Herbstliche Gorgany: Warum es sich lohnt, in dieser Jahreszeit in den Karpaten zu wandern



Im Herbst sind die Karpaten ganz anders. Es geht nicht nur darum, dass die Blätter gelb werden und das Wetter sich verschlechtert. Der Herbst in den Karpaten wird von allen Sinnesorganen gespürt. Man sieht den Nebel, man hört, wie die Kiefern knarren, die zufällig gefundenen Steinpilze schmecken gut, die Wolke, die einen von hinten einholt, riecht nach Regen, das Fichtenharz klebt am Finger. Und die Gorgany, ein Gebirgsmassiv in den ukrainischen Karpaten, sind generell einem getrennten Königreich ähnlich. Solange der Herbst dauert, lohnt es sich, sich ein paar Tage zu nehmen und hierher zu kommen.

Gleich nach Jaremtsche gibt es einen Bach. Es ist nicht viel Wasser drin, aber es ist kalt. Am Bachufer steht ein Hund, ins Wasser will er nicht rein. Er muss mit den Händen rübergetragen werden.

Es wird klar, dass er lange bei uns bleibt und es nicht stören würde, einen Namen für ihn zu erfinden. Lass es Isi sein. Oder Isja. Mit verschiedenen Subtexten.

Es gibt viele Geschichten darüber, wie Hunde sich den Touristen anschließen und wie sie mit der Gruppe einen Teil oder die gesamte Route mithalten.

Einige glauben, dass Hunde solch ein Gewerbe haben – sich am Essen von Touristen zu bereichern.

Andere sagen, dass wandernde Hunde echte Schutzengel sind. Angeblich schützen sie Touristen vor allem Übel, manchmal zeigen sie sogar an der Kreuzung die richtige Richtung.

Etwas Wahres steckt wahrscheinlich in beiden Versionen.

In den Gorgany ist jetzt Ende Oktober – die Zeit der drei Hauptfarben: die Farben der Buchen, der Fichten und der Birken. Die Buchenblätter sind dunkelrot, fast braun. Die Fichtennadeln sind dicht grün. Die Birken sind hellgelb, besonders in der Sonne.

Wenn man diese Farben von oben betrachtet, dann scheinen die Berge eine karierte Decke zu sein: Für ihre Anfertigung hat der grüne Stoff nicht ausgereicht, also musste man mehrfarbige Flicken annähen. An einigen Stellen sind auf der Decke Löcher zu sehen, die die Motten zerfressen haben. Das ist die Abholzung.

Die Gorgany sind ein besonderes Gebirgsmassiv. Es kann mit keiner anderen Ecke der Karpaten verglichen werden.

In erster Linie bestehen die Gorgany aus Steinen. Groß, eine Zeit lang gelegen und reich mit Flechten bedeckt. In der Wissenschaft werden diese Flechten als Rhizocarpon bezeichnet, aber das ist nicht so wichtig.

Was man wirklich wissen muss, ist, dass sie eine grünlich-gelbe Farbe haben. Wenn man also von Weitem auf die Steinfelder schaut, dann erscheinen die mit diesen Feldern bedeckten Gebiete der Berge etwas gelblich.

Und durch Flechten werden die Steine ​während des Regens sehr rutschig. Dann muss man vorsichtig darauf gehen, manchmal balancieren, manchmal das Tempo verlangsamen.

Die Steine, die sich unter den Füßen bewegen, werden lebendig genannt. In den Gorgany sind sie nicht so viele – meistens liegen die Steine ​​fest und unbeweglich, und dies bedeutet, dass die Berge relativ alt sind.

Dennoch muss man trotzdem aufmerksam sein: Dieser oder jener Stein wird sich unbedingt unter den Füßen bewegen. Dann muss man so geschickt sein wie die Spielfiguren eines Computerspiels: eher weiter springen, als in den Abgrund stürzen. Der Abgrund existiert natürlich nicht, aber man kann sich ihn vorstellen.

