WikiLeaks deckt Verbindungen zwischen Wiktor Juschtschenko und Dmitrij Firtasch auf
Gestern wurden auf der Seite WikiLeaks die ersten Dokumente veröffentlicht, die von der Botschaft der USA in der Ukraine nach Washington gesandt wurden. Aus ihnen geht hervor, dass der Geschäftsmann Dmitrij Firtasch Präsident Wiktor Juschtschenko während des Gaskonflikts mit Russland beraten hat und Julia Timoschenko, den Einschätzungen eines der Gesprächspartner des US-Botschafters John Tefft nach, bei der Entscheidungsfindung dem Populismus und nicht dem gesunden Menschenverstand den Vorzug gab.
Alte Bekannte
Die Berichte der US-Botschaften an das State Department, die dank der Website WikiLeaks an die Öffentlichkeit gerieten, sind in der überwiegenden Mehrzahl keine sensationellen – in diesen Dokumenten werden der Welt bekannte Ereignisse beschrieben und von Interesse ist vor allem die Offenheit der amerikanischen Diplomaten (Ausgabe des “Kommersant-Ukraine” vom 30. November und vom 1. und 2. Dezember). Gestern veröffentlichte WikiLeaks die erste Partie von Depeschen, die von der diplomatischen Vertretung der USA in der Ukraine zusammengestellt wurde. Und obgleich in den allgemeinen Zugang nur sechs von 1.139 Depeschen, die in Kiew geschrieben wurden, kamen, fällt der ukrainische Teil der Briefwechsel sofort aus dem allgemeinen Kanon heraus – die veröffentlichten Daten erwiesen sich als sensationell.
Von höchstem Interesse ist das Dokument, welches auf den 10. Dezember 2008 datiert ist und in die Basis des State Department unter der Kennzeichnung „geheim“ einging. In diesem sind die Details eines zweieinhalbstündigen Gesprächs des damaligen amerikanischen Botschafters in der Ukraine, William Taylor, mit dem ukrainischen Milliardär und Besitzer der Group DF, Dmitrij Firtasch, wiedergegeben worden. In diesem Gespräch erwies sich Firtasch als äußerst offen. „Es war bemerkbar, dass er sich bemüht sein Image in den Augen der USA zu verbessern“, betont Taylor.
Dmitrij Firtasch teilte mit, dass er mit Wiktor Juschtschenko „bereits seit den Zeiten der ‘orangen Revolution‘“ bekannt ist und sein „enger Freund ist“ und „ein Mensch, dem der Präsident vollständig vertrauen kann“. Der Geschäftsmann hob ebenfalls hervor, dass er „inoffizieller Berater“ von Juschtschenko während der Gaskrise des Jahres 2006 war. Bekanntlich wurde nach dem damaligen Gaskrieg zwischen Russland und der Ukraine das unter der Kontrolle von „Gasprom“ und Dmitrij Firtasch stehende Unternehmen RosUkrEnergo zum exklusiven Lieferanten russischen und zentralasiatischen Gases ins Land.
2008 wirkte sich die Freundschaft Dmitrij Firtaschs mit dem Präsidenten und ebenfalls die angespannten Beziehungen zur damaligen Premierin Julia Timoschenko auf die Kräfteverteilung im Parlament aus, wird im Dokument bestätigt. Der Geschäftsmann erzählte dem Botschafter, dass eben dank seiner Einmischung die Gründung einer Koalition zwischen der Partei der Regionen und dem Block Julia Timoschenko „im letzten Moment, als alles fertig war“ scheiterte.
Taylor bat den Gesprächspartner seine Verbindungen mit dem maßgeblichen Unternehmer aus Russland, Semjon Mogiljewitsch, den die USA als einen der gefährlichsten Verbrecher der Welt ansehen, zu kommentieren. Der ukrainische Milliardär gab angeblich die Tatsache der Zusammenarbeit mit ihm zu, doch erläuterte er, dass er darin nichts schlechtes sieht. „Im Westen versteht man einfach nicht, was die Ukraine nach dem Zerfall der UdSSR darstellte … Um unterschiedliche Geschäftsarten anzufangen, musste man eine Erlaubnis von Mogiljewitsch erhalten“, übermittelte der Botschafter der USA die Worte des Geschäftsmannes.
