Schadet der Geheimdienst (SBU) den ukrainischen nationalen Interessen?


Als die Ukraine vor zwei Wochen die tschechischen Diplomaten wegen „Spionage“ ausgewiesen hat, entstanden praktisch sofort danach Versionen über die politischen Motive dieses Vormarschs.

Selbst der tschechische Außenminister bezeichnete die politische Ausweisung als mögliche Rache dafür, dass Bohdan Danylyschyn politisches Asyl gewährt wurde. Das offizielle Kiew hat, wie zu erwarten war, alle Vorwürfe zurückgewiesen und dadurch ein ironisches Lächeln auf vielen Gesichtern hervorgerufen.

Es lässt sich aber vermuten, dass die ukrainische Diplomaten nichts zu verbergen hatten und Bohdan Danylyschyn wirklich nichts damit zu tun hat. Die Ausweisung der tschechischen Diplomaten könnte von einem größeren geopolitischen Spiel zeugen.

Wendepunkt in der europäischen Geschichte

Ab dem ersten Juli übernimmt Tschechien die Präsidentschaft in der Visegrád-Gruppe, deren Mitglieder Polen, die Slowakei, Tschechien und Ungarn sind. Die 1991 gegründete Allianz agierte überwiegend bis heute als Forum für Verhandlungen zwischen den vier mitteleuropäischen Staaten. Die Allianz setzte sich auch als eine humanitäre Organisation ein, die Nichtregierungsorganisationen (NGOs) förderte und Stipendien an Studenten, unter anderem an ukrainische, vergab.

Am 12. Mai hatte aber die Visegrád-Gruppe einen entschlossen Kurs in Richtung auf materielle Zusammenarbeit eingeschlagen. Die Verteidigungsminister der Visegrád-Gruppe trafen sich in der Levoča, das in der Mittel-Slowakei liegt, um den Beschluss über eine faktische Militarisierung der Gruppe zu billigen.

Bis 2016 ist es geplant, eine gemeinsame militärische Gruppe unter Leitung von Polen zu gründen, d.h. eine „einsatzbereite taktische Gruppe“, die unabhängig von der Nato existieren würde. Ab 2013 werden die Armeen der Visegrád-Gruppe noch unter Nato Ägide ein gemeinsames Militärmanöver durchführen.

Der amerikanische Analytiker George Friedman ist einer der ersten, welcher der Bedeutung dieser Gruppe Aufmerksamkeit schenkte. „Manchmal ist es wichtig zu erkennen, dass die Ereignisse, die heute vielleicht nicht signifikant sind, in zehn Jahren an Bedeutung gewinnen werden. Ich denke, dass diese Gruppe ein solches Phänomen ist. Sie setzt ein Zeichen in der europäischen Geschichte“, schrieb er am 17. Mai in einem Artikel für seine einflussreiche Webseite Stratfor.

Nach der Meinung von George Friedman stellt dieses Ereignis einen Wendepunkt im Bewusstsein der Mitteleuropäer dar.

Im Laufe der Jahrzehnte nach dem Zerfall des Kommunismus enthielten sich die Länder eigener Initiativen in Bereichen der Verteidigung und Geopolitik. Sie standen unter dem Schutzschirm der Nato, heute sind sie aber dessen bewusst, dass weder die USA noch Europa sie schützen werden.

Die Nato ist sich nicht einig und Deutschland, das der mächtigste europäische Staat ist, hofiert offen Russland. Die Visegrad-Staaten sind sehr vom Westeuropa enttäuscht.

„Der Kalte Krieg liegt in der Vergangenheit und es ist heute fraglich, ob die Nato imstande ist, die Region effektiv zu schützen. Dabei lässt sich auch nicht mit voller Sicherheit sagen, dass die Nato als ein Block gemeinsam agieren kann. Die Verteidigungsinitiative der Visegrád-Gruppe ist nicht nur eine Botschaft an die USA, sondern auch an Deutschland. Sie zeugt davon, dass sich die Länder nicht sicher sind, ob Deutschland der Nato treu bleibt und dass die Nato in der Lage ist, eine kollektive Sicherheit zu gewährleisten“, – erklärte George Friedman in einem Kommentar für Deutsche Welle.

Es kann auch sein, dass der Visegrad-Militärblock nichts anderes als ein geopolitisches Phantom bleibt. Heute lohnt es sich nicht äußerst fantastische Szenarien über die Einbeziehung des Baltikums, des Balkans und der von der Eurointegration enttäuschten Türkei zum Block zu prüfen. Eine solche Vereinigung im Geiste von Międzymorze (Zwischenmeerland), wie sie sich Józef Piłsudski vorstellte, hätte eine Herausforderung für den Westen und Russland sein können.

Jedoch ist es nach den heutigen Ereignisse sehr wahrscheinlich, dass der Wunsch nach einer eigenen Militärgruppe außerhalb der euroatlantischen Strukturen mit der Zeit zur Bildung einer neuen Sicherheitsstruktur in Mitteleuropa führen wird. Dies würde die Machtkonstellationen in der ganzen Region ändern und damit eine starke globale Auswirkung haben.

Eine mitteleuropäische Nato: mit der Ukraine oder ohne?

