Die Politik des offiziellen Budapest erinnert immer mehr an eine schleichende (unmilitärische) Expansion auf das Staatsgebiet der benachbarten Ukraine. Gesetzwidrige Ausgabe von Pässen, Kauf der Loyalität der Einwohner Transkarpatiens, Schaffung eines Sprachghettos, und jetzt auch noch der Versuch, Kontrolle über wichtige Infrastrukturobjekte auf ukrainischem Boden zu erlangen.
Die Regierung Ungarns hat nicht vor, vom Konfrontationskurs mit der Ukraine abzuweichen, und wird weiterhin einen „diplomatischen Krieg“ führen. Dies teilte Ungarns Außenminister Péter Szijjártó mit. Die Machthaber des Landes drohen der Ukraine, ihre Integration in EU und NATO zu blockieren, sollte Kiew sein Bildungsgesetz nicht ändern. Und während diese Absichten bis vor Kurzem nur von Ministern geäußert wurden, hat inzwischen auch Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán diese Position bestätigt.
„Ich möchte den Ungarn in Transkarpatien versichern, dass die Regierung Ungarns, egal, wohin der Wind auch weht, ihre Position nicht ändern wird. Wir werden sie nicht nur hier und in Kiew, sondern auch in der EU entschieden vertreten. Und wenn Sie die jüngsten Ereignisse, auch in NATO und EU, verfolgen, können Sie Anzeichen grundlegender Aktivitäten ungarischer Diplomaten ausmachen“, erklärte Ungarns Ministerpräsident im Text einer Rede, die auf der Internetseite der ungarischen Regierung veröffentlicht wurde.
Ungarns Drohungen mit Bezug auf die EU sehen nicht allzu ernst aus: Ungarn hat selbst einen ernstzunehmenden Konflikt mit Brüssel, von dort kommen sogar Drohungen, das Land aus dem Rat der Europäischen Union auszuschließen. Außerdem strebt derzeit eigentlich niemand eine Aufnahme der Ukraine in die EU an: Man ist nicht einmal bereit, Kiew eine Aufnahmeperspektive zu eröffnen. Und das Assoziationsabkommen der Ukraine mit der EU ist ohnehin schon in Kraft. Somit wird viel Lärm gemacht, aber der Erpressungsversuch ist eher schwach.
Was die NATO betrifft, ist die Situation wesentlich gefährlicher. Über einen Beitritt der Ukraine wird zur Zeit zwar noch nicht verhandelt. Aber Ungarn hat selbst die Einberufung der NATO-Ukraine-Kommission blockiert, deren Sitzung für den 6. Dezember geplant war. Dabei stützte Ungarn sich auf das Einstimmigkeitsprinzip der Allianz. Natürlich wird sich die Budapester Intervention nicht auf die Umsetzung des Programms über die Zusammenarbeit der Ukraine mit der NATO und auf die laufende Umstrukturierung der ukrainischen Streitkräfte auswirken.
Dafür wird Ungarns Intervention für die NATO selbst weitreichende Folgen haben, wenn die Sitzung tatsächlich nicht stattfindet.
Erstens zeigt sich die Anfälligkeit der Allianz aufgrund ernster politischer Differenzen innerhalb der Organisation und ihre Unfähigkeit selbst in Friedenszeiten, sie aus dem Weg zu räumen. Könnte die NATO, sollte es zu Kriegshandlungen kommen, mit diesen militärischen Bedrohungen fertig werden? Hält sie ihr Versprechen der kollektiven Verteidigung?
Zweitens kann der Konflikt innerhalb der NATO Kiew dazu bringen, seine militärischen Pläne zur Westgrenze zu ändern. Früher war ja bereits davon gesprochen worden, dass einige Wahnwitzige in Ungarn einräumten, dass die Streitkräfte des Landes auf dem Staatsgebiet der Ukraine eingesetzt werden. Angeblich „zur Verteidigung der ukrainischen Ungarn“. Unklar ist aber, gegen wen. Und nur ernstzunehmendes ukrainisches Militärpotenzial kühlt den Feuereifer der „heißen ungarischen Kerle“ ab.
Ich möchte anmerken, dass eine ganz ähnliche Redensweise über den Schutz von Rechten, allerdings die der Russischsprachigen in der Ukraine, schon seit vier Jahren aus Russland zu hören ist, das die Krim okkupiert hat und im Donbass Krieg führt.
Außerdem erschüttert das eigenmächtige Handeln Ungarns den Glauben (nicht nur Kiews) daran, dass eine NATO-Mitgliedschaft wirksamen Schutz vor Aggressivität bietet und die territoriale Unversehrtheit der Allianz garantiert.
Gewöhnlicher Revanchismus
Budapests offizielle Politik erinnert immer mehr an eine schleichende (unmilitärische) Expansion auf das Staatsgebiet der benachbarten Ukraine.
Erstens gibt Ungarn schon lange unrechtmäßig ungarische Pässe an Bürger der Ukraine aus.
