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Das Geschichtslehrbuch als Waffe Russlands

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ukrainische Geschichtsbücher

“Wer die Vergangenheit beherrscht, beherrscht die Zukunft. Wer die Gegenwart beherrscht, beherrscht die Vergangenheit.“George Orwell. 1984

Zwei Jahre sind vergangen, seit Russland die Krim okkupiert hat, und mittlerweile lässt sich auch bis auf die Wurzel des Problems blicken.

Jeder Heerführer oder Herrscher blickt vor dem Beginn eines Angriffs vor allem in eine Richtung … zurück. Wie sehr ist das Hinterland befestigt, wie weit reichen die Waffen und Munitionsvorräte, in welchem Maße kann man mit der Unterstützung der Bevölkerung rechnen. Nicht von ungefähr beliebte der sowjetische Heerführer Michail Frunse stets zu wiederholen: „Das Leben und die Arbeit an der Front werden zu jedem Zeitpunkt bestimmt von dem Zustand des Hinterlandes.“

Es kommt also die Frage nach der Vorbereitung der Bevölkerung auf, besonders, wenn es sich um einen „ruhmreichen“ Krieg handelt. Und was sehen wir da? Die Okkupation der Krim wurde von der Mehrheit der Bevölkerung in der Russischen Föderation unterstützt, und war das nicht nur die Folge eines patriotischen Rausches, hervorgerufen durch die ruhmreichen Ereignisse, sondern ebenso Ergebnis einer langjährige Vorbereitung auf staatlicher Ebene.

Diese Vorbereitung beginnt bereits in der Schule und wie ließe sich hierbei nicht jener, dem Reichskanzler Otto von Bismarck zugeschriebene Ausspruch ins Gedächtnis rufen, wonach der preußische Schullehrer die Schlacht von Königgrätz gewonnen habe.

Welche Rolle also spielte das russische Schulwesen bei der Vorbereitung der Okkupation? Eine Antwort darauf geben gewöhnliche Schullehrbücher zur Geschichte Russlands für die 6. Klassen.

Ein Großteil der Vorstellungen des Menschen über die Welt, bestimmte Stereotype und Voreingenommenheiten, formieren sich bekanntlich in der Kindheit. Für Kinder gibt es dabei mehrere Wege, Informationen zu erhalten – Eltern und Freunde, Fernsehen und Internet, und natürlich auch die Schule. Übermittler von Informationen sind hier die Lehrer und deren grundlegendes Instrument sind die Lehrbücher.

Geschichtslehrbücher nehmen vermutlich eine zentrale Funktion in der Verwirklichung staatlicher Politik ein. Das ist charakteristisch für viele Länder. So sind auf historischen Karten in chinesischen Geschichtsbüchern für die höheren Klassen Teile Russlands als ehemaliges chinesisches Gebiet hervorgehoben. Wie verhält es sich demgegenüber in Russland selbst?

Werfen wir einen Blick auf Lehrbücher zur russischen Geschichte für die 6. Klassen. 12-jährige Schüler stehen noch immer am Anfang davon, sich als eigenständige Persönlichkeiten zu entwickeln. Sie befinden sich in der Periode einer beginnenden Intellektualisierung kognitiver Prozesse. Gerade in diesem Zeitraum werden die Grundlagen für eigene Vorstellungen über die Welt gelegt.

Die Russische Föderation, wie auch viele andere Staaten, übt eine rigide Kontrolle über die Bildungsprozesse aus, besonders über das System zur Ausstattung der Bildungseinrichtungen mit Lehrbüchern und vor allem über deren Inhalte. Jedes Jahr veröffentlicht das Ministerium für Bildung und Wissenschaft eine Liste mit Lehrbüchern, die für den Gebrauch in den Schulen „zugelassen“ werden.

