Die Krise kommt in den Regalen an


Beim Einzelhandel haben schwere Zeiten eingesetzt. Die Käufer begannen ihre Ausgaben einzuschränken und die scharfe Abwertung der Hrywnja macht die Zahlungen für bestehende Kredite und die Anwerbung neuer zu einer schwierigeren Aufgabe. Den Ketten bleibt nichts übrig, als die Arbeitsbedingungen mit den Lieferanten zu ändern und ebenfalls das Produktsortiment in den Regalen durchzuschauen. Im Resultat haben die Käufer bereits Ende letzten Jahres das Fehlen gewohnter Waren bemerkt. Und das ist nur der Anfang, betonen Marktteilnehmer.

Verbrauchereinschränkung

“Die Konsumentennachfrage in der Ukraine hat sich in den letzten zwei Monaten um etwa ein Drittel verringert”, sagt der Direktor der Consultingfirma AAA, Sergej Naliwka. “Der Hauptrückgang bei der Konsumentaktivität lässt sich in den Industriestädten im Osten der Ukraine beobachten, die bis vor kurzem noch die Verkäufe anführten”, sagt der Vorsitzende des Aufsichtsrates des Unternehmens “Furshet/Furschet”, Igor Balenko. “In unserer Kette hat sich die Zahl der Kassenzettel von Dezember bis Januar um 10% im Vergleich mit der analogen Periode des letzten Jahres verringert, obgleich sich die mittlere Rechnung nicht verändert hat”, sagt der Vorsitzende des Aufsichtsrates der Holding “Pakko”, Wladimir Mikulitsch.

Der Nachfragerückgang ist das Resultat der allgemeinen Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation im Lande. Die Finanzkrise zwingt die Unternehmen dazu ihre Tätigkeit zu optimieren. Im Ergebnis finden sich mehr und mehr Menschen in der Ukraine auf der Straße wieder. Sogar den Angaben des Staatlichen Statistikamtes nach, welches nicht alle zählt, die ihre Arbeit verlieren. So stieg in den letzten zwei Monaten des letzten Jahres die Zahl der Arbeitslosen um fast 60% – auf 844,9 tausend Menschen. “Den Leuten wird das Gehalt gekürzt, viele blieben ohne Arbeit, wie sich die Situation weiter entwickeln wird, weiß niemand. Daher beginnen die Leute zu sparen”, sagt Naliwka.

Das Geld reicht nicht für alle

Die Situation wird durch Probleme mit der Kreditfinanzierung verkompliziert. “Banken geben keine neuen Kredite aus, sie fordern die Rückzahlung der bestehenden Schulden und zusätzlich erhöhen sie die Zinsen. Der Einzelhandel kann sich nicht allein mit den Umsatzmitteln entwickeln”, sagt Wladimir Mikulitsch. “Die Ketten expandieren bereits nicht mehr, da aus den Umlaufmitteln die Schulden bedient werden müssen”. Seinen Worten nach, betrugen die Kreditzinsen in Hrywnja bis zu Beginn der Krise 16-18%, jetzt liegen sie bei 26-30%.

Noch schlechter ist die Situation bei den Dollarkrediten – der offizielle Kurs der Hrywnja fiel seit 1. September des letzten Jahres fast um 60%. “Die Mehrzahl der Einzelhändler hat Kredite in Dollar aufgenommen, was bei einer Abwertung der Hrywnja zu zusätzlichen Ausgaben führt. Beispielsweise, betrugen die Verluste eines der größten Einzelhändler in Verbindung mit der Instabilität des Dollarkurses 75 Mio. Grynwja”, erzählt der Generaldirektor der Ukrainischen Handelsassoziation, Igor Kischko. “In Hrywnja ist unser Umsatz nicht gefallen, doch, wenn wir dies zum aktuellen Kurs für die Bedienung von Krediten in Dollar umtauschen, dann ist dies eine gänzlich andere Zahl”, sagt Balenko. “Im Mittleren betrug die Rentabilität der Branche bis zum Beginn der Krise bis zu 2%, heute verringerte sie sich auf 0,5-1%”, fügt er hinzu.

