Das Donaudelta: sensibles Ökosystem und diplomatischer Zankapfel
Von Kyryl Savin, Christoph Metz und Fabian Staben
Das Mündungsgebiet der Donau ist das zweitgrößte Flussdelta Europas. Es stellt ein weltweit einmaliges Ökosystem dar. Der Großteil des Gebiets erstreckt sich über Rumänien und schließt Teile der Ukraine mit ein. Dieses ökologisch besonders schutzbedürftige Gebiet ist bedroht durch eine starke Umweltverschmutzung. Um das Ökosystem zu erhalten, müssen viele nationale und internationale Kräfte zusammen arbeiten: Verwaltung, wissenschaftliche Institutionen, Naturschützer, Zivilbevölkerung. Doch das Donaudelta ist als Grenzgebiet zwischen der Ukraine und Rumänien seit Jahren Gegenstand schwerer Auseinandersetzungen zwischen diesen beiden Staaten, die eine Lösung der ökologischen Probleme dramatisch erschweren.
Der Bystre-Kanal und seine Folgen
Wirtschaftlich gesehen ist die Donau vor allem für die Schifffahrt eine wichtige Einnahmequelle. Die Ukraine hatte stets das Problem, dass der Schiffsverkehr fast ausschließlich über Rumänien abgewickelt wurde. Die Ukraine erlitt große wirtschaftliche Verluste. Um die Schifffahrt im ukrainischen Kilja-Arm, dem nördlichsten der drei größten Seitenarme der Donau im Delta, zu fördern und gleichzeitig die ökonomische Situation dieser Region zu verbessern, beschloss die ukrainische Regierung im Jahr 2004, den Nebenarm Bystre zum schiffbaren Kanal auszubauen. Das ukrainische Verkehrsministerium beauftragte mit dem Ausbau die deutsche Firma „Josef Möbius Bau Aktiengesellschaft“, die über das technische Know-how verfügte, sowie das staatliche ukrainische Unternehmen „Delta-Lotsman“, das derzeit den Kanal überwacht und den Schiffsverkehr regelt. Die deutsche Firma vertiefte den Flusslauf im Mündungsbereich und errichtete einen Damm zum Schutz vor Wind und Wasser.
Nach damaligen Einschätzungen ukrainischer ExpertInnen sollten die Veränderungen keine gravierenden Auswirkungen auf das Ökosystems des Flussdeltas haben. Im Rahmen der Espoo-Konvention der Vereinten Nationen wurde eine internationale Delegation in die Region entsandt. Gemäß dieser Konvention kann ein Land nur eine endgültige Entscheidung über ein Infrastrukturprojekt in einer Grenzregion treffen, wenn das Nachbarland die Umweltverträglichkeit des Projekts in dieser Region bestätigt. Die Delegation kam jedoch zu dem Ergebnis, dass der schon erfolgte Eingriff ökologische Folgen haben wird und dass eine Fortsetzung der Kanalarbeiten eine Gefahr darstelle.
So sieht das auch Michail Nesterenko, Leiter des WWF-Projektes „Donaudelta“ in Odessa. Er sagt, es gebe bereits negative Auswirkungen, die eigentliche Gefahr liege aber in den langjährigen Folgen. Dazu zähle vor allem die Versandung kleinerer Flussläufe, die die Lebensgrundlage verschiedener Tierarten darstellen. Außerdem beeinflusse der Damm die Strömungen im Mündungsbereich des Bystre-Kanals ins Schwarze Meer.
Regionalverwaltung befürwortet den Kanalausbau
Peter Khlystov, stellvertretender Direktor der Regionalverwaltung in Odessa, hingegen erklärt, der Ausbau des Kanals diene der Entwicklung der regionalen Wirtschaft und sei für die Menschen in der Region sehr wichtig. In den drei Häfen am Kilija-Arm seien derzeit 3000 Arbeiter beschäftigt. Die Arbeitsplätze sollen gesichert und die finanzielle Situation der Region verbessert werden. Khlystov befürwortet den weiteren Ausbau des Kanals. Er sagt, zurzeit fänden keine Arbeiten statt. Jedoch befindet sich im Mündungsbereich ein Schiff, das Augenzeugen zufolge große Sandmengen wegbaggert, der sich immer wieder dort ansammelt. Der WWF bezeichnet das Projekt als schnelle, unüberlegte Lösung des ökonomischen Problems, das zwar auf kurze Sicht relativ günstig sei, langfristig aber unübersehbare Kosten mit sich bringe. Dies seien sowohl Instandhaltungskosten als auch die Kosten der ökologischen Folgen.
