sagte er wörtlich: „In der Ukraine wird sich die ukrainische Sprache als die einzige Staatssprache entwickeln.“ [56] Seinen Wählern in der Ukraine – und dem Kreml in Moskau – hatte er versprochen, den Schutz der Rechte der russischsprachigen Bevölkerung der Ukraine gesetzlich umzusetzen. Dies sei kein Widerspruch, interpretierte seine Verehrerin Anna Herman ihren Präsidenten: Es ginge um die Umsetzung der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitssprachen von 1992, welche die Ukraine im September – mit Vorbehalten und Erklärungen – ratifiziert hat. Im Einklang mit dieser Charta, die in der Ukraine am 1. Januar 2006 in Kraft trat, kann der russischen Sprache der Status einer „regionalen Sprache“ gewährt werden – ein Kompromiss, mit dem die politische Polarisierung der Bevölkerung schon längst hätte entschärft werden können. Was den Sinneswandel des Präsidenten in der Sprachenfrage veranlasst hat, ist nicht klar; vielleicht ist es nur die Einsicht, dass er nie die Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder der Verchovna Rada für die Verfassungsänderung erhalten würde, die für die Aufwertung der russischen Sprache zur zweiten Staatsprache der Ukraine erforderlich ist. Die Geste des guten Willens von Kaniv gegenüber den ukrainischen Patrioten entwertete er aber sofort wieder mit der Ernennung des in ihren Augen „ukrainophoben“ Geschichtsprofessors Tabačnyk zum – für die Schulen und alle staatlichen höheren Bildungseinrichtungen zuständigen – Erziehungsminister. Der Grund für die Berufung des bisherigen Mitglieds der Fraktion der Partei der Regionen in dieses Amt ist nicht ersichtlich; Tabačnyk hat keine eigene Lobby. Möglicherweise wollte Präsident Janukovyč „nach Kaniv“ nur seine eigenen Wähler beschwichtigen. [57]

Präsident Janukovyč muss die Ukrainer in der Mitte und im Westen des Landes erst noch davon überzeugen, dass er auchn ihr Präsident ist – und nicht nur der „Präsident des Donbass“.

1 Er selbst sagte in einem Interview mit CNN, dass er sich in den letzten fünf Jahre geändert habe. Ukrainskaja Pravda (russ. Version), 10.02.2010. In einem Interview mit der spanischen Zeitung El Pais gab Janukovyč zu, dass in der Ukraine dank der Orangenen Revolution „Demokratie und Pressefreiheit existiert“ – Worte, die ihm wohl seine amerikanischen PR-Berater in den Mund gelegt haben. „Janukovyč fühlt sich als Stiefsohn der Revolution“, in: Ukrainskaja Pravda, 02.02.2010, unter Verweis auf Inopressa.

2 Seit dem Jahre 2005 wird Janukovyč von dem amerikanischen PR-Spezialisten Manafort beraten. In einer Wahlkampfrede rutschte er aus: Er verwies Julija Tymošenko „an den Herd“.

3 “Some say the Orange Revolution has failed. I say no. Thanks to the Orange Revolution, democratic elections are in Ukraine now a reality, “ sagte Matyas Eörsi auf der Pressekonferenz der IEOM am 08.02.2010.

4 Gängiger politischer Begriff; Adjektiv kuluarnyj von kuluary, Wandelgänge (hier im Gebäude der Verchovna Rada).

5 Interview mit Associated Press am 28.12.2009, wiedergegeben auf der web site der (english-sprachigen) Kyiv Post, Kiew, 29.12.2009 unter der Überschrift: Yanukovich says Orange Revolution failed to bring ‘rule of law’. http://www.kyivpost.com/news/nation/detail/56128/…..

