Ein Ausweg für die Ukraine


Wiktor Baloga spricht von der Notwendigkeit ein Referendum durchzuführen, um den „Südosten loszulassen“, wenn sich nicht die Mehrheit der Ukrainer für eine Verlängerung der Kriegshandlungen ausspricht. Gennadij Korban empfiehlt der ukrainischen Regierung, mit wem auch immer einen Frieden zu vereinbaren, „wenn ein Blitzkrieg nicht gelingt“. Solche Launen greifen die russischen Massenmedien gerne auf und beteuern, dass die Position der legendären „Kriegspartei“ in der ukrainischen Führung geschwächt wird – jetzt sind in ihr keine Balogas, keine Kolomojskijs. Und vor allem finden diese Launen sogar unter den Ukrainern Unterstützung, die nicht verstehen, weshalb man in ihrem Land kämpft und wofür Menschen sterben. Für die territoriale Einheit? Für den Donbass? Aber wenn doch die Mehrheit der Bewohner der okkupierten Gebiete wirklich nicht mit dem ganzen anderen Land an einer neuen Ukraine bauen will, wenn sie selbst einige Monate nach dem Krieg Russland noch nicht für einen Aggressor hält, welchen Sinn macht dann dieser Widerstand?

In dieser Logik gibt es abgesehen von ihrer gesamten Besonnenheit einen großen Denkfehler. Ich selbst könnte ein ganzes Referat darüber schreiben, wie die Grenzen der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik (USSR) errichtet wurden, die die Ukraine geerbt hat.

Und dass Lenin und Stalin die Vereinigung des „proletarischen Donbass“ mit der für ihre Trennung vom Imperium kämpfenden „christlichen Ukraine“ für eine Falle hielten, ist kein Geheimnis. Aber seitdem ist ein ganzes Jahrhundert vergangen. Und unser Staatswesen ist aus territorialer Sicht keine Nachfolgerin der UNR (Ukrainische Volksrepublik 1917-1920), sondern der USSR.

Können wir uns davon lossagen? Vielleicht, zur Beendigung eines Krieges ist alles möglich. Aber wie soll man mit den Bewohnern der okkupierten Gebiete verfahren? Glauben wir, dass sie sich in Anwesenheit der Kämpfer eines der abscheulichsten Regime der modernen Welt frei äußern können? Oder denken wir vielleicht, dass die Russen selbst, Einwohner des Aggressor-Staates frei wählen? Warum gingen sie dann zu Hunderttausenden zu Protesten, als Putin und andere Hütchenspieler zum wiederholten Mal die Ergebnisse der Parlamentswahlen fälschten? Oder glauben wir zusammen vielleicht an die Echtheit der Ergebnisse des „Referendums“ auf der okkupierten Krim?

Nein, solche Abstimmungen kann man nur unter der Bedingung der Abwesenheit von Besatzungsarmeen, konkurrierenden Positionen, freien Massenmedien und Übergangszeiten durchführen. Wenn man Putin seinen Willen lässt, stimmt morgen Finnland für die Vereinigung mit dem Leningrader Gebiet. Warum auch nicht? Wyborg gehört doch uns.

Wenn wir davon ausgehen, dass wir selbst abstimmen können, die Bewohner der okkupierten Gebiete unter genauer Beobachtung von Sachartschenko, Plotnitzkij und weiterer Banditen abstimmen (oder gar nicht abstimmen), dann ist da überhaupt kein Referendum. Das ist ein Verrat an den eigenen Bürgern. Kann sein, dass Wiktor Baloga und Gennadij Korban davon ausgehen, dass im Geschäft und der Politik Verrat erlaubt ist, wenn er Menschenleben rettet? Aber nur im Staatsaufbau führt Verrat immer – immer – zum Zusammenbruch. Das ist kein Business. Nicht einmal Politik.

Ich möchte, dass die Menschen, die sich für die Abtrennung der okkupierten Gebiete aussprechen eine einfache Sache verstehen: Putin braucht diese Territorien nicht. Und er braucht die Krim nicht. Putin braucht ein Territorium, in dem er ohne besondere Probleme Armeen sammeln und Lebenskräfte konzentrieren kann für weitere Aggressionen.

Das heißt, einen Brückenkopf. Ja, übrigens möchte er nicht den Brückenkopf im Donbass finanzieren und strebt danach uns zu zwingen, die Bevölkerung der okkupierten Gebiete zu unterhalten. Ja, er möchte, dass die Ukraine die besetzte Krim nicht an Hunger und Kälte sterben lässt. Er hat tatsächlich kein Geld für überzählige Mäuler. Aber für die Armee hat er noch welches. Mord hat für ihn Priorität. Das ist Putins Berufung – morden, nicht füttern.

Deshalb können wir uns nicht vom Südosten trennen, nicht einmal von der Krim. Von einem Brückenkopf trennt man sich nicht. Wenn wir so tun, als glaubten wir der Abtrennung des Donbass auf Wunsch seiner Bewohner, dass an unseren Grenzen „Volksrepubliken“ existieren, die einfach nicht zur Ukraine gehören wollen. Wenn wir damit einverstanden sein wollen, dass sich die Krim von unserem Land durch ein „ehrliches Referendum“ abgespalten hat, worauf Putin, Lawrow und weitere Kriegsverbrecher bestehen, dann kommen morgen russische Streitkräfte zu Korban nach Dnepropetrowsk, nach ein paar Tagen zu Baloga nach Uschgorod und von dort ist es nach Budapest und Bratislava nur ein Katzensprung. Und das Referendum müssen nicht wir durchführen, sondern die Deutschen: Wollen sie den Erhalt der Europäischen Union mit Ungarn und der Slowakei oder sind sie mit der Vereinigung dieser Länder mit der Eurasischen Wirtschaftsunion einverstanden? Warum nicht, es sind doch souveräne Staaten!

Natürlich klingt das alles nach Fantasterei. Aber das Verhalten Putins in den letzten Monaten ist auch ein Wahngebilde. Deshalb haben wir keinen anderen Ausweg, als dieser Phantasmagorie zu widerstehen, wenn wir natürlich nicht den Untergang der Ukraine wollen. Der gesamten Ukraine, nicht nur des Südostens. Sich widersetzen, das ist nicht nur herantreten und sich wehren. Sich widersetzen das ist, sich vom Feind nicht die politischen Regeln aufzwingen lassen. Wir haben vielleicht nicht die militärischen Mittel, den Südosten und die Krim zurückzuholen, das heißt aber nicht, dass wir ihre Abspaltung anerkennen müssen. Das heißt, dass wir die Ukrainer aus der Okkupationszone evakuieren sollten, an allen Fronten kämpfen – militärischen, diplomatischen, rechtlichen, wirtschaftlichen – und den Zusammenbruch des Aggressorstaates selbst zum Preis eigener Entbehrungen herbeizuführen.

Weil unsere Sicherheit, die Sicherheit des Donbass, die Sicherheit Simferopols, die Sicherheit Dnepropetrowsks, die Sicherheit Kiews, die Sicherheit Uschgorods, die Sicherheit der gesamten Ukraine von diesem Zusammenbruch garantiert wird und nicht von einem Referendum über die Abspaltung des Südostens. Wiktor Baloga, Gennadij Korban und dieser großen Zahl Ukrainer, die ihre Position teilen, wird diese Schlussfolgerung nicht gefallen. Aber ein anderer Ausweg existiert leider nicht.

4. Februar 2015 // Witalij Portnikow

Quelle: Lewyj Bereg

Übersetzerin:   Anja Blume  — Wörter: 914

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