Für viele ukrainische Leser ist es vielleicht eine große Überraschung, dass der ukrainische Verteidigungsminister Myhajlo Jeschel an dem historischen, doch in den Nachrichten nur wenig beachteten Treffen, das am 12. Mai stattfand, teilnahm.

Die offizielle Nachricht des Verteidigungsministeriums darüber ist zugänglich. Zwischen ihren trockenen bürokratischen Zeilen kann man einen zurückhaltenden aber gleichzeitig auffallenden Wunsch nach einem Beitritt zu der Visegrád-Gruppe lesen.

Beim Treffen wurde die Mitgliedschaft der Ukraine und eventuelle Militärmanöver der Visegrád-Gruppe auf ihrem Territorium besprochen. Auf den offiziellen Fotos sieht der Verteidigungsminister fast so aus, als ob er Vollmitglied der neuen Vereinigung wäre.

Fotografieren war nicht das einzige, womit sich Myhajlo Jeschel in Levoča befasste. Er hat zwei Flugzeuge und zwei spezielle Kompanien der ukrainischen Armee zur Verfügung gestellt. Es wurden auch zwei Vereinbarungen über die militärische Zusammenarbeit mit Polen und Tschechien unterzeichnet. Zum Schluss schlug der ukrainische Minister seinen Kollegen vor, das Antonow-Werk zu besichtigen.

Am nächsten Tag, am 13. Mai, wurden aus der Ukraine zwei tschechische Diplomaten wegen der Spionage im Bereich des Flugzeugbaus ausgewiesen.

Die Politik ist ohne Zweifel reich an großen Zufällen. Diese Version ist nicht die überzeugendste Version, gleichzeitig wäre es aber sinnvoll in Erwägung zu ziehen, dass nur eine enge Zusammenarbeit zwischen Kiew und den Staaten der Visegrád-Gruppe solch eine demonstrative Ausweisung der tschechischen Diplomaten hätte hervorrufen können.

Unter anderem ist die Verteidigungsinitiative nicht nur das einzige, was die Beziehungen zwischen Kiew und den mitteleuropäischen Staaten belebte. Am 11. Mai fand in Kiew ein Treffen zwischen dem politischen Leiter des Verteidigungsministeriums der Visegrád-Gruppe und den ukrainischen Kollegen statt. Bei diesem Treffen hat die Visegrád-Gruppe die Unterstützung für ukrainische Nichtregierungsorganisationen (NGOs) in Aufsicht gestellt.

Wenn einige ukrainische Staatsbeamte dafür sind, Alternativen und Spielräume unter anderem mit Hilfe der Zusammenarbeit mit Mitteleuropa zu erweitern, arbeiten Mitglieder der Administration von Janukowytsch hart daran, solche Alternativen und diesen Spielraum zu minimieren. Durch diese Tätigkeit schaden sie den nationalen Interessen des Subjekts der internationalen Politik „Ukraine“.

In den Massenmedien wurde bereits betont, dass der Ausweisung der sogenannten Spione viel Aufmerksamkeit geschenkt wurde.

Die Rede war auch davon, dass dieses Vorgehen nach einer Bitte des Geheimdiensts (SBU) durchgeführt wurde. Der Geheimdienst (SBU), der unter der heutigen Regierung (Gerüchten nach pflegt er enge Beziehungen zu Russland) mehrmalig fragwürdige Aktionen wie prohylaktischen Gesprächen mit Rektoren von Universitäten oder das Festhalten von Vertretern wichtiger internationalen Stiftungen durchgeführt hat; Aktionen die mehr für einen schlechten Ruf der heutigen Regierung sorgen, als real der Bekämpfung ihrer Gegner dienen.

Es kann sein, dass die Ausweisung der tschechischen Diplomaten nicht zufällig mit der Belebung der Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und der Visegrád-Gruppe zusammenfiel. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Gewährung politischen Asyls für Danylyschin auch eine besonders emotionale Motivation für einige der höchsten ukrainischen Politiker diente.
Es kann sich herausstellen, dass der provozierte Konflikt mit Tschechien (ausgerechnet vor seiner Präsidentschaft in der Visegrád-Gruppe) eine Provokation ist, die das Ziel verfolgt, eine enge Zusammenarbeit mit den nahen westlichen Nachbarn zu stören.

Der damalige tschechische Botschafter erkannte russische Spuren in dieser Geschichte. Im Gegensatz zu der NATO, könnten die Garantien der militärischen Hilfe der slawischen Bruderstaaten aus der Visegrád-Gruppe zu einer bequemen, ideologielosen und pragmatischen militärischen Hilfe für die Ukraine werden. Dies würde aber den Einfluss von Russland auf die Ukraine bedeutend einschränken.

Jedoch hätte die Stärkung der Visegrád-Gruppe nicht nur Russland gern im Keime erstickt. Das Auftreten eines neuen unabhängigen Akteurs im Mittel- und Osteuropa würde zu einem schmerzhaften Problem für die USA als auch für Westeuropa werden.

Darum ist es nicht auszuschließen, dass die großes Aufsehen erregende Ausweisung der tschechischen Diplomaten auf die eine oder andere Weise auf Intrigen von Sicherheitsdiensten, vielleicht nicht nur eines Landes, zurückzuführen ist.

1. Juni 2011 // Roman Horbyk

Quelle: Ukrajinska Prawda

Übersetzerin:   Ljudmyla Melnyk  — Wörter: 1241

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