6 Im Programm „Shuster live“ des TV-Kanals TRK “Ukraïna” versprach Janukovyč, die „Freiheit des Wortes“ zu garantieren. Ukrainskaja Pravda, 30.01.2010. In einem Gespräch mit Journalisten sagte Janukovyč, er sei bereit, bei der Schaffung eines öffentlichen („gesellschaftlichen“, quasi-„öffentlich-rechtlichen“) Rundfunks – „eines solch wichtigen Instruments der Demokratie“ – zu helfen. Interfax-Ukraine, Kiew, 24.12.2009. Anna Herman, die Stellvertretende Vorsitzende der Partei der Regionen und Vorsitzende des Medien-Ausschusses des Parlaments (für „Freiheit des Wortes und der Information“), bedauerte in einer Anhörung am 03. 12. 2009 die Herabstufung der Ukraine um zwei Punkte im Rating der Reporter ohne Grenzen. Interfax-Ukraine, Kiew, 03.09.2009.

7 Inna Vedernikova: Aleksandr Turčinov: «Cel’ audita – meždunarodnym zontikom prikrit’ represdsii protiv oppoyicii», in: Zerkalo Nedeli, Nr. 11 (791), 20.-26.03.2010; , http://www.zn.ua/1000/1550/68891/.

8 Die Ukraine erhielt per 15. Oktober 2009 drei Tranchen von zusammen 11 Milliarden USD aus einem Stand-by-Abkommen, das ein Kreditvolumen von 16,4 Milliarden USD umfasst, ausgezahlt. Die für Dezember 2009 vorgesehene Auszahlung der vierten Tranche wurde ausgesetzt; elektoraler Populismus machte die von der Regierung Tymošenko mit dem IWF vereinbarten Parameter für den staatlichen Haushalt zur Makulatur. Bezüglich der 11 Milliarden USD, welche die Ukraine bis zum 15. Oktober 2009 vom Internationalen Währungsfonds zur Überwindung der Krise ausgezahlt erhalten hat, erklärte Mykola Azarov, der „Schatten-Finanzministers“ der Partei der Regionen und Wirtschaftsberaters des Präsidenten Janukovyč, die Ukraine sei nicht verpflichtet, diese Kredite, die für die Umsetzung der „ineffektiven Politik“ der Regierung Tymošenko verwendet worden seien, zurückzubezahlen; der IMF könne diese Kredite „abschreiben”. Interfax-Ukraine, Kiew, 14.10.2009.

9 Ukrainskaja Pravda (russ. Version), 25.02.2010.

10 Ukrainskaja Pravda (russ. Version), 13.02.2010, unter Verweis auf das Interview, das Janukovyč dem Programm „Vesti Nedeli“ des TV-Kanals „Rossija 24“ gab.

11 Hätte Präsident Janukovyč keine eigene Mehrheit in der Verchovna Rada zustande gebracht, und wäre Julija Tymošenko somit Premierministerin geblieben, so hätte dies nicht eine „balance of power“ zum Wohle der ukrainischen Demokratie, sondern eine Fortsetzung der politischen Paralyse zum Schaden des ukrainischen Staates bedeutet: Der Regierung Tymošenko wären die Hände gebunden geblieben, weil auch sie im Parlament keine Mehrheit gefunden hätte; und ihre „patriotische“ Regierung hätte sich in einem permanenten Konflikt mit der Präsidialadministration wegen der „anti-ukrainischen“ Politik des Präsidenten Janukovyč befunden – realiter nicht wegen ideologischer Gegensätze, sondern weil Präsident Janukovyč und Premierministerin Tymošenko aufgrund der Inkompatibilität ihrer Charaktere nicht kooperieren können. „Ich habe eineinhalb Jahre lang Verhandlungen geführt …und mich davon überzeugt, dass es für uns unrealistisch ist, einen Weg für ein Bündnis zu suchen, weil wir völlig verschiedene Ansichten bezüglich des Aufbaus unseres Landes haben“, begründete Janukovyč seine Absage an eine Kooperation mit Julija Tymošenko kurz vor dem ersten Wahlgang. Doch Janukovyč nannte auch den wahren Grund: Aufgrund ihres autoritären Charakters sei Julija Tymošenko nicht fähig, mit irgend jemandem als Partner zu kooperieren.

12 http://www.cvk.gov.ua/vp_2010/kandydaty/programa/programa_yanukovich.pdf.

