Eine intellektuelle Visitenkarte
Wie die „Große Ukrainische Enzyklopädie“ hergestellt wird und weshalb die Mehrheit der Wissenschaftler und Förderer es mit der Hilfe dabei nicht eilig haben.
Leise und ohne große Aufregung ging ein wichtiges Ereignis vonstatten – die Präsentation der Probedrucke der zwei Bände der „Großen Ukrainischen Enzyklopädie“ (WUE), einer nationalen Enzyklopädie universellen Typs. Das Große geschieht im Stillen…
Warum ist die Erstellung dieser Enzyklopädie wichtig für das Land? Weil das für jede Nation, die sich selbst respektiert, ein Element von Prestige und Autorität, ein Maß der Entwicklung der Gesellschaft und ihrer Kultur, sowie eine Möglichkeit der Repräsentation des Staates auf der Weltebene ist. Es hat sich gelohnt, die Aufmerksamkeit aller Massenmedien und der gesamten Öffentlichkeit auf die Enzyklopädie zu lenken – auf die Schaffung eines einzigartigen intellektuellen Produkts. Doch leider…
Bislang war die einzige ukrainische Universalenzyklopädie die mehrbändige „Ukrainische Sowjetische Enzyklopädie“ (URE), an der von 1959 bis 1985 die speziell geschaffene URE-Hauptredaktion unter der Leitung von Mykola Baschan arbeitete. Danach sind seit der Veröffentlichung des letzten Bandes schon über drei Jahrzehnte vergangen. Im Laufe dieser Jahre hat sich die Gesellschaft – der Konsument der Enzyklopädie – radikal verändert und damit veränderten sich auch die Anforderungen und Prinzipien der Zusammenstellung, insbesondere an den Inhalt bestimmter Wissenszyklen, ihrer Interpretation und der Methoden ihrer Präsentation.
Die Schaffung der „Großen Ukrainischen Enzyklopädie“ wurde entsprechend eines Dekrets des Präsidenten der Ukraine [Wiktor Janukowytsch] 2013 initiiert. Die Aufgabe wird der gemäß demselben Dekret gebildeten staatlichen wissenschaftlichen Institution „Enzyklopädischer Verlag“ übertragen.
Das Hauptziel der universellen Enzyklopädie war es, eine systemische Sammlung moderner zuverlässiger wissenschaftlicher Informationen aus allen Bereichen des menschlichen Wissens für den breitesten Leserkreis in einer prägnanten und zugänglichen Form in einem benutzerfreundlichen Format zu präsentieren, das der modernen Entwicklung der Informationstechnologie entspricht.
Das wird die Möglichkeit bieten, das Potenzial der ukrainischen Intellektuellen (jener, die auf dem Terrain der Ukraine arbeiten als auch außerhalb ihrer Grenzen) weitreichend zu gewinnen. Es wird die Entwicklung der wissenschaftlichen Forschung, eine Steigerung des Bildungslevels in der Ukraine und eine Popularisierung der neuesten Erkenntnisse in der breiten Öffentlichkeit fördern.
Die Enzyklopädie wird die erste universelle Sammlung in der unabhängigen Ukraine sein, die die wichtigsten Referenzmaterialien aus praktisch allen Sparten und Produktionstätigkeiten bietet und über 80.000 Schlagwörter (Begriffe) enthält. Viele von ihnen werden erstmals in den enzyklopädischen Kreislauf eingeführt.
Basis des Projektes „Große Ukrainische Enzyklopädie“ ist eine Ukraine-Zentrierung – der etablierten Tradition für Universalenzyklopädien nach wird der Anteil des nationalen Materials nicht weniger als ein Drittel des Publikationsvolumens ausmachen. Zu den Hauptprinzipien gehören Genauigkeit und Objektivität der Informationen sowie die Vermeidung jeglicher Voreingenommenheit.
Die „Große Ukrainische Enzyklopädie“ wird in zwei Versionen erstellt – in einer gedruckten und einer elektronischen (e-WUE). Im Übrigen hat die auf der ganzen Welt berühmte Encyclopædia Britannica zunächst die Druckversion zugunsten der elektronischen aufgegeben, sie aber vor einigen Jahren erneuert.
Die elektronische Version der WUE ist einzigartig, da sie nicht als Analogon der gedruckten, sondern als ein vollkommen eigenständiges multimediales Projekt e-WUE aufbereitet wird. Hier kommen interaktive und multimediale Mittel weitläufig zum Einsatz. Artikel werden ergänzt um Audio- und Videomaterialien, Illustrationen – um Fotos, Karten, Diagramme, Grafiken, Diagramme und Zeichnungen.
Heute kann sich jeder Interessierte mit dem Inhalt der Portalversion der Enzyklopädie vertraut machen und sogar einer der Autoren werden.
Oft wird gefragt: Und worin unterscheidet sich die elektronische WUE von anderen elektronischen Ressourcen, insbesondere der populären Wikipedia? Im Unterschied zum Wiki wird die Mehrheit der Artikel der e-WUE von Autoren und zudem von den führenden Fachleuten der Ukraine – von Hochschuldozenten, Mitarbeiter wissenschaftlicher Institute und Experten der Zweige der Volkswirtschaft – geschrieben. Das Vorhandensein eines hochqualifizierten Autors ist die Garantie für die Überprüfung und Zuverlässigkeit der Informationen.
