Die Abenteuer des braven Volksabgeordneten Ljaschko und seine Welten
Es vergeht fast keine Stunde, ohne dass der Nachrichtenraum der Ukraine Berichte von den Abenteuern des braven Volksabgeordneten Ljaschko erbebt. Glaubt man seinen bravourösen Verlautbarungen, so war er es, der sämtliche Feinde der Mutter Ukraine “aufspürte, gefangen nahm, verhörte, neutralisierte”, und seine “Bataillone” vernichteten alle Separatisten und vollendeten siegreich die Anti-Terror-Operation. Nach Ljaschko und seinen Troubadouren ist es ihm allein gelungen wie der unbesiegbarer Krieger Anika nur durch Clownerie, Kleiderwechsel und Engagement einiger besonderer Oligarchen-Medien die Ungerechtigkeit zu überwinden und alle glücklich machen.
Clowns gibt es von verschiedener Art
Es ist fraglich, ob Oleh Ljaschko ein guter sonniger Clown ist. Das Ziel eines Zirkus-Clowns ist es, das Publikum zum Lachen zu bringen, seine Stimmung zu heben und dazu beitragen, der grauen Alltagsroutine zu entkommen. Clownerie in der Politik und vor allem in einem Land, das sich im Krieg befindet, ist etwas völlig anderes. Sie hat nicht zum Ziel, positive Emotionen bei den Menschen hervorzurufen oder die drängenden Probleme der Gesellschaft zu lösen. Das einzige, wozu sie fähig ist, besteht darin, von den wichtigen Aufgaben ablenken, den Menschen nicht die Gelegenheit zu geben, Prioritäten zu setzen. Denn alles in allem ist dies Zerstreuung und Herumstolzieren, wo man imitieren, nachahmen, sich ähnlich machen kann, aber nicht mehr. Die Farce der Clownerie Ljaschkos wird mit nur einem Ziel ausgespielt: mit Unverschämtheit leichtgläubige Bürger zu betrügen und ihnen alles zu nehmen, was sie haben: ihre Stimme bei der Wahl. Daher müssen/sollten die Wähler und Zuschauer immer darüber nachdenken, wozu diese teure Aufführung veranstaltet wird und welche Entlohnung der Schauspieler für sie begehrt.
Oleh Ljaschko scheint einen guten Künstler von ganz eigenem Genre abzugeben, ist in dieser Sache aber natürlich kein Pionier. Der erste, der in nachsowjetischer Zeit diese Rolle für sich in Anspruch nahm, war Wladimir Schirinowskij. Indem er sich die Maske eines armen Narren aufsetzte, entledigte er sich aller Beschränkungen, was es ihm erlaubte, alle gesellschaftlich akzeptierten Normen und Prinzipien zu aufzugeben. Aber warum machte sich niemand von den Leichtgläubigen Gedanken darüber, warum gerade Schirinowskij über alles reden, manchmal sogar den Tyrannen hart kritisieren kann?
Es ist klar, dass es im Fall von Schirinowskij um eine Tätigkeit mit vielen Funktionen geht. Zunächst einmal kann man nicht die Schrauben in der Gesellschaft vollständig anziehen. Immer muss man an die Wichtigkeit der Funktion des Überdruck-Ventils denken, andernfalls kocht es im Topf der Gesellschaft über, kommt mit Sicherheit zur Explosion. Ferner nimmt der Narr die Rolle des wichtigsten Oppositionellen auf sich. Hiervon genießt die Macht einen doppelten Nutzen: Die Opposition schaut mit geschlossenem Mund äußerst blass geworden auf den herumlärmenden Schreihals, und kann folglich auch nicht auf die geringste Unterstützung aus der Gesellschaft zählen: die Stimmen der protestierenden Wähler wandern in die Hände der politischen Macht. Drittens kann der Bajazzo, der in den populären TV-Shows herumturnt, völlig ruhig die Rolle eines Indikators der öffentlichen Meinungen ausüben. Denn was würde das Volk dazu sagen, wenn wir hier Einschränkungen einführten?
Wie sich herausstellte, ist es unmöglich, in einem solchen Repertoire zu siegen oder den Stab zu biegen, denn stets finden sich Unterstützer einer solchen “Kunst” oder Verständnisvolle werden gnädig sagen: “Was willst von ihm – ein Dummkopf…” Dummkopf bleibt Dummkopf, aber er hält seine Fraktion stabil in der Duma, wurde Millionär und empfing sogar das Amt des stellvertretenden Parlamentssprechers.
Aber worin unterscheidet sich unser ukrainischer Schirinowskij? Vor allem ist er ein Patriot und für Gerechtigkeit. Während Schirinowskij den wohlhabenden Baron spielt, der verächtlich auf die sozial Niedrigen herabschaut, so ist Ljaschko der Beschützer aller Beleidigten und Benachteiligten. Während Schirinowskij ein Aggressor ist, der die russischen Militärstiefel im Indischen Ozean plantschen zu lassen verspricht, dann ist Ljaschko zuallererst Kämpfer gegen den inneren Feind, der sich in den Führungsabteilungen niedergelassen hat, und wenn er nicht offen gegen die Ukraine redet, dann sabotiert er doch sicher. Das Wichtigste, was beide verbindet, ist Empörung, Courage und operettenhaftes Verhalten.
