Interview mit S&P Direktor über Perspektiven der Ukraine
Die Ratingagentur Standard & Poor`s (S&P) prognostizierte Ende letzten Jahres als einzige der internationalen Institute für 2008 eine beschleunigte Inflation in der Ukraine von 16%. Momentan hat die Mehrzahl der Experten ähnliche Prognosen veröffentlicht. Jetzt verkündet S&P die Gefahr für die finanzielle Sicherheit des Landes, hervorgerufen von den außerordentlich hohen Verbindlichkeiten der ukrainischen Banken. Darüber, welche potenziellen Risiken für die ukrainische Wirtschaft bestehen und die Perspektiven der Verringerung des Ratings erzöhlte dem “Kommersant-Ukraine“ der Direktor der S&P Agentur in der GUS und Russland, Alexej Nowikow.
S&P ist die einzige Agentur, welche im letzten Herbst für die Ukraine eine hohe Inflation in 2008 prognostizierte – 16%. Auf welchen Bewertungen basiert eine solch pessimistische Prognose?
Ich bin froh, dass wir die ersten sind. Für uns ist das eine Neuigkeit. (lacht) Der Inflationswert ist ein sehr schwieriger Indikator. Er hängt von eine Reihe von Faktoren ab, vor allem von der Höhe der Geldmenge, deren Dynamik, dem Niveau der staatlichen Ausgaben, der Aktivität der Kreditvergabe der Banken, dem Zufluss an Kapital ins Land in Form von Krediten und Investitionen. In der Ukraine ist die Dynamik der Mehrzahl dieser Faktoren hoch und könnte die Höhe die Inflation beeinflussen. Die “großzügige” Ausgabenpolitik spielt hier nicht die letzte Rolle – Sozialprogramme, der Beginn der Auszahlung der Kompensationen an die Sparer der Sberbank der UdSSR, die Subventionierung der Ausgaben für Energieträger in der Wohnungswirtschaft. Alle diese Faktoren verstärken den Inflationsdruck inder Wirtschaft sowohl direkt, als auch über Erwartungen.
Ist es möglich den unvermittelten Einfluss auf die Inflation durch die Auszahlung der Kompensationen für die Einlagen bei der Sberbank der UdSSR zu bewerten?
Das kann man nicht sagen, wieweit diese Auszahlungen bereits Einfluss genommen haben. Dies ist eine kürzliche Maßnahme und der Effekt wird erst später zu sehen sein. In jedem Fall sind die staatlichen Verbindlichkeiten dieser Art, obgleich diese attraktiv aus sozialer Sicht sein können, aus der finanziellen Sicht erhöhen sie nur das Inflationsrisiko. Und dieses Risiko wird real.
Wieweit ist ihre Inflationsprognose real?
Die Inflation in 2007 betrug etwa 16% – die ist eine sehr hohe Ziffer. Mehr noch betrug die Inflation im Februar 2,7% (zum Januar). In Russland ist der Preisanstieg geringer (2007 12%). Die Zentralbank möchte diese über den Übergang zum Inflation-Targeting halten. Doch geht dies wahrscheinlich auf Kosten einer höheren Volatilität des Rubels.
Muss die Ukraine ebenfalls zum Inflation-Targeting übergehen?
Diese Frage ist sehr diskussionswürdig. Die Meinungen gehen in diesem Punkt auseinander, da der Kurs der Hrywnja in diesem Fall weniger stabil sein könnte. Ein hoher Hrywnjakurs könnte negativ auf die Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft wirken und ein niedriger das Währungsrisiko der ukrainischen Kreditnehmer erhöhen.
Planen Sie die Inflationsprognose für die Ukraine zu ändern, da in den ersten beiden Monaten das Preiswachstum bereits 5,7% erreichte?