Außerdem besteht die Einzigartigkeit von e-WUE darin, dass die Benutzer verschiedene Suchvarianten auswählen können: nach Schlüsselwörtern, nach der Thematik des Gegenstandsbereichs, nach dem Typ oder der Semantik des Informationsobjekts.
Das Platzieren der „Großen Ukrainischen Enzyklopädie“ auf einem speziell erstellten Portal ermöglicht einige ihrer einzigartigen Charakteristika.
Erstens: das Aktualisieren des Contents, das Beibehalten der erforderlichen Niveaus sowie der Aktualität der Daten ohne eine Neuveröffentlichung des gesamten Inhalts.
Zweitens: ein verschiedenstufiges Publikum. Die Online-Enzyklopädie soll eine organische Kombination unterschiedlicher Levels der Darlegung von Information zur Verfügung stellen, indem sie den Leser mit Hilfe von Querverweisen vom Referenzartikel der Mikropedia-Ebene zu Artikeln, die Themen auf einer tieferen, detaillierteren Ebene beleuchten, weiterleitet.
Drittens: die Komplexität der Präsentation des Materials. Im Verlinkungskomplex sind Materialien von Fachenzyklopädien und -verzeichnissen enthalten, die den Nutzern den Zugriff auf eine breite und mehrstufige Sammlung von enzyklopädischen Fachartikeln ermöglichen.
Viertens: die Suche nach Informationen. Die Online-Enzyklopädie schafft mit einem flexiblen und bequemen Such- und Hyperlink-System günstige Bedingungen für eine qualitativ hochwertige Forschung.
Fünftens: die Nutzung neuer interaktiver Technologien durch eine Miteinbeziehung der Benutzer in den Prozess der Erstellung der Enzyklopädie ohne eine Beeinträchtigung ihrer strukturellen Logik und des wissenschaftlichen Niveaus der Texte.
In der elektronischen Version der Enzyklopädie erscheinen die Artikel auf dem Portal nach dem Grad der Bereitschaft und nicht nach der Reihenfolge der Buchstaben des Alphabets. Das bedeutet, dass zum Beispiel ein Artikel mit dem Buchstaben „Ja“ [A. d. Ü. – Я (Ja) ist der letzte Buchstabe des ukrainischen Alphabets] früher veröffentlicht werden kann als ein Artikel mit dem Buchstaben „B“. Außerdem erweitern wir gemäß den Empfehlungen der Experten und Autoren den Umfang des Vokabulars – ständig suchen wir nach zusätzlichen Quellen zur Verifikation und Ergänzung der Schlagwörter und Register. Wir fahren mit der Bildung einer bibliografischen Datenbank zu den Artikeln der WUE und einer Autorendatenbank fort. Die Pläne umfassen die Erstellung einer Mediathek und eines enzyklopädischen Archivs auf dem Portal.
Heute arbeitet eine kleine Gruppe der staatlichen wissenschaftlichen Institution „Enzyklopädischer Verlag“ an der Vorbereitung der gedruckten und elektronischen Version der WUE. Die aktivsten Autoren sind Hochschuldozenten. Einige Ansuchen des Ministeriums für Bildung und Wissenschaft bezüglich einer Unterstützung des Projekts der Erstellung der „Großen Ukrainischen Enzyklopädie“ stießen auf Resonanz: Wir fanden Partner. Auf unserer Seite und auf dem e-WUE-Portal gibt es einen Katalog der Hochschulinstitutionen, mit denen Kooperationsvereinbarungen geschlossen wurden.
Schmerzlich konstatieren wir, dass einzelne wissenschaftliche Institutionen oder Experten sich aufgrund des Fehlens von Honoraren oder das Projekt von staatlicher Bedeutung nur als Angelegenheit einer einzigen Einrichtung betrachtend weigerten, am Projekt mitzuarbeiten. Leider überzeugten und ermutigten unsere Wissenschaftler weder die Resolutionen des Präsidiums der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine noch die Aufforderungsschreiben mit der Bitte um eine Zusammenarbeit. Das Vorhandensein eines hochqualifizierten Autors ist die Garantie für die Überprüfung und Zuverlässigkeit der Informationen. Mehr Unterstützung und Aktivität von den Institutionen der NANU [Nationale Akademie der Wissenschaften der Ukraine] wäre wünschenswert.
Wenngleich zu den Kollegen der Hauptredaktion gerade Vertreter zählen, die hauptsächlich aus akademischen Institutionen stammen, ist eine besondere Aktivität der Akademiker unter den Autoren hingegen nicht wahrnehmbar. Tatsächlich wurden in fast allen Abteilungen der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine (in neun Abteilungen von 14) Expertengruppen gebildet, die Fachexpertise über die an das WUE gesendeten Autorenartikel liefern. Wir sind den Akademikern, den Sekretären der Abteilungen und den Leitern der akademischen Institute für die Zusammenarbeit dankbar (Institut für die Geschichte der Ukraine der NANU, Taras-Schewtschenko-Institut für Literatur der NANU, Institut für ukrainische Sprache der NANU, H.-Skoworoda-Institut für Philosophie der Ukraine der NANU – Abteilung für Religionswissenschaft, Institut für Softwaresysteme der NANU und andere).
