Ein Tablettchen für Putin
Die Schlichtung des Konflikts im Osten wirft berechtigte Fragen bei den Ukrainern auf. Warum sollte man überhaupt mit den „Diversanten“ (Wort aus dem kommunistischen Sprachgebrauch: feindliche Agenten und Saboteure) sprechen? Woher kommen diese unverständlichen Leuten hinter den Verhandlungsstühlen? Was sind das für seltsame Entscheidungen der neuen Machthaber?
Dabei stellt sich jedoch niemand die Frage: was wäre die Alternative, um eine Konfliktbeilegung zu versuchen? Die Anti-Terror-Operation dauerte bis zur Wahl des neuen Präsidenten bereits fast zwei Monate an. Die Entscheidung des Staatsoberhaupts ist kein Wunder. Der neue Oberkommandierende hat es mit der gleichen Armee, denselben Machtstrukturen, denselben Terroristen, und dem gleichen Russland, das bereit ist, seine Agenten für einen unbegrenzten Zeitraum mit Technik auszurüsten und neue Leute zu schicken, zu tun. Natürlich kann man die Grenzen schließen, aber nichtsdestotrotz bleiben Lücken und Möglichkeiten übrig, umso mehr in solch einem korrumpierten Land wie der Ukraine. Wenn wir dann zur Korruption auch noch eine gewisse Anzahl von Staatsbürgern hinzufügen, die mit dem Aggressor Mitleid haben und sich als seine „Maulwürfe“ erweisen… Mit einem Wort: wir können uns auf einen langen Krieg – oder einen dünnen Frieden einstellen. Aber ein dünner Friede ist unter unseren Bedingungen nur bei einer aktiven Zusammenarbeit mit dem Westen möglich. Es fällt nicht schwer zu bemerken, dass Poroschenko häufig nicht selbst mit Putin spricht, sondern durch die Vermittlung von Hollande und Merkel – dieses Phänomen konnte man erstmalig in der Normandie betrachten, wo allem Anschein nach eine Übereinkunft bezüglich der Rahmenbedingungen einer ukrainischen Konfliktbeilegung erzielt wurde. Jedoch kann der Westen diese Schlichtung weder so betrachten, wie Russland es tut, noch so wie wir es tun.
Für den Westen ist es wichtig, die Anzahl der Toten unter der Zivilbevölkerung so gering wie möglich zu halten – für jedweden europäischen Politiker ist dies wichtiger als die Vertreibung der Terroristen. Für den Westen ist es ebenso wichtig, dass Putin nicht den wilden Mann spielt – nicht weil Merkel und Hollande ihn so sehr lieben, aber weil sie kein Öl dort ins Feuer gießen wollen, wo er, Putin, es entfachen kann.
Ja, natürlich, wenn irgendwie möglich, möchte die Europäische Union auch kein Geld verlieren – das heißt, keine Sanktionen der dritten Stufe einleiten, sondern von Putin ein solches Verhalten abtrotzen, das es gestatten würde, diese Sanktionen zu vermeiden. Aber hierfür sind bestimmte Handlungen unsererseits unumgänglich, die es dem russischen Präsidenten nicht erlauben, zu behaupten, dass wir keinen Frieden wollen und nicht alle Möglichkeiten für einen Dialog nutzen und so weiter. Merkel und Hollande sprechen mit Putin wie mit einem gefährlichen Kranken, dem man ins Gewissen reden und beruhigen muss. Manchmal gesellt sich diesem Gespräch auch Obama hinzu, der den Kranken daran erinnert, was mit ihm geschehen würde, falls er die Einnahme der Tabletten verweigerte. Das ist das Konsilium eines dünnen Friedens. Poroschenko ist in diesem Konsilium die Rolle des Pharmazeuten zugeteilt, der einfach nur die verschriebenen Tabletten ausgibt. Der Apotheker kann es sich nicht erlauben, eigene Medikamente für die Behandlung vorzuschlagen, nicht einmal Vitamin-Tabletten; er darf sogar nicht lächeln, damit der Kranke nicht misstrauisch wird und erneut in Rage gerät. Falls etwas Ähnliches geschehen sollte, können die Ärzte aufhören, den Patienten zu behandeln, der dann beginnt, zu wüten, in der Apotheke die Vitrinen einzuschlagen, die Instruktionen, die in einer falschen Sprache geschrieben sind, zu zerreißen und über die „russische Welt“ (Konzept, das auf die historische „Heilige Rus´“ und das russische Imperium zurückgreift, und eine bis heute bestehende Einheit des orthodoxen slawischen russischsprachigen Raumes behauptet) zu schreien. Aber uns ist es genauso wichtig, unsere Apotheke zu erhalten, wie der Westen seine Poliklinik schützen möchte.
27. Juni 2014 // Witalij Portnikow
Quelle: Lewyj Bereg