13 „Украïна dlja ljudej“. Welche Menschen damit gemeint waren, konnte man auf dem Empfang sehen, den Präsident Janukovyč anläßlich seines Amtsantritts im „Ukrainischen Haus“ gab; unter den Teilnehmern erkannten Journalisten alle Oligarchen, deren finanzieller Unterstützung er seine Wahl zu verdanken hat.

14 Die IWF-Mission erklärte nach ihrer Rückkehr aus Kiew am 25. Oktober 2009 in Washington, das von der Partei der Regionen eingebrachte, und von Präsident Juščenko durch seine Unterschrift in Kraft gesetzte „Gesetz über die Erhöhung der sozialen Standards“ (Erhöhung der Mindestlöhne und Renten) befinde sich nicht im Einklang mit dem – mit der ukrainischen Regierung vereinbarten – ukrainischen Programm zur wirtschaftlichen Erholung. Diese Kritik des IWF könne als „Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Ukraine“ verstanden werden, wie die Partei der Regionen in ihrem Presse-Dienst verlauten ließ.

15 Ukrainskaja Pravda (russ. Version), 26.02.2010.

16 Der größte Teil der Gehälter wird „im Couvert“ ausbezahlt.

17 Ukrainskaja Pravda (russ. Version), 11.02.2010.

18 Ein perfider Hintergedanke dieses – vom Internationalen Währungsfonds kritisierten – Gesetzes war, die Auszahlung der vierten Tranche des stand by Kredits des IWF an die Regierung Tymošenko zu hintertreiben, und die finanziellen Schwierigkeiten der Premierministerin und Präsidentschaftskandidatin zu verschärfen.

19 Bohatyr’ova war von Präsident Juščenko auf den Posten des „Seretärs“ (der Rat ist dem Präsidenten direkt unterstellt) des RNBOU berufen worden. Sie gehörte zuvor der Fraktion der Partei der Regionen an. Ukrainskaja Pravda (russ. Version), 26.02.2010. Website des Präsidenten.

fn20 Das „Korruptionsniveau“ stieg im Jahre 2009 gegenüber dem Vorjahr. In der Liste von Transparency International liegt die Ukraine auf Platz 146 (2008: 134).

21 Vor der Krise war die Ukraine der sechstgrößte Verbraucher der Welt.

22 Dahinter steckt, so wird spekuliert, das Interesse des Erdgashändlers Firtaš an einer Beteiligung seiner Centragas Holding AG.

23 Ukrainskaja Pravda (russ. Version), 26.02.2010, unter Verweis auf die offizielle Website des Präsidenten.

24 Ukrainskaja Pravda (russ. Version), 17.03.2010. Julija Tymošenko behauptete in ihrer Rede vor der Verchovna Rada am 3. März, bereits am dritten Tag nach dem Amtsantritt von Janukovyč seien die Abbau- und Aufbereitungs-Betriebe für Titanerz, die von ihrer Regierung „rückverstaatlicht“ worden waren, unter Einsatz des (geheimen) Sicherheitsdienstes der Ukraine (SBU) und der Generalstaatsanwaltschaft (GPU), an den Magnaten Firtaš übergeben worden. Ukrainskaja Pravda (russ. Version), 03.03.2010: Tymošenko: Janukovyč uže sdal Firtašu strategičeskie ob“ekty.

25 Antrittsrede in der Verchovna Rada am 25.02.2010. http://www.president.gov.ua/ru/news/16600.html

26 Janukovych selbst ist keine negative Figur, wie aus der Beschreibung von Taras Č’ornovil hervorgeht, der viele Jahre lang (bis Oktober 2008) beredt die Politik der Partei der Regionen vertrat, obwohl – oder gerade weil – er der Sohn des prominenten Dissidenten und „national-demokratischen“ Politikers Vjačeslav Č’ornovil ist. Podiumsdiskuusion, veranstaltet von der Heinrich-Böll-Stiftung, Kiew, 16.02.2010.

