Gelingt den Nationalisten die Rückkehr in die große Politik?
Oleh Tjahnybok (Swoboda), Andrij Bilezkyj (Nazionalnyj Korpus) und Andrij Tarassenko (Prawyj Sektor) erklärten den Zusammenschluss ihrer drei Rechtsaußenparteien.Vor ein paar Wochen ereignete sich in der ukrainischen Politik etwas Außergewöhnliches – die größten nationalistischen Parteien (und zwar gleich drei: Swoboda, Prawyj Sektor (Rechter Sektor) und der Nazionalnyj Korpus (Nationalcorps)) gaben zum Erstaunen der Beobachter ihren Zusammenschluss bekannt. Wie die Geschichte bezeugt, neigten die ukrainischen Nationalisten bisher immer zum Gegenteil. Die OUN (Organisation Ukrainischer Nationalisten), zum Beispiel, spaltete sich alsbald in Anhänger Banderas und Melnyks, die sich fortan bekämpften und bis heute nicht wieder vereint haben. Der Entstehung der UPA gingen blutige Auseinandersetzungen zwischen der OUN Banderas und der Aufstandsarmee von Taras Bulba-Borowez voraus. Die Ausmaße, die die Lagerkämpfe nach Erlangung der Unabhängigkeit angenommen haben, zu beschreiben, würde zuviel Platz einnehmen. Es genügt an den Zerfall der UNA-UNSO zu erinnern oder daran wie der Prawyj Sektor auseinanderfiel.
Und dann so etwas – es geschehen also noch Zeichen und Wunder: die Nationalisten wollen sich zusammenschließen! Noch pikanter wird das durch die Tatsache, dass der Nazionalnyj Korpus und Swoboda gemeinsame Wurzeln in der in Vergessenheit geratenen „Sozial-Nationalen Partei der Ukraine“ haben, die sich 2004 aufgespalten hat. Und nun haben Oleh Tjahnybok, Andrij Bilezkyj und Andrij Tarassenko also beschlossen, um der lichten nationalistischen Zukunft der Ukraine willen zusammenzugehen. Allzu bald wird diese aber wohl nicht anbrechen, vorzeitige Parlamentswahlen hingegen könnten schon dieses Jahr stattfinden. Und obwohl die Prognosen der Politologen alles andere als eindeutig sind, begeben sich die Politiker langsam in die Startlöcher. Der Oppositionsblock hat zum Beispiel bereits seinen Wahlkampfstab geformt. Während die Dinge im Fall des Oppositionsblocks mehr oder weniger klar sind, lohnt es sich kurz damit auseinanderzusetzen, womit sich die Nationalisten zur Wahl stellen und wie ihre Chance stehen.
Politische Chancen
Obwohl die vereinigten Nationalisten bestreiten, der Zusammenschluss habe etwas mit den Wahlen zu tun, ist ihre Wahlkampfstrategie ziemlich deutlich wahrnehmbar: Kleinvieh macht auch Mist, so bekommen auch die Nationalisten ihre Wyschywanka (besticktes Bauernhemd, A.d.Ü.). In die Sprache der Politologie übersetzt: es geht um die Akkumulation politischen Kapitals zur Überschreitung der Fünf-Prozent-Hürde. Vor dem Hintergrund allgemeiner Enttäuschung über die amtierende Regierung, haben die Nationalisten reelle Chancen ins nächste Parlament einzuziehen, aber im Moment erinnert das Gelegenheitsfenster eher an eine enge Schießscharte. Gemäß der Umfrage des Kiewer Internationalen Instituts für Soziologie vom Dezember, wären nur fünf Prozent der Wähler bereit Swoboda zu wählen (unter denjenigen, die angaben, an den Wahlen teilnehmen zu wollen). Die Umfragewerte vom Prawyj Sektor und dem Nazionalnyj Korpus liegen mit 0,9 und 0,2 Prozent im statistischen Fehlerbereich. Einen ähnlichen Unterstützungsgrad für die Nationalisten wies auch die Umfrage vom Dezember der Agentur Rating aus.
Ob es den Nationalisten gelingt, ihre Umfragewerte bis zu den nächsten Wahlen entscheidend zu verbessern, hängt von vielen Umständen ab. Möglichkeiten für einen Zuwachs gibt es. Während Swoboda und der Prawyj Sektor bei den Wählern längst keine Unbekannten mehr sind, erschien der Nazionalnyj Korpus erst vor kurzem, im Oktober 2016, auf der politischen Szene. Es ist nicht ausgeschlossen, dass gerade die aus dem Freiwilligenbataillon „Asow“ hervorgegangene Partei den vereinigten Nationalisten neue Sympathisanten bescheren wird. Freilich werden die Nationalisten bei den Wahlen auch starke Konkurrenten haben. Die Zeiten, in den Swoboda ihre elektorale Nische monopolisierte, sind längst vorbei. Mittlerweile greifen auch die Mainstreamparteien zu grober national-patriotischer Rhetorik und der Konkurrenzkampf um die Sympathien der radikalen Wähler wird nicht einfach.
