Andrang vor Filialen der Oschtschadbank
Am Freitag begann die Oschtschadbank auf Initiative der Premierministerin Julia Timoschenko mit der Auszahlung der Kompensationen für die Einlagen der Ukrainer bei der Sberbank/Sparkasse der UdSSR. Am Freitag und Sonnabend wurden die Filialen der Oschtschadbank im Sturm genommen. Opfer des Andranges der älteren Menschen wurden die Bankmitarbeiter, was nicht ohne Opfer, auch auf Seiten der Einlagebesitzer, von statten ging. Der Andrang der Besucher legte das normale Bankgeschäft der Oschtschadbank im gesamten Land lahm. Experten gehen davon aus, dass die Entscheidung des Kabinetts die Kompensationen beschleunigt auszuzahlen nicht nur zu einem Anstieg der Inflation führt, sondern auch die Finanztätigkeit der Oschtschadbank schädigt.
In Kiew begannen die Unruhen bereits am Vortag des ersten Auszahlungstages: Antragssteller auf die Rückgabe von Einlagen, befürchtend ihren Platz in der Reihe zu verlieren, schlugen einem der Administratoren der Petschersker Filiale der Oschtschadbank auf den Kopf. Am Freitag begannen Leute, welche die Kompensationen erhalten wollten, bei der Petschersker Filiale der Oschtschadbank auf der Puschkinstraße bereits lange vor deren Eröffnung eine Schlange zu bilden. Es standen vor allem ältere Menschen an. Viele von ihnen kamen umsonst, da sie keine Kopien ihrer Pässe und die zugehörigen Identifikationsnummern bei sich hatten. Zwei alte Frauen schrieben die Leute in eine Liste ein und überwachten das Szenario sorgfältig, dass niemand zum Eingang ging ohne an der Reihe zu sein. Der Rentner Wiktor Georgijewitsch, wie er sich selbst dem Kommersant-Ukraine vorstellte, kam zu der Filiale eine Stunde vor der Öffnung – um 8 Uhr – und bekam in der Liste bereits die Nummer 46. Als die Filiale öffnete, wurde den Leuten mitgeteilt, dass es kein Geld gibt, somit musste bis Mittag gewartet werden. In einigen Kiewer Filialen der Oschtschadbank tauchte Geld erst zum Abend auf. Den Menschen blieb nur übrig auf der Straße zu frieren, da, um Gedränge zu vermeiden, nur wenige in die Filialen gelassen wurden. Die Leute wurden nervös und schimpften, doch gingen sie nicht auseinander. Beim Eingang der Filiale stand der Leiter der Filiale Nikolaj Wischnewskij. Er erklärte geduldig:
“Ihr Geld ist bereits im Buch eingetragen, sorgen sie sich nicht. Sie können an einem beliebigen anderen Tag kommen und es ohne anstehen bekommen, wie VIP Kunden.”
??“Nein, geben Sie es heute raus! Plötzlich wird Julka (Timoschenko) morgen weggeholt und alles geändert! – erregte sich eine ältere Frau in Filzstiefeln und mit einem Wollkopftuch, welche neben dem Korrespondenten des “Kommersant-Ukraine“ stand.
Zur gleichen Zeit begann eine andere Frau laut schluchzend dem Leiter zu danken. Dieser geriet in Verlegenheit.
“Leute!” – rief das alte Mütterchen. – “Ich habs erhalten! Tausend!”
Sich in das Kopftuch schneuzend und die Tränen wegwischend, verließ diese Kundin der Sberbank der UdSSR die Filiale der Oschtschadbank. Die Anstehenden sahen ihr mit Neid nach.
