Offene Briefe …


Es häufen sich Wortmeldungen zu den offenen Briefen bezüglich Waffenlieferungen an die Ukraine oder nicht, mit dem Tenor, es könne bloß eine „diplomatische Lösung“ lesen. Dabei geben die Verfasser offen zu, unschlüssig zu sein, was sie einerseits ehrt, andererseits zeigt, dass sie sich mit dem Thema nicht eingehend auseinandergesetzt haben und demzufolge verquirlte pseudopazifistische Auffassungen sprudeln.

Diese Kommentare, oft als redaktionelle Beiträge in den Printmedien oder in Online-Zeitungen zu lesen, aber selbstverständlich sehr oft in Posts und Kommentaren in den sozialen Medien, weisen einen eklatanten Missstand auf: Was genau sollte man unter „diplomatische Lösung“ verstehen?

Zweierlei sollte berücksichtigt werden:

Zum einen ist es die altbekannte aber nicht bewährte unsägliche Diplomatie spätestens seit 2014 (aber eigentlich bereits seit 2008), die den jetzigen Angriffskrieg erst ermöglicht hat. Warnungen vor einem möglichen Krieg Russlands auf die Ukraine (und weitere Länder) wurden von unseren westlichen Diplomaten jeweils mit einer kolossalen Arroganz ignoriert, und Diplomatie als Allheilmittel im Umgang mit Russland gepriesen. Dass diese Diplomatie ein Armutszeugnis ist, konnte man deutlich an den beiden Minsk-Abkommen erkennen. Dort wurde unter anderem festgelegt, dass russische Kriegsverbrecher nicht belangt werden dürften, ergo auf ewig straffrei ausgehen würden. Und das in einem andauernden Krieg (der euphemistisch von Russland meist als Konflikt bezeichnet wird und diese Bezeichnung von Journalisten und Politikern im Westen undifferenziert übernommen wurde).

Zum anderen kann Diplomatie nur dann zu Lösungen führen, wenn die Verhandlungspartner das gleiche Ziel verfolgen. Der Westen möchte Frieden und Geschäfte mit Russland. Russland möchte ein Großreich errichten, die Ukraine auflösen und eine Herrschaftsform über die russischen Grenzen hinaus etablieren, das unserer Demokratie diametral entgegengesetzt ist. Welche „Kompromisse“ könnten unter diesen Voraussetzungen denn erreicht werden? Keine, die einen dauerhaften Frieden garantieren würden. Die russische Außenpolitik gegenüber der Ukraine entspricht nicht bloß dem bekannten Spruch von Bernhard von Bülow „Und willst Du nicht mein Bruder sein, so schlag‘ ich Dir den Schädel ein“. Russlands Bestreben ist es, die Ukraine auszulöschen, mitsamt der ukrainischen Sprache und der ukrainischen Kultur, dabei die ukrainische Bevölkerung zu “entnazifizieren” und „umzuerziehen“.

Diplomatie, wie sie seit Jahren zelebriert wird, ist hier völlig fehl am Platze. Es können auch keine Kompromisse mit einem Staatschef ausgehandelt werden, der völkerrechtswidrig und grundlos ein Land angreift, dort tausende Zivilisten bestialisch foltert und tötet, tausende von Frauen (und Kinder) vergewaltigt, der ein Land seit Jahren destabilisiert und damit auch die gesamte EU, der sich über internationales Recht eigenmächtig hinwegsetzt und verhöhnt. Russland mit seiner derzeitigen Führung muss kampfunfähig gemacht werden, Atomwaffen hin oder her. Erst dann wäre eine mögliche Gesprächsgrundlage geschaffen, die ohne militärische Einschüchterung und Drohung auskommen würde.

