In dieser Woche begannen in der Ukraine Online-Stunden, die von allen Fernsehsendern übertragen werden. [Eigentlich bei nach Klassenstufen unterteilten elf Fernsehsendern und parallel dazu abrufbar bei YouTube. A.d.Ü.]
Die Schulstunden hat das Bildungsministerium bestellt, Präsident Wladimir Selenski [ukr. Wolodymyr Selenskyj] beworben und die Aufnahmen wurden von gesellschaftlichen Organisationen durchgeführt, die, wie Strana klärte, mit dem amerikanischen Milliardär George Soros in Verbindung stehen.
So wird versucht, den ukrainischen Kindern die Schulen zu ersetzen, die wegen der Coronavirus-Quarantäne nicht arbeiten.
Dank der Online-Schule haben viele Eltern endlich selbst gesehen, was ihren Kindern beigebracht wird. Besonders interessant sieht das am Beispiel der Geschichtsstunden aus, die in der Ukraine gerade aktiv umgeschrieben und überarbeitet werden.
Strana hat sich die Geschichtsstunde für die Fünftklässler angeschaut, welche die Lehrerin der Kiewer Schule 250, Ella Sytnik, vortrug.
Das Thema selbst ist das ideologischste überhaupt: was in der Ukraine im 19. und 20. Jahrhundert passierte.
Das ist ein sehr rutschiges Thema, zu dem es sehr schwer ist in neutraler Weise zu reden. Doch in diesem Falle hat niemand es auch nur versucht.
„Ein Imperium ist ein Eroberer“
Im Verlaufe einer Unterrichtsstunde versuchte die Lehrerin einen riesigen Zeitraum abzudecken – von Taras Schewtschenko [ukrainischer Nationaldichter, A.d.Ü.] bis zum Holodomor.
Der Titel der Stunde lautete so: „Die stürmischen Jahre oder Ukrainische Revolution (1917-1921) und warum man den Holodomor der Jahre 1932-33 Trauerernte nennt.“
Die Unterrichtsstunde begann mit dem 19. Jahrhundert. Von der Karte „Die ukrainischen Ländereien im Bestand zweier Imperien“ – des Russischen Zarenreichs und des Österreich-Ungarischen Kaiserreichs. Mit weißer Farbe wurden die Grenzen der modernen Ukraine kenntlich gemacht. Dabei gab es auch noch eine grüne Linie, welche die ukrainischen ethnischen Ländereien zeigt. Und sie nehmen ein weitaus größeres Territorium ein, als den derzeitigen Staat.
Die Lehrerin konstatierte, dass das Russische Imperium einen großen Teil der ukrainischen Ländereien kontrolliert. Wonach auf dem Bildschirm die Definition erscheint, dass ein „Imperium ein Erobererstaat ist, der mit Gewalt in seinen Besitz, Länder, Bevölkerung und die Reichtümer anderer von ihm eroberter Kolonien bringt.“
Die Herrschaft in diesen Imperien gehört einem Imperator, der den Bedürfnissen der unterjochten Völker keine Aufmerksamkeit schenkt.
Die Definition soll natürlich zeigen, dass Russland die Ukraine eroberte und aus ihr eine Kolonie machte.
Obgleich aus rein wissenschaftlicher Sichtweise gibt es zumindest monarchistische und koloniale Imperien. In kolonialen kann es überhaupt keinen Imperator geben und wenn es ihn gibt, dann sind seine Rechte durch ein Parlament eingeschränkt. Ein markantes Beispiel ist das Britische Imperium.
Russland war immer ein monarchistisches Imperium und das im strengen Wortsinne keine Kolonien hatte – all seine Untertanen waren Bürger eines Einheitsstaates und in all seinen Schichten und Klassen gab es fast immer gleiche Rechte und Pflichten (mit Ausnahme einiger Gruppen, wie beispielsweise den Juden). Die Ukrainer wurden überhaupt offiziell als Teil der „dreieinigen russischen Volkes“ angesehen.
Eine andere Sache ist, dass die unteren Schichten äußerst wenige Rechte hatten, doch das betraf sowohl die Einwohner von Poltawa als auch die von Rjasan.