In Lwow versammelte sich die größte Zahl der Einlagenbesitzer bei den Filialen der Oschtschadbank an der Kellerstraße und der Russischen Straße. Ältere Leute standen in der Reihe von 7 Uhr an. “Wieso drängen Sie mich so vorwärts?”, ??“Wo drängelst Du hin, haltet ihn, er hat hier nicht gestanden!”, “Man sagt, dass das Geld nur denen gegeben wird, welche sich Anfang des Monats registriert haben.”, “Alles ist möglich, vielleicht zahlt man später kein Geld mehr aus, besser hier bis zum Letzten stehen bleiben.”, diskutierten die Leute die Situation. In der Filiale der Oschtschadbank auf der Russischen Straße begann man bereits einen Tag vorher das Geld zu fordern, am 10. Januar. Leute standen in einem dichten Ring um das Gebäude und begannen die Mitarbeiter der Filiale anzuschreien. Der Leitung blieb nur eine Polizeistreife herbeizurufen, um die Menge zu beruhigen. An einer Filiale der Oschtschadbank in Saporoschje verstarb in der Schlange der Anstehenden ein 68 jähriger Rentner, welcher bereits seit 3 Uhr anstand. Nach vorläufigen Angaben, starb er aufgrund eines Herzanfalls.
In Dnepropetrowsk erreichte die Zahl der Leute, welche ihre Kompensationen erhalten wollten, 70 – 100 Menschen pro Stunde, bei einer Kapazität der Bedienung von 50 Personen am Tag. Hier wurden sogar lokale Printmedien gebeten, Vordrucke für die Ausgabe von Geldern zu veröffentlichen. Dabei organisierten einheimische Gauner den Verkauf von leeren Vordrucken.
In Odessa begann die Kampagne der Auszahlung der Kompensationen am 11. Januar mit der Vereitelung der Absperrgitter unweit einer der Filialen der Oschtschadbank. Für die Sicherstellung der Ordnung in der Bankfiliale wurden Mitarbeiter des Innenministeriums abgestellt und für die Verkürzung der Schlange wurde den Kunden Namensmarken mit verzeichnetem Datum und Zeit des Erhalts der Kompensationen ausgegeben. In Sewastopol schafften es am ersten Auszahlungstag lediglich 100 Einlagebesitzer ihre 1000 Hrywnja (ca. 135 €) zu erhalten. Am Sonnabend wurden die Auszahlungen unterbrochen, soweit, den Worten der Leiterin der städtischen Filiale der Oschtschadbank Wera Dwojnikowa nach, “ein Programmabsturz vorlag”.
Am 8. Januar begann die Oschtschadbank mit dem Aufbau eines Registers der Einlagebesitzer der Sberbank der UdSSR. Bereits am nächsten Tag beschloss das Kabinett in diesem Jahr 6 Mrd. Hrywnja (ca. 811 Mio. €) als Kompensation für die Einlagen auszuzahlen, von denen am 10. Januar der Oschtschadbank 1 Mrd. Hrywnja (ca. 135 Mio. €) überwiesen wurden. Für die Durchführung der Identifikation des Einlagebesitzers, die Eröffnung eines entsprechenden Kontos und die Buchung der Mittel bei der Oschtschadbank vergehen drei Tage. Daher erhielten die Einlagebesitzer die Möglichkeit bereits ab dem 11. Januar 1000 Hrywnja zu erhalten – was in Bargeld bis zu 198,02 $ (in Hrywnja nach dem offiziellen Kurs der Zentralbank) entsprach.
Gemäß dem Gesetz “Über staatliche Garantien der Erneuerung der Spareinlagen der Bürger der Ukraine.”, wurden die Einlagen bereits zum 1. Oktober 1996 mit 1,05 Hrywnja (0,14 €) für einen sowjetischen Rubel bewertet. Damals wurde die Menge der Zahlungsverpflichtungen mit 131,96 Mrd. Hrywnja (17,8 Mrd. €) beziffert, was jetzt 123 Mrd. Hrywnja (16,2 Mrd. €) entspricht. Eine nachfolgende Bewertung mit Berücksichtigung der Inflation wurde nicht durchgeführt. Der erste Vize-Premier Alexander Turtschinow nannte eine solche Konvertierung die beste im Vergleich zu den anderen Ländern der ehemaligen UdSSR. Die Einlagebesitzer nennen diese Kompensation Betrug und schlagen für den Rubel eine Rückgabe von 9 – 11 Hrywnja (ca. 1,22 – 1,49€) vor. Den Daten des staatliche Statistikamtes nach, betrug die Inflation seit dem Moment der Einführung der Hrywnja 1996 277,66%. Der Vorsitzende der Rownoer Oblastvereinigung der “beraubten Anleger”, Konstantin Iltschuk, geht davon aus, das wenn der Sparer der Oschtschadbank sein Sparbuch übergibt, es nicht mehr möglich sein wird die reale Summe zurückzuholen und fordert daher vom Kabinett die Auszahlung der Sparguthaben zu stoppen.