Hinzu kommen die Imageverluste, die die Nationalisten in den letzten Jahren erlitten haben. Der Prawyj Sektor verlor mit Dmytro Jarosch seinen bekanntesten Vertreter und stolperte durch eine ganze Reihe von Skandalen, wie etwa die Schießerei in der Oblast Transkarpatien. Und Swoboda, von den allgemein bekannten Episoden mal abgesehen, büßte ihren stärksten Trumpf ein: die Erwartung der Wähler, die Nationalisten würden im Parlament Außergewöhnliches vollbringen. Wie sich 2012 nach dem triumphalen Einzug Swobodas in die große Politik erwies, waren diese stark überhöht. Vom Heldenmut der gewöhnlichen Parteimitglieder abgesehen, hat sich Swoboda auf dem Maidan nicht besonders hervorgetan. Und der Nazionalnyj Korpus steht in erster Linie vor der Aufgabe die Gesellschaft davon zu überzeugen, dass die aus dem Freiwilligenbataillon „Asow“ hervorgegangene Formation auch Politik machen kann. Bilezkyj selbst ist bisher nicht als Politiker in Erscheinung getreten und vermeidet es tunlichst in der Werchowna Rada zu erscheinen.
Was bieten die Nationalisten
Seine politischen Absichten legt das Triumvirat im „Nationalen Manifest“ dar, einer Aufzählung von Allgemeinplätzen nationalistischer Rhetorik. In der Außenpolitik wird vorgeschlagen, sich auf die bisher nicht existierende Ostsee-Schwarzmeer Union hin auszurichten. Was den Krieg anbelangt, sei es notwendig die diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland abzubrechen, das Land zum Aggressor-Staat zu erklären und einen „durchführbaren Plan zur Befreiung der Krim und des Donbass“ auszuarbeiten, vorerst aber die okkupierten Gebiete mit einer Blockade zu belegen. Außerdem gelte es, eine „hochtechnologisierte“ professionelle Berufsarmee sowie eine Reservearmee aufzubauen. Obendrein soll die Ukraine das Recht „wiedererlangen“ ihr Atomwaffenpotenzial aufzubauen und den Bürgern das Recht auf Waffenbesitz gewährt werden.
In der Politik versprechen die Nationalisten eine „echte Lustration“, verstärkte Verfolgung und Bestrafung von Korruption, die Bestimmung von Richtern und einigen lokalen Beamten durch allgemeine Wahlen, außerdem die Schaffung eines „wirksamen Amtsenthebungsverfahren“ für den Präsidenten und ein Gesetz zur Abberufung von Abgeordneten, Richtern und Beamten. Im sozial- und wirtschaftspolitischen Teil des Programms ist nichts weniger als die „Liquidierung der Oligarchie“ vorgesehen, insbesondere durch die Renationalisierung von nach 1991 widerrechtlich privatisierten Unternehmen. Ebenso sollen die Arbeitsrechte der Ukrainer gesichert, das Steuergesetz gerecht, die lokale Selbstverwaltung real und die demografische Dynamik positiv sein. Die ukrainische Sprache und der mediale Informationsraum sollen genauso wie „traditionelle Werte“ geschützt werden.
Diese und andere Punkte des „Manifests“ sind nicht neu, die Nationalisten proklamieren sie seit Jahren. In dieser Zeit sind ihre Deklarationen dabei nicht weniger fantastisch geworden, im besten Fall handelt es sich um eine Aufzählung von Fernzielen. Theoretisch braucht es nur eine Willensentscheidung, um Russland zum Aggressor zu erklären, aber die Ostsee-Schwarzmeer Union ist und bleibt eine politische Wunschvorstellung. Dasselbe gilt für den Wiederaufbau des Atomwaffenpotenzials oder eine Revision der Privatisierungen – das ist viel leichter gesagt, als nur schon anfängliche Resultate zu erzielen. Aber schnelle Resultate versprechen die Nationalisten ja auch nicht. „Sobald die Nationalisten die Macht übernehmen, werden wir das Manifest umsetzen“, erklärte Tjahnybok bei der Präsentation des Manifests ganz offen. Angesichts der Wahlchancen droht den Nationalisten in absehbarer Zukunft sicher keine Machtübernahme, sie treten also mit einer Sammlung von Träumen und Hoffnungen vor die Gesellschaft. Inwieweit das den Wählern gefällt, werden wir mit Sicherheit bald erfahren.
23. März 2017 // Hryhorij Schwez
Quelle: Zaxid.net
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