Irrte sich bei den zwei Nikolajs
Doch kehren wir zur Unterrichtsstunde zurück. Um zu verstehen, wie es sich für die Ukrainer im Bestand der Imperien lebte (die von vornherein zu „schlechten“ erklärt wurden), zeigte die Lehrerin eine Präsentation mit einem Zusammenschnitt von Fakten.
Unter ihnen die Vernichtung der Saporoger Setsch [ukr. Saporischschjaer Sitsch, vorstaatliche Kosakenvereinigung zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert, A.d.Ü.], das Verbot der Feier des hundertsten Geburtstages von Schewtschenko und ebenfalls der Erlass von Nikolaj I. Zur Eröffnung der Kiewer Universität, „zur Verbreitung der russischen Kultur und des russischen Volkstums.“
Gegenüber Österreich gab es ebenfalls Vorwürfe: die Westukraine war im Habsburgerreich die rückständigste Provinz.
Im Prinzip, sogar das, dass nur negative Fakten angeführt wurden, charakterisiert bereits hinreichend die „Objektivität“ des Lehrprozesses. Den Schülern bietet sich ein eindeutiger Schluss an: es lebte sich für alle sehr schlecht.
Und besonders amüsant ist, dass sogar die Eröffnung der Kiewer Universität durch den Zaren als ein gewisser „Verrat“ [seit 2014 wird in der Ukraine alles durch die Schablone „Sieg vs. Verrat“ interpretiert, A.d.Ü.] präsentiert wird – sozusagen, befahl er die russische Kultur zu verbreiten.
Die beispielsweise von den Österreichern in Tscherniwzi [Czernowitz] eröffnete Universität, führte den Unterricht bis zum Zerfall des Habsburgerreichs nur in deutscher Sprache. Jedoch ging das nicht in die Liste der Vorwürfe ein.
Übrigens, an dieser Stelle nannte die Lehrerin Nikolaj den Ersten warum auch immer Nikolaj den Zweiten. Und wunderte sich, dass der russische Zar die ukrainische Sprache und Kultur nicht verbreitete. „Ich denke, dass jetzt viele auf die Frage antworten können: Ob es sich leicht unter der Herrschaft eines Imperators lebte?“
Um auf diese Frage zu antworten, wurde den Schülern vorgeschlagen sich vorzustellen, dass sie nicht reden dürfen, sondern nur einen Smiley auswählen dürfen. Heben wir hervor, dass fünf Smileys einen negativen Charakter trugen und nur zwei einen mehr oder weniger positiven. Neutrale gab es überhaupt nicht.
Dabei hob die Lehrerin bedeutungsschwanger hervor, dass sie keinen positiven Smiley wählen würde.
Ein freies Bulgarien ist schlecht
Für das Verständnis der hinterhältigen Rolle des Imperiums (des Russischen natürlich) wurde noch ein weiteres Beispiel angeführt. Die Lehrerin zeigte das Bild der Schlacht der Russen gegen die Türken beim Schipkapass im Jahre 1877. „Das ist auch ein Imperium, dass die ganze Zeit Eroberungskriege führte“, resümierte die Lehrerin.
Interessant, dass die Schlacht auf dem Territorium des heutigen Bulgariens stattfand, das, im Ergebnis des russisch-türkischen Krieges 1877, zum ersten Mal seit Jahrhunderten die Unabhängigkeit vom unterlegenen Osmanischen Reich erhielt. Doch das war, der Meinung der Lehrerin nach, ein „Eroberungskrieg“.
Weiter geht die Lehrerin zum Ersten Weltkrieg über. So nannte sie ihn. Jedoch erklärt sie den Kindern nicht den Inhalt des Begriffs – Weltkrieg. Sondern stellt die Situation ausschließlich als Krieg des österreichischen Kaisers und des russischen Zaren dar. Dabei ausschließlich auf dem Territorium der Ukraine.
„Das ist nicht unser Krieg“, konstatiert Ella Sytnik. Obgleich ein solcher Ausdruck kaum überhaupt für Weltkriege anwendbar ist. Wenn man diese Logik verlängert, dann war auch der Zweite Weltkrieg „nicht unser“.
