Die Vor- und Nachteile der außergewöhnlichen Natur von Selenskyj: Ob es ihm gelingen wird, seine Gegner zu verwirren und gleichzeitig seine Verbündeten nicht abzuschrecken?


Fast nach jedem Wahlkampf musste Bedauern darüber geäußert werden, dass die Ukraine immer noch keinen Politiker erhielt, der fähig war sich von traditionellen Mustern zu lösen. Der fähig war, nicht nur die lokalen Player zum Nachdenken anzuregen, sondern die ganze Welt. Der bereit wäre, mutige und ungewöhnliche Schritte zu gehen, von denen der Staat und das Volk Früchte tragen könnten. So eine Art Spielmacher, der nicht nur das Spiel auf sich nimmt, sondern kreative Lösungen findet, die die Gegner des Landes unerwartet treffen und die Karten neu mischen. Einen der in der Lage wäre, auf den Hype aufzuspringen und somit das Interesse am Land in die Bereitschaft, in das Land zu investieren, konvertieren könnte.

Es ist jedoch vergeblich, einen solchen Charakter innerhalb der traditionellen Politiker zu suchen. Althergebrachte Politiker sind dazu prinzipiell nicht fähig. Sie können nur nach Regeln spielen (und hier geht es nicht um Gesetze, sondern um die bedingten Regeln eines geschlossenen Kreises, um vermeidliche „politische Konzepte“). Sie stellen sich jedoch oft als unfähig heraus, um ihre eigenen Bedingungen innerhalb der internationalen Arena zu diktieren, geschweige denn, diese exakt zu artikulieren. Sie handeln nach bestimmten Mustern, weshalb sie berechen- und vorhersehbar sind.

Solche Politiker an der Spitze des Staates zu haben, ist sowohl zu stabilen als auch schwierigen Zeiten gut. Eben dann, wenn die Bevölkerung das Gefühl hat, sich auf die Politiker verlassen und diesen auch trauen zu können. Dies wird jedoch dann gefährlich, wenn das Vertrauen in solche Eliten gänzlich erschöpft ist und man innerhalb der internationalen Arena dazu gezwungen ist, mit Falschspielern an einem Tisch zu agieren.

Und nun scheint es, dass die Ukrainer bei den jüngsten Wahlen einen Präsidenten erhalten haben, der nicht nur dazu fähig ist, den stehenden Sumpf an alteingesessenen Eliten ordentlich durchzurütteln, sondern ebenfalls unerwartete Schritte zu gehen. Solche Fähigkeiten sind elementar in Pattsituationen, wie der, in der sich das Land befindet.

Gleich nach der Wahl von Selenskyj waren Aussagen aus den Staaten übergeschwappt, dass man sich dort mit dem Optimismus gegenüber der Person Selenskyjs eher zurückhält. Dieser Optimismus liegt teilweise nicht nur darin begründet, dass der neue Präsident der Ukraine ein ebenso nicht systemkonformer Player ist, wie sein Kollege aus den USA, der ihnen dabei helfen soll, eine gemeinsame Sprache zu finden. Sondern eben in der Fähigkeit zu unerwarteten, kreativen Lösungen um den Krieg in der Ukraine vom toten Punkt wegzubewegen.

Bisher kann Selenskyj höchsten als Vorschuss als ein außergewöhnlicher Politiker bezeichnet werden. Mehr jedoch durch seinen Background und teilweise auch durch sein Verhalten während des Wahlkampfes, der für heimische Breiten eher untypisch war, als durch konkrete Handlungen und Vorschläge. Also eher auf der Ebene der Darstellung als in der Realität.

An dieser Stelle sollten die Innen- und die Außenpolitik unterschieden werden, um diese jeweils für sich genauer zu untersuchen. Denn die Situation der beiden Richtungen ist durchaus unterschiedlich. Deshalb geht es im folgenden Artikel um die internationale Politik des ukrainischen Präsidenten.

Es ist wichtig, dass das außergewöhnliche Vorgehen gerechtfertigt ist und dass der Politiker dazu fähig ist, sich dort zu orientieren, wo man Spielregeln befolgen muss. Damit man ihn nicht an der Nase herumführt und ihn somit dazu bringt, gewisse Papierchen zu unterschreiben, welche die Kapitulation besiegeln. Auf diese Weise kann man sich nämlich auch selbst austricksen.