Wir schauen hauptsächlich auf die Kreditfähigkeit der Regierung der Ukraine – dies ist unsere direkte Verpflichtung. Die Inflation ist ein wichtiger Faktor, doch nur einer von vielen. Unsere Bewertungen des Inflationsniveaus basieren oftmals auf Szenarien, ausgearbeitet von Finanzorganisation mit hoher Reputation, solchen wie der Weltbank , dem IWF und großen Investmentbanken.
Was wird mit der Zahlungsbilanz der Ukraine?
In den letzten Jahren hatte die Ukraine eine dauerhaften negativen Saldo in der Leistungsbilanz: in 2007 erreicht sie 3,7% des BIPs und die Schätzung für 2008 beträgt 6,3%. In der Ukraine, wie in Russland, wächst der Import heftig und der Grund hierfür liegt in der aktiven Entwicklung der Bankenprogramme bei Verbraucherkrediten. Übrigens, die gleiche Situation mit der Leistungsbilanz kann in Russland eintreten, wenn innerhalb von einigen Jahren der Import die Einkünfte aus dem Verkauf von Erdöl, Gas und Metallen übersteigt. Gleichzeitig ist in der Ukraine eine positive Dynamik in der Kapitalbilanz zu verzeichnen, über welche die Leistungsbilanz finanziert wird. Das sind sowohl direkte Auslandsinvestitionen, als auch Kredite. Doch es existierte eine Bedrohung des Volumens an Zufluss diesen Kapitals in Verbindung mit der instabilen Situation an den internationalen Märkten.
Welcher Art sind diese Gefahren?
Zum Beispiel, wenn die Menge der ausländischen Kreditaufnahme sich aufgrund der Liquiditätskrise verringert, führt dies zu einer Kürzung des Investitionsvolumens. Oder wenn sich amerikanische Aktive in Folge dieser Krisis verbilligen, dann können diese attraktiver als ukrainische oder russische werden, da die Rechtssicherheit in den USA höher ist, als in den GUS Staaten. Die Investitionen gehen dahin, wo ein stabileres Rechtsumfeld existiert. Die Ukraine ist eine recht kleine Volkswirtschaft, daher kann der Abfluss von einigen Dutzend Milliarden Dollar bereits einen spürbaren Einfluss ausüben.
Führt der WTO Beitritt zu einer Verschlechterung der Zahlungsbilanz der Ukraine?
Die WTO ist ein Rechtssystem zur Strukturierung von internationalen Handelsbeziehungen und der Beilegung von Konflikten. Direkte und indirekte Auswirkungen auf die Kreditfähigkeit der ukrainischen Regierung sehe ich in nächster Zeit nicht. In der langfristigen Perspektive können einzelne Branchen oder Unternehmen den Einfluss des WTO Regimes verspüren, doch dies hängt im Ganzen von den Branchenspezifika und den Vereinbarungen ab, zu denen die Ukraine in die WTO eingetreten ist.
Gibt es Risiken für die Verschlechterung der Zahlungsbilanz?
Sie kann sowohl positiv, als auch negativ sein. Darin gibt es nichts schlechtes. Schlecht ist, wenn sie in die eine oder andere Richtung ausbricht. Beispielsweise, ein positiver Saldo der Leistungsbilanz führt oft zu einem Wachstum des Kurse der nationalen Währung und zur Verringerung der Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft. Dies ist, am Ehesten, ein Problem Russlands. Ein bedeutender Währungszufluss in die Ukraine schlägt sich in der Kapitalbilanz nieder und dies geht, neben direkten Investitionen, über Kreditaufnahmen von Unternehmen und Banken. Bislang beunruhigt uns eines der Risiken, welche wir verzeichnen, das Währungsrisiko bei den Verbindlichkeiten der Banken (von diesen sind 50% in Fremdwährungen) und zudem noch, auf welche Weise die Kreditemitenten diese Risiken managen.
Stellen private Kredite ein Problem für die Ukraine dar?