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Schauen wir uns einige diese Lehrbücher genauer an:

  • „Geschichte Russlands. Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des 16. Jahrhunderts. 6. Klasse. Lehrbuch für allgemeinbildende Einrichtungen. A.A. Danilow, L.G. Kossulina, 2012.“ Das Buch erhielt positive Bewertungen von der Russischen Akademie der Wissenschaften und der Russischen Bildungsakademie (im Weiteren bezeichnet als UDK)
  • „Geschichte Russlands: 6. Klasse. Lehrbuch für Schüler allgemeinbildender Einrichtungen. P.A. Baranow, L.K. Ermolaewa, I.M. Lebedewa u.a. Unter allgemeiner Redaktion von R.Sch. Ganelina, Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften, 2009.“ (im Weiteren UBEL)
  • „Geschichte Russlands von den ältesten Zeiten bis zum Ende des 16. Jahrhunderts. Lehrbuch für die 6. Klassen allgemeinbildender Einrichtungen. E.V. Ptschelow, 2012.“ (im Weiteren UP)
  • „Geschichte Russlands von den ältesten Zeiten bis zum 16. Jahrhundert. 6. Klasse, Lehrbuch für allgemeinbildende Einrichtungen. T.V. Tschernikowa, unter der Redaktion von A.N. Sacharowa, 7. Ausgabe, 2008.“ (im Weiteren UTSCH)
  • „Geschichte Russlands von den ältesten Zeiten bis zum 16. Jahrhundert. 6. Klasse, Lehrbuch für allgemeinbildende Einrichtungen. A.F. Kiselew, V.P. Popow, 2012.“ (im Weiteren UKP)
  • „Geschichte Russlands von den ältesten Zeiten bis zum 16. Jahrhundert. 6. Klasse, Lehrbuch für allgemeinbildende Einrichtungen. I.N. Danilewskij, I.L. Andreew, 5. Ausgabe, 2012.“ (im Weiteren UDA)

Auf Grundlage dieser Lehrbücher und der allgemeinen Lehrpläne („Beispiellehrpläne nach Schulfächern. Geschichte. 5. bis 9. Klassen, 2010.“) bereiten die Lehrer auch ihre eigenen Unterrichtsabläufe vor (als Beispiel betrachten wir den „Lehrplan Geschichte. Allgemeinbildende Schule Nr. 64 der Stadt Irkutsk“).

In Russland, wie in der Mehrzahl der postsowjetischen Staaten, besitzt der Unterricht in der Landesgeschichte zwei grundlegende Merkmale – Linearität (Vermittlung historischer Prozesse in ihrer chronologischen Abfolge) und Territorialität (betrachtet werden Ereignisse und Prozesse, die sich in jenen Gebieten abgespielt haben, welche zum Unterrichtszeitpunkt Bestandteile des Staates sind, obwohl es auch Ausnahmen hierzu gibt). Darüber hinaus verläuft die Vermittlung von Geschichte mithilfe zweier konzentrischer Kreise. In den Klassen 6 bis 9 werden die Schüler vertraut gemacht mit der Geschichte Russlands von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart. Anschließend, in den Klassen 10 und 11 beschäftigt man sich erneut mit demselben Zeitraum, diesmal aber vertiefend und dem Unterrichtsprofil entsprechend.

Wenden wir uns der Periode vor dem 9. Jahrhundert zu, die Zeit der Entstehung, der Blüte und des Niedergangs des „Altrussischen Staates“, der auch als Kiewer Rus bezeichnet wird.

Das erste Thema im Lehrplan lautet: „Die ältesten Völker auf dem Gebiet Russlands“. Dieser Titel wird bevorzugt auch in den Lehrbüchern verwendet: „§1. Die ältesten Völker auf dem Gebiet Russlands“ (UDK, S. 7), „Kapitel 1. Völker und Staaten auf dem Gebiet Russlands“ (UBEL), „Lektion 1. Die antiken Bewohner unserer Heimat“ (UTSCH, S. 8), „Die Vorgeschichte der Völker Russlands“ (UDA, S. 9) und so weiter. Warum aber sind diese Titel so wichtig? Weil sie vorgeben, die antike Geschichte auf dem Territorium Russlands zu behandeln, und zwar des zeitgenössischen Russland – also der Russischen Föderation in ihren heutigen Grenzen.