Das Defizit an Kreditmitteln bei den Einzelhändlern führt zu einer Verlängerung der Abrechnungsfrist mit den Lieferanten. “Unser Unternehmen ist zur Bezahlung der Ware sofort nach dem Umsatz übergegangen, um keine Schulden bei den Lieferanten zu haben”, sagt Igor Balenko. Bei den anderen vom “Kommersant-Ukraine“ befragten Ketten zog man es vor nicht über Änderungen in der Arbeit mit den Lieferanten zu reden. Der Generaldirektor des Unternehmens “Ukrainskij Retail” (Kette “Brusnyzja”), Alexej Gessen, merkt lediglich an: “Als nach dem Rückgang der Verkaufsmengen zeitweilige Stockungen bei der Zahlung mit einigen Lieferanten aufkamen, wurde mir die Position der Lieferanten klarer, welche die Lieferungen fortsetzten, auf sich kleinere zusätzliche Risiken nehmend, was es ihnen erlaubte ihren Marktanteil auszuweiten”.

Derweil sagen die Lieferanten, dass es schwieriger wurde mit den Ketten zu reden. “In erster Linie werden Waren mit hoher Umsatzgeschwindigkeit bezahlt, beispielsweise Milch. Und bei langsam umsetzbaren wird die Zahlung aufgeschoben”, sagt ein Vertreter eines fleischverarbeitenden Unternehmens, der anonym bleiben möchte. Seinen Worten nach, wird der Hersteller in diesem Fall entweder die Liefermenge verringern oder zeitweilig die Lieferung unterbrechen.

“Übrigens befinden sich die Hersteller und die Ketten derzeit in der gleichen Situation, verständlich, dass die Ausweitung bereits bestehender Stundungen bei Zahlungen ein notgedrungener Schritt ist”, sagt der Vorstandsvorsitzende der “Ukrainskaja Wostotschnaja Rybnaja Kompanija/Ostukrainische Fischfirma”, Oleg Luschtschik. “Wir versuchen ihnen entgegenzukommen: falls man gemäß dem Gesetz vorgeht, dann verliert man einen Teil des Absatzmarktes”, fügt der Vertreter der fleischverarbeitenden Firma hinzu. “Wie auch der Großteil der Importunternehmen, versuchen wir beispielsweise mit den Verarbeitern zur Bezahlung gemäß den Tatsachen überzugehen.”, sagt einer der Mitarbeiter eines Importeurs für Meeresfrüchte, der anonym bleiben wollte. “Doch mit den Ketten reden wir über eine Verkürzung des Zahlungsaufschubes von 60-90 Tagen auf 20-30 Tage. Mit der alten Stundung zu arbeiten ist bereits nicht mehr rentabel, wenn der Kurs innerhalb eines Tages sich um wenigstens 30 Kopeken ändern kann”. ??“Den Worten von Oleg Luschtschik nach, arbeitet die Hälfte der Importfirmen bei Meeresfrüchten im Minus.

Die Waren verlassen die Regale

Die Probleme mit der Nachfrage und der Liquidität führen zu spürbaren Änderungen im Warensortiment in den Regalen. Die Leute gehen vorsichtiger an Einkäufe heran – wenn sie vorher auf Vorrat gekauft haben, dann haben sie derzeit angefangen nur noch das Notwendigste zu kaufen, sagt Wladimir Mikulitsch. Das führt zu einer Verringerung der Verkaufsmengen bei Waren des mittleren und des Premiumsegmentes. “Der Umsatz unserer Ketten hat sich nicht verringert, doch verringerte sich die Gewinnspanne, was von einem Wechsel der Konsumentennachfrage von Produkten des Premiumsegementes zu Waren niedrigerer Preisklassen spricht”, sagt der Generaldirektor der ATB Gesellschaft, Boris Markow. “Aufgrund der Risiken, die mit der Änderung des Dollarkurses in Verbindung stehen, verringerte sich die Menge der Käufe der Mehrzahl der Waren um ein Drittel bis zur Hälfte. Wir können uns bereits nicht mehr erlauben Waren auf Vorrat zu kaufen”, sagt der Vorstandsvorsitzende der “Ukrainskaja Wostotschnaja Rybnaja Kompanija”, Oleg Luschtschik.