Der Herbst in den Gorgany besteht auch aus Beeren. Blaubeeren und Preiselbeeren, leicht gefroren in den kalten Nächten, aber reich an Geschmack. Köstlicher sind sie nur im Frühling, nachdem sie in den Büschen unter dem Schnee überwintert haben. Dann riechen sie auch so – nach Schnee, im Moment aber nach dem Sommer, der vorbei ist.

Auf der Polonyna (örtliche Bezeichnung für Almen, A.d.R.) des Chomjak (Berg im Gebiet Iwano-Frankiwsk von 1.542 Meter Höhe, A.d.Ü.) steht eine Kapelle. Solche Kapellen kommen in den Karpaten überall vor – Blockhütten, mit Ikonen, Ruschnyky (bestickten Handtüchern), Kerzen und heiligen Büchern darin.

In einer Kapelle können sich eine Person und ein Rucksack gleichzeitig befinden. Oder zwei Personen ohne Rucksäcke.

Die zweite Option scheint jedoch weniger angemessen: Die Kapellen deuten auf Abgeschiedenheit hin, wenn auch nur für eine kurze Zeit.

Abgesehen davon, dass man hier beten oder eine Kerze stellen kann, erfüllen die Kapellen auch eine nicht offensichtliche Funktion: Sie können bei schlechtem Wetter beschützen und werden zu einem vorübergehenden Zufluchtsort für diejenigen, die vor Gewitter und Regen fliehen.

Es ist immer beeindruckend, dass jemand sie zuerst gebaut hat und jetzt sie in gutem Zustand hält. Wir kennen diese Leute nicht, aber wir können ihnen in Gedanken danken.

Dann gehen wir in den Wald. Es ist sanft hier – unter den Füßen liegen abgefallene und faule Nadeln. Einige Fichten knarren wie nicht geschmierte Türscharniere. Es scheint, dass es in den Fichten wirklich knarrende Türen gibt, in die man vielleicht sogar hineingehen kann. Wir wissen einfach nicht wie.

Wir haben Glück mit dem Wetter: Mehrere Tage hintereinander ist es trocken und sonnig, das Abendfeuer entzündet sich schnell, das Holz muss nicht getrocknet werden.

Wenn es mit dem Feuer leicht geht, besteht eine große Versuchung, es nicht zu schätzen. Aber wir wissen, dass alles anders hätte sein können: Es hätte regnen können, der Schlamm hätte an Stiefeln kleben können, und das Wasser für Tee hätte im Vorzeltbereich kochen können. Wir sind froh, dass es Feuer gibt.

Unser zugelaufener Hund ist immer noch bei uns. Sein Vorteil aus der Teilnahme an dieser Wanderung wird weniger offensichtlich: Einmal hat er von uns Kringel bekommen, einmal Brot, ein Stück getrocknete Banane, wovor er sich geekelt hat.

Wir denken darüber nach, ob man in den Wanderungen Engel braucht, in der Gestalt eines Hundes oder irgendeiner anderen, oder ob vielleicht der Vernunft, eine gut geplante Route und ein adäquat gepackter Rucksack reichen?

Der Hund schnauft unter der Fichte. Er ist natürlich kein Engel, sondern nur ein Hund, aber das sagen wir ihm nicht. Seine Pfoten zucken im Traum: Vielleicht träumt er von den großen Gorgany-Steinen, auf welchen man fast den ganzen Tag lang springen musste.

Heute ist in den Gorgany so ein Herbst, welchen man im Gedächtnis behalten will. Dafür haben wir fünf Sinnesorgane, drei Tage und eine Kamera. Das reicht.

29. Oktober 2017 // Ljudmyla Smoljar, Journalistin, speziell für Ukrajinska Prawda. Schyttja

Quelle: Ukrajinska Prawda – Schyttja

Übersetzerin:   Roksoliana Stasenko  — Wörter: 1002

Hat Ihnen der Beitrag gefallen? Vielleicht sollten Sie eine Spende in Betracht ziehen.
Diskussionen zu diesem Artikel und anderen Themen finden Sie auch im Forum.

Benachrichtigungen über neue Beiträge gibt es per Facebook, Google News, Mastodon, Telegram, X (ehemals Twitter), VK, RSS und per täglicher oder wöchentlicher E-Mail.