27 Ukrainische Bildungsbürger sorgen sich um das Image der Ukraine im Ausland, die in den nächsten fünf Jahren von einem Mann repräsentiert werden wird, der durch ein hohes Defizit an Allgemeinbildung und Mangel an sprachlicher Gewandtheit auffällt. Viktor Janukovyč ist ein Politiker ohne jedes Charisma. Gestik und Mimik sind hölzern; bei öffentlichen Auftritten wirken die mit langen Pausen vorgetragenen kurzen Sätze wie souffliert.

28 “Redliche” ukrainische Bürger werfen ihm seine eigene „schwere Jugend“ vor; doch die Vorstrafen wurden längst gelöscht und sollte in seiner Beurteilung nur noch ein Erinnerungsposten sein.

29 Beitrag von Ljudmylla Šangina, Razumkov-Zentrum, in: Alla Kotljar: „Zwei Ukrainen“: was tun mit ihnen? in: Zerkalo Nedeli (russ. Version), Nr. 5 (785), 13.02.2010, S. 15.

30 Julija Tymošenko in ihrer Botschaft an das ukrainische Volk am 22.02.2010.

31 Zum Thema „RosUkrEnergo“ siehe Kapitel 5.6, Der „Gaskrieg“ gegen die Ukraine, in Teil III, Die Ukraine, in: Winfried Schneider-Deters, Peter W.Schulze, Heinz Timmermann: Die Europäische Union, Russland und Eurasien, Die Rückkehr der Geopolitik, Berlin 2008, S.,379 – 385. Für eine aktualisierte Beschreibung dieses Korruptionssumpfes siehe: Taras Kuzio, Gas Lobby Takes Control of Ukraine’s Security Service, in: Eurasia Daily Monitor (The Jamestown Foundation), Volume 7, Issue 53, 18.03.2010.

32 Firtaš behauptete, RosUkrEnergo sei enteignet worden; (es ging um 11 Milliarden Kubikmeter eingelagerten Gases im Werte von 2 Milliarden USD).

33 Mit der Ernennung von Serhij Vinokurov zum Direktor der staatlichen Gesellschaft „UkrTransGaz“ erhielt der Oligarch Firtaš einen weiteren Zugriff auf das Gastransitgeschäft der Ukraine. Bis dato war Vinokurov Generaldirektor der Gesellschaft „OSTChEM Ukraïna“ (Stickstoffdünger), die von Firtaš kontrollieert wird. Ukrainskaja Pravda (russ. Version), 22.03.2010.

34 So wurde der Sohn von Anna Herman, Mykola Korovicin, bislang Assistent eines Mitglieds des Parlaments, zum Vizeminister für außergewöhnliche Situationen ernannt. Ukrainskaja Oravda (russ. Version), 17.03.2010.

35 Ukrainskaja Pravda (russ. Ausgabe), 22.02.2010.

36 Interfax-Ukraine, Kiew, 11.03.2010.

37 Azarov war im letzten Jahr der Amtszeit des Präsidenten Kučma zuständig für die Integration der Ukraine in das eurasische Projekt „Einheitlicher Wirtschaftsraum“ des russischen Präsidenten Putin. Siehe Winfried Schneider-Deters: Teil III, Kapitel 2.6, Die „politische Reform“ – ein verfassungsrechtliches Chaos, in: Winfried Schneider-Deters, Peter W. Schulze, Heinz Timmermann (Hg.): Die Europäische Union, Russland und Eurasien. Die Rückkehr der Geopolitik. Berlin 2008, S. 281 – 285.

38 Der neue Finanzminister Fedir Jarošenko ist einer der wenigen professionellen, apolitischern Technokraten; er hatte im Kabinett Tymošenko (von 2008 bis 2010) den Posten des Stellvertretenden Leiters der Steuerbehörde / DPA innehatte.

39 Ukrainskaja Pravda (russ. Version), 05.03.2010

40 Ukrainskaja Pravda (russ. Version), 15.03.2010, unter Verweis auf die zeitschrift „Kontrakty“.

41 Pavel Korduban: All the President’s Men in a Deja-vu Ukrainian Cabinet, in: Eurasia Daily Monitor (The Jamestown Foundation), Volume 7, Issue 52,17.03.2010.

