Die dickbäuchige Ukraine. Welche Regionen ernähren den Staat?
Welche Regionen ernähren tatsächlich die Ukraine, und welche von ihnen bringen die meisten Deviseneinnahmen.
Noch nicht lange ist es her, dass ein Teil der Ukrainer fest davon überzeugt war, dass „der Donbass die Ukraine ernährt.“ Dieser Mythos entstand aus jenen Überlegungen, dass die Industrie größtenteils im Osten konzentriert ist.
Ähnliche Thesen hörte man früher auf Business-Foren, von den höchsten politischen Tribünen und sogar in Regierungskabinetten, und die arbeitende Schicht nahm diese Aussagen auf wie ein Schwamm. Doch dann stellte sich heraus, dass der „Ernährer Donbass“ aus dem Staatshaushalt fast zweimal mehr erhielt, als er einbrachte.
Noch ein Argument zugunsten solch einer Rhetorik ist, dass Metall, Erz und die Produktion der Chemieindustrie, welche ebenfalls größtenteils im östlichen Teil des Landes erzeugt werden, hauptsächlich die Devisen in die Ukraine brächten.
Die Zeiten änderten sich jedoch und die „Metall“-Milliardäre wurden von „Agrar“-Milliardären ersetzt. Seit 2014 gehört dem Agrarbereich der Spitzenplatz. Und nun wird der Karren des ukrainischen Exports nicht mehr von den Bodenschätzen, sondern durch Erzeugnisse, die im Boden wachsen, aus dem Dreck gezogen.
Das Tempo des Anstiegs ist unglaublich. Den Worten der Hauptleitung des agrarpolitischen Ministeriums Olha Trofymzewa zufolge überstieg der Export ukrainischer Agrar- und Lebensmittelprodukte 15,5 Milliarden Dollar im letzten Jahr, das sind 42,5 Prozent des gesamten Exports des Landes. Im Jahr 2015 waren es 38 Prozent, 2014 31 Prozent. (Der Warenexport 2016 lag allerdings selbst unter Herausrechnung von Krym und Separatistengebieten insgesamt um 41,6 Prozent unter dem des Jahres 2013, A.d.R.)
Die Ukraine wandelt sich also mit jedem Jahr immer mehr zu einem echten Agrarland. Mit neuen Helden und „Ernährern“. Die Ekonomitschna Prawda hat sich daher entschlossen endlich eine Antwort auf die besorgniserregende Frage „Welche Regionen ernähren tatsächlich die Ukraine?“ zu geben.
Die „Getreide“-Monster
Im Rechnungsjahr 2015/16 stellte die Ukraine ein paar neue Rekorde auf. Der erste war der Export von 39 Millionen Tonnen Getreide, der vorherige Rekord in der letzten Saison wurde um 13 Prozent geschlagen. Man könnte meinen, dass ist nicht auf Dauer, doch in der Saison 2016/17 wird diese Leistung Prognosen der Regierung zufolge übertroffen.
Eine Ernte von rekordhaften 65,9 Millionen Tonnen. Führend in der Getreideernte sind die Oblaste Poltawa und Winnyzja. Auf ihrem Gebiet wuchsen 17 Prozent des gesamten Getreides des Landes 2016. Obgleich sich der Anteil dieser Regionen am Anbau von Getreide eigentlich, sogar im Vergleich zum Jahr 2013, im Grunde nicht geändert hat: Sie sind die traditionellen Anführer der Branche.
Bezüglich der Poltawaer Oblast können die Einwohner dieser Region schon einen Präsidentschaftskandidaten aufstellen und ihren eigenen Klan gründen. Berücksichtigt man die Tatsache, dass es viele Erdöl- und Gassonden und Bergbau-und Verarbeitungsbetriebe in dieser Region gibt, kann die Oblast Poltawa als „erster“ Ernährer des Landes proklamiert werden.
„Die Ölmaschinen“ des Landes
Eines der wichtigsten Teile des Agrarexports ist der Außenhandel von Sonnenblumenöl. Im Laufe der Jahre 2011 bis 2016 stieg der Anteil von dessen Produktion in der allgemeinen Exportstruktur von Waren und Diensten aus der Ukraine von 4,6 Prozent auf 10,2 Prozent.
Die Spitzenreiter im Anbau von Sonnenblumen sind die Oblaste Charkiw, Dnipropetrowsk, Kirowohrad und Mykolajiw. Dort wuchsen 2016 fast 40 Prozent der ukrainischen Sonnenblumen.
Nicht umsonst war das Unternehmen „Kernel“, für das der Ölexport das Hauptgeschäft darstellt, das erste ukrainische Unternehmen, das von Anfang des Krieges an imstande war eine Euromarkt-Anleihe von 500 Millionen Dollar aufzunehmen.
Wer die Ukraine mit Gemüse ernährt
2016 war kein Rekordjahr in der Ernte von Gemüse, unsere Bauern ernteten 2,2 Prozent mehr, als letztes Jahr. Einziger Anführer ist dabei die Oblast Cherson. Nach der Krym-Okkupation stieg ihr Anteil an produziertem Gemüse von 11,8 Prozent auf 13,6 Prozent. Die Tatsache ihrer Marktführerschaft macht sie sich schon lange bei der Werbung um ihre Tomatenproduktion umfassend zu Nutzen.
Kartoffelregion
„Es reicht mit dem Jammern, nehmt die Schaufel und pflanzt Kartoffeln und Kohl…“. Dieser bekannte Spruch entstammt dem großen „Klassiker“, dem Ex-Ministerpräsident Mykola Asarow. Damals, im Frühling 2011, als seinem Aufenthalt in der Ukraine nichts drohte, erzählte er den Journalisten, wie er mit der Frau im Garten Kartoffeln anbaut.
Später eröffneten Journalisten von Forbes.ua, dass in Asarows Familie ein Interesse am Kartoffelgeschäft bestehe, und es im Dorf Semypolok in der Tschernihiwer Oblast Kapazitäten zur Lagerung von Kartoffeln für zehntausend Tonnen gibt.
Die Kartoffelernte, die Asarow so gerne „ausgrub“, wuchs dieses Jahr in der Ukraine um fast fünf Prozent. Aber das ist trotzdem weniger, als im Jahr 2013. Die Spitzenreiter im Kartoffelanbau sind die Oblaste Winnyzja, Kyjiw und Lwiw. In diesen Oblasten wurden ca. 23 Prozent der ukrainischen Kartoffeln geerntet. Man sollte jedoch nicht vergessen, dass in der Ukraine ein Kartoffelanbau jenseits der Industrie weit verbreitet ist.
Zuckerbarone
Wieder sind die Oblaste Winnyzja und Poltawa ganz vorne. Dort wurden 2016 34 Prozent der Zuckerrübenernte eingesammelt. Die Zuckerrübenernte stieg 2016 im Vergleich zu den anderen Kulturen am meisten, und zwar insgesamt um 34,3 Prozent.
2016 war in vielerlei Hinsicht ein Rekordjahr. Zum Rekordwert aus dem Export von Getreide und Sonnenblumenöl kam die Höchstzahl aus dem Zuckerexport hinzu – fast 466.000 Tonnen.
Die Ukraine erhöht weiterhin ihr Exportpotenzial. Und wenn wir uns besinnen, dass die Agrarproduktion Hauptexportware der Ukraine ist, ergibt sich also, dass die Oblaste Winnyzja und Poltawa, sowohl über Deviseneinnahmen als auch über Brot und Öl, die Ukraine „ernähren“.
10. Februar 2017 // Roman Kyrytschenko
Quelle: Ekonomitschna Prawda