Den Worten des Vorstandsvorsitzenden der Oschtschadbank, Anatolij Gulej, nach, beantragten zum Ende der Woche bereits 1,2 Mio. Sparer ihre Eintragung ins Register, von denen am Freitag bereits 155.000 Leute Geld erhalten konnten. Von diesen haben 50.000 das Geld abgeholt und etwa 30.000 ließen diese als Einlage. Am Montag werden weiteren 276.000 Menschen Gelder überwiesen. Die Summe der 6 Mrd. Hrywnja wird lediglich für die ersten 6 Mio. Einlagebesitzer reichen, welche zur Bank kommen.
Experten gehen davon aus, dass die Auszahlungen der Einlagen, welche der Präsident Wiktor Juschtschenko anwies innerhalb von 2 -3 Monaten durchzuführen, können das Preiswachstum beschleunigen. Den Bewertungen des Präsidenten der Ukrainischen Gesellschaft der Finanzanalysten Jurij Prosorow nach, wurde die Erwartung des Beginns der Auszahlungen zu einem zusätzlichen Faktor für den Preisanstieg im Dezember 2007 (um 2,1%), und in diesem Jahr kann es die Inflation bis auf 18 – 19% hinaufjagen, wobei dem Budget eine Inflation in Höhe von 9,6% zugrunde liegt.
Die ersten negativen Folgen der Auszahlung verspürte die Oschtschadbank selbst. Anfänglich hoffte die Leitung der Oschtschadbank auf die Bildung einer staatlichen Agentur, welche für 310 Mio. Hrywnja (41,89 Mio €) ein Register der Sparer erstellt und die Auszahlung der Einlagen über die Filialen aller Banken der Ukraine organisiert. Die Regierung Julia Timoschenko unterstützte die Idee der Gründung einer Agentur nicht, doch die Mittel für die Durchführung der Auszahlungen überweist man der Oschtschadbank für ihre faktischen Ausgaben. Daher, wie dem “Kommersant-Ukraine“ mit der Bitte um Anonymität von Angestellten der Oschtschadbank mitgeteilt wurde, begann bereits eine Kündigungswelle von Schaltermitarbeitern, welche unfähig sind die Belastungen, in Verbindung mit den Auszahlungen, zu ertragen. Die übrig gebliebenen Mitarbeitern müssen tagelang an ihrem Arbeitsplatz bleiben und am Wochenende arbeiten.
Banker gehen davon aus, dass die Aufregung geeignet ist in einigen Monaten der Oschtschadbank, welche aktiv ihr Filialnetz entwickelt, bedeutende Verluste einzubringen. “Die Bank hat ein großes Netz an Filialen mit einer sehr schwachen technischen Ausstattung.”, sagte dem “Kommersant-Ukraine“ der Berater des Vorstandsvorsitzenden der Privatbank Wiktor Lisizkij. “Physisch ist die Bank nicht bereit gewesen. Das ist ein irrsinniger Anschlag auf die Arbeit aller Kassierer.”, merkt der Vorstandsvorsitzende der Bank NRB Wladislaw Krawetz. “Vor der Auszahlung der Einlagen rücken alle anderen Aufgaben in den Hintergrund und darunter leiden alle Kunden. In dieser Situation wird die Loyalität der Kunden zur Oschtschadbank fallen und viele von Ihnen werden zu anderen Banken wechseln.” Der Meinung von Experten nach, kann die Verringerung der operativen Gewinne der Oschtschadbank negativ auf andere Banken rückwirken, bei denen sich ebenfalls Schlangen gebildet haben. “Eine beliebige Schwächung einer Bank wie der Oschtschadbank bringt dem gesamten Banksystem Schaden und für Konkurrenten ist es nicht besser.”, denkt Wiktor Lisizkij. Anatolij Gulej selbst hofft darauf, dass die Aufregung um die Auszahlungen sich um den 20. Januar legt.