In Anbetracht dessen, dass die Mehrheit der WUE-Artikel von Autoren verfasst werden, würden wir uns natürlich die Einbeziehung von Fachleuten aller Wissenschaftszweige wünschen, die sich tief in diesem oder einem anderen Problem engagieren würden, ihr wissenschaftliches Leben dessen Erforschung widmeten und auf dem Gebiet des spezifischen Forschungsraums wiedererkennbar wären.
Es wäre wünschenswert, ein größeres Interesse des Staates bei der Erstellung eines wichtigen informativen Produktes zu sehen und zu spüren. Wir haben ein spezielles Video für die Ausstrahlung auf Fernsehkanälen vorbereitet, doch zu unserem großen Bedauern erhielten wir von keinem der Sender Unterstützung (obwohl wir auch die entsprechenden Dokumente bereitgestellt hatten).
Es ist schade, dass auch keine der wohltätigen Organisationen oder der mannigfaltigen Fonds antwortete, an die Briefe mit der Bitte, sich an dem Projekt anzuschließen, gesandt wurden. Die Erstellung einer nationalen Enzyklopädie kann nicht die Angelegenheit einer einzigen Institution sein, sie hat Sache des gesamten Staates zu werden! Es geht um das Image eines intellektuellen Produkts der Nation!
Manchmal hören wir die Frage: „Aber lohnt es sich, unter den Bedingungen der schwierigen Situation in der Ostukraine, unter den Bedingungen des Krieges und der Krise im Allgemeinen über eine universelle ukrainische Enzyklopädie zu sprechen?“ Wir sind überzeugt: Es lohnt sich! Vielleicht trotz der ganzen Komplexität der Situation. Leichtere Zeiten gibt es nicht. Und Probleme wiederholen sich.
Immer appelliere ich an die Situation des vergangenen Jahrhunderts. Ja, unter den Bedingungen des Ersten Weltkriegs, der abhängigen Existenz der ukrainischen Gebiete als Teil zweier Imperien war die Gemeinschaft der Ukrainer dazu in der Lage, die erste moderne ukrainekundliche Enzyklopädie herauszugeben. Die Vorbereitungsarbeiten an dieser Enzyklopädie begannen in den Jahren 1909 bis 1911 im Umfeld der ukrainischen Diaspora in St. Petersburg und einer Reihe russischer Gelehrter, die sich für die ukrainische Sache engagierten. Und obwohl als Arbeitssprache Russisch festgelegt wurde, war es gerade der Name des Projekts, der seine ukrainische Ausrichtung deklarierte. Es geht um die Arbeit „Ukrainski narod w jewo proschlom i nastojaschtschem“ [Das ukrainische Volk in seiner Vergangenheit und Gegenwart]. Der erste Band dieser Enzyklopädie wurde anstatt 1912 im Jahr 1914 herausgegeben. Die Gründe einer derartigen Verzögerung liegen in der unzureichenden Finanzierung. Jedoch waren es subjektive Faktoren, über welche der Initiator dieses Projekts, der Verleger Petro Stebnyzkyj in seinen Briefen schrieb. Insbesondere beschuldigte er die Intelligenz, die alle Bemühungen zur Aufklärung der Nation aufbringen hätte sollen, doch stattdessen nicht einmal ihre persönlichen Verpflichtungen erfüllen konnte. Dann betonte er, dass nicht bloß Behinderungen vonseiten der zaristischen Administration den Prozess der Herausgabe der Enzyklopädie bremsten, sondern vor allem die Verantwortungslosigkeit der ukrainischen Autoren selbst, das Fehlen koordinierter Maßnahmen und Unterstützung.
In Erinnerung an die Geschichte lassen sich Parallelen zur heutigen Situation ziehen. Und immer noch haben wir die Hoffnung, dass trotz aller Probleme und Schwierigkeiten die Frucht der gemeinsamen Anstrengungen eine intellektuelle Visitenkarte der Nation und der Pass des Staates sein wird – die „Große Ukrainische Enzyklopädie“. Besonders möchte ich allen danken, die sich bereits an der Schaffung der „Großen Ukrainischen Enzyklopädie“ beteiligt haben und selbstlos (dies ist kein Pathos, sondern eine Erklärung der Realität), beharrlich und manchmal auch angestrengt an der Schaffung eines einzigartigen intellektuellen Produkts arbeiten.
Die Suche nach Autoren und Förderern geht weiter. Wir erstellen die „Große Ukrainische Enzyklopädie“ gemeinsam!
12. Dezember 2020 // Alla Kyrydon, Direktorin der staatlichen wissenschaftlichen Institution „Enzyklopädischer Verlag“
Quelle: ZN.UA