Andreas Umland: Der neue deutsche Außenminister und die europäische Perspektive der Ukraine


Der designierte Vizekanzler der Bundesrepublik Deutschland repräsentiert eine Partei, die sich offiziell für einen möglichen künftige Beitritt der Ukraine zur EU ausgesprochen hat

In den internationalen Massenmedien, einschließlich den ukrainischen, wurden die deutschen Parlamentswahlen vom 27. September 2009 meist als eine Konfrontation zwischen den Christdemokraten Angela Merkels und den Sozialdemokraten Frank-Walter Steinmeiers dargestellt. Letzterer verlor dieses Duell und wird demnächst den Posten des Außenministers der Bundesrepublik verlassen. Merkel bleibt deutsche Kanzlerin, obwohl auch ihre Parteien – die CDU und CSU – einiges an Unterstützung in der Bevölkerung verloren haben.
Für die Ukraine sind gleichwohl nicht diese Rückwirkungen der Stimmungsänderungen in der deutschen Wählerschaft das wichtigste Ergebnis der Bundestagswahlen. Die ukrainische Elite sollte eher ihre Aufmerksamkeit darauf richten, dass Guido Westerwelle, Vorsitzender der deutschen Liberalen, der Freien Demokratischen Partei (FDP), zum neuen Leiter des Auswärtigen Amtes der BRD, d.h. des deutschen Außenministeriums, wird.

Die Liberalen haben bei den vergangenen Wahlen 14,6% der Stimmen erhalten – das beste Resultat in der Geschichte der FDP. Die deutschen Liberaldemokraten und ihr Vorsitzender Westerwelle sind bislang in der Ukraine wenig bekannt. Jedoch ist die FDP für die Ukrainer insofern bemerkenswert, als sie diejenige deutsche Partei ist, die in ihren Programmen zu den Wahlen für das europäische und das deutsche Parlament 2009 am deutlichsten für die Gewährung einer Möglichkeit für die Ukraine, Beitrittskandidat der EU zu werden, Position bezogen hat.

Der entsprechende Passus in den Wahlprogrammen der Liberalen lautet: „Die Staaten des westlichen Balkans haben eine mittel- bis langfristige Perspektive, der EU beitreten zu können, was die FDP unterstützt. Langfristig gilt dies auch für die Ukraine.” Diese knappe Phrase unterscheidet sich in ihrer Klarheit von der Position fast aller bedeutender Parteien der Bundesrepublik.

Einziger ernsthafter „Konkurrent” der Liberalen in dieser Beziehung sind die deutschen Grünen, die bei den letzten Wahlen, wie auch die FDP, das beste Ergebnis ihrer Geschichte erzielt haben (10,7%); jedoch werden Bündnis 90/Grünen nicht zur künftigen deutschen Regierung gehören.

Die Bündnisgrünen haben in ihrem Programm zu den Wahlen zum Europaparlament die ukrainische Perspektive nicht berührt, doch erklärten sie: „Die GRÜNEN stehen dazu, dass alle europäischen Staaten – ausdrücklich auch die osteuropäischen – wie im EU-Vertrag vorgesehen eine Beitrittsperspektive erhalten.”

In ferner Zukunft könnte möglicherweise auch dieses Detail bedeutend für die Ukraine werden, da die grüne Partei bereits einmal den Posten des Außenministers besetzt hatte – Joschka Fischer leitete 1998-2005 das Auswärtige Amt der Bundesrepublik.

In den nächsten vier Jahren werden die Liberalen der FDP die wichtigste politsche Kraft für die Ukraine in Deutschland werden, da ihr Vorsitzender Westerwelle wahrscheinlich Außenminister und gleichzeitig Vizekanzler der Bundesrepublik in den Jahren 2009-2013 sein wird.

Ukrainische Politiker, Diplomaten und Intellektuelle sollten bei künftigen Verhandlungen oder Gesprächen sowohl mit ihren deutschen als auch europäischen Partnern im Blick haben, dass einer ihrer entscheidenden Gesprächspartner in Deutschland einer Partei vorsitzt, die in ihrem Programm offiziell eine langfristige ukrainische EU-Beitrittsperspektive bekräftigt hat.

Ebenfalls erwähnenswert ist, dass die Außenpolitik der Bundesrepublik zukünftig wahrscheinlich weniger „prorussisch“ sein wird, falls dieser Begriff überhaupt angebracht ist. Mit Steinmeiers Abgang vom Posten des Außenministers, verlässt die Regierung der Bundesrepublik ein Vertreter des „Schröderschen” Ansatzes gegenüber der Russischen Föderation.

Welche genauen Folgen diese neuen Nuancen in der deutschen Außenpolitik für die Ukraine haben werden, ist bislang schwer zu sagen, doch das sie bestimmte Veränderungen nach sich ziehen werden, scheint bereits heute klar.

Andererseits muss die ukrainische Elite berücksichtigen, dass die CDU/CSU, auch künftig die Hauptkraft der deutschen Regierungskoalition, bisher keine eindeutige Position in Bezug auf eine mögliche EU-Mitgliedschaft der Ukraine bezogen hat. Die Christlich-Soziale Union hat sich, ungeachtet der engen Verbindungen zwischen Bayern und der Ukraine, in ihrem Programm zu den Wahlen zum Europäischen Parlament in diesem Jahr mehr oder weniger deutlich gegen eine Vollmitgliedschaft der Ukraine (wie auch anderer möglicher künftiger Kandidaten) in der EU ausgesprochen.

In der Christlich-Demokratischen Union von Angela Merkel gibt es offensichtlich keine einheitliche Meinung bezüglich einer möglichen EU-Kandidatur der Ukraine. Bei den Christdemokraten gibt es keine derart eindeutig negative offizielle Position bezüglich dieser Frage, wie bei ihren bayerischen Verbündeten. Einzelne CDU-Vertreter sprachen sich in der Vergangenheit gegen die Idee eines Beitritts der Ukraine zur EU aus, während andere sich diesbezüglich positiv oder ambivalent geäußert haben. Diese uneindeutige Position der CDU/CSU ist offensichtlich mit den, im Vergleich zur FDP und den Grünen, weniger liberalen und konservativeren Grundeinstellungen der beiden Mitte-Rechts-Parteien verbunden.

Bislang lässt sich schwer sagen, welche die klügste Strategie der ukrainischen Führung unter diesen neuen Bedingungen sein könnte. Wie liberal Westerwelle in seinen Ansichten auch sein mag, muss er doch auch auf die Meinung seiner Kollegen sowohl in der Bundesregierung, als auch im Rat der EU Rücksicht nehmen. Er kann nicht eigenständig eine europäische Perspektive für die Ukraine verkünden.

Nichtsdestoweniger: die Chancen die sich aus der Perspektive ergeben, dass das deutsche Außenministerium bald unter die Kontrolle einer relativ „proukrainischen” deutschen politischen Partei gerät, kann und muss die Ukraine für sich nutzen.

Der Artikel wurde zuerst in der Ukrajinska Prawda veröffentlicht. Eine Replik hierauf findet sich hier.

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