Am 19-ten oder am 20-ten? Das ist hier die Frage


Sein oder Nichtsein; das ist hier die Frage:
Obs edler im Gemüt, die Pfeil und Schleudern
Des wütenden Geschicks erdulden oder,
Sich waffnend gegen eine See von Plagen,
Durch Widerstand sie enden?
(Anfang des Monologs von Hamlet)

Das Werk von Shakespeare ist für Leser dieser klugen Zeitung sicherlich bekannt. So stellen Sie sich dann vor, dass die Rolle Hamlets von Janukowytsch gespielt wird, und die Rolle von Yoricks Schädels – von der Ukraine. Die Verbindung kommt auf den ersten Blick merkwürdig vor. Aber versuchen Sie Ihre Vorstellungskraft anzuspannen. Und gerade aus dem folgenden Grund.

Die Ukraine und die EU haben seinerzeit einen Gipfel in Kiew vereinbart. Er ist ein Schlüsseltreffen sowohl für die Ukraine als auch für die EU. Als Hauptergebnis rechnete man auf die Paraphierung eines Abkommens über die Assoziation und die Freihandelzone. Der Titel ist recht langweilig. Doch in seinem Inneren gibt es eine Menge von wichtigen Sachen. Wie z. B. ohne Zollabgaben und Hohn von Zollbeamten zu handeln. Wie Urheberrechte, Produktqualität und Menschenrechte gemeinsam zu schützen sind. Wie das Zusammenwirken im Rechtschutz zu verbessern ist (was die Korruptionsbekämpfung wirksamer machen kann, und das muss einige Regierungsmitglieder unangenehm aufreizen).

Plötzlich setzt der Kreml für denselben Tag – bestimmt ein unglaubliches Zusammentreffen von Umständen – ein Treffen von Regierungschefs aus Ländern an, die der Idee der Eurasischen Union zugeneigt sind.

Man kann sich mit dem Gedanken trösten, dass vom Kreml für den 19en nur ein Abendessen angesetzt ist. Wie immer mit Pfannkuchen, schwarzem Kaviar, Sterlet und vielleicht mit Zigeunern. Und am nächsten Tag findet das Treffen selbst statt. Theoretisch kann Janukowytsch den EU-Gipfel in Kiew ableisten und danach motiviert nach Moskau fliegen – genau zum Nachtisch.

Ich möchte Sie daran erinnern, dass Russland seine „eurasische“ Idee schon lange austrägt. Durch das Projekt der „Eurasischen Union“ ist ein konföderativer Länderbund mit einem einheitlichen Politik-, Rechts-, Währungs-, Wirtschafts-, Zoll-, Humanitär- und Kulturraum vorgesehen. Wir haben uns in Vermutungen verloren, für wen eine derartige Konföderation von Nutzen ist? Zum Glück hat die Sprachinkontinenz von Gryslow (ehemaliger Vorsitzender der russischen Duma) geholfen: „Die Bildung der Eurasischen Union macht es für Russland möglich, zu einem weiteren Zentrum der Einflussnahme in der Welt zu werden“, – sagte er für die Nesawissimaja Gaseta kurz vor den jüngsten Wahlen. Putin war vorsichtiger: „Erst dann, Anfang 2015 können wir der Idee der Bildung einer Eurasischen Wirtschaftsunion näher rücken“. Merken Sie das Wort „Wirtschaft“ – der ehemalig-künftige Präsident muss aus taktischen Gründen zeitweilig im Bezug auf die Vereinigung des „Politik-, Humanitär- und Kulturraumes“ den Rückwärtsgang einlegen.

Kehren wir zum Gipfel „Ukraine-EU“ zurück. Die Schlüsselfrage ist, ob die Ukraine eine vollwertige Mitgliedschaft nötig hat? Man fragt sich, wofür wir da hin sollen. Der Euro gibt nach, täglich wird gestreikt, norwegische, belgische und italienische Verrückte erschießen friedliche Bürger. Kurzum, in der EU herrscht zurzeit eine Art Armageddon.

Vielleicht ist es besser, sich Russland anzuschließen? Der Rubel hält sich, und nach der von Janukowytsch beschlossenen Zahlung für Gas in Rubel wird er noch zulegen, weil wir der Hauptkäufer sind. Gleich entsteht ein angenehmer Preis. Dennoch dauert es nicht lange, denn Russland ist im Begriff der WTO beizutreten, deshalb müssen ungefähr in fünf Jahren alle Binnenpreise den Preisen auf dem Weltmarkt gleich sein und umgekehrt.

Andererseits kam es bei den letzten Wahlen zum Wüten der Demokratie auf russische Art: die Regierungspartei erlitt eine vernichtende Niederlage, während sie die Mehrheit in Duma erlangte, gleichzeitig hat der Slogan der Partei des Juristensohnes „Für Russen!“ funktioniert, und erhellte Gesichter von Protestierenden auf dem Bolotnaja-Platz und ihre Verbrüderung mit höflichen Polizisten sind überhaupt zu einem erstaunlichen Höhepunkt der Freiheit der Straße geworden.

Ich habe beinah vergessen. Putin hat am vorigen Donnerstag einen Beifallsturm ausgelöst, als er sich selbst vorschlug, über die Rückkehr zur Wählbarkeit von Gouverneuren in der Provinz nachzudenken. Aber ausschließlich aus einer Liste von Bewerbern, die vom Präsidenten selbst genehmigt ist: denn man hat das Kreuz des Sammelns der russischen wie auch der tatarischen, baschkirischen, mordwinischen Länder mit der Jüdischen Autonomen Oblast weiterhin zu tragen. Wie sympathisch sieht die künftige Demokratisierung Russlands aus, nicht wahr?

