Am 25. Mai wurde auf den Bildschirmen ukrainischer Fernsehsender eine Trauerkerze eingeblendet. Der Grund hierfür war nicht etwa, wie einige Nutzer auf Facebook meinten, der zweite Jahrestag der Wahl Petro Poroschenkos zum Präsidenten der Ukraine. Vielmehr gedachte man des vor 90 Jahren ermordeten Symon Petljura, der führenden Persönlichkeit im Direktorium der Ukrainischen Volksrepublik (UNR).
Wie der Trauertag für Petljura entstand
Am 2. Februar 2016 verabschiedete die Werchowna Rada einen Erlass zur Festlegung der „Gedenktage und Jubiläen 2016“. Das Dokument wurde unterzeichnet von dem zu diesem Zeitpunkt amtierenden Parlamentspräsidenten, Wolodymyr Hrojsman. Die Abgeordneten erklärten darin den 25. Mai dieses Jahres als Gedenktag in Zusammenhang mit dem 90. Jahrestag der Ermordung Symon Petljuras. Neben diesem Datum gibt es 2016 in der Ukraine außerdem noch zwei weitere Trauertage: der 6. Juli als „75. Jahrestag der Massenerschießungen von politischen Gefangen in der Westukraine“ sowie der 29./30. September als „75. Jahrestag der Vernichtung der Kiewer Juden – der Beginn der Massenerschießungen in Babyn Jar und von Kriegsgefangenen und Mitgliedern der OUN während der Okkupation durch die Nationalsozialisten“.
Warum wurden im Fernsehen Kerzen gezeigt?
Das Einblenden einer brennenden Kerze entsprach den „Richtlinien für Übertragungen in Funk- und Fernsehen an Trauer- und Gedenktagen“, die vor etwa einem Jahr vom Nationalrat für Radio und Fernsehen verabschiedet wurden. Zusätzlich zur Kerze ist demnach außerdem alle zwei Stunden an den Grund der Trauer zu erinnern, am Mittag eine Schweigeminute beim Klang eines Metronoms abzuhalten und die Übertragung von Komödien und Erotiksendungen sowie von Unterhaltungs- und „Musiksendungen mit Werken, deren Inhalt fröhlicher Natur ist“, einzustellen. Auch gibt es Auflagen für die Werbung – es darf keine humoristische oder erotische Reklame gezeigt werden. Für die Verletzungen dieser Regeln drohen den Kanälen Probleme mit dem Nationalrat.
Wer ist Petljura?
Berühmt wurde Petljura dadurch, dass er Ende 1918 einen Aufstand gegen Hetman Skoropadskyj anführte, ihn aus Kiew vertrieb (Ereignisse, die im Roman „Die Weiße Garde“ von Bulgakow beschrieben werden) und die vom Hetman abgeschaffte Ukrainische Volksrepublik wiederherstellte, deren Regierung – dem Direktorium – er als Leiter vorstand. Freilich lässt sich seine Herrschaft nur schwer als erfolgreich bezeichnen. So konnte er Kiew nicht halten, das zuerst von den Bolschewiki, dann von Denikins Weißer Armee, und anschließend erneut von den Bolschewiki erobert wurde. Zu Beginn des Jahres 1920 kontrollierte Petljura nur noch ein recht kleines Territorium. Bei seinem Versuch, sich der Unterstützung durch Polen zu versichern, schloss er mit diesem einen Vertrag, in dem er die polnische Oberhoheit über die Westukraine anerkannte (das heißt er überließ Polen die Gebiete der Westukrainischen Volksrepublik). Doch sollte auch das nicht helfen. Im Zuge des polnisch-sowjetischen Krieges konnten sich die Bolschewiki östlich und die Polen westlich des Sbrutsch festsetzen und die Ukrainische Volksrepublik hörte auf zu existieren.
Was halten die ukrainischen Juden von der Trauer über Petljura?
Die Figur Petjluras wird in der ukrainisch-jüdischen Gemeinschaft als überaus zwiespältig wahrgenommen. Seine Truppen waren an Pogromen beteiligt, in deren Folge etwa 50.000 Juden ermordet worden sind (obwohl an diesen Pogromen natürlich nicht nur die Truppen Petljuras beteiligt waren). Petljura selbst wurde in Paris vom jüdischen Aktivisten Scholom Schwartzbard ermordert, der seine Tat als Rache für die begangenen Pogrome rechtfertigte.
Eduard Dolynskyj, Direktor des Ukrainisch-Jüdischen Komitees, hält die Trauer um Petljura auf Staatsebene für empörend:
„Unter Petjlura wurden große Verbrechen an den Juden verübt. Unser Verhältnis ihm gegenüber bezieht sich nicht auf seinen Kampf um die Ukraine, sondern darauf, was unter seiner Führung bei den Truppen geschah. Wir behaupten nicht, dass er den Befehl dazu gegeben hat, aber es ist bekannt, dass er nichts unternommen hat, um diesem Massenmord ein Ende zu setzen.“
Laut Dolynskyj ist die Heroisierung Petljuras nur eine zwangsläufige Folge nach der Verabschiedung von „Gesetzen, die Kritik an der OUN [Organisation ukrainischer Nationalisten] und der UPA [Ukrainische Aufständische Armee] verbieten“.
Seiner Meinung nach kann auch die Anwesenheit von Juden in der ukrainischen Regierung diese Situation nicht ändern.
Darüber hinaus zeigt sich Dolynskyj verärgert über die Morgenausgabe der Nachrichten des Senders ICTV, in welcher, nach seinen Worten, der Mörder Petljuras als bolschewistischer Agent bezeichnet wurde und die Tat selbst als bolschewistische Verschwörung.
„Scholom Schwartzbard hat während des Ersten Weltkriegs in der französischen Fremdenlegion gedient, wurde verwundet und hat Auszeichnungen erhalten. Er war ein Dichter, der auf Jiddisch geschrieben hat. Seine gesamte Familie wurde ermordet. Da soll er ein bolschewistischer Agent gewesen sein? Und sein Freispruch sowjetische Propaganda. In Paris gab es ein Nest von Weißgardisten, Hunderttausende, die bereit gewesen wären, die Bolschewiki mit bloßen Händen zu erwürgen. Auf dem Prozess sind 180 Zeugen aufgetreten, herausragende Persönlichkeiten, darunter auch Einstein. Sie sind dann wohl alle bolschewistische Agenten gewesen.“
Etwas vorsichtiger in seinen Formulierungen drückte sich Boleslaw Kapulkyn aus, Pressesprecher der jüdischen Gemeinde der Oblast Odessa:
„Wir haben dazu (zum Trauertag – Anm.d.Red.) keine Meinung. Bekanntlich war Petljura kein Antisemit, allerdings gelang es ihm nicht, oder er hat sich nicht darum bemüht, seine Truppen von den Pogromen abzuhalten, und das ist schlecht. Selbst jedoch hatte er einige jüdische Freunde, in seiner Regierung gab es einen Minister für jüdische Angelegenheiten. Das er seine Leute nicht zurückhalten konnte, ist sehr schlecht. Er war kein Jude und ist eine überaus zwiespältige, sehr komplizierte Figur.“
25. Mai 2016
Quelle: Strana
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