Für die Regierung sind dies so genannte Eventualverpflichtungen. Für den Staat ist es offensichtlich, dass ein Teil der Bankschulden in einer kritischen Situation zu dessen eigenen Verbindlichkeiten werden. In Ländern, in denen wir aktiv sind (mehr als 120), berechnen wir das Volumen an Eventualverpflichtungen, das heißt die eventuellen Belastungen der Finanzen der Regierung in der Situation einer Finanzkrisis. Dies ist ein gesondert berechneter Parameter. Für die Ukraine kann er etwa 50% des BIP betragen.
Verringert dies das Rating der ukrainischen Banken?
Das Kreditrating wird individuell an jeden Kreditnehmer vergeben und erscheint als Resultat einer Menge von Faktoren, dabei auch diesem. Wir schließen in unsere Ratings die Möglichkeit von zyklischen Schwankungen auf dem Kreditmarkt ein, daher ist es nicht unbedingt zwangsläufig, dass die Bankratings anfällig sind für Veränderungen in den Schwankungen.
Ist eine Änderung des Ratings für das Land möglich?
Unsere Analysen zeigen, dass bei einem Niveau der Schuldenlast auf das Budget von 16,6% des BIP die Regierung das meistern kann. Ein höheres Risiko ist das Niveau der Eventualverpflichtungen, die Abhängigkeit des Bankensystems von ausländischen Krediten. Es gibt noch andere Risiken. Unlängst ist eine neue Regierung gebildet worden, die Marktinstitutionen sind noch schwach, Preisschwankungen auf dem Metallmarkt, die ernsthafte Abhängigkeit der Wirtschaft und des Budgets vom Export. Alles dies stellt für sich definierte Herausforderungen dar. Daher bleibt das Rating so, wie es bislang ist.
Bei der Staatlichen Kommission für Wertpapiere und Wertpapierbörsen erklärt man, dass außer “Kredit-Rating” internationale Ratingagenturen die Pflichtratings übernehmen können. Warum sind diese nur schwach in diesem Segment des ukrainischen Marktes vertreten?
Wir gehen davon aus, dass das Pflichtrating nicht der beste Weg ist. Ein Rating ist das, was der Markt braucht und der Markt muss den Bewerter auswählen und wählen, ob er überhaupt ein Rating braucht. Mehr noch, das Pflichtrating führte nicht zu ernsthaften Erfolgen bei der Unterstützung der Kreditwürdigkeit. Wenn man auf die Finanzkrise (1998) in Südostasien schaut, dann hatten sehr viele Länder in der Region ein Pflichtrating – hat es sie wirklich gerettet?
Planen Sie die Eröffnung eines S&P Büros in der Ukraine?
Wir behalten vorerst unsere Vertretung in Moskau, vom geografischen Standpunkt her, kann man von dort bequem sowohl die Ukraine, als auch den Ural erreichen. Ohne Frage ist der ukrainische Markt einer derjenigen mit der höchsten Priorität für uns. Wir hoffen auf eine Ausweitung der Bestellungen an allen Fronten unserer Arbeit. Wenn der Markt sich wieder erholt, dann rechnen wir mit einer Erhöhung der Zahl der Ratings bei Geschäften für strukturelle Finanzierungen.
Mit welchen Schwierigkeiten sind Sie bei der Arbeit in der Ukraine konfrontiert?
Dies ist eine hinreichend typische Menge an Problemen für Länder mit sich entwickelnder und bei Übergangsökonomien. Zum Teil sehen wir Intransparenzen bei den Unternehmen, manchmal unreife Marktinstitutionen und unvollständige Gesetze. Wir können nicht alles sehen, was wir sehen müssen. Fas Fehlen einer langen Periode der Bilanzierung nach internationalen Standards kann ein Problem werden, obgleich dies charakteristisch ist für alle GUS Staaten. Dabei entwickelt sich der Markt und die Emitenten entsprechen immer öfter unseren Kriterien.
Quelle: Kommersant-Ukraine