Zweitens wird auf staatlicher Ebene bereits von der Notwendigkeit gesprochen, ethnischen Ungarn im Ausland Autonomie zu gewähren. „Das Überleben der Ungarn im Ausland hängt davon ab, ob sie sich erfolgreich in Richtung Autonomie bewegen können“, erklärte schon im März dieses Jahres der stellvertretende ungarische Ministerpräsident Zsolt Semjén. Mit diesen Worten wurde er von der staatlichen Nachrichtenagentur MIT zitiert.
Das Gleiche hat er vor Kurzem, am 15. November, wiederholt. Auf der Internetseite der ungarischen Regierungspartei Fidesz erschien eine Erklärung Semjéns, in der er unterstrich, dass in der ungarischen Gesellschaft und in der ungarischen Parlamentsszene ein „allgemeiner Konsens“ darüber bestehe, dass die Auslands-Ungarn das Recht auf Autonomie, die ungarische Staatsangehörigkeit und das Wahlrecht haben.
Der Ideengeber für diese Vorstellung, der Politikwissenschaftler und Anhänger der nationalistischen Partei Jobbik, Márton Gyöngyösi, forderte nicht nur Autonomie für das Gebiet der Oblast Transkarpatien, wo es eine zusammenhängende ungarische Bevölkerung gibt, sondern sprach sich auch gegen die allgemeine Mobilmachung in der ukrainischen Region aus. „Man muss der ungarischen und russinischen Minderheit vollständige Autonomie gewähren“, erklärte Gyöngyösi.
Drittens versucht Budapest, in Transkarpatien einen gemeinsamen Sprach- und Kulturraum mit Ungarn zu bewahren, indem man den Einfluss der Ukraine beschränkt. Deswegen reagierte Budapest auch so empfindlich auf das ukrainische Bildungsgesetz: Es stört die Pläne der ungarischen Machthaber, das von ihnen auf ukrainischem Staatsgebiet geschaffene Sprachghetto zu unterstützen.
Viertens erkauft sich Budapest die Loyalität der Transkarpaten durch materielle Hilfe für Ärzte und Lehrer, kostenloses Essen oder Impfungen für jüngere Kinder sowie Kredite für kleine Geschäftsleute in Transkarpatien.
Und auch Ungarns Finanzierung des Baus von Infrastrukturobjekten in Transkarpatien (zum Beispiel 50 Millionen Euro für die Straße Berehowe-Mukatschewo) erscheint im Kontext der Erklärungen der ungarischen Regierung in ganz anderem Licht.
Aber neben der Straße interessieren sich Orbán und seine Leute noch für ein anderes wichtiges ukrainisches Objekt: den internationalen Flughafen Uschhorod, ein kommunales Unternehmen der Oblast Transkarpatien. Und es geht nicht um Lizenzen für den ungarischen Billigflieger „Wizz Air“ für regionale Flüge ab Uschhorod, die Transkarpatien dringend braucht. Sondern um den Versuch, vollständige Kontrolle über den Flughafen zu bekommen.
„Fühlen Sie sich wie zu Hause, aber vergessen Sie nicht, dass Sie hier zu Gast sind“
Im September 2017 begann die ungarische Regierung, systematisches Interesse am munizipalen Flughafen Uschhorod zu zeigen. Anfangs traten ungarische Diplomaten in der Oblast Transkarpatien in Dialog mit der Leitung der transkarpatischen Oblast-Verwaltung und sprachen über eine langfristige Vermietung des Flughafens an die ungarische Consulting-Firma „XANGA Investment & Development Group“ oder die GmbH „Aeroport Debrecen“. Später ging es auch um einen möglichen Verkauf des Flughafens an die ungarische Seite.
Wie LB.ua von der transkarpatischen Oblastverwaltung erfahren hat, traf am 26. September 2017 eine ganze Delegation (bestehend aus etwa zehn Personen) am Flughafen ein, zu der technische Aeronavigations-Spezialisten des ungarischen Verkehrsministeriums sowie Diplomaten aus dem ungarischen Konsulat in Berehowe gehörten.
Es muss angemerkt werden, dass sich die Ungarn für spezifische technische Charakteristika des Flughafens interessierten (für den Koeffizienten der Belastung der Start- und Landebahn und das Vorhandensein von Abwasserleitungen), für Aeronavigationsdaten (Abflug- und Landekorridore, vorhandene Einschränkungen) und auch für meteorologische Daten (Windrichtung und Einfluss der Berglage auf Landemöglichkeiten unter schwierigen meteorologischen Bedingungen).
Die Delegation hat auch Betriebsobjekte in der Kontrollzone besichtigt, so etwa die Abflug- und Landebahn, das Lichtsignalsystem, den Tower und auch die transkarpatische Zentrale der regionalen Abteilung der Dnepropetrovsker „UkrAeroRuch“. Parallel dazu wurden der allgemeine Flughafenplan, Elemente der Start- und Landebahn (Risse, Dicke des Belags und Ähnliches) und das Lichtsignalsystem fotografiert.