Alleine nur die Erscheinung eines solchen Charakters belebt die Handlung und verwirrt die Rivalen. Gleichzeitig verwirrt sie sowohl lokale Player, als auch Verbündete und jene, die für ihn mitfiebern, weil nie ersichtlich ist, wie er als nächstes vorgehen und welche Konsequenzen dies haben wird.

Ein Paradebeispiel hierfür ist das Telefonat zwischen Selenskyj und Tramp. Der neue Garant der ukrainischen Verfassung machte einen harmonischeren Eindruck zusammen mit seinem amerikanischen Kollegen, als sein Vorgänger. Es muss für beide einfacher sein, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Jedoch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass das Interagieren zweier Kräfte die außerhalb des Systems stehen, zu unvorhergesehenen Situationen führen können. Es scheint, als habe man dies im Weißen Haus bereits bemerkt und daraus richtige Schlussfolgerungen gezogen. Deshalb scheint jene Strategie, „die Pferde hinter dem Zaun zu lassen“ seitens der Ukraine nur logisch, um nicht zu schnell überflüssige Handlungen zu unternehmen. Aber auch gegenüber anderen Ländern – Diplomatie liebt schließlich die Ruhe. Jetzt findet ein Neustart der Beziehungen zu Polen und Ungarn statt.

Was Russland betrifft, so machte der Sieg Selenskyjs Putin zu einer weniger besonderen Figur in der politischen Sphäre, wo es bereits solche Politiker in Fülle gibt, deren Schritte man nicht zu deuten weiß. Jetzt ist er nur noch einer von vielen und somit nur mittelmäßig. Nur das die Vorteile bei Selenskyj liegen, da sein Rating bezüglich der Glaubwürdigkeit und des Ansehens höher liegt, als bei Putin oder Trump. Obwohl er, als Präsident eines schwächeren Landes, natürlich nicht zu den Politikern der oberen Liga gehört. Deshalb wird Putin dazu übergehen müssen, Selenskyj zu diskreditieren und ihn zu schwächen – wenn sich dieser nicht zu Verhandlungen mit dem Kreml bereiterklärt. Deshalb zieht man dort alles in die Länge, um jedes Mal neue Bedingungen für eine Zusammenkunft im Normandie-Format zu stellen. Wobei sie offensichtlich nicht dazu bereit sind, ihren Teil der Abmachungen zu erfüllen. [Das Gipfeltreffen fand am 9. Dezember 2019 in Paris statt. A.d.R.]

In Moskau setzt man auf die Unerfahrenheit Selenskyjs. Genauso wie darauf, ihn austricksen, verängstigen oder ihn an der Leine halten zu können, solange er sich noch nicht in die Situation eingearbeitet hat. Solange er nicht versteht, was Verhandlungen mit Putin und dessen Team bedeuten und was diese wert sind. Und genau hier sollte er das russische Staatsoberhaupt überraschen. Daran wird man auch sehen können, ob die Unangepasstheit Selenskyjs nur eine Show ist oder tatsächlich mehr als das.

Das Staatsoberhaupt befindet sich tatsächlich in einer schwierigen Situation: er muss konsequent bleiben, damit seine Partner verstehen, dass sie sich auf ihn verlassen können und gleichzeitig seine Besonderheit zu bewahren, um einen Ausweg aus schwierigen Situationen zu finden.

Eine non-konforme Herangehensweise funktioniert bei Feinden, gleichzeitig jedoch legt sie eine Mine unter die eigenen zukünftigen Handlungen, wenn man diese der Bevölkerung nicht mitteilt. Deshalb sollte Selenskyj seine wichtigsten Schritte, hierbei vor allem die Stärkung seiner eigenen Rolle sowie der Rolle der Ukraine auf internationaler Ebene, noch während seiner ersten Kadenz tätigen, solange sich sein Rating noch hält.

26. November 2019 // Nasarij Sanos

Quelle: Zaxid.net

Übersetzerin:   Yuliya Komarynets  — Wörter: 1042

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