Auf der Karte „Die ältesten menschlichen Siedlungen auf dem Gebiet des östlichen Europas und Sibiriens“ (UBEL, S. 7), finden sich außer jenen Siedlungen, die tatsächlich auf dem Territorium des heutigen Russlands verteilt sind, zwei weitere – Kiik-Koba und Mesinskaja in der Ukraine. In einem anderen Lehrbuch „erscheint“ in einer längeren Liste auch die Krim, die zum Zeitpunkt der Herausgabe keinerlei Beziehung zum Gebiet Russlands besaß: „Siedlungen aus der Steinzeit…wurden in vielen Teilen Eurasiens entdeckt: auf der Krim und im Nordkaukasus, in den Tälern des Dnjepr und des Sewerskyj Donez…,in Karelien und an den Ufern des Weißen Meeres, im Ural…, in Sibirien, im Fernen Osten“ (UKP, S. 11). An anderer Stelle heißt es, ebenfalls über Gebiete in der Ukraine: „Archäologische Beispiele für Ackerbaukulturen sind die Überreste großer Siedlungen des 4. bis 3. Jahrtausends vor Christus am Mittellauf des Dnjepr und des Bug.“ (UB, S. 17). Weiter ist die Rede von der antiken Kultur zwischen den Karpaten und dem Dnjepr, auf den Gebieten der heutigen Ukraine, Moldaus und Rumäniens, mit einer Fläche von mehr als 350.000 qm: „der als Tripolje bezeichneten Kultur, benannt nach dem gleichnamigen Dorf, bei dem ihre ersten archäologischen Denkmäler gefunden wurden sind“ (UB, S. 18). Ein weiteres Beispiel für die „Ausbreitung“ des russischen Territoriums: „Mit der Gewinnung von Bronze beschäftigte man sich im Karpatenvorland, im Nordkaukasus und im Ural“ (UKP, S. 12). Offenbar gehört das Karpatenvorland damit auch zum Territorium Russlands.

Im Folgenden betrachten die Lehrbücher das Material zu den griechischen Kolonien. Die Schüler sollen hier mehr über die griechischen Stadtstaaten des nördlichen Schwarzmeergebietes und über das Reich der Skythen erfahren (UDK, S.9). Der Text dazu beginnt folgendermaßen: „Die ersten Staaten entstanden im Süden unseres Landes…griechische Seefahrer gründeten die Stadtstaaten Olbia, Pantikapaion, Chersones und andere.“ Wenn wir erneut festhalten, dass eines der grundlegenden Prinzipien für den Geschichtsunterricht die Territorialität darstellt, so müssen wir also diese Behauptung auch entsprechend analysieren. Den geografischen Süden Russlands bilden das Gebiet Rostow und das kaukasische Küstengebiet des Schwarzen Meeres. Die Stadt Olbia hingegen befand sich am Ufer des Dnjepr-Bug-Liman, unweit der Stadt Nikolajew (in einer Entfernung von mehr als 600 km von der russisch-ukrainischen Grenze). Die antike griechische Stadt Pantikapaion lag an der Stelle des heutigen Kertsch und die Stadt Chersones beim heutigen Sewastopol. Das heißt also, den 12-jährigen Schülern wird in den russischen Schulen vermittelt, dass das Territorium eines anderen Staates, und zwar der Ukraine, der Süden ihres Landes sei.

Auch in den anderen Lehrbüchern finden sich analoge Behauptungen: „Eine nach der anderen tauchten die Städte an den Ufern des Schwarzen Meeres auf. Die bekanntesten unter ihnen waren Chersones (auf dem Gebiet des heutigen Sewastopol), Pantikapaion (Kertsch), Gorgippia (Anapa), Phanagoria (unweit von Taman) und andere.“ (UTSCH, S.15); „Im Schwarzmeergebiet und im Gebiet des Asowschen Meeres entstanden griechische Stadtstaaten: Olbia, Gorgippia (heutiges Anapa), Chersones (heutiges Sewastopol), Tanais und andere.“ (UTSCH, S. 6); „Im nördlichen Schwarzmeergebiet bildeten sich drei große Zentren antiker Kultur heraus…Olbia…an den Ufern des Dnjepr-Bug-Liman….das Bosporanische Reich…gegründet an den Ufern der Straße von Kertsch…Chersones – im Südwesten der Krim“ (UKP, S.18); „die Stadt Pantikapaion (das heutige Kertsch)“ (UKP, S.19); auf einer Karte in einem der Lehrbücher sind Städte markiert, die sich sowohl auf dem Gebiet Russlands – Tanais, Phanagoria – als auch auf dem der Ukraine befinden – Olbia, Pantikapaion, Chersones, Kaffa (UDA, S.20). Lediglich in einem der Lehrbücher wird erwähnt, dass ein Teil der antiken griechischen Kolonien sich auf dem Gebiet der Ukraine befindet: „Auf dem Territorium des heutigen Russlands untersuchen die Archäologen die Überreste der Städte Phanagoria, Tanais und Gorgippia, auf jenem der Ukraine die Städte Olbia, Pantikapaion, Chersones und andere“ (UBEL, S.21).

