Eine neue Front oder der Weg Richtung Zensur: Warum Poroschenko die russischen sozialen Netzwerke blockiert



Wie ist das einzuordnen? Geht die Ukraine denselben Weg wie Russland, China und Nordkorea oder ist das tatsächlich die Antwort auf den Informationskrieg der russischen Armee und Geheimdienste.

Der Erlass von Poroschenko vom 15. Mai, der vom Kreml kontrollierte Internetdienste für 15,3 Millionen Ukrainer blockiert – darunter in der Ukraine sehr beliebte Netzwerke wie VKontakte und Odnoklassniki – hat die ukrainische Öffentlichkeit merklich aufgewirbelt.

Das Land ist in zwei Lager gespalten: Die einen glauben, dass derartige Sanktionen seit Langem überfällig waren, andere denken wiederum, dass die Schließung der sozialen Netzwerke viel mehr mit einem autoritären Regime gemein hat als mit einem Kampf gegen die russische Propaganda.

Bereits in wenigen Monaten wird klar sein, ob sich die Ukraine in Richtung totaler Zensur und Autoritarismus bewegt oder eine „neue Front“ eröffnet hat.

Putins „Softpower“

„Die russischen Geheimdienste führen einen Hybridkrieg gegen die ukrainische Bevölkerung und nutzen im Rahmen ihrer Operationen Internetdienste wie VKontakte, Odnoklassniki, Mail.ru und andere“, sagt der Sicherheitsdienst der Ukraine (SBU). „Der SBU dokumentiert regelmäßig gezielte Aktivitäten wie die Verbreitung von antiukrainischen Inhalten und Aufrufen zu radikalen Protesten mit Waffengewalt, die über diese Seiten verbreitet werden.“

Dass sich das Internet, die sozialen Netzwerke, Handys – neben dem Fernsehen – zu einem effektiven Instrument sowohl der nationalen als auch internationalen Politik gewandelt haben, hat der Präsident der Russischen Föderation Wladimir Putin ja bereits in dem Artikel „Russland und die sich wandelnde Welt“ beschrieben, den er zwei Jahre vor dem Angriffskrieg gegen die Ukraine – im Februar 2012 – veröffentlicht hatte.

„Immer häufiger wird mittlerweile der Begriff der „Softpower“, der einen ganzen Komplex an Instrumenten und Methoden zur Erreichung außenpolitischer Ziele ohne Einsatz von Waffen umschreibt, verwendet. Stattdessen werden Informationstechnologien und andere Möglichkeiten und Hebel der Einflussnahme eingesetzt“, schreibt Putin. „Leider werden eben diese Methoden häufig zur Förderung und Provozierung von Extremismus, Separatismus, Nationalismus und für Manipulationen der öffentlichen Meinung und die direkte Einmischung in die Innenpolitik souveräner Staaten angewendet.“

Ein gutes Beispiel für die Einmischung Russlands in die Innenpolitik eines souveränen Staates über soziale Netzwerke ist die Anfrage des FSB vom 13. Dezember 2013, in welcher der Generaldirektor des sozialen Dienstes VKontakte Pawel Durow gebeten wurde, die Registrierungsdaten der Administratoren und Autoren proukrainischer Gruppen herauszugeben.

Damals hat Pawel Durow abgelehnt. Einen Monat später wurde er allerdings gezwungen, seinen Anteil am sozialen Dienst „wegen eines Konflikts mit dem FSB“ zu verkaufen. Daraufhin wurde VKontakte vollständig von Alischer Usmanow, einem Freund Putins und dem Mitinhaber von Odnoklassniki und der Mail.Ru Group, aufgekauft.

Heute gibt es in der Russischen Föderation ein sogenanntes Register der Organisatoren und Verteiler von Informationen im Internet, das von der staatlichen Überwachungsagentur Roskomnadsor (= Föderaler Dienst für die Aufsicht im Bereich der Kommunikation, Informationstechnologie und Massenkommunikation) geführt wird. Das Register enthält die von den ukrainischen Sanktionen betroffenen Domains und Subdomains von vk.com, odnoklassniki.ru, ok.ru, mail.ru, yandex.ru, über die sich die ukrainischen Internetuser mit den entsprechenden Diensten verbinden.

Seit dem 1. Januar 2017 verpflichtet das Gesetz „Über Informationen, Informationstechnologien und Datenschutz“ die aufgeführten Organisatoren und Verteiler von Informationen im Internet dazu, Daten zur Annahme, Übertragung, Beschaffung und/oder Verarbeitung von Audio-, Bild-, Videodaten, schriftlichen Daten und elektrischen Nachrichten der Nutzer innerhalb Russlands sowie Informationen zu diesen Nutzern für bis zu sechs Monate zu speichern.

