Durchschnittliche IT-ler haben es nicht eilig mit „DiiaCity“ zusammenzuarbeiten


Das Schlimmste, was ein Unternehmen hören kann: „Ich bin von der Regierung und möchte Ihnen helfen.“

Das Ministerium für digitale Transformation, das „DiiaCity“ (ein virtuelles Zentrum für IT-Spezialisten) schafft, verspricht sowohl ein jährliches Wachstum der Branche um 40-50 Prozent als auch die Schaffung von 200.000 neuen Arbeitsplätzen in den nächsten vier Jahren und eine Verdreifachung der Umsätze der ukrainischen IT-Unternehmen und eine fünffache Steuerermäßigung für sie.

Unmittelbar nach der Registrierung des Gesetzentwurfs Nr. 4303 zu „DiiaCity“ haben die IT-Spezialisten, die das Ministerium für digitale Transformation zu beglücken träumt, eine Petition auf der Website des Präsidenten gestartet, mit der Bitte, „die Zerstörung der ukrainischen IT-Branche zu stoppen“ und zu verhindern, dass sie zu “Futtertrog für Beamte“ wird. Innerhalb einer Woche hat die Petition bereits mehr als 12.000 Stimmen gesammelt, das heißt, sie hat alle Chancen innerhalb der verbleibenden 80 Tage die für die Einreichung und das Behandeln der Petition benötigten 25000 Stimmen zu erhalten.

Anscheinend, nicht alle IT-Spezialisten wünschen sich die Vorteile und die Unterstützung des Digital-Ministeriums. Sie glauben nicht an das versprochene Umsatzwachstum sowie die Steuersenkungen. Es ist für sie klar, dass bei dem Erstellen eines virtuellen Hubs alle möglichen Interessen berücksichtigt wurden, aber nicht ihre.

Wir müssen dem Digital-Ministerium Tribut zollen, sie reagieren viel schneller auf Signale von außen als in anderen Behörden und sie haben die Gesetzesvorlage bereits zurückgezogen und überarbeitet. Aber ist eine Überarbeitung überhaupt erforderlich? Braucht die ukrainische IT-Branche ein Projekt wie „DiiaCity“? Wird es unsere Wettbewerbsfähigkeit steigern, wird es das Geschäftsklima verbessern, wird es in der Lage sein, die Entwicklung von Hochtechnologien anzuregen? Es gibt viele Fragen und alle sind berechtigt, besonders, wenn man berücksichtigt, dass der ukrainische Staat – König Midas ist, bei dem jedoch alles, was er berührt, nicht zu Gold wird.

ZN.UA sprach mit Jegor Tschumakow, IT-Spezialist und Autor der Petition „Stop DiiaCity Stoppen Sie die Zerstörung der ukrainischen IT-Branche“

– Jegor, was ist Ihrer Meinung nach, der Grund, warum der Staat beschlossen hat, „DiiaCity“ zu schaffen, und darauf besteht, die Arbeitsbeziehungen im IT-Bereich zu legalisieren?

– Was ist der Staat? Das sind doch immer bestimmte Personen mit ihren eigenen spezifischen Interessen. Minister Fjodorow [ukr. Mychajlo Fedorow] verdient sich politisches Kapital, das Finanzministerium will mehr Steuern einnehmen. Große IT-Unternehmen, die mit ihnen in Dialog treten, setzen sich für ihre Interessen ein. Infolgedessen zwingen nicht der Staat, sondern dessen ganz bestimmte Vertreter der gesamten Branche für sie ungünstige, aber für die großen Unternehmen persönlich vorteilhafte Arbeitsbedingungen auf. Wir werden nicht gefragt, was für uns rentabler, besser und bequemer wäre. Tatsächlich werden wir in diesem Prozess im Allgemeinen als Objekt betrachtet, als Ressource. Eigentlich ist dies der Hauptgrund, warum wir empört waren.

– Und doch, Jegor, was ist das ultimative Ziel bei der Schaffung von „DiiaCity“?

– Wenn man den gesamten Transformationsprozess des IT-Sektors betrachtet, sieht man, dass das Modell des Einzelunternehmens (Freiberufler) als Form der Einstellung langsam verboten wird. Ist es richtig? Ich glaube nicht. Einzelunternehmer als Form der Anstellung sind gesetzlich und werden nicht nur von der IT-Branche verwendet.