Wie in der Mehrzahl der Lehrbücher zur Geschichte Russlands behauptet wird, lebten auch die Skythen auf russischer Erde: „im nördlichen Schwarzmeergebiet entstand ein weiteres Reich – das skythische…es umfasste ein sehr großes Territorium: von der Donau bis zu den Steppengebieten der Krim“ (UDK, S.10); „die Skythen schufen ihr eigenes Reich – Skythien. Es erstreckte sich über ein großes Gebiet von der Donau im Westen bis zum Don im Osten“ (UTSCH, S. 16); „am Mittellauf des Borysthenes (der antiken Bezeichnung für den Dnjepr) lebten ebenso die Skythen“ (UTSCH, S.6); „Karte des skythischen Reiches“ (UBEL, S.21) – das Reich der Skythen erstreckte sich vollständig über das Gebiet der Ukraine. Auch auf der Karte „Nördliches Schwarzmeergebiet“ (UKP, S.19) werden die Siedlungsgebiete der Skythen gezeigt, die im wesentlichen das Territorium der Ukraine einnahmen.

Bei den russischen Schülern hat sich bereits die Vorstellung darüber gebildet, dass die Krim und das nördliche Schwarzmeergebiet zum Territorium Russlands gehören. Dabei werden auch nicht das Reich der Skythen mit ihrer Hauptstadt Neapolis auf der Krim vergessen: „Die Skythen sind auf die Krim übergesiedelt und machten die Festung Neapolis, unweit des heutigen Simferopol, zu ihrer Haupstadt“ (UTSCH, S.17); „Mit der Zeit schufen die Skythen ein Reich, welches ihre Besitzungen vom Asowschen Meer bis zur Donau vereinte. Die Hauptstadt dieses skythischen Reiches war Neapolis auf der Krim“ (UTSCH, S.6); „Die Hauptstadt der Skythen befand sich auf der Krim, in der Nähe des heutigen Simferopol“ (UDA, S.21). Und wieder ist es nur ein Lehrbuch, in dem hervorgehoben wird, dass die Skythen auf dem Gebiet der heutigen Ukraine gelebt haben: „Skythien befand sich auf dem Territorium der heutigen Ukraine“ (UDA, S.20).

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In einigen Lehrbüchern werden gar die Goten erwähnt, die in keinster Weise auf dem Gebiet Russlands lebten: „ein Teil der Goten überfiel die Anten, die zwischen Dnjepr und Donau gesiedelt haben“ (UBEL, S.27); „der Stamm der Goten kam in das nördliche Schwarzmeergebiet und schuf hier sein Reich“ (UP, S.19); „die Goten (ein germanisches Volk, das sich im nördlichen Schwarzmeergebiet niedergelassen hat)“ (UTSCH, S.7).

Der Abschnitt über die antiken Völker auf dem Territorium Russlands endet mit Informationen über die Ostslawen. Jedoch, die Autoren der Lehrbücher behandeln hier alle Stämme der Ostslawen, obwohl nur einige von ihnen auf Gebieten siedelten, die zur heutigen Russischen Föderation gehören: „Am größten war die Zahl der Poljanen, die entlang des Dnjepr lebten“ (UDK, S.15); „Die Siedlungen verwandelten sich in Städte: Kiew bei den Poljanen, Tschernihiw bei den Sewerjanen“ (UDK, S.25); „Die früheste Mitteilung über die Ostslawen berichtet von dem Fürsten Kyj. Zusammen mit seinen Brüdern Schtschek und Choriw und seiner Schwester Lybed gründete er die Stadt Kiew“ (UBEL, S.32); „Der größte der slawischen Stämme war der Stamm der Poljanen…Sie lebten am Ufer des Dnjepr. Ihre wichtigste Stadt war Kiew“ (UP, S.26); „In der Gegend von Kiew lebten von alters her die Poljanen“ (UKP, S.30).