Ein bedeutender Verkaufsrückgang geht auf Waren aus Importproduktion zurück. “Importeure fordern in vielen Fällen Vorkasse für Waren oder verkaufen diese einfach nicht, da es lukrativer ist die Waren in den Lagern zu lassen”, sagt Igor Balenko. “Im Januar fiel, beispielsweise, das Verkaufsvolumen bei Meeresfrüchten und Fischen im Ganzen um 40% im Vergleich zur analogen Periode des vergangenen Jahres”, sagt die Präsidentin des Importunternehmens “Skandinawija”, Jelena Jekimenko. Unter diesen Bedingungen ist es für die Einzelhändler praktisch nicht lukrativ Importwaren einzukaufen.

Und einige Waren gelangen nicht in die Regale aufgrund dessen, dass deren Herstellung fürderhin nicht mehr einträglich ist. Den Worten eines Informanten des “Kommersant-Ukraine“ in einem dieser Unternehmen zur Verarbeitung von Fleisch, in Verbindung mit der Verringerung der Einkünfte der Bevölkerung überarbeiten die Hersteller ihre Sortimente zum Nutzen von liquideren Warengruppen. “Manchmal weigern sich die Produzenten einfach den Auftrag auszuführen, da die Ausgaben für die Logistik teurer kommen”, fügt er hinzu. “Seit Oktober haben die mittleren und kleinen Hersteller von Fleischprodukten ihre Herstellung um 50-70% verringert, bei großen Produzenten ist dieser Wert etwas niedriger. Alles die dies wirkt auf die Verringerung der Sortimentreihen in den Regalen der Geschäfte”.

Die Branche vergisst das Alte und Gute

Die Situation bringt ernsthafte Änderungen in die weiteren Pläne der Unternehmen. Falls bis zu Krise alle an die geografische Expansion gebunden waren, dann schalten die Ketten unter Krisenbedingungen auf die Stärkung ihrer Positionen auf den bereits erkämpften Märkten um, sagt der Direktor des Forschungsunternehmens RetailStudio, Michail Grischtschenko. Beispielsweise hat die “Pakko” Holding 20 Geschäftein Charkow zum Verkauf gestellt. “Diese Strategie erlaubt es die Stärke der Geschäfte zu festigen und ebenfalls die Loyalität der Einkäufer auf dem ‘Heimat’-Markt zu stärken”, erläuterte Grischtschenko. Die Krise aktivierte den Prozess der Geschäftsschließungen. Den Angaben von RetailStudio nach, verkündeten im letzten Jahr die Schließung dreier Geschäfte “Welika Kischenja”, “Pakko” und von ein bis zwie “ATB-Market”. Die Unternehmen kürzten ihr Personal um 20-30% und revidierten ihre Reklamebudets.

Das Fehlen der Finanzen für eine Entwicklung konfrontiert die Unternehmen mit der Arbeit an der Erhöhung der Effizienz der Ketten und der Qualität der Bedienung. Lieferanten und Hersteller werden alternative Absatzmärkte suchen. “30% der Waren, die über die Ketten abgesetzt wurden, haben unsere Partner auf die Eröffnung von Märkten verwandt”, sagt Jelena Jekimenko von “Skandinawija”.

“Falls der Staat keine Schritte zur Hilfe für den Einzelhandelssektor der Wirtschaft unternimmt, dann werden wir wahrscheinlich leere Regale in den Geschäften beobachten können”, konstatiert Igor Balenko. “Im Endeffekt hängt alles von den Banken ab. Wenn die Zeit der Schuldenzahlung kommt, dann wird der Einzelhändler alles Geld für die Tilgung des Kredites aufwenden – infolge dessen können zeitweise Waren in den Regalen fehlen”, fügt er hinzu. “Falls die wirtschaftliche Situation im Lande sich nicht ändert, dann werden sich bis Frühlingsmitte in den Geschäften mit einer mittleren Fläche von 400 m² die Sortimentreihen von 5-6.000 Einzelwaren auf 3-3.500 verringern. Die Importware verschwindet, kleinere lokale Hersteller können sich existierende Zahlungsaufschübe nicht erlauben”, sagt Wladimir Mikulitsch.

Weronika Gawriljuk

Quelle: Kommersant-Ukraine

Übersetzer:   Andreas Stein  — Wörter: 1548

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