Der WWF und das Bioreservat des Donaudeltas in Vilkovo plädieren für eine Alternative zum Kanal. Sie erkennen die wirtschaftliche Notwendigkeit eines ausgebauten Transportsystems an, sind aber daran interessiert, die Schäden für das Ökosystem möglichst gering zu halten. Laut WWF könnte weiter flussaufwärts ein Kanal gebaut werden, der dort durch ein ökologisch weniger empfindliches Gebiet verlaufen würde. Das ukrainische Verkehrsministerium hält die Alternativen jedoch weder finanziell noch technisch für realisierbar. Außerdem brächten sie geringeren wirtschaftlichen Nutzen.
Beide Länder streiten um Rechte, Abwasser und Pässe
Die diplomatischen Streitigkeiten zwischen der Ukraine und Rumänien führen seit Ende der neunziger Jahre zu erheblichen wirtschaftlichen Verlusten, und zwar auf beiden Seiten. Zum einen besteht ein Konflikt zwischen der Ukraine und Rumänien, weil Rumänien an ukrainische StaatsbürgerInnen Pässe vergeben hat. Seit 2003 kann jede EinwohnerIn der historischen Region Bukowina, die der heutigen Oblast Tscherniwzi entspricht und bis 1940 zum angrenzenden Rumänien gehörte, einen rumänischen Pass bekommen und somit EU-BürgerIn werden, wenn sie „rumänische Wurzeln“ nachweisen kann. Die doppelte Staatsbürgerschaft ist in der Ukraine durch die Verfassung verboten. Die Ukraine protestiert gegen die rumänische Vergabepraxis und appelliert an die EU. Doch Brüssel schweigt zu dem Thema.
Darüber hinaus stritten sich die beiden Staaten ein Jahrzehnt lang über den Status der so genannten Schlangeninsel, ein kleines Stück Land im Schwarzen Meer. Dabei geht es in erster Linie um die Frage, ob es sich bei der felsartigen Landmasse um eine Insel oder lediglich um einen Felsen handelt. Der Inselstatus würde eine Zugehörigkeit des Territoriums, auf dem Geologen Erdgas- und Ölvorkommen entdeckt haben, zum ukrainischen Hoheitsgebiet bedeuten. Der Status eines Felsens hingegen hätte zur Folge, dass diese Energievorkommen Rumänien zugesprochen würden. Im Februar dieses Jahres sprach der Internationale Gerichtshof in Den Haag der Schlangeninsel schließlich den Status einer Insel zu. Viele ukrainische ExpertInnen sehen die Lösung des Schlangeninselkonflikts jedoch als eine Niederlage Kiews. Ungeachtet der Anerkennung des Inselstatus wurde der Schwarzmeerschelf durch das Urteil des Gerichtshofs unproportional zugunsten Rumäniens verteilt.
Kosten für den Kanalausbau sind rasant gestiegen
Ein weiteres Problem ergibt sich aus dem Bau des Bystre-Kanals durch die Ukraine. Die Ukraine versucht mit dem Kanal, Transport- und somit Finanzströme im Donaudelta zu ihren eigenen Gunsten umzulenken. Doch Rumänien beobachtet diese Pläne mit großem Argwohn und protestiert unter Bezugnahme auf die Espoo-Konvention mit der Begründung, die Umweltverträglichkeit des Projekts sei durch die ukrainische Seite nicht nachgewiesen. Der Bystre-Kanal ist bis heute nicht zu Ende gebaut, die Bauarbeiten sind eingestellt und die Umweltschäden sind noch größer, als dies bei planmäßigem Abschluss des Kanalbaus der Fall gewesen wäre.
Ein viertes Problem betrifft die Verschmutzung der Donau. Beide Seiten werfen sich gegenseitig vor, dass die BürgerInnen des jeweils anderen Landes, vor allem aber die jeweiligen Industrieunternehmen, die Donau als Abwassergraben nutzen. Die Ukraine ist besonders aktiv und registriert alle Unfälle auf der rumänischen Seite und meldet sie den internationalen Stellen. Insgesamt kam es seit 2000 laut ukrainischer Statistik zu über 25 technischen Unfällen im Donaudelta, die Rumänien verschuldet haben soll. Sie sind das Resultat nicht umgesetzter Umweltstandards auf rumänischer Seite und Folge fehlender Vorrichtungen, die verschmutzte toxische Abwässer reinigen. Dabei sucht die rumänische Seite nach jeder möglichen Ausrede, um anderen Staaten Informationen über diese Unfälle vorzuenthalten.
Quelle: Heinrich-Böll-Stiftung
Fabian Staben ist Praktikant bei der Heinrich-Böll-Stiftung in Kiew.