Medwedjews erster Tag in Kiew
Gestern führte der Präsident der Russischen Föderation, Dmitrij Medwedjew, im Rahmen seines Besuches in der Ukraine Verhandlungen mit seinem ukrainischen Kollegen, Wiktor Janukowitsch. Die Staatsoberhäupter bekräftigten den Übergang der Länder auf ein neues Niveau der Partnerschaft, deklarierten das Ziel einen gegenseitigen Warenumsatz von 100 Mrd. $ zu erreichen und unterzeichneten eine Reihe gemeinsamer Erklärungen.
Am Sonntag, dem Vortag seines Besuches in der Ukraine, gab Dmitrij Medwedjew zentralen ukrainischen Fernsehsendern ein Interview. Das Gespräch beendend, scherzte der Präsident der Russischen Föderation, dabei die Journalisten anweisend für seinen Besuch „gutes Wetter vorzubereiten“. Der Humor erwies sich als prophetisch. Die Wetterbedingungen während des protokollarischen Teils des Aufenthalts von Medwedjew in Kiew erwiesen sich als die wahrscheinlich schlechtesten innerhalb der gesamten Geschichte der offiziellen Besuche ausländischer Staatsführer in der unabhängigen Ukraine.
Das Zusammentreffen der Präsidenten der Ukraine und Russlands war auf dem Ruhmesplatz geplant. Kurz bevor die Autokorsos der Staatsoberhäupter eintrafen, setzte Regen ein, doch für eine Absage oder Verschiebung der Zeremonie war es zu spät. Um das Fernsehbild nicht zu verderben, verzichteten die Präsidenten sogar während sie sich dem Denkmal des unbekannten Soldaten näherten auf die Begleitung der Bodyguards mit Regenschirmen. Das Wetter verschlechterte sich mit jeder Minute – der Regen wurde stärker und es erhob sich ein starker Wind. Der Tradition nach müssen die Staatsoberhäupter die Bänder am Kranz am Denkmal richten und als der ordentlich durchnässte Wiktor Janukowitsch seinen protokollarischen Pflichten nachkam und einen Schritt zurück machte, den Kopf zur Ehrenbezeugung neigend, trennte ein weiterer Windstoß den Kranz von der Befestigung und warf diesen auf das Staatsoberhaupt.
Der Platzregen und der Vorfall mit dem Kranz störten den Zeitplan der Staatsoberhäupter. Schnell, ohne die Presse und das obligatorische Pflanzen des Kalina-Strauches (Schneeballstrauch), ehrten sie das Gedenken an die Opfer des Holodomors und danach warteten sie, sich umziehend, im Gebäude der Präsidialadministration das Ende des Regens ab. Nach draußen gingen sie erst, nachdem sich das Wetter besserte und die Putzfrauen der Administration mit Schrubbern und Rollen das Wasser aus der roten Teppichbahn drückten. Später interpretierten Medwedjew und Janukowitsch das Unwetter zu ihrem Nutzen um.
„Im Internet gibt es bereits Bewertungen für den Beginn Ihres Besuchs. Das Volk sagt, dass dieser Regen zu Geld führt“, erklärte der Präsident der Ukraine vor dem Beginn der Verhandlungen im engen Kreis.
„Ich hoffe, dass dieser Regen das Negative wegwusch, was in der vorhergehenden Periode getan wurde und uns eine gute Grundlage für vollwertige, gutnachbarliche und freundliche Beziehungen zwischen unseren Ländern gibt“, vervollständigte Dmitrij Medwedjew seinen Kollegen.
Das Treffen der Staatsoberhäupter unter vier Augen und ebenfalls die danach folgende Sitzung der ukrainisch-russischen Regierungskommission brachten wesentlich weniger Überraschungen als erwartet. Wie der “Kommersant-Ukraine“ (siehe gestrige Nummer) mitteilte, wurden fünf vorher angekündigte Verträge unterzeichnet: über die Demarkierung der ukrainisch-russischen Grenze, eine Zusammenarbeit beim GLONASS Projekt, eine Partnerschaft der UkrEximBank und der WTB (Wneschtorgbank/Außenhandelsbank) und ebenfalls zwei Abkommen über gegenseitige Zusammenarbeit im humanitären Bereich. Zu den Erklärungen zu Fragen der europäischen Sicherheit und der Regulierung des Transnistrienproblems wurde eine Erklärung über die Sicherheit in der Schwarzmeerregion hinzugefügt.