„Dmitrij Firtasch hat niemals die Tatsache der Bekanntschaft mit Mogiljewitsch verborgen, doch er ist niemals eine geschäftliche oder kommerzielle Partnerschaft mit ihm eingegangen. Die Information darüber, dass für Dmitrij Firtasch irgendwelche Erlaubnisse für das Führen eines Geschäfts von Mogiljewitsch benötigte, ist absurd und verlogen“, erklärte man dem “Kommersant-Ukraine” beim Pressedienst des Besitzers der Group DF. Der “Kommersant-Ukraine” sandte an Dmitrij Firtasch ebenfalls eine Reihe von Fragen über seine Rolle im politischen Leben des Landes, doch verzichtete dieser auf eine Antwort. „Die Unterhaltung mit Botschafter Taylor trug einen privaten und konfidentiellen Charakter und Firtasch hält an der Position der Geheimhaltung der Information über dieses Treffen fest“, erläuterte man beim Pressedienst.
Sich mit Wiktor Juschtschenko in Verbindung zu setzen, gelang dem “Kommersant-Ukraine” gestern nicht, bei seinem Pressedienst verzichtete man auf Kommentare. Derweil bestätigte der ehemalige Leiter des Sekretariats des Präsidenten, Oleg Rybatschuk, die Tatsache der Beteiligung Dmitrij Firtaschs an den Gasverhandlungen des Jahres 2006. Ein weiterer Gesprächspartner des “Kommersant-Ukraine”, der Juschtschenko nahe steht, bestätigte, dass die Kommunikation des Präsidenten mit dem Besitzer der Group DF sich auch nach 2006 fortgesetzt hat: „Sie haben tatsächlich oft miteinander kommuniziert und daran ist nichts schlechtes. Der Präsident wandte sich beispielsweise an ihn mit der Bitte um Hilfe bei der Beteiligung am Programm ‘Wärm ein Kind mit Liebe’ und auch bei anderen Projekten“.
Bemerkenswert ist, dass Wiktor Juschtschenko vorher mehrfach seine Beteiligung an der Einführung von RosUkrEnergo (RUE) in den Gasmarkt zurückwies und bekräftigte, dass er nicht weiß, wer Aktionär dieses Unternehmens ist, dabei äußerst negativ auf jegliche Erwähnungen seines Namens in Verbindung mit dem Gasmittler reagierend. „Ich werde darin beschuldigt, dass ich irgendeine Beziehung zu RosUkrEnergo habe“, erklärte Wiktor Juschtschenko auf der Sitzung des Rates für nationale Sicherheit und Verteidigung im Februar 2009. „Ich möchte das nicht, mir reicht es davon zu hören. Ich habe mich nicht mit Ihrem stinkenden Gas beschäftigt … Ich habe die Ehre davon nicht zum ersten Mal zu reden“.
Julia Timoschenko, die in den letzten Jahren die Hauptgegnerin von Dmitrij Firtasch war und die bekäftigte, dass RUE im Gaslieferschema eben unter Mithilfe von Präsident Wiktor Juschtschenko erschien, zeigte sich gestern zufrieden mit der aufgetauchten Information. „Bessere Beweise dafür, als der Bericht des amerikanischen Botschafters, kann es nicht geben“, erklärte Timoschenko dem “Kommersant-Ukraine”, dabei den von WikiLeaks veröffentlichten Briefwechsel kommentierend. „Das Dokument, welches jetzt aufgetaucht ist, bestätigt, dass die Realitäten sich von dem unterschieden, was der Präsident sagte“.