Anschließend beginnen dann bereits die semantischen Spielchen: die Autoren gehen in den nächsten Abschnitten sehr frei mit dem Wort „russisch“ um. Zunächst bezüglich des Verständnisses von einem „Altrussischen Staat“: „Der altrussische Staat oder die Kiewer Rus“ (UDK, S. 29); „§6. Die Gründung des altrussischen Staates“ (UBEL, S.45); „Der altrussische Staat“ (UP, S.36); „§3. Die Gründung des altrussischen Staates“ (UTSCH, S.15); „Kapitel 2. Die alte Rus. §6-7. Der altrussische Staat unter den ersten Fürsten“ (UKP, S.40); „§6. Die Geburt des altrussischen Staates“ (UDA, S.38). Gleichzeitig wird der Begriff „russisch“ als Synonym zum Begriff „altrussisch“ eingeführt, als Zeichen der Zugehörigkeit oder als Selbstbezeichnung der Rus. Oft werden die Begriffe „russisch“ und „altrussisch“ auch miteinander ausgetauscht: „Nachdem Fürst Wladimir im Jahr 988 das Christentum angenommen hatte, begann dessen Verbreitung auf dem gesamten Gebiet des altrussischen Staates…An der Spitze der russischen Kirche stand der Metropolit“ (UDA, S.44); „altrussischer Staat“, „russische Chroniken“ (UKP, S.53); „russische Länder“ (UKP, S. 56); „russische Länder“, „altrussische Fürstentümer“ (UTSCH, S.72); „altrussischer Staat“, „russischer Staat“ (UP, S.38); „altrussischer Staat“, „russische Länder“ (UBEL, S.80).

Die Autoren der russischen Lehrbücher für die 6. Klassen gehen insgesamt sehr freizügig mit den Terminologien um: im Lehrbuch von Tschernischew etwa findet sich auf Seite 20 die Bezeichnung „Russen“ und gleichzeitig heißt es: „am Ende des 19. Jahrhunderts, wie der berühmte russische Forscher W.O. Kljutschewskij geschrieben hat“. Damit werden die Bestimmung der Zugehörigkeit zum „Altrussischen Staat“ und die Bestimmung eines Gelehrten des Russischen Kaiserreichs zusammengeführt. Im Lehrbuch Baranows und anderer heißt es ganz direkt, dass der „Altrussische Staat“ „russisch“ ist: „Die Forscher gaben der alten Rus die Bezeichnung „Altrussischer Staat“ und unterstrichen damit, dass es sich um den ältesten der bekannten russischen Staaten handelt“ (UBEL, S. 44). Im Lehrbuch von Ptschelow werden die Begriffe „altrussisch“ und „russisch“ einfach vereint: „Im Ergebnis bildete sich anstelle verschiedener Stämme ein einheitliches Volk, das die Historiker als altrussisch bezeichnen. Die Bewohner der alten Rus haben sich nun vor allem als Russen verstanden“ (UP, S.70-71).

Ein interessantes Verständnis zeigt sich in den Lehrbüchern auch im Hinblick auf die Zeit der Zersplitterung, als der „Altrussische Staat“ in einzelne Fürstentümer auseinanderbrach. Diese Zeit wird betrachtet als Abspaltung der „russischen Länder“. Im Lehrbuch von Ptschelow wird in den Bezeichnungen der einzelnen Paragrafen eine entsprechende Parallele gezogen: „§14. Die südliche Rus“ (über das Fürstentum Kiew, UP, S.98); „§15. Die südwestliche Rus“ (über das Fürstentum Halytsch-Wolhynien, UP, S.103); „§16. Der Staat Nowgorod“ (UP, S.106); „§17. Die Wladimir-Susdaler Rus“ (UP, S.114). Ähnlich gestaltet es sich auch in den anderen Lehrbüchern: „Die altrussischen Ländereien des Südwestens“ (über Halytsch-Wolhynien, UTSCH, S.74).