Die Dienste sind ebenso verpflichtet, die gespeicherten Informationen auf Anfrage der föderalen Institutionen der Exekutive bereitzustellen.

Die mobilen Apps der überwiegenden Mehrheit der in der Ukraine blockierten russischen Internetdienste haben praktisch unbegrenzten Zugriff auf die Daten der Nutzer: Standort, Mikrofon, Kamera, Adressbuch, SMS, Fotos und Videos, Daten zur WLAN-Verbindung.

Den von der Ekonomitscheskaja Prawda befragten Entwickler von mobilen Apps zufolge können sich die Inhaber der Apps zu jedem beliebigen Zeitpunkt Zugang zur Kamera oder dem Mikrophon der betroffenen Smartphones verschaffen – ohne Wissen des Nutzers.

Rating von Internetseiten nach der Reichweite bei den Internetnutzern der Ukraine im Alter von 15 Jahren aufwärts, März 2017

DomainReichweite, in ProzentReichweite, Millionen Menschen
1Google7917
2VKontakte (vk.com)7115,3
3Youtube7015,1
4Mail.ru6413,8
5Yandex6413,8
6olx.ua5111
7Odnoklassniki (ok.ru)5111
8Privatbank.ua4710,1
9Rozetka (.ua/.com.ua)449,5
10Wikipedia.org439,3

Schoigus Informationskrieger

„Diese Seiten wurden für das illegale Sammeln von Daten missbraucht, über das Netzwerk wurde Propaganda verbreitet. Zum Teil wurden über VKontakte auch Raub- und Schwarzkopien verteilt“, merkt der Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats (RNBO) Alexander Turtschinow an.

Die oberste politische Führung Russlands hat kein Geheimnis daraus gemacht, dass sie seit 2013 über die Mittel für Operationen auf psychologischer Ebene und im Informationsbereich verfügt. Am 22. Februar 2017 räumte der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu ein, dass in der russischen Armee eine Truppe für derartige Operationen geschaffen wurde.

Im April 2015 berichtete TASS, dass das Verteidigungsministerium der Russischen Föderation auf der Krim eine Sondertruppe für Operationen im Informationsbereich schaffen möchte. „Diese soll bis Oktober-November des laufenden Jahres vollständig aufgebaut sein“, präzisiert unsere Quelle aus dem Ministerium.

Dieser zufolge wird die Aufgabe dieses Truppenteils darin bestehen, „die Informationsnetze potenzieller Feinde und somit deren Kommando- und Kontrollsystem zu stören“ sowie „die Sicherheit der eigenen Informationsnetze sicherzustellen“.

Es ist mehr als deutlich, dass die russische Armee im Angriffskrieg gegen die Ukraine auf Operationen auf psychologischer Ebene und im Informationsbereich setzt. Zahlreiche systematische Attacken auf wichtige Infrastrukturen in der Ukraine tragen eine russische Schrift.

Fachleute für Cybersicherheit verweisen hier auf die starke Organisation und Koordination der Angriffe, die für Hacker-Gruppen aus Regierungskreisen charakteristisch sind.

Front oder „Anziehen der Schrauben“

Eine andere Frage ist, ob die Ukrainer nicht zu Geiseln einer totalen Internet-Diktatur werden? Immerhin könnte die ukrainische Regierung mit genau dieser Begründung so ziemlich alles verbieten bzw. blockieren.

„Einmal auf diesem Weg ist es so gut wie unmöglich, umzukehren: In einem halben Jahr diskutieren wir die Blockade ukrainischer Seiten und in zwei über die Nutzung dieses Instruments für politische Ziele … China, Nordkorea und Russland haben all das bereits durchgemacht. Wozu ein zweites Mal den gleichen Fehler machen? Die Leute sollten sich schämen, da sie keine Ahnung haben“, bemerkt der Präsident der Internet Invest Group Alexander Olschanskij in einem Kommentar für die Ekonomitscheskaja Prawda.

„Ich bin sicher, dass man ziemlich bald die Ukrainskaja Prawda blockieren wird. Ich habe diesbezüglich keine Zweifel“, fügte er hinzu. Die Ukraine folge den Ländern, in denen totale Zensur und ein autoritärer Regierungsstil herrschen.

Laut Medusa wurden in Russland seit 2012 5,6 Millionen Seiten, Homepages und IP-Adressen blockiert, darunter harmlose Geschichten wie die Online-Enzyklopädie Lurkmore. Roskomnadsor scheut sich auch nicht davor, große Anbieter zu blockieren: So wurde 2015 der größte Torrent Tracker RuTracker blockiert und 2016 der Zugang zum Netzwerk LinkedIn beschränkt.

