Sergej Kwit und die Kiew-Mohyla-Akademie: ein Kampf um Vertrauen


Der Skandal um die Ausstellung „Der ukrainische Körper“ will auch mehrere Wochen nach ihrer Schließung durch die Leitung der Kiew-Mohyla-Akademie nicht abebben. De facto kam der Fall mit dem Abbruch der Ausstellung keinesfalls zur Ruhe: Es folgten Reaktionen in den Massenmedien, man begann Unterschriften gegen die Zensur zu sammeln, rechtsgerichtete Kräfte, die die Entscheidung von Sergej Kwit guthießen, wurden aktiv, die Sache wurde in den sozialen Netzwerken thematisiert usw.

Vertreter der Presse erhielten mehrere Male Zugang zu der Ausstellung. Es entstanden Videos, die Diskussionen einzelner Exponate sowohl durch die Teilnehmer der Ausstellung als auch durch Befürworter ihrer Schließung zeigen. Den Höhepunkt bildete die Entscheidung des Wissenschaftlichen Rats der Kiew-Mohyla-Akademie, das Zentrum für Visuelle Kultur zu schließen bzw. zu reorganisieren und auf Ziele auszurichten, die „in größerem Maße den wissenschaftlichen Aufgaben einer Universität entsprechen.“

Am 27. Februar fand vor der Akademie eine Protestaktion statt, deren Teilnehmer die Wiedereröffnung sowohl der Ausstellung als auch des Zentrums für Visuelle Kultur forderten. Das Zentrum hat seine Arbeit gestern (am 28.02, Anm. d. Übers) wieder aufgenommen, was die Ausstellung angeht, so deutet alles darauf hin, dass sie geschlossen bleiben wird: der 28. Februar ist laut Programm ihr letzter Öffnungstag.

Versuchen wir einmal auf eine Diskussion der Auseinandersetzung zwischen „Rechten“ und „Linken“ in der Akademie zu verzichten und lassen wir auch Begriffe wie „Moderne Kunst“, „Zensur“ und „Pornografie“ beiseite. Die Schließung der Ausstellung „Der ukrainische Körper“ berührt einen weiteren wunden Punkt der ukrainischen Gesellschaft – das Fehlen von Vertrauen.

Nach einem Besuch im Zentrum für Visuelle Kultur, das „Den ukrainischen Körper“ beherbergte, „marschierte“ Sergej Kwit, der Präsident der Akademie, wie er es selbst formulierte, „hinaus und machte die Ausstellung dicht.“ Augenzeugen berichten, dass er als Erklärung für sein Vorgehen den Ausdruck „das ist keine Ausstellung, sondern Scheiße“ vorgebracht habe. An dieser Stelle einige Auskünfte: Das Zentrum für Visuelle Kultur ist der Kiew-Mohyla-Akademie eingegliedert (beide verbindet eine lange und komplizierte Geschichte, aber trotzdem), Leiter des Zentrums ist Wasilij Tscherepanin, Dozent am Lehrstuhl für Kulturologie der Akademie (er ist nach der Schließung der Ausstellung von seinen Pflichten als Direktor zurückgetreten). Kuratorin der Ausstellung ist Oksana Brjuchowezkaja, eine Absolventin der Akademie der Künste und zudem Tochter von Wjatscheslaw Brjuchowezkij, des früheren Präsidenten des Kiew-Mohyla-Akademie.

Das heißt also, dass Sergej Kwit eine Ausstellung dichtgemacht hat, die von Leuten organisiert wurde, die auf die eine oder andere Weise öffentliche Vertreter der Akademie sind. Ihnen fällt die Aufgabe zu, im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit die Universität zu repräsentieren. Wenn Herr Tscherepanin also über Kulturologie spricht, tut er das, einfacher gesagt, im Namen der Kiew-Mohyla-Akademie, und wenn Oksana Brjuchowezkaja ihre Ausstellung verteidigt, so lässt sich auch dies innerhalb eines Rahmens verorten, der, so will es das Schicksal, Bezug zur Akademie hat.

Anders gesagt kamen all die Menschen, die am Montag das Zentrum für Visuelle Kultur und auch die geschlossene Ausstellung verteidigten, nicht aus dem Nirgendwo, sondern sie kamen als Vertreter der Universität.

Doch scheint Sergej Kwit offensichtlich zu bezweifeln, dass die Universität, deren Präsident er ist, über ausreichend kompetente Kader verfügt, um eine Ausstellung zu organisieren. Und diesen Kadern wird es kaum gelingen, ihn davon zu überzeugen, dass „Der ukrainische Körper“ keine „Scheiße“ ist oder, dass die Schließung einer solchen Ausstellung nichts anderes ist als ein Akt der Zensur.