Frieden ohne Russland sei nicht möglich, behaupten immer noch viele westliche Zeitgenossen. Diese abgedroschene und sinnbefreite Phrase kann nicht falscher sein. Richtig ist: Frieden mit Russland ist nicht möglich … so lange dort ein Präsident herrscht, der spätestens seit dem 24. Februar 2022, dem Beginn des Angriffskrieges auf die Ukraine, das Land führt. Man darf hypothetische Gedanken anstellen, wie zukünftige Verhandlungen mit Russland nach der Ära Putin friedlich gestaltet werden könnten. Mit Putin, der sich zum wiederholten Male als Massenmörder erwiesen hat und eigentlich in Den Haag einsitzen müsste, allerdings undenkbar. Und in Den Haag ist nicht Diplomatie angesagt, sondern die juristische Grundlage zum multilateralen Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998, das die vier Kernverbrechen des Völkerstrafrechts, nämlich Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Verbrechen der Aggression und Kriegsverbrechen umfasst. Putin gehört in allen genannten Punkten auf die Anklagebank und verurteilt. Putin als Gesprächspartner auf Augenhöhe zu betrachten, ihn gar, wie von einigen immer noch gefordert, gesichtswahrend (welches Gesicht denn?) aus seinem mörderischen Krieg zu entlassen, ist an Absurdität nicht zu überbieten.

Russland darf sich „Dank“ Putin auf Jahrzehnte hinweg in die Rolle begeben, die Deutschland nach dem Ende des zweiten Weltkrieges innehatte: Gedemütigte Nation mit einem kollektiven Schuldverständnis. Schade für das russische Volk, zumindest die Menschen der Bevölkerung, die Putins Politik vehement ablehnen und teils unter großen Gefahren bekämpfen. Schenkt man aktuellen Umfragen in Russland Glauben, handelt es sich dabei jedoch um eine Minderheit. Und dieser Minderheit wird sich die westliche Diplomatie kaum annehmen und sie aus einer russischen Diktatur befreien. Ein zusätzliches diplomatisches Versagen ist daher vorprogrammiert.

Der Westen muss seine Diplomatie mit Russland überdenken, die Fehler der vergangenen Jahre erkennen, endlich umdenken und in der Konsequenz anders handeln.

Und wem im ersten Absatz dieses Beitrages der Begriff „pseudopazifistisch“ übel aufgestoßen sein sollte: Pazifismus kommt aus dem lateinischen und bedeutet „Frieden machen“. Als Pazifist tritt man ein für Frieden. Wenn jedoch kein Frieden herrscht, wird es kompliziert. So geht ein “sogenannter „konditionaler“ Pazifismus davon aus, dass ein Krieg unter bestimmten Bedingungen erlaubt oder verboten sein kann: erlaubt, etwa wenn er einen dauerhaften Frieden erreiche“. Im Falle der Ukraine muss der Gedanke ausgeweitet werden, denn der Krieg wurde dem Land aufgedrängt. Es verteidigt sich als Opfer eines grundlosen Angriffes. Sollten Waffenlieferungen tatsächlich dazu führen, dass EU-Länder aus Sicht Russlands, das bekanntermaßen stets eine eigene Interpretation vornimmt als nach dem Völkerrecht üblich, zu Kriegsparteien würden, wäre es im Sinne des konditionalen Pazifismus eine friedenssichernde Maßnahme. Die Floskel „Frieden schaffen ohne Waffen“ hingegen ist nicht bloß eine Plattitüde, sondern kann in diesem aktuellen Falle kontraproduktiv sein, also das Gegenteil erreichen: Der Verlust des Friedens auf lange Sicht.

Eine Zustimmung zu Waffenlieferungen an die Ukraine macht einen daher nicht zum Bellizisten, sondern zum Friedensförderer …

Autor:    — Wörter: 883

Hat Ihnen der Beitrag gefallen? Vielleicht sollten Sie eine Spende in Betracht ziehen.
Diskussionen zu diesem Artikel und anderen Themen finden Sie auch im Forum.

Benachrichtigungen über neue Beiträge gibt es per Facebook, Google News, Mastodon, Telegram, X (ehemals Twitter), VK, RSS und per täglicher oder wöchentlicher E-Mail.