„In der Regel passiert doch Folgendes: Je mehr Demagogie – desto weniger Demokratie. Je weniger Demokratie – desto schlechter die Demografie. Alles in diesem Leben ist voneinander abhängig. Den Worten nach gehen wir Richtung Europa, den Taten nach wieder zurück Richtung UdSSR“, sagt der geschäftsführende Partner von Creative Quarter Ilja Kjonigschtejn zum Erlass des Präsidenten.

Divergierende Meinungen gibt es auch zur Gesetzmäßigkeit des Erlasses.

So denkt der CEO der Kanzlei Axon Partners Dmitrij Gadomskij, dass der Regierungschef im Rahmen des derzeitigen ATO als Oberbefehlshaber durchaus berechtigt ist, derartige Erlasse zu unterzeichnen.

Der parlamentarische Beauftragte für Menschenrechte Michail Tschaplyga ist dagegen genau gegenteiliger Meinung. „Unsere Gesetzgebung sieht keine Einschränkung des Zugangs zu Webseiten ohne Gerichtsbeschluss vor. Das heißt, eine Einschränkung ist nur nach einem Gerichtsbeschluss möglich. Andere Verfahren existieren einfach nicht“, bemerkte er.

Die Provider erhalten bereits Briefe

Als einer der ersten hat die ukrainische Internet-Vereinigung auf das Verbot russischer Dienste geantwortet. Deren Vorsitzender Alexander Fedijenko bemerkte, dass die Provider für die Umsetzung der Blockade etwas Zeit und mehr Mittel zur Umrüstung der Technik und Veränderung der Netzstruktur benötigen.

„Ab heute ist dies nicht möglich“, sagt er.

Der Miteigentümer einer der größten Internet-Provider Triolan Wladimir Sidorenko hat gestern in einem Kommentar der Ekonomitscheskaja Prawda gesagt, dass er noch nicht weiß, wie er den Erlass des Präsidenten technisch umsetzen soll.

Dennoch und entgegen den Aussagen einzelner Anbieter der Branche, dass die Blockade einzelner Seiten in der Ukraine nicht möglich sei, kann eigentlich jeder Internet-Provider die entsprechenden Dienste blockieren.

Mobilfunkbetreiber filtern jetzt bereits das zweite Jahr den Traffic über einige Internet-Dienste, um bei bestimmten Tarifen unlimitierten Zugang zu diesen Diensten anbieten zu können.

Der auf die Nutzerzahl bezogen siebtgrößte Internet-Provider Lanet sagte, dass er die russischen Seiten innerhalb weniger Minuten blockieren könne.

Ukrtelekom hat bereits mit der Umsetzung begonnen. Dass die Mehrheit der Provider die technischen Möglichkeiten habe, zu bestimmten Seiten den Zugang zu blockieren, bejahte auch der SBU.

„Ich wende mich bereits jetzt an die Provider, während der SBU die morgen rausgehenden Informationsbriefe vorbereitet: Beginnt bereits schon heute, russischen Content zu blockieren“, sagte gestern der Leiter des Nationalen Sicherheitsrates Alexander Turtschinow. Der Erlass des Präsidenten ist bereits in Kraft getreten.

Inzwischen versuchen die Nutzer und Administratoren der verbotenen Netzwerke Möglichkeiten zu finden, wie man diese Blockade umgehen kann. So haben die Nutzer von VKontakte am Dienstag folgende Erklärung erhalten:

„Mit dem Erlass des Präsidenten P. A. Poroschenko kann VKontakte auf dem Gebiet der Ukraine zukünftig blockiert sein. Wir lieben unsere ukrainischen Nutzer und möchten, dass Sie immer mit Ihren Freunden und Verwandten verbunden bleiben können. Im Internet finden Sie genaue Anweisungen darüber, wie sie Ihre Kontakte nicht verlieren sowie weitere wichtige Informationen.“

Über den im Brief angegebenen Link kann man genaue Anweisungen zu „Wie man VKontakte nutzen kann, wenn der Anbieter blockiert ist?“ erhalten.

Wie die Provider und Strafverfolgungsbehörden damit umgehen werden, bleibt vorerst ebenfalls ein Geheimnis.

„Eine Blockade ist de facto nicht möglich. In Russland und China funktioniert das auch nur scheinbar“, so Olschanskij.

17. Mai 2017 // Wsewolod Nekrassow

Quelle: Ekonomitscheskaja Prawda

Übersetzerin:    — Wörter: 1619

Hat Ihnen der Beitrag gefallen? Vielleicht sollten Sie eine Spende in Betracht ziehen.
Diskussionen zu diesem Artikel und anderen Themen finden Sie auch im Forum.

Benachrichtigungen über neue Beiträge gibt es per Facebook, Google News, Mastodon, Telegram, X (ehemals Twitter), VK, RSS und per täglicher oder wöchentlicher E-Mail.