In Israel starb der Vater meines guten Freundes. Ich war mit dem Verstorbenen bekannt, deswegen war mein Wunsch, Mitleid auszusprechen weder spontan noch ein Ausdruck ritueller Art. Von Herzen hatte ich das Bedürfnis einen Menschen in schwierigen Stunden zu beruhigen. Mitleid auszusprechen und mich zu erinnern, was für ein interessanter und guter Mensch der Verstorbene war. Nach sieben Tagen Trauer schrieb der Sohn einen so eindringlichen Text zur Verabschiedung von seinem Vater, dass ich mich in die Erinnerungen an die Verabschiedung meiner eigenen nächsten Verwandten wieder hineinversetzen konnte. Und mich erinnern, was ich in diesen Stunden fühlte, als von heute auf morgen die Verbindung zu ihnen auf ewig abbrach.
Vollkommen anders verlief die Informationskampagne rund um den Tod des Vaters des fünften Präsidenten der Ukraine Petro Poroschenko. Und das war nicht die Schuld seiner Gegner. Kurz vor einer Gerichtsverhandlung über die Verhängung von Vorbeugemaßnahmen für Poroschenko, in einem der Strafprozesse über einen Kanal, dessen Miteigentümer er ist, wurde eine wahre Hysterie ausgelöst. Verschiedene „handgesteuerte“ Experten versuchten nach allen Kräften zu beweisen, dass die zynische und unmenschliche ukrainische Regierung eine wahre Vendetta gegen Petro Poroschenko ausgerufen hat. Und das nicht, weil er die Gesetzgebung verletzt hat, der umfangreichen Korruption sowie finanziellen Missbrauchs verdächtigt wird, sondern weil er Anführer der wahren Opposition ist, denn nur er wird die Ukraine retten.
Noch weiter gingen Politiker aus der Epoche Poroschenkos und seine Anführer machten sich öffentlich Gedanken. Das ehemalige Oberhaupt der Werchowna Rada Andrij Parubij war lakonisch. Er gab Präsident Wolodymyr Selenskyj die Schuld am Tod des 84-jährigen Olexij Poroschenko. Und rief alle, die nicht gleichgültig seien, dazu auf, auf den Majdan zu gehen. Der „Staatsmann“ Jurij Birjukow ging noch weiter. Ich erlaube mir, seinen Post aus den sozialen Netzwerken im Original [auf Russisch A.d.Ü.] zu zitieren. Entschuldigen Sie, dass es nicht die Amtssprache [Ukrainisch A.d.Ü.] ist. Birjukow schreibt: „Sein Vater starb heute Nacht, erledigt von dem ständigen Druck durch die Prozesse und Vorladungen seines Sohnes. Seine Mama starb 2004, als Kutschma versucht hat, sich Roschen unter den Nagel zu reißen. Dem ist nichts hinzuzufügen. Aufrichtige Anteilnahme.“
Weiter spitzte sich die Lage zu im Umkreis um das Datum der Gerichtsverhandlung und die Zeit des Begräbnisses des Vaters. Ich werde Petro Olexijowytsch [Poroschenko A.d.Ü.] nicht der zynischen Instrumentalisierung dieser für jeden Menschen traurigen Angelegenheit beschuldigen, aber seine Anträge aus diesem Anlass und die Position seiner Anwälte werfen kein gutes Licht. Poroschenko und die Anwälte hielten starr an ihrer Linie fest, wohlwissend, dass sich die Generalstaatsanwältin der Ukraine Iryna Wenedyktowa mit einem Gesuch für die Verschiebung des Gerichtstermins aus schwerwiegenden Gründen eingesetzt hat. Das heißt, Poroschenko und Familie beschlossen, die bittere Tasse bis zum Boden auszutrinken, und deshalb baten sie nicht um Verlegung des Gerichtstermins. [Der Gerichtstermin war am Donnerstag, den 17. Juni. Die öffentliche Verabschiedung und die Beisetzung fanden am Freitag, den 18. Juni statt. A.d.R.]
Das ist wirklich schwer in den Kopf zu bekommen. Denn die Anwälte, wenn nicht Poroschenko selbst, haben bestens verstanden, welche Resonanz eine Verhandlung über eine Person hervorruft, der es nicht gestattet wurde, den Vater zu begraben. Ich erinnere daran, dass die Gerichtsverhandlung zur Auswahl von Sicherungsmaßnahmen stattfinden sollte – also die Abgabe einer Kaution oder Untersuchungshaft. Kann sich jemand einen ukrainischen Richter vorstellen, der die Entscheidung fällen würde, einen Sohn festzunehmen, der einen unbegrabenen Vater auf dem Gewissen hat? Natürlich nicht.
