Man kann über das Verhalten Selenskyjs an der Kontaktlinie viel diskutieren und sich streiten. Man kann ihn mit Petro Poroschenko vergleichen. Doch sowohl der eine als auch der andere „machten Bilder“ als sie unter den Militärs weilten. Der Unterschied besteht nur in den Emotionen, die diese Bilder hervorriefen, auf wen sie abzielten und welche Instrumente dafür benutzt wurden. Alle wichtigen Fragen werden immer ohne Kameras gelöst und das muss man sich merken.
Sowohl der jetzige als auch der vorherige Präsident hatten Probleme bei der Kommunikation mit der Gesellschaft. Und während man von den Fehlern Poroschenkos jetzt lernen muss. So hängt von den Fehlern Selenskyjs die Situation im Lande ab.
Das Kommunikationsproblem des Teams Se[lenskyj] besteht darin, dass sie sich in ihrer Blase eingeschlossen haben. Die neue Regierung kommuniziert mit einem bedeutend größeren Auditorium, als das die vorherige Administration tat. Doch das sind nicht die Leute, die ihre Position aussprechen und aktiv werden. Die aktive Minderheit erhält keine Rückmeldung. Und eben die aktive Minderheit geht auf die Straße und zu Protestaktionen. Und dieses Problem muss schnellstmöglich gelöst werden. Denn Änderungen werden immer von der aktiven Minderheit gemacht und nicht von der passiven Mehrheit. So gingen zur Aktion „Nein zur Kapitulation“ politische Parteien und ihre Anhänger, doch waren es auch viele derer, die weder den ehemaligen, noch den jetzigen Präsidenten unterstützen. Darum muss darauf reagiert werden.
Es gab eine Reaktion und sie war nicht derart, wie sie sich die Mehrheit wünscht. In jeder Kommunikationskampagne ist der visuelle Effekt wichtig. Daher reagieren in der modernen Welt die Leute vor allem darauf, was sie sehen, und nicht darauf, was ihnen erzählt wird, welches Narrativ ihnen näher gebracht wird.
Von den ersten Tagen der Regierungszeit an zeigte sich Selenskyj als „Friedenspräsident“. Für ihn existierten weder Krieg noch Opfer, wie es jeder seiner Auftritte oder Erklärungen demonstrierte. Er sprach von komplett anderen Problemen und Fragen. Die erste Fahrt in die Zone der Operation der Vereinten Kräfte zeigte das ebenfalls. Er sah unsicher, teils eingeschüchtert aus, wie ein Büroarbeiter, den man gerade von seinem Tisch entfernt hat, eine unbequeme Schutzweste anzog und in den Graben setzte. Damals war das für ihn ebenfalls ein Mittel der Kommunikation mit der Gesellschaft. Ein Mittel der Desakralisierung des Präsidentenpostens, sich selbst dem „Kriegspräsidenten“ Poroschenko gegenüberstellend. Für einen Teil der Gesellschaft sah dieses Verhalten logisch aus, andere lachten, andere konnten nicht verstehen, wie er Entscheidungen treffen wird.
In den ersten Monaten setzte Selenskyj dieses Verhalten fort, zwang nicht dazu ihn wie Poroschenko vor Karten aufzunehmen, arrangierte keine Kränzchen mit Kriegsteilnehmern und stellte keine pathetischen Fotos aus. Doch konnte er nicht lange „zivil“ in einem Lande bleiben, das kämpft. Die letzte Reise ist nicht nur ein Konflikt mit den „Asow-Leuten“. Das ist ein neues Bild Selenskyjs: er zog Tarnkleidung an, blieb über Nacht, interessierte sich mehr für die Situation und umgab sich mit einer großen Zahl an Militärs. Dabei antwortete er nicht direkt auf die Fragen der örtlichen Bevölkerung zu Entflechtung, Frieden, Sicherheit. Das waren nur allgemeine Antworten, Fragen auf Fragen, Richtigstellungen.
Dieses Verhalten ist durch mehrere Faktoren bedingt: der Plan zur schnellen Befreiung aller Gefangenen und der Entscheidung über die Entflechtung und den Waffenstillstand hat nicht funktioniert; im Präsidentenbüro begreift man, dass zehntausende Menschen auf den Straßen nicht nur Anhänger Poroschenkos sind, sondern auch aktive Bürger; man muss Stärke sowohl den Protestierenden (sie nicht auseinanderjagend) als auch den Gegnern zeigen.
Und hier ist der Gegner nicht nur Poroschenko, sondern auch [Innenminister] Arsen Awakow. Das Gesetz über die Unterstellung der Nationalgarde dem Präsidenten wurde „erfolgreich“ im Parlamentsausschuss begraben. Der ewige temporäre Awakow begann Kräfte zu sammeln und mit Hilfe der von ihm kontrollierten Organisationen auf Selenskyj Druck auszuüben. Und das Schlimmste ist, dass die Konfrontation Selenskyj-Asow aus den Kabinetten in Kyjiw an die Frontlinie verlegt wurde. „Asow“, Nazionalnyj Korpus sind vor allem Awakow und erst danach die Nationalgarde und die entsprechende politische Bewegung. Daher flog Awakow am Montag nach der „Diskussion“ des Präsidenten mit einem der Freiwilligen in Solote nach Mariupol die eigenen zu unterstützen und besuchte ein mobiles Zentrum von „Asow“.
Für diejenigen, die dienten, ist es kein Geheimnis, dass die Armee „Asow“ und die von Awakow kontrollierten Strukturen nicht mag. Daher zielt das neue Verhaltensmodell Selenskyjs (darunter visuell) auf den Erhalt von Unterstützung aus dem aktiven Teil der Gesellschaft ab, auf den sich gerade die Kommunikation des Präsidentenbüros nicht erstreckt. Er möchte zum „Eigenen“ für die Streitkräfte werden, um Awakow etwas gegenüberstellen zu können. Das bestätigen die Erklärungen der Awakow-nahen Organisationen, deren Vertreter damit begannen die Militärs mit Äußerungen über Verrat, die Unfähigkeit sich selbst und die Ukraine zu schützen anzugreifen.
Dieses Verhalten hat seine Plus und Minus. Das Minus ist offensichtlich: Politik an der Front spielen ist gefährlich, denn es ist schwer vorherzusehen, worauf das hinauslaufen kann. Die schlechteste Variante ist ein bewaffneter Konflikt zwischen den Einheiten. Dagegen gibt es auch eine wichtige Nachricht für Russland, wovon dessen Attacken auf Selenskyj zeugen. Er begriff, dass er der Präsident eines Landes ist, das kämpft und dass er dem nicht entkommen kann. Russland Stärke zu zeigen, ist normal und muss getan werden. Die Handlungen der eigenen Armee unterstützen, ist ebenfalls notwendig. Gleichzeitig ist es ein Signal für Europa, dass er bereit ist, schwierige Entscheidungen zu treffen und nicht für einen abstrakten Frieden zu allem bereit ist.
30. Oktober 2019 // Stanislaw Besuschko
Quelle: Zaxid.net
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