An der Schwelle zu einem Krieg


Ich vertraue niemandem. Weder Politikern, noch dem Internet, noch Nachbarn. Ich vertraue nur dem, was ich mit eigenen Augen sehe und mit eigenen Ohren höre. Selbst das kann täuschen. Aber es ist wenigstens ein Anhaltspunkt.

Ich fuhr mit dem Nachtzug nach Kiew, denn es war für mich wichtig, mit eigenen Augen zu sehen, was in Kiew los ist. Der Zug Sewastopol – Kiew. Aus Sewastopol fuhren überwiegend Frauen mit Kindern, alle mit großen Koffern. Man sah ihnen an, dass sie für lange verreisten. Sie stiegen in verschiedenen ukrainischen Städten aus. Die meisten sprachen Ukrainisch. Nachdem Sewastopol von „Unbekannten“ von der „Selbstverteidigung“ besetzt und die russische Fahne gehisst wurde, fühlen sich Menschen, die in Sewastopol leben und Ukrainisch sprechen, bedroht. Der Zug aus Sewastopol, voll von Frauen und Kindern, – das erinnerte an eine Evakuierung.

In Simferopol, wo ich dazu stieg, waren Schulen und Banken geschlossen. Das Stadtzentrum wurde von Menschen mit Maschinenpistolen blockiert. Auf den Dächern der Verwaltungsgebäude waren Maschinenpistolenschützen. Russland führte, wie üblich, „Militärmanöver“ in der Nähe der ukrainischen Grenze durch. Wenn das die „Selbstverteidigung“ war, so ist es mir überhaupt nicht klar, wer wen und gegen was „verteidigte“. Es gab keine Besetzer und Aggressoren, bis die „Unbekannten“ das Parlamentsgebäude der Krim besetzten und die russische Fahne dort hissten.

Einfache Leute in den Geschäften sprachen untereinander, dass die „Maidan-Menschen“ das Krim-Parlament besetzten und die russische Flagge „als Tarnung“ hissten. Interessant, glaubt immer noch jemand daran?

Jetzt bin ich in Kiew. Ich bin gekommen, um die schrecklichen Maidan-Menschen zu sehen. Hier gibt es keine Maschinenpistolenschützen. Leute laufen ruhig durch die Stadtmitte. Der Maidan ist voll von Blumen – die Menschen kommen von allen Seiten, bringen Sträuße und Totenlichter. Die Straßen sind sauber. Die Schaufenster sind unbeschädigt. Ich erkenne alle Plätze, die in den furchtbaren Maidan-Chroniken vorkamen. Jetzt ist hier eine riesige Gedenkstätte für die Getöteten. Es gibt hier keine Angst und keine Spannungen. Die Menschen weinen und umarmen sich. Und auch lächeln sie und bieten heißen Tee an. Hier verließen mich die Spannung und das Bedrohungsgefühl, mit denen ich die drei langen Monate gelebt hatte.

Als ich den Kiewer Hauptplatz verließ, riefen mich Freunde an und berichteten, dass geplant sei, russische Truppen auf die Krim zu schicken. Für mich allerdings war das keine Neuigkeit, denn sie waren ja SCHON auf der Krim. Als „Unbekannte“ getarnt hatten sie vor drei Tagen die Flughäfen und Regierungsgebäude der Krim besetzt. Dass der russische Präsident jetzt erklärte, er werde jemanden irgendwohin schicken, war eine verspätete Erklärung. Na ja, nach dem Motto: Wir haben die Truppen quasi eingeführt, und dann haben wir uns beraten, fragten einander und beschlossen, das offiziell zu tun. Die Einzigen, mit denen man sich darüber nicht beriet, waren die Einwohner der Krim. Ich zum Beispiel kenne keinen Freund und keinen Nachbar, der Russland so gerne hätte, um zu sagen „Wir wünschen, dass vor unserem Haus ein russischer Panzerwagen parkt“. Niemand hat sich Maschinenpistolenschützen auf dem Dach des Parlamentsgebäudes gewünscht. Niemand wollte ein gesperrtes und menschenleeres Stadtzentrum in Simferopol. Niemand auf der Krim will einen Krieg. Und wenn die Stadt durch Militär aus dem Nachbarland besetzt ist, das bedeutet doch Krieg, oder?

Bitte alle, die die Krim lieben und die die Russen auf der Krim lieben. Helfen Sie, diesen Gedanken allen Menschen näher zu bringen. Die Russen der Krim haben nicht darum gebeten, dass russisches Militär zu uns nach Hause kommt! Wir wurden nicht bedroht! Wir lebten ruhig und zufrieden! Wir erwarteten im Sommer Gäste aus der Ukraine und aus vielen anderen Ländern, denn die Krim ist eine Perle unseres Planeten.

Bürger Russlands, ihr zahlt Steuern und schickt eure Kinder in die Armee. Jetzt, mithilfe eurer Steuer und eurer Kinder, wird ein Krieg vorbereitet. Ein ungerechter Krieg, der niemanden hier schützen dafür die von euch geliebte Krim zerstören wird. In diesem Krieg wird niemand gewinnen. Ich weiß, dass ihr nicht imstande seid, das zu stoppen. Aber ihr müsst einfach wissen, was gerade passiert.

Im Moment stehen Russland und die Ukraine an der Schwelle eines Krieges. Der russische Präsident beriet sich mit seinem Parlament und beschloss, die Armee auf die Krim zu schicken. Völkerrechtlich heißt das „Invasionskrieg“. Ein Krieg. Ein Krieg bedeutet, dass getötet wird. Denn die Ukraine ist doch ein Land mit eigenem Heer, mit klar definierten Grenzen. Und sie ist verpflichtet, diese Grenzen zu verteidigen. In jedem bewaffneten Konflikt kommen Zivilisten ums Leben. Solange russische Truppen das Territorium der Krim offiziell nicht betreten haben, ist noch kein Krieg. Lassen wir uns alle mit aller Kraft zusammen beten, dass das nicht passiert.

01. März 2014 // Swetlana Panina

Quelle: Blogeintrag

Übersetzung: Olha Sydor

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