42 Zwischenzeitlich war er Mitglied der Sozialistischen Partei der Ukraine.

43 Das Wirtschaftsministerium existiert neben dem Amt des „Stellvertretenden Premierministers für Wirtschaft“, das Sergij Tihipko innehat.

44 Ukrainskaja Pravda (russ. Version), 17.03.2010.

45 Ukrainskaja Pravda (russ. Version), 18.03.2010, unter Bezugnahme auf die Tageszeitung „Delo“.

46 Ukrainskaja Pravda (russ. Version), 16.03.2010.

47 Ukrainskaja Pravda (russ. Version), 15.03.2010.

48 Nicht zurückhalten kann sich der notorisch skandalöse Nestor Šufrič; er kritisierte öffentlich die Ernennung von Serhij L’ovočkin zum Leiter der Präsidialadministration. Er soll diesen vor einiger Zeit mit der Faust ins Gesicht geschlagen haben.

49 Taras Čornovil, der Sohn des legendären Führers des „Ruch“, Vjačeslav Čornovil, der in einem – wahrscheinlich inszenierten – Verkehrsunfall im Jahre 1999 ums Leben kam. Podiumsdiskussion der Heinrich-Böll-Stiftung, „Die Ukraine nach der Wahl: wie kann man den gordischen Knoten der ukrainischen Politik durchschlagen?, Kiew, 16.02.2010. Er wurde im Juni 2009 aus der Fraktion der Partei der Regionen ausgeschlossen, der er weiterhin angehört hatte – wegen seiner öffentlich geäußerten Krititik an den Verhandlungen der Partei der Regionen mit dem Block Julija Tymošenko, wie er sagte.

50 Es hätten die Werte gesiegt, für welche die Menschen im Jahre 2004 gekämpft haben. „Unsere Wahlen waren ehrlich, demokratisch und unabhängig […] ihr Ergebnis wurde von den internationalen Beobachtern bestätigt. Was wollten denn die Menschen damals? Sie wollten die Möglichkeit haben, den Präsidenten ehrlich und demokratisch zu wählen.“ Er mahnte politische Kultur an; der Verlierer müsse seine Niederlagen anerkennen und dem Sieger die Hand reichen. Interfax-Ukraina, 25.02.2010, unter Hinweis auf den Pressedienst der Partei der Regionen.

51 UNIAN, 22.01.2010; http://unian.ua/rus/news/news-358612.html.

52 Myroslav Popovyč, Beitrag zu Alla Kotljar: Dve Ukrainy: čto s nimi delat’?, in: Zerkalo Nedeli (russ. Version), Nr. 3 (785), 13.02.2010. S. 15.

53 Ukrainskaja Pravda (russ. Version), 20.02.2010.

54 Ukrainskaja Pravda (russ. Version), 17.03.2010. Von der Korruption in der Verkehrspolizei kann jeder Autofahrer in der Ukraine aus eigener Erfahrung berichten.

55 Zum Chef der Hauptabteilung des Ministeriums des Innern in Odessa ernannte Präsident Janukovyč den aus der Oblast Doneck stammenden Oberst der Miliz, Michail Jackov. Ukrainskaja Pravda (russ. Version), 22.03.2010, mit Verweis auf die Nachrichtenagentur UNIAN.

56 Ukrainskaja Pravda (russ. Version), 09.03.2010, mit Verweis auf die Nachrichtenagentur UNIAN.

57 Die Ernennung Tabačnyks geht sicher auf Janukovč zurück; dieser hatte erklärt, dass er sich als Präsident selbst um den „humanitären Bereich“ kümmern wolle, zu dem in erster Linie die Bildung gehört.

Die Wahl von Viktor Janukovyč zum Präsidenten der Ukraine – Teil I: Wahlsieg nach fünfjähriger Sperrfrist

Die Wahl von Viktor Janukovyč zum Präsidenten der Ukraine – Teil II: Machtwechsel in der Ukraine

Die Wahl von Viktor Janukovyč zum Präsidenten der Ukraine – Teil IV und Schluss: Rückkehr zu bi-vektoraler Außenpolitik?

Autor:   Winfried Schneider-Deters  — Wörter: 8019

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