– Sprechen Sie auch über den Gesetzesentwurf Nr. 5054, wenn ich das richtig verstehe? Über denjenigen, der angeblich die Freiberufler schützt, aber tatsächlich ihre Zwangsbeschäftigung vorsieht?

– Sowohl über den Gesetzesentwurf Nr. 5054 als auch über den Gesetzesentwurf Nr. 4051 („Über die Einbringung von Änderungen in einige Akte der Gesetzgebung zur Vervollständigung der rechtlichen Regulierung der Fernarbeit“ – J.S.). Tatsächlich greift der Staat in das etablierte System der absolut legalen Arbeitsbeziehungen ein und versucht, es zu zerstören, indem er es an das in der Sowjetzeit verfasste Arbeitsgesetzbuch anpasst. Ob es richtig und aktuell ist? Würde sich der Sektor entwickeln, wenn es ein solches System von Anfang an gegeben hätte?

– Der Gesetzesentwurf Nr. 5054 betrifft jedoch nicht ausschließlich den IT-Sektor, sondern betrifft viele Einzelunternehmer (Freiberufler).

– Ja, aber zusammen mit dem Gesetzesentwurf über „Freiwillig-obligatorische freiberufliche Tätigkeiten“ (Nr. 4051. – J.S.), dem Gesetzesentwurf über „DiiaCity“ und die ständigen Versuche, die Besteuerung in der IT zu ändern, ähnelt es einem Versuch, einen bestimmten Bereich zu zwingen, die Verwendung der freiberuflichen Mitarbeit als Arbeitsform aufzugeben.

– Was aus staatlicher Sicht logisch ist, denn die dritte Steuergruppe ermöglicht eine sehr effektive Optimierung der Steuerverbindlichkeiten. Sie möchten dem Land keine Steuern zahlen?

– Wir sind aber nicht gegen angemessene Steuererhöhungen. Wir erklären uns damit einverstanden, die Militärabgabe zu zahlen, wir stimmen einer Erhöhung des einheitlichen Sozialbeitrags zu, aber wir sind nicht bereit, die Mitgliedsbeiträge an „DiiaCity“ zu zahlen, um auf eigene Kosten das Funktionieren des zusätzlichen Verwaltungsapparats sicherzustellen, den wir nicht verlangt haben und gleichzeitig die Finanzierung des zuständigen Ministeriums, von dessen Arbeit wir auch keinen Nutzen sehen. Wir haben Verbände, die seit Jahren gegen den Abbau des Modells der freiberuflichen Mitarbeit in der IT kämpfen. Ja, sie wollen die Methode der Steueroptimierung in der Branche abbauen, da sie die Interessen großer Akteure vertreten, die nicht mit Unternehmen konkurrieren wollen, die ein günstigeres Steuermodell verwenden. Es ist jedoch unmöglich, ausschließlich IT-ler zu verdrängen, da viele Branchen auf diese Weise funktionieren. Deshalb wollen sie uns bewusst vom Rest der Unternehmer trennen, uns das Leben schwer machen und uns zwingen der „DiiaCity“ beizutreten.

– Soweit wir verstehen, müssen Sie nicht zum Residenten von „DiiaCity“ werden. Viele ukrainische IT-Unternehmen sind seit langem nicht mehr in der Ukraine ansässig.

– Ja. Zum Beispiel sind die Unternehmen des stellvertretenden Ministers für digitale Transformation Alexander Bornjakow registriert in den Vereinigten Staaten. Aber ist es richtig, uns aus unserem eigenen Land zu vertreiben? Die IT selbst flieht aus der Ukraine, da wir ein nicht wettbewerbsfähiger Standort sind. Und anstatt hier komfortablen Bedingungen für diejenigen zu schaffen, die noch übrig sind, sind wir gezwungen, uns weiter zu zerstreuen. Warum haben sie zum Beispiel die Erfahrung von Belarus als Grundlage genommen? Ist dies ihrer Meinung nach der Himmel auf Erden? Immerhin war es möglich, die Erfahrungen Rumäniens oder Polens zu nutzen. In Polen gibt es beispielsweise neben der Einstellung als Angestellten auch einen sogenannten B2B-Vertrag mit Optionen für eine lineare Steuer von 19 Prozent oder einer progressiven Steuer (18/32 Prozent) und ein flexibles System für die Erbringung von Dienstleistungen für verschiedene Unternehmen. In Rumänien sind IT-Spezialisten im Allgemeinen von der Einkommensteuer befreit. Wenn sie als Micro-Enterprise registriert sind (analog zu unserem Einzelunternehmer), zahlen sie eine Steuer von drei Prozent ohne Mitarbeiter und einem Prozent des Gewinns mit Mitarbeitern. Werden wir in der Lage sein, mit diesen Nachbarländern zu konkurrieren, die solche Bedingungen anbieten, wenn wir die Erfahrungen von Belarus kopieren? Schließlich sind Programmierer das mobilste Humankapital, und es kann sehr schnell verloren gehen.