Deshalb stand diesem genauestens vorbereiteten Szenario auch ein Brief von Frau Wenedyktowa nicht im Wege. Der bekannte russische Anwalt Illja Nowikow, der Poroschenko verteidigt, gab an, dass die Familie nicht um eine Verlegung des Gerichtstermins gebeten habe. Dass Petro Olexijowytsch [Poroschenko A.d.Ü.] auf jeden Fall zum Prozess kommt, da das für ihn Ehrensache sei. Oha! Monatelang vermied der fünfte Präsident es, die Strafverfolgungsbehörden aufzusuchen, lehnte es ab, Benachrichtigungen über Strafprozesse entgegenzunehmen, und im dramatischsten Moment für sich und die Familie entbrannte in ihm der Wunsch, bei Gericht zu erscheinen. Und noch etwas, warum konnte er sich nicht selbst um die Verlegung der Gerichtsverhandlung bemühen? Er hatte allen Grund dazu, sowohl menschlich als auch rechtlich.
Lag es daran, dass vor dem Petschersker Gericht in Kiew schon eine stark besuchte Kundgebung angesetzt war? Dem Auftritt vor seinen Verehrern nach zu urteilen, war das Szenario wichtiger als hunderte andere Dinge. Und selbst hier spielte er eine Rolle. Am Anfang die Rolle des zweifachen Opfers der jetzigen „antiukrainischen“ Regierung: Den Vater hat er verloren und die politischen Verfolgungen dauern an. Und danach schrieb er sich einfach einen politischen Preis zu. Nach dem Motto, ich werde verfolgt, denn nur ich kann die prorussische Revanche stoppen.[von Poroschenko und seiner Umgebung verbreitetes Narrativ in Bezug auf die Wahlniederlagen im vorigen Jahr, die als russisches Szenario und Zurückdrehen der „Errungenschaften“ des Majdans verkauft werden. A.d.R.] Denn nur ich kann die Ukraine in der internationalen Arena schützen.
Zweifellos gingen Poroschenkos Worte auf dieser Kundgebung sofort direkt ins Herz der Anwesenden, denn da waren nur seine Anhänger. Sie dachten auch nicht einen Moment daran, dass die russische Vergeltung und Medwetschuks Begeisterung für ukrainische Fernsehkanäle gerade in der Amtszeit des fünften Präsidenten zu üppiger Blüte herangewachsen sind. [Gemeint ist Wiktor Medwedtschuk der Chef der mit Russland sympathisierenden Oppositionsplattform, der in der Poroschenko-Spätphase drei Nachrichtensender offiziell erwarb. A.d.R.] Dass Petro Olexijowytsch jene Punkte des Minsker Abkommens unterschrieben hat, von denen heute die ganze Welt nicht weiß, wie damit umzugehen ist. Es ist verständlich, dass die Zeiten schwer waren, aber dann darf man nicht sagen, dass die jetzige Regierung Putin etwas schenkt. Am meisten hat die Ukraine gerade unter Präsident Poroschenko verschenkt.
Poroschenko vergaß nicht daran zu erinnern, dass er die ganze Zeit, schon nicht mehr als Präsident, durch die Welt gereist ist und das Verteidigungssystem für die Ukraine ausgebaut hat. Ja, er ist gereist, aber er organisierte ein Verteidigungssystem für sich selbst. Sogar die Europäische Volkspartei, der verschiedene Politiker angehören wie Donald Tusk und Ungarns Präsident Viktor Orban, gab schon an, die Strafverfolgung Poroschenkos habe „politischen Charakter und ist ein Beispiel für selektive Justiz“. Schwer zu sagen, worum es in dieser Stellungnahme mehr geht: den fünften Präsidenten der Ukraine über das Gesetz zu stellen oder keine Kettenreaktion in der Ukraine und der Welt zuzulassen.
Und nun zum Kern der Sache. Warum muss sich Petro Poroschenko, um Strafverfolgung zu vermeiden, zu solchen Tricks hinreißen lassen? Das Problem besteht nicht nur darin, dass es ihm gelungen ist, Spuren vieler zweifelhafter Finanzgeschäfte zu „bereinigen“, die Angelegenheiten zum Staatsverrat sind fast unbeweisbar. Um eine unvoreingenommene Verfolgung zu vermeiden, muss sich Poroschenko der Unterstützung der Demonstrierenden auf der Straße bedienen. Und damit jegliche Strafsache gegen ihn auf das politische Spielfeld überführen. Genau damit bewahrt er Führungspositionen für sich und verteidigt sich mit dem Fakt der politischen Verfolgung.