Die trunkenen Drohungen Schirinowskijs aus der Sauna, Amerika zu zerstören und die Heugabel in den Händen des teuer gekleideten Ljaschko sind Verhaltensweisen, die sich ausschließlich der Meinungsmache verdanken, nicht mehr, nicht weniger. Wo aber Meinungsmache ist, dort sind notwendigerweise Medien einbezogen. Sowohl Schirinowskij als auch Ljaschko sind Mediengestalten. Nicht zufällig begleiten die Kameras den Volksabgeordneten Lajschko beinahe bis zum Ankleideraum. Ganz besonders liebt der Fernsehkanal Inter, der vom früheren Leiter der Präsidial-Administration Janukowytschs Serhij Lwotschkin kontrolliert wird, den Volksabgeordneten Ljaschko. Da führt Ljaschko die Kämpfer “seines” Bataillons zur Front, da verhaftet er Separatisten, führt das Verhör mit dem Verteidigungsminister der selbstausgerufenen Donezker Volksrepublik, ja streitet mit einem Entscheidungsträger, den er der Sympathien für die Separatisten verdächtigt.
Der trickreiche Held eilt zur Rettung
Die Mobilität und Medienpräsenz Oleh Ljaschkos sind beeindruckend. Wenn in Zukunft irgendein Historiker die Geschichte der Ukraine 2013-2014 schreiben wollte und dies anhand von Videomaterialien zu unternehmen versuchte, so müsste er feststellen: Die Revolution der Würde vollführte Ljaschko, ja mit eigenen Kräften gewann er die Anti-Terror-Operation. Um sich von der Korrektheit der getroffenen Einschätzungen zu überzeugen, gilt es die Bewertungen des namhaften Politologen Ihor Popow zu kennenzulernen, der unermüdlich versichert, dass “die wichtigste Errungenschaft der Revolution der Würde in der Erneuerung der politischen Gesichter besteht”, um dann sogleich aus irgendeinem Grund zur Person Oleh Ljaschkos überzugehen, dem er unglaublichen politischen Erfolg verheißt (Interview Espreso.tv 28. April).
Er kommentiert sogar den Erfolg der Radikalen Partei Ljaschkos bei den Wahlen zum Kyiwer Stadtrat und seine persönliche Platzierung als Präsidentschaftskandidat der Ukraine: “Oleh Ljaschkos hohes Ergebnis ist ein Signal an die anderen Politiker, dass der Wähler nicht nur schöne Erklärungen und Versprechungen hören will, sondern von den Politikern reale effektive Aktionen wünscht. Gerade Ljaschko geht persönlich in die Regionen, wo die Unterstützung eines gesamtukrainischen Politikers notwendig ist. Er stellt die Gerechtigkeit bei den Gemeinderäten wieder her, er reißt persönlich Zäune ein, die es den Bürgern schwer machen, an Erholungsorte zu fahren. Er fängt und verhört die Anführer der Separatisten im Donbass.” Eigenartig, was mag mit einem Politologen geschehen sein, dass er zu solchen expliziten Manipulierungen greift? Denn dieses Zitat ist eine komplette Manipulation.
Es ist Tatsache, dass es bei Ljaschko außer Worten, Videoaufnahmen und offensichtlicher Meinungsmache überhaupt nichts Konkretes gibt. Insbesondere lachhaft ist die Formulierung “Wiederherstellung der Gerechtigkeit”. Man möchte fragen, wo, wann, wie und ob das eine Person machen kann. Eine Analogie liegt nahe zu den Helden amerikanischer Zeichentrickfilme, das schwarze Phantom, der zur Rettung herbeieilt. Aber Zeichentrickfilme sind Zeichentrickfilme, in der Ukraine aber dauert weiterhin der blutige Krieg. Und so stellt sich die gesetzeskonforme Frage, womit und wie dieser Held aus den Zeichentrickfilmen der ukrainischen Gesellschaft schaden mag. Versuchsweise folgende Argumente:
Beginnen wir mit der Revolution der Würde. Natürlich waren die Ereignisse auf dem Kyjiwer Majdan im letzten Winter nur der Anfang unglaublicher Veränderungen, die in der ukrainischen Gesellschaft passieren müssen. Die Ukraine muss ihre Souveränität schützen und gleichzeitig tiefgreifende sozioökonomische Reformen durchführen. Es gibt keinen Bereich, der nicht radikale Veränderung erfordert. Und auch hier wieder versucht der bereits uns bekannte Politologe Ihor Popow die Ansicht unterzuschieben, dass die einzige reformerische politische Kraft in der Ukraine die Radikale Partei Ljaschkos sei: “Die öffentliche Forderung nach den radikalsten Reformen setzten früher Batkiwschtschyna (Vaterlandspartei) und Swoboda (Freiheit) durch, dagegen hat das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen gezeigt, dass ihre Wähler mehr der Radikalen Partei Ljaschkos trauen.” Ich möchte den Herrn Politologen fragen, welche radikalen Reformen Batkiwschtschyna und Swoboda bei den Wahlen vor kurzem vorschlugen und wichtiger noch durchsetzten. Und welches sind, entschuldigen Sie die Tautologie, diese radikalen Reformen, die die Radikale Partei Ljaschkos vorschlägt? Wo ist das Reformpaket, wer hat es entwickelt und wo ist seine öffentliche Diskussion? Derzeit erkennbar war allein der nackte Populismus dieses Herrn und seiner Partei.