Wahrscheinlich verwundert nun auch nicht mehr das in den Lehrbüchern vertretene Verständnis von der orthodoxen Kirche zur Zeit des „Altrussischen Staates“. Im Lehrbuch Ptschelows heißt es, dass die Fürstin Olga, die als erste russisch-christliche Fürstin bezeichnet wird, womit also gemeint ist, dass sie eine Fürstin des „Altrussischen Staates“ und eine Angehörige der christlichen altrussischen Kirche gewesen ist, dass diese Olga in die Reihen der Heiligen aufgenommen wurde: „Die russisch-orthodoxe Kirche hat die erste russisch-christliche Fürstin als Heilige anerkannt“ (UP, S.48). Auch die übrigen Schilderungen der christlichen Kirche zur Zeit des „Altrussischen Staates“ sind bestimmt ausschließlich vom Verständnis als einer „russischen Kirche“: „Eines der ersten russischen Klöster wurde am Ufer des Dnjepr gegründet, in der Nähe von Kiew“ (UP, S. 79); „Ilarion wurde berühmt als Autor der ersten original russischen Schrift – der Predigt über Recht und Gnade“ (UTSCH, S.38); „Antonius und Feodosij haben die Grundlage des russischen Mönchtums gelegt“ (UP, S.79); „russische Kirche“, „russische Chroniken“ (UKP, S.67); „russisch-orthodoxe Kirche“ (UDK, S.45); „an der Spitze der russischen Kirche stand der Metropolit“ (UDA, S.44); „Das Kiewer Höhlenkloster wurde zum wichtigsten geistigen und kulturellen Zentrum der alten Rus. Hier lebten die Einsiedler der russischen Länder – der erste russische Chronist Nestor…der erste russische Ikonenmaler Alypius“ (UP, S.80).

Zum Abschluss noch einige „Schmuckstücke“ aus den Lehrbüchern: „In Russland begann der Buchdruck um das Jahr 1553…mit einem von Iwan Fjodorow, Diakon der Moskauer Kirche, gedruckten Buch …es erschienen noch weitere Bücher, darunter die erste russische Fibel“ (UP, S.244). Bekanntlich floh Iwan Fjodorow 1566 aus Moskau, nachdem seine Typographien dort verbrannt wurden. Seine „Fibel“ hat er 1574 in Lwiw gedruckt.

Und, wie man so schön sagt, ohne Kommentar: „die Eroberungszüge Iwans IV. waren der Beginn des Zusammenschlusses benachbarter Staaten an Russland, für* die Formierung seiner multinationalen Grundlagen*, für die Erschließung des Wolgagebiets und Sibiriens durch die Russen“ (UDA, S.223); „Russland war schon immer ein multinationaler Staat. Slawische, finno-ugrische, turksprachige und viele andere Völker haben unsere Heimat hervorgebracht. Aus ihrem wechselseitigen Beziehungen entstand die unvergleichliche Eigenheit Russlands. Russland hat sie vereint, in sein Haus aufgenommen und dadurch sein Territorium erweitert. Dieser Prozess war keineswegs immer einfach und reibungslos. Manche Völker haben sich auf kriegerischem Wege angeschlossen, andere auf friedlichem. Aber das Wichtigste ist, dass jedes dieser Völker seine Eigenart behalten hat, seine Kultur, seine Sprache, seine einzigartige und deshalb wertvolle Gestalt. Die Völker wurden nicht vertilgt, nicht vernichtet, sondern organisch in die russische Zivilisation aufgenommen.“ (UP, S.254).

Wenn wir das Dargelegte zusammenfassen, so lassen sich folgende Schlussfolgerungen ziehen: die Russische Föderation betrachtet das Gebiet des heutigen ukrainischen Staates als historisch eigentlich russische Ländereien und formiert diese Ansichten bei seinen Bürgern bereits von der Kindheit an. Die wesentliche Quelle für die Ausbildung dieser Ansichten bezüglich der Ukraine (aber nicht nur) als russisches Gebiet ist ein gewöhnliches Geschichtslehrbuch für den Schulunterricht.

18.03.2016 // Oleg Ochredko

Quelle: Serkalo Nedeli

Übersetzer:    — Wörter: 2952

Matthias Kaufmann - Studium der Geschichte und Ethnologie in Leipzig und Kasan. Im Anschluss längere Stationen in Berlin, Ufa, Barnaul und Regensburg. Derzeit als Mitarbeiter im International Office an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

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