Andererseits liegt das Problem im Fehlen qualifizierter juristischer Kader bei den heutigen Strafverfolgungsbehörden sowie im nicht reformierten und korrumpierten Justizsystem. Bei solcher Inkompetenz in den Strafverfolgungskadern können diverse Shows einen immer retten. Denn die wenigsten möchten im Zentrum eines Skandals enden und sich mit Inkompetenz verewigen.
Sogar Nicht-Juristen ist klar, dass der Fall der nicht gesetzeskonformen Ernennung von Semotschko nicht der aussichtsreichste ist. [Gemeint ist das aktuelle Verfahren wegen der Ernennung von Serhij Semotschko zum Stellvertreter des ukrainischen Auslandsgeheimdienstes im Jahre 2018. A.d.R.] So wie der vom ehemaligen Generalstaatsanwalt Ruslan Rjaboschapka blockierte und vom Staatlichen Ermittlungsbüro nachlässig vorbereitete Anfangsverdacht. Juristische Nachlässigkeit bei Verdachtsfällen des Staatlichen Ermittlungsbüros – das ist der direkte Weg zur Vermeidung strafrechtlicher Verantwortung der Akteure. Daher kommt auch das „Katz-und-Maus“-Spiel zwischen Poroschenko und dem Staatlichen Ermittlungsbüro zum Beispiel im Hinblick auf die Einfuhr von Bildern russischer Künstler unter dem Deckmantel des Ehrenkonsulats der Seychellen. Poroschenko ist es nicht zu schade, in zwei Tagen eine „Ausstellung“ im Iwan-Hontschar-Museum zu organisieren. Seine Mitstreiter zusammenzurufen und ergebene Journalisten, um zu zeigen, wie wichtig Kunst ist und wie unzivilisiert und brutal die Mitarbeiter des Staatlichen Ermittlungsbüros sind.
Das ist keinesfalls eine Vendetta und Versprechen des „Einbuchtens“ nicht als Laune, Selbstgenügsamkeit und geschweige denn als Rachegelüste der amtierenden Regierung betrachten. Der Wunsch, ihn „einzusperren“ rührt aus der gesellschaftlichen Nachfrage nach Gerechtigkeit. Der Wunsch, unterschiedslos Kleptokraten, Verbrecher, Korrupte zu bestrafen. Der Wunsch, endlich ein gerechtes Gericht im Land zu bekommen. Und diejenigen, die irgendwie versuchen diesem Wunsch zu widersprechen, die sich mittels verschiedener Manipulationen schützen, sind zu politischer Marginalisierung verdammt. Sie haben sich als nationalen Anführer den Menschen mit den größten Ablehnungswerten ausgesucht. Einen Menschen, der, um sich selbst zu schützen, geschäftig dabei ist, alle möglichen immateriellen Werte zu opfern. Einen Menschen, der für den persönlichen Schutz bereit ist zur Missachtung der Ideale des Majdan. Der Vabanque geht, sich dessen bewusst, dass die Missachtung von beiden Seiten aus passiert. Wenn die Anhänger des fünften Präsidenten versuchen, alle Errungenschaften des Majdan und der Revolution der Würde Poroschenko zuzuschreiben, womit sie kein Einverständnis hervorrufen, dann geschieht das zugleich bei vielen Bürgern des Landes. Es ist ärgerlich, aber so ist es. Doch die amtierende Regierung grenzt sich leider nicht von den Attacken der Ukraine-Hasser ab. Und alle zusammen tragen zur Abwertung der Ideen des Majdan bei. Die Einen, indem sie zu einem neuen Majdan aufrufen, um ihre „gerösteten“ Körper zu verdecken, die anderen, indem sie sich mit den offenen Gegnern der Revolution der Würde passiv „solidarisieren“.
Anstelle von Schlussfolgerungen. Das ist keine Verfolgung des Anführers einer gesamtnationalen Opposition. Denn das ist Poroschenko nicht. Es ist der Kampf eines Menschen darum, unter politischem Deckmantel die Bestrafung für Taten zu vermeiden, die mit der Ausnutzung der höchsten Staatsposition in Verbindung stehen, zum Ausbau eines breiten Korruptionssystems im Land und zum Erlangen eigener materieller Vorteile. Mit solchen Aktionen und Performances schützt Poroschenko sich und sein Geschäft. Und selbst mit bloßem Auge ist zu sehen, dass es ihm nicht um die nationale Einheit geht. Und die These, dass man ihn nicht mehr kritisch erwähnen muss, da er nicht Präsident ist, ist gewöhnliche primitive Manipulation, darauf ausgerichtet den Mund zu verbieten.
19. Juni 2020 // Wassyl Rassewytsch
Quelle: Zaxid.net
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