Die Ukraine und Russland erzählen eine gemeinsame Geschichte


Gestern fand die vierte gemeinsame Sitzung des Unterausschusses für Fragen der humanitären/kulturellen Zusammenarbeit der ukrainisch-russischen zwischenstaatlichen Kommission statt. In deren Ergebnis wurde ein Protokoll über die Hauptrichtung der Zusammenarbeit der Länder im humanitären/kulturellen Bereich unterzeichnet. Unter den gemeinsamen Bildungsprojekten ist die Vorbereitung von Lehrbüchern für die Naturwissenschaften und die exakten Wissenschaften und ebenfalls die Ausarbeitung eines methodischen Handbuchs für die Geschichtslehrer beider Länder.

Ergebnis der Sitzung des Unterausschusses für Fragen der humanitären Zusammenarbeit wurde das Protokoll, welches vom Minister für Bildung und Wissenschaften der Ukraine, Dmitrij Tabatschnik, und seinem russischen Kollegen Andrej Fursenko unterzeichnet wurde. „Man muss Bedingungen schaffen, damit die Jugend kommuniziert, gemeinsame Bücher hat und während der Lehre vielleicht ein und die gleichen Lehrbücher oder wenigsten ein und dieselben Materialien benutzt“, erklärt Fursenko. Im Dokument spiegeln sich insbesondere Fragen der Vorbereitung der Lehrbücher neuen Formats in Mathematik, Physik, Chemie und Astronomie wider. Dmitrij Tabatschniks Worten nach wird sich damit eine Arbeitsgruppe beschäftigen, in deren Bestand, neben russischen und ukrainischen Gelehrten, Experten aus dem Europarat aufgenommen werden. Wie man dem “Kommersant-Ukraine“ beim Pressedienst des Ministeriums für Bildung und Wissenschaften der Ukraine erklärte, wird unter dem neuen Format der Lehrbücher keine Übersetzung in die russische Sprache verstanden: „Die Rede geht von Änderungen in der Gestaltung der Lehrbücher, modernen Formen der Darreichung des Lehrmaterials, welches klar strukturiert und nach thematischen Gruppen getrennt wird. Dem Minister gefallen die Lehrbücher des russischen Verlages „Prosweschtschenije/Aufklärung“ – sie sind hell und bunt. Die Seiten sind dort wie Computerseiten gestaltet und die Hauptmomente sind in Feldern hervorgehoben“.

Außerdem gründeten die Ukraine und Russland eine Arbeitsgruppe für die Ausarbeitung einer gemeinsamen methodischen Handbuchs für die Geschichtslehrer. Zur Erinnerung: deren Gründung initiierten Dmitrij Tabatschnik und Andrej Fursenko auf der dritten Sitzung der zwischenstaatlichen Kommission (Ausgabe des “Kommersant-Ukraine“ vom 20. Mai). Dabei ist vorgesehen, dass das Handbuch strittige historische Positionen der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine (NANU) und der Russischen Akademie der Wissenschaften (RAN) bezüglich des Holodomors der Jahre 1932-33, der Handlungen der UPA (Ukrainische Aufstandsarmee) und zum Zweiten Weltkrieg synchronisiert.

Derweil teilte Dmitrij Tabatschnik gestern mit, dass diese Frage nur auf der Sitzung der Historikerkommission diskutiert wurde. „Wir haben entschieden eine Arbeitsgruppe aus Wissenschaftlern zur Vorbereitung des Handbuchs für Geschichtslehrer zu schaffen. Ich meine, dass ein Pädagoge, der in seiner Arbeit die Ansichten Michail Gruschewskijs (ukrainischer Historiker) und Wassilij Kljutschkowskijs (russischer Historiker) kennt und anwendet, ein objektiveres Wissen vermitteln kann“, fügte er hinzu.

Wie dem “Kommersant-Ukraine“ das Mitglied des Unterausschusses und Stellvertreter des Direktors des Instituts für Geschichte der Ukraine der NANU, Gennadij Borjak, mitteilte, führt von ukrainischer Seite der Direktor des Instituts für Innovationstechnologie und Bildungsinhalte, Alexander Udod, die Arbeitsgruppe und von russischer Seite der Direktor des Instituts für allumfassende Geschichte der RAN, Alexander Tschubarjan. „Die vollständige Zusammensetzung der Arbeitsgruppe ist bislang nicht festgelegt, doch bekannt ist, dass es dort keine Mitarbeiter des Instituts für Geschichte der Ukraine gibt“, fügte Borjak hinzu. Seinen Worten nach wird das einheitliche methodische Handbuch für alle Lehrer der mittleren Schulen der beiden Länder verpflichtend, doch dieses zu schaffen wird schwierig sein: „Es streicht alles durch, was von der ukrainischen nationalen Histografie in einem Vierteljahrhundert getan wurde. Wie kann man einen einheitlichen Blick auf die strittigen historischen Momente ausarbeiten? Denn eine der Seiten wird ohne Vorbehalt eine entgegengesetzte Meinung vertreten. Und man kann vermuten, welche dieser beiden Seiten es sein wird“.

Die strittigen Momente der ukrainischen Geschichte schlagen die Wissenschaftler vor in einem enzyklopädischen Handbuch zu beleuchten, wo die Sichtweisen und Argumentationen der ukrainischen und der russischen Historiker dargelegt sind. „Der Unterausschuss hat die Schaffung eines solchen Handbuchs gutgeheißen und diese Frage ist auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung der Historikerkommission gesetzt worden, die in Moskau Ende November stattfindet“, sagte Borjak dem “Kommersant-Ukraine“.

Der Meinung des Vizerektors der Ukrainischen katholischen Universität, Miroslaw Marinowitsch, sind die Ukraine und Russland bislang nicht bereit zu „einer zivilisierten Partnerschaft im humanitären/kulturellen Fragen“. „Russland ist ganz von der Idee der Wiedergeburt seiner imperialen Kräfte in Anspruch genommen und beabsichtigt der Ukraine ein quasistalinistisches postsowjetisches Modell der Geschichte aufzuzwingen, welches die Verbrechen des Kommunismus rechtfertigt. Die Ukraine ist aufgrund ihres Zweitrangigkeitskomplexes derzeit nicht bereit nationale Interessen zu vertreten und wird sich dem russischen Druck fügen“, erläuterte Marinowitsch dem “Kommersant-Ukraine“.

Julia Rjabtschun

Quelle: Kommersant-Ukraine

Übersetzer:   Andreas Stein  — Wörter: 719

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