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Zurück in die Zukunft

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Die Bedeutung der Abschaffung der politischen Reformen wird überschätzt: Die Opposition in der Ukraine erlebte keine glücklichere Zeit, als jene Kutschmas und der Verfassung von 1996.

Was bedeuten die Zeiten Kutschmas für einen Oppositionellen?

Man darf nur nicht über den Journalisten Gongadze und Minister Krawtschenko sprechen –die Symbole des Glaubens an die „ukrainische Wahrheit“ oder die Anstrengungen der hiesigen Staatsanwaltschaft sind keine historischen Fakten. Historische Fakten sind zum Beispiel die Möglichkeiten, eine Massenprotestbewegung „Kutschma raus!“ oder die „Revolution“ von 2004 zu organisieren; die Tätigkeit dutzender, wenn nicht hunderter, Parteien und Organisationen, dem Wesen nach „antikutschmaistisch“, der Beginn der politischen Karrieren Juschtschenkos, Timoschenkos und vieler anderer. Auch unter Kutschma haben die Gerichte Oppositionelle aus der Untersuchungshaft entlassen. Das Parlament unter Kutschma und seiner Verfassung konnte präsidentielle Gesetzesprojekte scheitern lassen, darunter auch die Politreform, deren erster Annahmeversuch misslang. Geschäftsleute, wie David Schwania oder Pjotr Poroschenko konnten vor der Präsidentschaftswahl Kandidaten der Opposition unterstützen und nachher trotzdem Geschäftsleute bleiben. Zudem bekräftigt Kutschma ständig selbst, dass er während all der Jahre seiner Präsidentschaft gezwungen war, Kompromisse mit seinen Gegnern zu finden und Zugeständnisse zu machen. Anders hätte man keine einzige Gesetzesinitiative durchbringen können.

Das bedeutet, die Verfassung von 1996 und der, gegenüber heute, weitaus größere Einfluss der Bankowaja (Sitz des Präsidenten) auf das politische und wirtschaftliche Leben in der Ukraine erlaubte es den Konkurrenten auf die Macht, eine Aktivität zu entwickeln, die nach dem Jahr 2004 und der Annahme der Politreformen schon niemand mehr demonstrieren konnte.

Es stellt sich die Frage: Warum?

Die Antwort lautet: Weil es überhaupt nicht an der Verfassung oder dem Einfluss der Bankowaja liegt. Es liegt daran, dass du die protestierende, „oppositionelle“ Masse trägst, sie sammelst und an Einfluss gewinnst.

Also wer bezeichnet sich bei uns nun als Opposition? Wem missfällt die Abschaffung der politischen Reformen so sehr? Erstens, dem, der bis vor kurzem noch selbst, milde gesprochen, wenig gegen die Abschaffung dieser politischen Reformen hatte. Zweitens, dem, der sein so genanntes, „oppositionelles Kapital“ schon völlig aufgebraucht hat.

Wenn es in der Geschichte der Ukraine die Periode von 2004 bis 2010 nicht gegeben hätte, hätte man hoffen können, dass die heutige „Opposition“ eine wirkliche Opposition hätte sein können, die eine gewisse, alternative Position zur Zukunft unseres Staates liefert und basierend auf ihren Vorschlägen eine Protestbewegung organisiert. Aber es gab die Jahre von 2004 bis 2010. Und diese Leute zeigten, dass ihre Vorstellung von der Zukunft unseres Staates sich, wenn überhaupt, von jener der handelnden Machthaber nur darin unterscheidet, dass die Machthaber fähig sind, ihre Position in tatsächliche Arbeit umzumünzen, diese Leute aber nicht einmal etwas haben, dass sie in wirkliche Arbeit umsetzen könnten. Ihre Position ist eben die: Den Reichen alles, den Übrigen das Phantom der europäischen Integration.

Wenn man vor 2004 auf diese Leute zumindest noch irgendwelche Hoffnungen setzen und sie mit seiner Teilnahme am Protest unterstützen konnte, so würde diese Hoffnung heute etwa so sinnvoll sein, wie die Beauftragung eines Kindergartens mit dem Bau der Atombombe.

Deshalb erzählen diese Leute so gern, dass mit der Abschaffung der politischen Reformen ein politischer Umsturz stattgefunden hätte und alles und jeder illegitim wäre. (Ob wohl wenigstens die Gravitation der Erde legitim geblieben ist?) Es ist einfach, sich mit Hysterie an das westliche Publikum zu wenden. Ansonsten müsste man zugeben, dass alle Oppositionalität nur darauf hinausläuft, dass Präsident Janukowitsch einem aufgrund ihrer administrativen Schwäche keine Bedeutung beimisst.

In einer Situation, in der, nach der Abschaffung der politischen Reformen, die Regeln die gleichen sind wie unter Kutschma und es einen Protest wie unter Kutschma nicht einmal als Entwurf gibt, besteht das Problem darin, dass die potentiellen Führer des Protests sich bereits in der Position der Staatsführer präsentiert haben; und zwar so, dass sogar die alten Freunde dieser Leute in Washington und Brüssel Janukowitsch den Vorzug gegeben haben.

Man sollte also die Abschaffung der politischen Reformen nicht überbewerten.

Wenn unter Kutschma und der 1996er Verfassung eine breite Protestbewegung möglich war, wenn es möglich war, die Bankowaja zu Zugeständnissen und Kompromissen zu zwingen, so ist dies unter Janukowitsch und der Verfassung von 1996 ebenso möglich. Es gibt nur keine Basis, auf den man seinen Einfluss ausdehnen könnte: Das Scheitern der staatlichen Führung von 2004-2010 hat eine solche Basis auf lange Zeit, wenn nicht gar für immer, vernichtet. Und so kann niemand mehr die Massen in den Protest führen: Eine Wahlniederlage gibt noch lange kein Mandat für die Führung einer Protestbewegung.

12. Oktober 2010 // Dmitrij Litwin

Quelle: Lewyj Bereg

Übersetzer:   Stefan Mahnke — Wörter: 735

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