Die ausländischen Spezialisten erhielten auch Informationen über die Unfall- und Rettungsmaßnahmen des Flugunternehmens in Extremsituationen wie einem Absturz (Zahl der Feuerwehrleute, Eigenschaften der Feuerwehrfahrzeuge, vorhandene Wasserspeicher usw.).
Am 7. Oktober kam auch der ungarische Generalkonsul in Uschhorod, Buhajla József, zum Uschhoroder Flughafen. Er überprüfte den Flughafen daraufhin, ob er für den Charterflug mit einer ungarischen Regierungsdelegation mit dem Minister für Außenpolitik und internationale Wirtschaft Péter Szijjártó an der Spitze geeignet ist.
Ja, es war gerade dieser Besuch, den Ungarns außenpolitische Behörde nicht mit Kiew abgesprochen und bei dem sie die ukrainische Seite einfach vor vollendete Tatsachen gestellt hat. Außenminister Szijjártó kam in die Ukraine und lehnte ein Treffen in Uschhorod mit seinem ukrainischen Amtskollegen Pawlo Klimkin ab.
Dieser Skandal zeigte deutlich, dass sich die ungarischen Staatsbeamten im ukrainischen Transkarpatien bewusst provokant benehmen und sich nicht um Verhaltensregeln für Besucher scheren. Denn sie fühlen sich hier nicht als Gäste.
Investor oder „trojanisches Pferd“?
Ausländische Investitionen in die ukrainische Wirtschaft und insbesondere in die Infrastruktur sind zweifelsohne wichtig und nötig. Aber nicht weniger wichtig ist auch die Wahl der Partner. Gerade in der neuesten ukrainischen Geschichte gibt es zahlreiche Fälle, bei denen ausländische Investoren sich als „Wolf im Schafspelz“ erwiesen haben.
Man kann hier an das Saporoscher Aluminiumkombinat (SALK) erinnern, das der russische Oligarch Oleg Deripaska gekauft hat, um es zu vernichten. Oder wie derselbe Deripaska das Charkiwer Traktorenwerk (ChTS) übernommen hat, um dort die gesamte Produktion von Haubitzen zu vernichten.
Oder die staatliche Assoziation „Askond“, die sich nach der auftragsgemäßen Privatisierung für „Chartron“ interessierte, eine ukrainische Holding zur Entwicklung, Herstellung und Verwendung automatischer Steuerungssysteme für kosmische Raketentechnik. Nur knapp konnte man sie vor der feindlichen Übernahme mit Plänen eines russischen Investors zur vollständigen Defragmentierung des Unternehmens retten.
Es gab da auch noch das analytische Finanzunternehmen „Sistema“, das „Totschmasch“ gekauft hat, um dort die Produktion von Munition großen Kalibers zu vernichten. Abgesehen davon, dass Andrej Kljujew alle Großanlagen von „Kremnijpolimer“ zur Herstellung von Chips an Russen vermietet hat.
„Lukojl“ hat sich um den petrochemischen Komplex „Oriana“ (Oblast Kalusch Iwano-Frankiwsk) gekümmert, um der Ukraine ihren Vinylrohstoff für die Herstellung von Vakuummunition zu nehmen.
Und was ist mit dem Flughafen in Uschhorod? Er hat eine 2040 Meter lange Start- und Landebahn, was ihn zum einzigen Flughafen in der Oblast Transkarpatien macht, der sowohl für Boeing-Passagierflugzeuge als auch für Il-76-Militärtransporter geeignet ist. Gerade hier kann man Transportverbindungen mit dem übrigen ukrainischen Staatsgebiet einrichten, wenn es keine Landverbindungen (Autostraßen und Bahnverbindungen) gibt: wenn die zum Beispiel von demonstrierenden Einwohnern mit ungarischen Pässen blockiert werden. Oder von Natur- oder anderen Katastrophen beschädigt wurden (möglicherweise auch mit Absicht).
Sollte man also die eigenen Fehler wiederholen und freiwillig Staatsgebiet an Machthaber eines Nachbarlandes abtreten? Noch dazu an einen so feindlich gesinnten wie Orbán oder andere revanchistische Politiker wie ihn?
Ich meine, unter Berücksichtigung der oben erwähnten destruktiven (und sogar feindlichen) Handlungen des offiziellen Budapest gegenüber der Ukraine wäre es strategisch kurzsichtig, ja schlicht gefährlich, ein kritisches Infrastrukturobjekt der Oblast Transkarpatien vollständig ungarischer Kontrolle zu überlassen. Umso mehr, wenn man die enge Handlungskoordination von Budapest mit Moskau berücksichtigt.
20. November 2017 // Igor Solowej, Leiter der Abteilung „Welt“
Quelle: Lewyj Bereg
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