Populistin und Verlierer
Den zweiten Block der Dokumente, die von WikiLeaks veröffentlicht wurden, kann man als Berichterstattung über die politische Situation in der Ukraine bezeichnen. In diesem sind analytische Schlussfolgerungen des derzeitigen Botschafters der USA in der Ukraine, John Tefft, und seiner Vorgänger – William Taylor und John Herbst – aufgeführt. So erzählt Tefft, in einem Dokument mit der Kennzeichnung „konfidentiell“, das auf den 29. Januar dieses Jahres datiert ist, über die Beziehungen der Präsidentschaftskandidaten zum Thema nationale Sicherheit und Verteidigung. Der Botschafter hebt hervor, dass diesem Thema „nur eine schablonenartige Aufmerksamkeit zuteil wurde und es nur wenig öffentliche Debatten gebar“. Dabei unterstreicht er, dass sich sogar die Kandidaten, von denen man eine solche Rhetorik erwartete, beispielsweise vom ehemaligen Verteidigungsminister Anatolij Grizenko, auf unter den Wählern populärere Themen konzentrierten – die Lösung der ökonomischen Fragen. „Es gab Erwartungen, dass der ehemalige Verteidigungsminister und Leiter des Parlamentsausschusses für Verteidigungsfragen, Anatolij Grizenko, der für die Wahlkampfwerbung in Militärkleidung fotografiert wurde, seine pro-Nato und prowestliche Rhetorik fortsetzt“, schreibt John Tefft. „Jedoch zielte die Wahlkampagne Grizenkos im Gegenteil auf eine breite Masse ab und war auf für die Wähler drängendere ökonomische und politische Fragen konzentriert“.
Das letzte Telegramm der Botschaft der USA in der Ukraine, welches von WikiLeaks veröffentlicht wurde, ist auf den 24. Februar datiert und in vielem Julia Timoschenko gewidmet, die zu dieser Zeit bereits den Präsidentschaftswahlkampf verloren hatte. In diesem wird das Gespräch des Botschafters der USA mit einem Menschen, dessen Vor- und Familiennamen die Mitarbeiter von Wikileaks geheimzuhalten entschieden, wiedergegeben. In diesem Dokument wird Timoschenko als „destruktive“ und „herrschsüchtige Populistin“ beschrieben.
John Tefft übermittelte Washington, dass sein Gesprächspartner sich kritisch auf die Führungsqualitäten Julia Timoschenkos bezog und erzählte, dass sie politische Entscheidungen traf, dabei nicht auf begründete Empfehlungen hörend. „Ihm (dem Gesprächspartner) war die Logik Timoschenkos in der Mehrzahl der Fälle schwer zu verstehen, mit Ausnahme der Entscheidungen, bei denen sie sich von einem abenteuerlichem Populismus leiten ließ. Sie war ebenfalls zu sehr von ihren eigenen Entscheidungen überzeugt und meinte, dass alle anderen unrecht haben“, gab John Tefft das Gespräch mit dem ehemaligen Mitstreiter Timoschenkos wieder. Den Worten des Botschafters nach kam dessen Gesprächspartner zu dem Schluss, dass Julia Timoschenko „einfach nur die Macht in ihren Händen konsolidieren wollte“. „In ihren Augen half der Populismus das zu tun, doch Reformen nicht“, zitiert Tefft seine Quelle.
Ein weiterer Bericht der Botschaft der USA in der Ukraine ist den Parlamentswahlen 2006 gewidmet und wurde nach Washington von dem vorhergehenden US-Botschafter in der Ukraine, John Herbst, am 30. März 2006 geschickt. Ungeachtet dessen, dass die Mehrzahl der Stimmen damals die Partei der Regionen erzielte (32 Prozent), bezeichnete Herbst BJuT (Block Julia Timoschenko) als Wahlsieger, der entgegen den soziologischen Umfragen, die ihm den dritten Platz und etwa 15 Prozent vorhersagten, es vermochte 22 Prozent der Stimmen zu erzielen und den zweiten Platz zu belegen, dabei den Block „Unsere Ukraine“ hinter sich lassend. „Als größten Verlierer“ der Parlamentswahlen 2006 sah John Herbst den damaligen und jetzigen Vorsitzenden der Werchowna Rada an, dessen politische Kraft „Volksblock Litwin“ es nicht vermochte die Dreiprozenthürde zu überwinden. Unter den Parteien wurde „Unsere Ukraine“ mit der gleichen Charakteristik gewürdigt. „Die schlechte Organisation von ‘Unsere Ukraine’ bei den Wahlen 2006 verheißt nichts Gutes für die Wiederwahl Juschtschenkos im Jahre 2009 oder bei den nächsten Parlamentswahlen 2011, wenn sie nicht ihre Organisation umbaut“, fasste John Herbst zusammen.
Sergej Sidorenko, Jelena Geda, Ljudmila Dolgopolowa
Quelle: Kommersant-Ukraine