– Bei „DiiaCity“ geht es jedoch nicht nur um die Organisation der Tätigkeit als solche. Der IT-Branche wird Schutz vor willkürlichen Razzien, ein spezielles Rechtssystem, ein Inkubator für das Wachstum von Startups und der Suche nach neuen Lösungen geboten. Ist es nicht wichtig?

– Uns geht es auch so gut. Wir arbeiten seit 20 Jahren im aktuellen Modell. Wir sind ohne jegliche staatliche Unterstützung und sogar trotz allem gewachsen. Der Sektor regulierte sich im Interesse der Arbeitnehmer, und wir wollten definitiv kein Ministerium über uns, das Inkubatoren für uns schafft, entscheidet, wie es uns besser geht, und dafür Mitgliedsbeiträge verlangt. Die Idee staatlicher Gründerzentren ist ein Misserfolg, sie hat nur in China funktioniert, und wir verstehen, warum. Und in „DiiaCity“ ist grundsätzlich kein Inkubator möglich, da die Mitglieder nach sechsmonatiger Arbeit in „DiiaCity“ mindestens zehn Mitarbeiter mit einem Gehalt von mindestens 1.200 Euro haben müssen. Dies ist sicher nicht die Skala für angehende Startups. Wird die Suche nach neuen Lösungen helfen und wird die Schließung der außenwirtschaftlichen Aktivitäten für IT-ler vor „Masken Shows“/Razzien schützen? Nein, dies wird einfach die Möglichkeit ausschließen, Geld aus dem Ausland zu erhalten, sie zur Eröffnung einer GmbH zwingen und die Steuerbelastung erhöhen. Bei allen versprochenen Vorteilen sehen wir, dass das Ziel dasselbe ist – das „vereinfachte“ Steuersystem zu entfernen, die Steuern zu erhöhen und eine vollständige Regulierung einzuführen. Wie Reagan einst sagte, sind die neun schlimmsten Wörter auf Englisch: „Ich bin von der Regierung und möchte Ihnen helfen.“ Dies ist genau jetzt der Fall.

– Was meinen Sie, Jegor, funktioniert das Instrument der Petition, ist es effektiv?

– Es ist klar, dass eine Petition abgewimmelt oder einfach ignoriert werden kann. Speziell in unserem Fall sehen wir jedoch bereits, dass der Effekt unmittelbar war: es wurde bereits der Passus aus dem Gesetzentwurf gestrichen, der verboten hat, Mitarbeiter abzuwerben. Daraufhin wurde eine überarbeitete Version eingereicht. Das heißt, man kann, wenn man auch diesen Prozess nicht komplett stoppen kann, zumindest eine Kompromisslösung finden. Natürlich sollte „DiiaCity“ im Idealfall überhaupt nicht existieren, aber wenn man nicht darauf verzichten kann, dann sollte auch die Erhaltung der freiberuflichen Tätigkeit, die Aufhebung der Beschränkungen der Anzahl der freiberuflichen Mitarbeiter sowie Möglichkeit der außenwirtschaftlichen Aktivitäten garantiert werden. Schließlich versprechen sie nur, dass alle Normen für 15 Jahre eingeführt werden, aber wir alle verstehen, dass es in unserem Land nichts Dauerhafteres als das Vorübergehende und nichts Vorübergehenderes als das Dauerhafte gibt. Schauen Sie sich die „Verfassungsreformen“ an, sogar die Verfassung wurde bereits zweimal „zurückgesetzt“, ganz zu schweigen von anderen Gesetzen.

27. März 2021 // Julija Samajewa

Quelle: ZN.ua

Übersetzerin:   Ilona Stoyenko  — Wörter: 1533

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