Sprechen wir nun über die Anti-Terror-Operation und die militärischen Aktionen im Donbass. Schaut man die Werbe-Banner Ljaschkos durch, so drängt sich der Eindruck auf, dass es in der Ukraine es keine Streitkräfte oder die Nationalgarde gibt, ausgenommen “seine” halbmythischen Bataillone, dass der ganze Krieg eine Mission des braven Soldaten Schwejk im Osten ist. Niemand kann den separatistischen Bürgermeister, den Minister-Terroristen oder wenigstens irgendeinen Feind der Ukraine ausfindig machen und verhaften, niemand außer ihm – Ljaschko, der malerisch vor der Kamera Verhöre durchführt und anschließend auf seiner Facebook-Seite Verdikte fällt: “Verhörte einen der führenden Separatisten, den Verteidigungsminister der sogenannten Donezker Republik Ihor Chakmisjanow. Dieser Bastard hat zugegeben, dass er mit dem russischen Geheimdienst FSB zusammenarbeitete, von ihm Geld erhielt, an der Vergiftung ukrainischer Kämpfer teilgenommen hat, Anweisungen von dem Mitarbeiter der russischen Auslandsaufklärung Oberst Igor “Strelkow”-Girkin erhielt, Ukrainer erschoss. Tod den Invasoren und ihren Helfershelfern!”
Und noch zum Verhör. Wer ist dieser Volksabgeordnete Ljaschko, dass er operative Erkundigungen im Gebiet der Anti-Terror-Operation durchführen und persönlich Gefangene verhören kann? Niemand. Solche Vollmachten hat er niemals gehabt und es hat sie ihm auch niemand delegiert. Und dass eine absolut kompromittierte Person Verhöre durchführt, und seien es selbst Terroristen und Separatisten, sie auszieht und demütigt, liegt nicht nur außerhalb des Feldes der Rechtmäßigkeit, sondern auch des gesunden Menschenverstandes. Außerdem gibt es die berechtigte Frage, was denn anschließend mit diesen Angaben passiert, die es aus den Festgenommenen herauszuprügeln glückte, gelangen sie an das Innenministerium, an den Geheimdienst, an die militärische Aufklärung und die Spionageabwehr? Warum machen das nicht diejenigen Dienste, die es tun sollten, entsprechend den eingesetzten Funktionen? Wenn das nicht durchführbar ist, dann muss man über einen sofortigen Austausch der Mitarbeiter nachdenken.
Und am schlimmsten ist, dass Herr Ljaschko, der daran gewöhnt ist, ein Medien-Leben zu führen, bereits nicht mehr unterscheidet, wo eine geheime Information über geplante Kriegsoperationen vorliegt und wo seine Meinungsmache für sich. So “enthüllte” er kürzlich bei einem Impuls zu Meinungsmache die Pläne eines “seiner” Bataillone, woraufhin dieses in einen Hinterhalt geriet. Kurz gesagt, die uns aufgebundene Anwesenheit dieses, wie man klar sagen muss, Schauspielers im Gebiet der Anti-Terror-Operation und seine Beliebtheit in den Medien schafft den Eindruck, dass der ukrainische Staat an sich gar kein Staat ist. Dass die freiwilligen Bataillone im Gebiet der Kampfhandlungen nicht Muster von Patriotismus, sondern Anarchie und Herrschaft der Warlords bedeuten. Dass im ukrainischen Staat Gesetze unwirksam sind und es keine Gerichtsbarkeit gebe, sondern nur noch die Macht des Stärkeren. Die Erniedrigung der Menschenwürde der Gefangenen und das Fehlen entsprechender Reaktionen staatlicher Organe und der ukrainischen Gesellschaft legen sich wie schmutzige Flecke auf den edlen Kampf für die ukrainische Souveränität, demokratische Werte und schlicht für seine Zukunft. Ist das nicht ein zu hoher Preis für die Meinungsmache für einen einzigen, selbst sehr talentierten Clown?
Anmerkung des Übersetzers: Im Hintergrund des Stichwortes Narr – Jurodiwy – steht eigentlich das im Frömmigkeitsleben der orthodoxen Kirche noch rudimentär geläufige Bild vom sog. “Narren in Christo”, der ähnlich wie der Hofnarr durch paradoxe Handlungen und Worte, die theologisch auf die sog. “Negative Theologie” verweisen, die tatsächliche Welt als Scheinwelt kritisieren und zur Besinnung anregen.
5. August 2014 // Wassyl Rassewytsch
Quelle: Zaxid.net