Swjatoslaw Scheremet: "Diejenigen, die Schwule schlagen, sind auch anderen gegenüber aggressiv eingestellt"
Am Sonntag, den 20. Mai, sollte in Kiew die erste ukrainische Gay-Parade stattfinden. Jedoch kam die Aktion nicht zustande, da eine große Anzahl nationalistischer und religiöser Organisationen die Parade stören kamen. Im Ergebnis wurde einer der führenden ukrainischen LGBT-Aktivisten (LGBT=Lesbian Gay Bisexuell Transgender), Swjatoslaw Scheremet, von maskierten Unbekannten brutal zusammengeschlagen.
Der Leiter der allukrainischen LGBT-Vereinigung „Gay-Forum Ukraine“, Swjatoslaw Scheremet, erzählte die Details von der Verprügelung durch unbekannte Radikale.
Erzählen Sie bitte, wo und wann der Vorfall stattfand. Was ist passiert?
Eine Gruppe uns missgünstig Gesinnter patrouillierte auf dem Gelände, wo wir uns befanden und verfolgte unsere Bewegungen. Als wir die Pressekonferenz beendet hatten, begaben wir uns sofort zu Taxis, um zu anderen Kollegen zu fahren. Doch dort stand nur ein Taxi, in welchem drei unserer Kollegen Platz nahmen. Wir mit Maxim Kosjantschuk (Vertreter der Donezker LGBT-Vereinigung) beschlossen ein anderes Auto per Telefon zu bestellen. Wir gingen hinter ein Haus, um das Auto an eine konkrete Adresse zu bestellen. Diese Typen haben uns wahrscheinlich verfolgt und nach etwa drei Minuten kamen sie bereits in den Hof. Sie waren etwa 7-10 Leute. Das passierte alles in einem Augenblick. Leider konnte ich keine Selbstverteidigungsmaßnahmen ergreifen, da sie Pfefferspray hatten und ich meine Augen und mein Gesicht bedecken musste. Daher fiel ich auf den Boden und krümmte mich zusammen. Danach traten sie mich mit den Füßen. Das dauerte nicht lange, nur etwa 10-15 Sekunden. Danach erhob ich mich, um den Ort zu wechseln und sie verschwanden sofort. Und auch Maxim bekam etwas ab. Wir riefen sofort eine Milizstreife, Ermittler und eine Ambulanz.
Wie fühlen Sie sich derzeit? Wie stark sind die Verletzungen?
Ich habe glücklicherweise keine inneren Verletzungen. Nur unbedeutende Schrammen und Kratzer. Die Hauptdiagnose besteht in einer Prellung. Wir waren in zwei Krankenhäusern, unterhielten uns mit Ärzten. Ich werde leben, alles ist in Ordnung, alles heilt.
Sind bereits Verdächtige für den Angriff gefunden worden? Wissen Sie, wer das war und haben sie irgendeine Organisation repräsentiert?
Derzeit befindet sich die Angelegenheit in Untersuchung der Kiewer Abteilung. Die Angreifer hatten keinerlei Erkennungszeichen und vom Äußeren her ähnelten sie gewöhnlichen Hofrowdys, nicht mehr. Verdächtigungen kann ich nicht aussprechen, da es keine Fakten gibt.
Warum herrscht Ihrer Meinung nach in der Gesellschaft noch eine solche Ablehnung gegenüber sexuellen Minderheiten und gibt es eine große Anzahl von radikal eingestellten Leuten?
Weil die Gesellschaft polarisiert ist. Wir haben viele, die irgendwen hassen. Das ist im Prinzip ein Zeichen jeder Gesellschaft, in der es kein soziales Glück gibt. Es läuft hier folgendermaßen ab: es gibt Scharfmacher, die hinter der Organisation stehen, doch nicht unmittelbar teilnehmen. Und es gibt Ausführende. Das sind aggressiv eingestellte Jugendliche zwischen 18 und 23 Jahren. Sie führen einfach das aus, was die älteren Genossen beschließen. Dabei führen sie es ohne Begriff davon aus, wozu das ist, was ihnen dabei droht, ohne Begriff davon, wie sie derart gegen das Strafrecht verstoßen und dass die Folgen für sie selbst noch schlechter sein könnten.
Werden Sie oder Ihre Mitstreiter noch einmal versuchen eine öffentliche Aktion zu organisieren? Auch wenn das gefährlich sein wird?
Wir hatten bereits einige öffentliche Aktionen, die in relativer Sicherheit und ohne derartig grelle Zwischenfälle stattfanden. Hier haben wir die Veranstaltung zum ersten Mal mit dem Wort „Pride“ benannt, das heißt, die Aggression war gegen den Symbolwert dieser Aktion gerichtet. Das, was „Pride“ genannt wird, ruft eine Assoziation mit einer Parade hervor und eine Parade das ist „böse“ und daher muss man protestieren. Doch kein „Leid ohne Freud“. Das, was vor sich geht, gestattet uns die gesamte Tiefe der Homophobie und der homophoben Hauptspieler in der politisch-gesellschaftlichen Szenerie zu sehen. So gab es vorher einige Erklärungen entsprechenden Inhalts sowohl von den Mitgliedern der Partei „Swoboda/Freiheit“ als auch der Partei „Bratstwo/Brüderlichkeit“ von (Dmitrij) Kortschinskij. Und es wurden entsprechende „anti-gay“ Gruppen in den sozialen Netzwerken gegründet. Dieses Herausziehen all dessen ans Licht, das ist ein positiver Prozess. Denn dann begreifen nicht nur wir, sondern auch andere Menschen, wer welche Position in der Gesellschaft besetzt. Und entsprechend, wen man an die Macht lassen kann und wen nicht. Denn diejenigen, die LGBT-Leute schlagen, sind aggressiv gegenüber verschiedenen sozialen Gruppen eingestellt. LGBT-Leute bilden keine Ausnahme, das ist ein Element in einer allgemein aggressiven Politik.
21. Mai 2012 // Olessja Dubowik
Quelle: Gazeta.ua
TSN-Ausschnitt von dem Überfall
Bericht beim 5. Kanal