Andererseits ist es nur in einem freien Land möglich, dass der Präsident ohne Bedenken weiße Bänder von Protestierenden mit Verhütungsmitteln vergleicht. Was kann man schon von ihnen nehmen, diesen Revolutionäre vom „Bolotnaja“ (aus dem Sumpf). Wie schade, Chodynka wäre euch recht (Anspielung auf die Toten im Umfeld der Krönungsfeierlichkeiten in Moskau im Mai 1896).

So eine Unstimmigkeit, meine lieben Ukrainer. Entscheiden wir uns für Eurasien, müssen Illusionen über persönliche Freiheit, Wählbarkeit der Machthabenden, einen Rechtstaat und bescheidene Beamte vergessen werden. Man hat die Korruption für durchaus normal zu halten, und dabei nicht nur im wirtschaftlichen Sinne, sondern auch im Bereich der zwischenmenschlichen Beziehungen (hier sind Meshyhirja von Janukowytsch oder die Bohrtürme von Bojko zu erwähnen, ich will aber den Kommunikationsraum nicht mit Müll füllen). Kann dann ein Bergarbeiter, ein Lehrer oder ein Büromensch einen Streik zusammenstellen? Sicher nicht, denn morgen landen sie im Arbeitsamt. Übrigens sind Streiks dieser Art im „verfallenden“ Europa eine normale Sache, deshalb ist es schwierig, Arbeitnehmer zu feuern, und einfach, Direktoren zu entlassen.

Wer sind wir – wortlose Sklaven unserer Arbeitgeber oder Menschen, die ihr Leben selbst gestalten? Die Frage hängt sicher in der Luft, während man auf die Entscheidung des ukrainischen Hamlet in Person von Janukowytsch wartet, wohin er den Schädel des ihm anvertrauten Landes kickt.

Am vorigen Mittwoch erschien auf einer populären Webseite das Ergebnis einer Umfrage ukrainischer Bürger über ihr Verhältnis zu Europa und zu Russland. So wie: „Möchten Sie sich dem Projekt einer Union von Russland und Belarus oder im Gegensatz dazu der Europäischen Union anschließen?“; „Falls die Visumpflicht für die EU-Länder abgeschafft aber für Russland eingeführt wird, was würden Sie vorziehen?“ usw.

Die Umfrage hat sicherlich ein Geiziger oder ein Hungriger durchgeführt. Wissen Sie warum? Der Statistiker meinte, er wolle keine Ambivalenz. Sie können die Frage stellen, was Ambivalenz ist. In der Statistiktheorie ist es der Fall, wenn Umfrageteilnehmer gegensätzliche Antworten auf Fragen geben, die im Grunde genommen gleich sind. Zum Beispiel auf die Frage: „Wollen Sie, dass die Erde ein Objekt der Spekulation wird?“ werden die meisten eine negative Antwort geben, während die Frage: „Wollen Sie Grundstücke frei kaufen und verkaufen?“ von den meisten positiv beantworten wird. Dabei ist das Ergebnis letztendlich gleich.

So konnte nur ein Mensch mit einer fortschreitenden Ambivalenz in seinem Gehirn (übrigens ein klassisches Indiz der Schizophrenie) eine Frage wie diese provozieren: „Was ist besser: der EU beizutreten und geschlossene Grenzen mit Russland zu bekommen oder der EU nicht beizutreten und weiter nach Russland visumfrei zu reisen?“ Die Frage stellt sich doch nicht so. Es ist klar, dass es besser ist, visum- und zollfrei sowohl in die EU als auch nach Russland zu reisen. Wissen Sie, dass meine achtjährige Tochter zu mir herlief, während ich diesen Artikel schrieb. Ich fragte sie beiläufig – seid ihr in der Klasse gegen jemanden befreundet? Darina hat es aufrichtig nicht verstanden – wir sind alle befreundet, Befreundet gegen jemanden zu sein ist eine Schande. Und ich schämte mich für die Frage.

Der Kiewer Gipfel am 19-ten wird sicher mit einem angewiderten Händedruck zum Schein enden. Dokumente werden nicht paraphiert. Nochmals wird die Ukraine am Scheideweg stehen. „Der Tymoschenko-Faktor hat gewirkt“, – wird der Außenminister berichten, und fehlende Unterschriften unter dem Text des Assoziierungsabkommens wird man mit technischen Gründen erklären.

Aber am 20-ten wird Janukowytsch bestimmt Haltung annehmen: braucht man die Röhre – bitte schön, Militär-Komplex – mit Vergnügen, Sprache und Kultur – ich stehe zur Verfügung. Fangen Sie Yoricks Schädel. Denn Janukowitsch braucht doch einen Ersatzflughafen. Auf jeden Fall.

Der angebornen Farbe der Entschließung
Wird des Gedankens Blässe angekränkelt;

Und Unternehmen, hochgezielt und wertvoll,
Durch diese Rücksicht aus der Bahn gelenkt,
Verlieren so der Handlung Namen.

(Ende des Monologs von Hamlet)

16. Dezember 2011 // Serhij Terjochin, 2005 Wirtschaftsminister unter Julia Timoschenko

Quelle: Dserkalo Tyshnja

Übersetzer:   Mykhailo Iurchenko  — Wörter: 1294

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