Nach der Februarrevolution (die Lehrerin nennt sie europäisch „Märzrevolution“) begann auf dem Territorium der modernen Ukraine eine eigene Revolution. Sie erforderte Ausführungen in einer Präsentation. Besonders interessant ist der letzte Punkt, gemäß dem die Bevölkerung von ukrainischen Schulen und einer eigenen Staatssprache träumte.
Überhaupt Verweise auf die Träume der Bevölkerung, unter der überhaupt keine Umfragen durchgeführt wurden, ist eine ständige Methode in dieser Unterrichtsstunde. Oben wurden bereits die Worte über den Hass des ganzen Volkes gegenüber den Imperatoren angeführt. Später kommt noch die „einstimmige“ Unterstützung der Schaffung der Ukrainischen Volksrepublik [unbeständige Staatsformation auf dem Gebiet der heutigen Ukraine in den Jahren 1917-1921, A.d.R.]
Bolschewiki in Kiew
Nach der Abdankung des Zaren Nikolaj II. wurde in Kiew die Schaffung der Zentralrada verkündet, an deren Spitze Michail Gruschewski [ukr. Mychajlo Hruschewskyj, ukrainisch-sowjetischer Historiker, 1866-1934 ] kam.
„Müde von der imperialen Unfreiheit unterstützte das ukrainische Volk einmütig die ukrainische Zentralrada“, erklärte Ella Sytnik. Heben wir hervor, dass die Zentralrada von niemandem gewählt wurde. Und Einstimmigkeit ist eine äußerst strittige Frage.
Doch hier tauchen die Bolschewiki auf, die „im Dezember 1917 der Ukraine den Krieg erklärten und mit dem Einmarsch ins Territorium der Ukraine begannen.“
Der Einmarsch wurde mit dem Bild Kustodijews „Bolschewik“ illustriert. Die Lehrerin erklärte den Sinn des Gemäldes: die Bolschwewiki zertreten die Volksmassen beinahe und Menschen sind für sie Kleinigkeiten.
Ohne jegliche Erklärung wie wurde konstatiert, dass die bolschewistische Armee vor Kiew geriet und kurz die Geschichte der Studenten bei Kruty erzählt. [Neugeschaffener nationaler Mythos um ein Gefecht von Freiwilligen aus Kiew im Januar 1918, die den Vormarsch der Bolschewiki aufhalten wollten. A.d.Ü.] Weiter nehmen die Bolschewiki Kiew ein und rauben und plündern alles ringsherum.
Diese Plünderungen und der Terror werden von der Lehrerin mit dem Bild des russischen Künstlers Iwan Wladimirow „Sturm des Winterpalasts“ illustriert.
Nach der Niederlage der „Befreiungsbestrebungen“. Gerät die Ukraine erneut in den Bestand anderer Staaten. Von Polen und der Tschechoslowakei, die einen Teil des Territoriums nahmen, spricht die Lehrerin mehr oder weniger neutral. Doch vom sowjetischen Teil – mit einer düsteren Intonation. Auf der Karte wird dieser Teil mit einem dick roten Farbe ummalt – „als Verurteilung“, sagt Ella Sytnik.
Das war bereits der Abschluss der ukrainischen Revolution – wie es das Schulprogramm interpretiert. Und der Abschluss auch der Unterrichtsstunde.
Die gesetzmäßige Frage: Und was ist mit dem Holodomor? Er wurde doch im Thema der Stunde angekündigt?
Heben wir hervor, dass die Lehrerin über dieses Ereignis kein Wort sagte. Zum Schluss der Unterrichtsstunde wurde einfach ein Video mit trauriger Musik und dem Gedicht des zeitgenössischen Poeten Anatoli Matwijtschuk [ukr. Anatolij Matwijtschuk] „Drei Ähren“ gestartet.
Augenscheinlich war das ein Beispiel dafür, dass die Sowjets, welche die Ukraine eroberten, langsam begannen, die Ukraine verhungern zu lassen.
Obgleich zwischen diesen Ereignissen – dem Jahre 1921 und dem Hunger der Jahre 1932-33 – elf Jahre vergangen sind. Doch über diese, wie auch über die Gründe für den Hunger wurde kein Wort gesagt.
8. April 2020 // Wiktorija Wenk
Quelle: Strana
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