Davon zeugt die Tatsache, dass von Sergej Mironowitsch bislang keine Reaktion kam auf die Unterschriftensammlung, die offenen Briefe, die Veröffentlichungen in den Massenmedien, Diskussionen und weitere Dinge, die angetan sind, Empörung und Zorn des verständigen Menschen abzukühlen.

Es ist offensichtlich, dass Kwit durch seine radikale Ablehnung der Meinung all derer, die die Ausstellung verteidigen, die Gespaltenheit jener wissenschaftlichen Einrichtung bestätigt, an deren Spitze er steht. Er vertraut weder den Absolventen noch den Studenten der Akademie. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass er auch sich selbst nicht traut: Denn schließlich ist er gegenwärtig Leiter dieser Einrichtung. Leider ist solches und ähnliches Verhalten weit verbreitet an ukrainischen Hochschulen. Über einen ähnlichen Fall haben wir bereits berichtet, damals ging es um Wladimir Risun, den Direktor des Instituts für Journalistik an der Nationalen Taras-Schewtschenko-Universität in Kiew. Dieser hatte den ukrainischen Journalisten in einem Interview fehlende Kompetenz vorgeworfen.

Nun ist es eine Sache, wenn derlei Themen in den sozialen Netzwerken diskutiert werden. Jeder von uns vermag die Arbeit von Fremden zu kritisieren und mit größter Kompetenz darüber zu befinden, wie Ärzte ihre Patienten zu behandeln haben, wie die Konstruktionen von Architekten aussehen sollen und auch wie Artikel zu schrieben sind. Hier sei an das überschäumende Wesen des Schlossers Polesow aus den „Zwölf Stühlen“ erinnert – ein solches Wesen ist in jedem Menschen angelegt, der über einen Zugang zum Internet verfügt und die Möglichkeit hat, dort seine Kommentare zu hinterlassen.

Doch lassen wir den Schlosser einmal Schlosser sein. Für das Verhalten im öffentlichen Leben jedoch gibt es Regeln, ebenso wie die Interpretation dieses Verhaltens bestimmten Gesetzmäßigkeiten unterliegt, was die Sache für öffentliche Personen in der Ukraine noch schlimmer macht. Wenn jemand, der an leitender Stelle in einer Organisation tätig ist, sich negativ äußert über diejenigen, die kraft ihrer Tätigkeit Repräsentanten ebendieser Organisation sind, so sollte er im Grunde zurücktreten – schließlich hat er nichts unternommen, um eine „Verbesserung“ der entstandenen Situation herbeizuführen.

Es ist verwunderlich, dass Sergej Kwit zwar zugibt, wenig bewandert zu sein in Fragen moderner Kunst (er sagt in etwa: ich verstehe zwar nichts davon, aber die Ausstellung ist schlecht), jedoch trotzdem darauf verzichtet hat, die Zuständigkeit in dieser Angelegenheit anderen zu überlassen. Er beschloss die Bürde der Entscheidung auf sich zu nehmen und selbst darüber zu befinden, was Kunst ist und was nicht, was in Galerien und dem Zentrum für Visuelle Kultur ausgestellt werden kann und was nicht. Wofür brauchen wir also Direktoren und Kuratoren und was nutzen Institutionen, die auf eine Tätigkeit in der Sphäre der Kunst und auf das Fällen von Werturteilen vorbereiten. Es gibt doch Sergej Kwit und er hat Antworten auf alle Fragen.

Die Studenten der Akademie (gegenwärtige wie frühere) sowie ihre Sympathisanten sollten Kwit nicht nur übelnehmen, dass er Zensur ausgeübt und die „demokratischste Hochschule der Ukraine“ in Verruf gebracht hat, sondern auch, dass der Präsident ihnen nicht vertraut. Der Fairness halber und den Studenten sowie Absolventen der Kiew-Mohyla-Akademie zum Trost muss hinzugefügt werden, dass das institutionalisierte Misstrauen praktisch auf allen Ebenen den Ton angibt – beginnend bei der Ernennung von Ministern und endend bei den Kunstwissenschaftlern, denen in ihrem eigenen Metier die Entscheidungsbefugnis streitig gemacht wird. Und es ist klar, wie all das einmal endet: „Statt zu operieren, werden wir alle in unseren Wohnungen einen Chorgesang anstimmen.“

29. Februar 2012 // Darja Badjor

Quelle: Lewyj Bereg

Übersetzer:   Jakob Walosczyk  — Wörter: 1095

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