Diese Erklärung, die in der Liste der zu unterzeichnenden Dokumente im letzten Moment auftauchte, besteht aus allgemeinen Deklarationen zur Bedeutung friedlicher Initiativen bei der Bekämpfung des Terrorismus, über die Notwendigkeit die Sicherheit der Schifffahrt zu unterstützen und die ökologische Sicherheit der Region zu stärken. Gesonderte Aufmerksamkeit verdient lediglich die These über „die Erweiterung der Zusammenarbeit zwischen der Schwarzmeerflotte der Russischen Föderation und den Seestreitkräften der Ukraine“, doch irgendwelche Verpflichtungen der Seiten in dieser Frage wurden im Text nicht angegeben.
Als umfangreichste (zwei Seiten Text) erwies sich die Erklärung zu Fragen der europäischen Sicherheit. Die Ukraine und Russland deklarierten, dass sie beabsichtigen gemeinsam die Idee der Schaffung eines neuen internationalen Dokuments „mit juristisch verbindlichen Garantien für gleiche und unteilbare Sicherheit für alle Staaten des euroatlantischen Raumes ohne Ausnahme“ lobbyieren wollen. „Wichtig ist, dass wir nicht nur Europa einladen, sondern auch andere Länder der euroatlantischen Region, die Teilnehmer der NATO, der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) und ebenfalls die Blockfreien“, unterstrich ein Gesprächspartner des “Kommersant-Ukraine“ in der Präsidialadministration. In der Erklärung der Präsidenten wird dabei hervorgehoben, dass im zukünftigen Vertrag „zuverlässige Sicherheitsgarantien für die Länder [vorgesehen sein sollen], die auf Atomwaffenarsenale verzichten“, das heißt für die Ukraine.
Auf der Pressekonferenz nach der Sitzung der Regierungskommission redeten die beiden Staatsoberhäupter bevorzugt nicht über Verträge und Erklärungen, die am Montag unterzeichnet wurden, sondern über den Durchbruch in den russisch-ukrainischen Beziehungen und die Pläne für die Zukunft. „Wir haben letztendlich einen vollwertigen ukrainischen Partner erhalten, das heißt eine normale Führung, die Entscheidungen trifft und diese umsetzt. Und noch sehr wichtig ist, wenn sich dein Partner nicht von momentanen politischen Konjunkturen, sondern von langfristigen Interessen leiten lässt“, machte Dmitrij Medwedjew Wiktor Janukowitsch ein Kompliment.
Übrigens erlaubt das neue Klima in den gegenseitigen Beziehungen Kiew und Moskau bislang nicht alle strittigen Fragen zu lösen. „Es gibt sehr prinzipielle Fragen, an denen man noch arbeiten muss. Eine von diesen ist die Abgrenzung unserer Seegrenzen“, konstatierte der ukrainische Präsident.
Janukowitsch hob noch den zweistelligen Anstieg beim gegenseitigen Warenumsatz im I. Quartal 2010 hervor und legte nahe, dass „dieser am Jahresende 35 Mrd. $ übersteigt“. Die Prognosen seines Kollegen kommentierend, machte Medwedjew eine ambitionierte Erklärung: „35-40 Mrd. sind es für den heutigen Tag. Doch für die Perspektive muss man ein anderes Ziel stellen – 100 Mrd. $“. Er konkretisierte dabei nicht die Frist für die Erfüllung dieser Aufgabe, doch aus dem Kontext seiner Erklärungen kann man den Schluss ziehen, dass die Rede von einer Prognose für den Warenaustausch in zehn Jahren geht.
Die Verhandlungen über Kooperationen von Staatsunternehmen der Ukraine und Russlands in einigen Branchen werden in der nächsten Zeit fortgesetzt, präzisierte Wiktor Janukowitsch: „Diese Branchen sind der Schiffbau, der Flugzeugbau, die Raumfahrtindustrie. Es gibt noch eine Reihe von energiewirtschaftlichen Projekten.“ Das Staatsoberhaupt vermied eine Antwort auf die Frage, ob Befürchtungen der Opposition bezüglich einer möglichen Aufgabe der Interessen der Ukraine bei Unterzeichnung zukünftiger Verträge gerechtfertigt sind. Dieses Thema kommentierte Dmitrij Medwedjew. „Das erste Prinzip ist, es müssen pragmatische Projekte sein, keinerlei Philantropie. Andernfalls wird sich eine der Seiten benachteiligt fühlen und die Zusammenarbeit bremsen“, sagte er.
Sich von den Journalisten verabschiedend, begaben sich die Präsidenten in das Kiewer Höhlenkloster (was ebenfalls eine Protokollveranstaltung war). Dabei ergab sich, dass eben zu dieser Zeit, nach einer vierstündigen Pause, es erneut zu regnen begann.
Sergej Sidorenko
Quelle: Kommersant-Ukraine