Informationsleere


Wir werden „nie zu Brüdern“, wir sind es auch nie gewesen.

Russland führt Krieg gegen die Ukraine mit Hilfe ukrainischer Bürger, welche Russland gegenüber freundlich gesinnt sind, „Freiwilligen“ aus Russland sowie der eigenen Armee. Es hat bereits die Krim sowie einige Kreise in den zwei östlichen Oblasten der Ukraine erobert. Die russische Auslegung des Ganzen lautet etwa so: die „Landwehr“ (Selbstbezeichnung der prorussischen Kämpfer in der Ostukraine) kämpfen im Osten und Süden der Ukraine gegen die illegitime Staatsführung, die USA unterstützen den Gesellschaftskonflikt in der Ukraine, um somit Russland an seiner Entwicklung zu hindern. Die ukrainische offizielle Sichtweise besteht aus einem unerklärlichen Grund (obwohl Russland bereits als Aggressor anerkannt wurde) weiterhin in der Behauptung, dass in der Ostukraine Freischärler sowie Separatisten agieren, die ukrainische Armee eine antiterroristische Operation (ATO) führt, Russland liefert materielle und menschliche Ressourcen, aber kämpfen tun die Separatisten und Aufständischen. Es gab mal einen kurzen Abschnitt in der Geschichte des Presszentrums der ATO, als dieser Schwachsinn noch amüsanter war. Eben zu der Zeit entstand der Begriff „Putins Ziehkinder“. Allerdings dauerte diese Freude nicht lange und eintönige Monologe mit Zahlen und formalem Optimismus a la „wir geben keinen Zentimeter preis“ sind zu einem ständigen Begleiter beinahe jeden Briefings geworden.

Sollte im aktuellen Informationskrieg jemand immer noch gewisse Hoffnungen mit dem Staat verbinden, dann dürfen sie nach den aktuellen Vorschlägen von Minister Stez (Minister für Informationspolitik der Ukraine) verflogen sein. So viele frische und nicht ordinäre Schritte haben vom neuen Ministerium nicht mal dessen konsequentesten Gegner erwartet. Wie kommt man darauf, den Leuten vorzuschlagen auf den russischen Propaganda-Webseiten Kommentare zu hinterlassen, welche russische Mythen entzaubern sollen? Hat man im Informationsministerium schon mal gehört, dass Kommentare moderiert werden können? Welchen Namen soll ein ukrainischer englischsprachiger TV-Sender tragen, wenn der russische Sender „Russia Today“ heißt? Einfach den Sender „Ukraine Tomorrow“ nennen! Dies nennt sich Hinterherlaufen.

Eben dieses Hinterherlaufen durchstreicht alle guten Unternehmungen der Staatsführung (vorausgesetzt wir glauben daran, dass es um die Informationspolitik und nicht um die Einstellung von jemandem aus dem Bekanntenkreis geht). Und eingedenk der bedauernswerten Tatsache, dass wir es mit Russland zu tun haben, ist die Sache bereits zu Beginn verloren. Es ist vollkommen sinnlos die Informationsherausforderungen Moskaus zu erwidern, selbst ein Dialog mit den Vertretern der Russischen Welt ist bereits ein Fehler. Es ist unmöglich Herrn Tschurkin (UNO-Botschafter Russlands) zu überzeugen, dass die Russen im Donbass präsent sind, nicht mal dann, wenn ihm einschlägige Fotos, Videos sowie Bruchteile der Flugkörper vorgelegt werden. Genauso unmöglich ist es irgendeinen Watnyk (Wattejackenträger, ursprünglich abwertende Bezeichnung für Anhänger Putins, in der Ukraine für Anhänger der Russischen Welt verwendet, A.d.R.) für den der Erfinder des Radios Alexander Popow ist und der Dampflok die Gebrüder Tscherepanow. Was ist dazu zu sagen, wenn sogar die Termini Große Rus und Kleine Rus, die aus dem Griechischen entlehnt sind (das Kleine Griechenland als Areal der ersten Besiedlung und das Große Griechenland mit den Kolonien von der Krim bis Sizilien) von dem gottgeweihtem Volk die entgegengesetzte Bedeutung gegeben wurde. Man kann zudem noch an die mongolische Kopfbedeckung erinnern, die in der russischen Interpretation zur «Mütze des Monomach» (die Byzantiner würden sich sehr wundern) wurde oder die Muttergottes Ikone von Wyschhorod (Stadt im Gebiet Kyjiw, A.d.R.), die nach der Plünderung Kyjiws zur Ikone der Gottesmutter von Wladimir (hängt in der Tretjakow-Galerie in Moskau, A.d.R.) wurde.

Und nun, nachdem in Russland orthodoxe Priester die „Satan“—Raketen mit Weihwasser besprengen und Muslime mit Flaggen herummarschieren, auf deren ein menschliches Lebewesen abgebildet ist (obwohl es nur Fotos von Kadyrow sind, aber auch solche Abbildungen sind im Islam verboten), tritt ein gewisser Minister Stez auf und wirbt für eine Informationsarmee mit dem Auftrag, auf der Webseite von LifeNews Kommentare zu hinterlassen. Als ob es in der Ukraine zu wenig Analytiker und Experten gäbe, welche russisch schreibend (es geht nicht um die Sprache bzw. nicht nur um die Sprache) zur Distanzierung von der Russischen Welt aufrufen. Es ist schwer mit Rauchen aufzuhören, wenn man täglich viel raucht. Ebenso schwierig ist es mit dem Sowok (negativ gefärbter Begriff, welcher vom Wort „Sowjetunion“ bzw. „sowjetisch“ abgeleitet wurde) zu brechen, wenn das Denken weiterhin in Kategorien und Stereotypen aus dieser Zeit verfangen ist. Wenn unsere Experten von der Revolution sprechen, meinen sie Wladimir Iljitsch. Lenin und nicht Oliver Cromwell, beim Krieg denken sie nicht an den  amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, sondern an den „vaterländischen“, bei „Aufstand“, klassisch an „sinn- und erbarmungslos“ (Bezugnahme auf Alexander Puschkin, A.d.R.) ist.

Im Rahmen der Diskussion zu Kriegsthema besteht gar keine Alternative zur „Geschichte der UdSSR“. Der Präsident spricht von „unserem vaterländischen Krieg“ als ob eine Ansprache ohne Anbindung an die russische Geschichte nicht genug inhalts- und eindrucksvoll wäre. Warum spricht man nicht vom Unabhängigkeitskrieg? Ab und zu taucht die Bezeichnung „zweites Stalingrad“ auf. Als gäbe es in der Geschichte keinen treffenderen Vergleich, wo die Russen für Leichenberge der Zivilbevölkerung bei der Einnahme der Städte verantwortlich waren. Wieso werden die ukrainischen Partisanen ausschließlich in Verbindung mit dem Kampf gegen die „Faschisten“, aber nicht gegen die Kommunisten gesetzt? Der schlimmste Weg dabei wäre wahrscheinlich die Rückkehr zur „geschichtlichen Tradition“ heroischer Niederlagen von Berestetschko (gemeint ist die  Schlacht bei Berestetschko - eine der größten Schlachten des 17. Jahrhunderts. Sie wurde zwischen der Allianz der Saporoger Kosaken und Krimtataren und der Adelsrepublik Polen-Litauen geführt. Die Schlacht endete mit der Niederlage der Allianz der Saporoger Kosaken und Krimtataren ) bis zu Kruty (ein Kampf im ukrainisch-bolschewistischen Krieg von 1917 bis 1921, der mit der Niederlage der Ukrainer endete).

Leider geht es hier nicht um den Aufbau eines Informationsraumes, in dem das ukrainische Problem ein Teil des westlichen Raumes wäre. Egal was man über die schwachsinnige Ideologie der Neurusslandanhänger sagt, die Informationspolitik der ukrainischen Staatsführung schöpft die Ideen aus derselben Quelle, aus der wir zum Beispiel wissen, dass Peter der Große das Fenster nach Europa aufstieß, unter anderem für den Kosakenstaat, dessen Territorien damals zu Polen-Litauen gehörten. Allerdings welche Berührungspunkte sollen denn die Reformen Peters des Großen zur Ukraine haben? Wem schnitt er Bärte ab? Wem hat er befohlen das Neujahr am 1. Januar zu feiern? Erfreulich, dass zumindest das Ausmaß offener ukrainefeindlicher Inhalte zurückgegangen ist.

Es bleibt nicht mehr viel übrig – die „Experten“ und „Politiker“ sollten nun aufhören bei TV-Shows verständnisvoll mit dem Kopf zu nicken, während russische „Liberale“ sich wundern, dass Russen gegen Ukrainer kämpfen und die Deutschen dabei versuchen sie zu versöhnen. Unglaublich… Schon immer haben sie gegen uns gekämpft und nun können sie dies nicht fassen. Darüber hinaus wäre es nicht verkehrt, wenn unsere Künstler endlich aufhören Shakespeare auf Russisch zu zitieren. Er schrieb auf Englisch. Deswegen sagt der auf Russisch gesprochene Satz „Sein oder Nichtsein …“ eigentlich nichts über das hohe Bildungsniveau des Sprechenden, sondern weist auf dessen schwache Fremdsprachenkenntnisse hin. Man sollte auch bitte die Sprüche „starke Hand“, „guter Zar“, „dumme Amis“ sowie „Russen ergeben sich nicht“ weglassen. Das sind alles russische Märchen und unser Land, welches für seine Unabhängigkeit und die Freiheit kämpft, soll sie in einem Atemzug mit Theorien des Faschismus und Kommunismus, totalitären Sekten und anderen gefährlichen Werken studieren. Allerdings dies nicht im Alltagsgebrauch kultivieren.

Zu guter Letzt ist zu sagen, dass wir „nie Brüder werden“. Wir sind es auch nie gewesen. Gerade darin sollte der Informationskrieg seinen Anfang nehmen und nicht darin, dass Nachrichten über den „Helden Motorola“ (Spitzname des aus dem russischen Rostow stammenden Rebellen-Führers Arsen Pawlow) kommentiert werden.

04. März 2015 // Nasar Kis

Quelle: Zaxid.net

Übersetzerin:   Ljudmyla Synelnyk  — Wörter: 1237

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