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Kampf der „Titanics“

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Igor Plotnizkij und Igor Kornet in besseren Zeiten

Der Ruf, eine schwache und zudem ganz offensichtlich diebisch veranlagte Führungspersönlichkeit zu sein, hat dem Anführer der „LNR“ nicht gerade zusätzliche Autorität eingebracht. Auf den ersten Blick waren die Ereignisse in Lugansk keiner größeren Aufmerksamkeit wert.

So schien es zumindest: Denn was interessiert uns schon eine lokale Separatisten-Intrige? Aber das, was heute als kleine Auseinandersetzung in der Provinz erscheinen mag, kann bereits morgen die gesamten Machtverhältnisse radikal verändern. Und die Regierung muss das auszunutzen wissen. Aber ohne zu verstehen, was da genau vor sich geht, ist das nicht möglich.

Bereits seit einigen Tagen befindet sich Lugansk im Fokus der Aufmerksamkeit. In der sogenannten LNR hat ein „Staatsstreich“ stattgefunden, genauer gesagt, ein „Pseudostaatsstreich“, immerhin ist die LNR kein Staat und wird von einer Besatzungsadministration verwaltet, die von Moskau ernannt wurde. Ironischerweise sind all jene propagandistischen Thesen, die 2014 im Zusammenhang mit dem Majdan aus Moskau zu hören waren, mit ziemlicher Genauigkeit im vom Moskau kontrollierten Teil des Donbass zur Realität geworden. Immerhin hat sich in Lugansk eine waschechte Junta etabliert. Am 21. November sind im Zentrum der Stadt Unbekannte in Militäruniformen aufgetaucht und brachten die Verwaltungsgebäude unter ihre Kontrolle. Die Macht in der Stadt ging faktisch an den sogenannten „Innenminister der LNR“ Igor Kornet über. Die Bewohner der „Republik“ hat selbstverständlich mal wieder niemand befragt. Während früher in den ORDLO (Gesonderte Regionen der Oblaste Donezk und Lugansk) zumindest eine Demokratie (durch Referenden, Wahlen) nachgeahmt wurde, verzichtet man hier mittlerweile sogar auf den Schein.

Der Konflikt des lokalen „Anführers“ mit Kornet hat eine lange Vorgeschichte. Der Kreml hat in den ORDLO zunächst ein System etabliert, in welchem die Chefs der „Republiken“ und „Sicherheitskräfte“ unterschiedliche „Kuratoren“ haben. So unterstehen Sachartschenko und Plotnizkij dem Berater Putins Wladislaw Surkow. Das „Ministerium für Staatssicherheit“ und das „Innenministerium“ wiederum Kuratoren, die die Sicherheitskräfte der RF repräsentieren. Vornehmlich den FSB. Entsprechend gehorchen die „Minister“ faktisch nicht den „Republikchefs“, sondern berichten direkt nach Moskau. Zudem sind weder Sachartschenko noch Plotnizkij an der Planung militärischer Operationen beteiligt. Und den Sicherheitskräften der „L/DNR“ stehen russische Offiziere vor.

Derartige Systemcharakteristika können eigentlich nur zu Konfliktsituationen führen. In Donezk beginnt sich ein Konflikt zwischen Alexander Sachartschenko und dem Chef des „Innenministeriums der DNR“, Aleksej Dikij, anzubahnen, in Lugansk zwischen Plotnizkij und Igor Kornet sowie dem Chef des „Innenministeriums der LNR“, Leonid Passetschnik. In Donezk ging es sogar so weit, dass Sachartschenko versucht hat, Dikij festnehmen zu lassen. Entsprechende Informationen sind im September dieses Jahres aufgetaucht, der Fall wurde aber schnell vertuscht, sodass der Skandal es nicht in die breite Öffentlichkeit schaffte.

In Lugansk hat es der Konflikt dagegen in die Öffentlichkeit geschafft und dazu geführt, dass Plotnizkij seine Macht verloren hat, ohne eine Chance, diese irgendwann einmal zurückzuerlangen. Putin hat sich im Konflikt der „Warlords“ nicht auf die Seite von Plotnizkij geschlagen. Und weil dieser für alle sichtbar zu weit gegangen ist und keine Unterstützung genießt, hat man an ihm für potenzielle Nachahmer ein Exempel statuiert. Auch weil in dieser speziellen Geschichte die Meinung des FSB für den Präsidenten der RF wichtiger war als die Meinung Surkows.

Aufgeflammt ist der Konflikt vor einem Monat. Plotnizkij hatte nicht die Möglichkeit, Kornet zum Rücktritt zu drängen, weshalb er entschied, diesen in der Öffentlichkeit sowie vor seinen Kuratoren zu diskreditieren. Für den Anfang haben die von ihm kontrollierten Medien seinen Gegner mit Schmutz beworfen. So wurde öffentlich gemacht, dass Igor Kornet ein fremdes Haus beschlagnahmt hat und illegal in diesem wohnte. Nach der Veröffentlichung ist Plotnizkij persönlich mit Mitarbeitern der „Staatsanwaltschaft der LNR“ und Journalisten des lokalen TV-Senders beim fraglichen Haus angerückt, um ihn aus dem „besetzten“ Haus zu räumen.

Kornet lebte zu dem Zeitpunkt im Haus des verstorbenen einflussreichen Geschäftsmanns Bukajew. Nach lokalen Standards ist dessen Haus ein äußerst herrschaftlich wirkender Wohnsitz, sodass die Fernsehaufnahmen den gewünschten Effekt hatten. Vor dem Krieg arbeitete Kornet als einfacher Ermittlungsbeamter und hätte sich natürlich einen derartig luxuriösen Wohnsitz nicht leisten können. Auf den Aufnahmen sah er aus wie ein auf frischer Tat erwischter Dieb.

Die absurd wirkende „Räumung von Kornet“ verbreitete sich in den ukrainischen Medien. Plotnizkij hatte natürlich auf eine solche Wirkung gehofft, da die Geschichte dadurch eine breite Resonanz gewinnen konnte. Ganz offensichtlich hat aber eben genau dieser Schritt vor allem die russischen Hintermänner verärgert. Der Anführer der LNR hat sozusagen „nicht nach Vorgabe“ gehandelt, hat Schmutz an die Öffentlichkeit gekehrt, und damit etwas getan, wovon die Kuratoren aus der Russischen Föderation in aller Regel kategorisch abraten. Das war sicherlich der psychologische Grund dafür, dass sich die Russen in diesem Konflikt auf die Seite des „Ministers“ schlugen.

Aber es gibt auch Hinweise, die für eine andere Entwicklung sprechen. Plotnizkij ist bereits seit Längerem immer wieder negativ aufgefallen. Er hat hartnäckig eine Machtkonzentration verfolgt und dadurch das von Moskau etablierte Kräftegleichgewicht gefährdet. Im Zuge der Säuberungen der „Eliten“ wurde einer der „LNR“-Gründer, der „Ministerpräsident der Republik“, Gennadij Zypkalow, der der versuchten Machtergreifung beschuldigt worden war, verhaftet und später getötet. Plotnizkijs Leute folterten ihn zu Tode und inszenierten anschließend seinen Selbstmord. Diese Liquidation soll allerdings von Moskau nicht sanktioniert worden sein. Anscheinend gelang es Surkow, seinen Schützling zu decken, aber vollkommen abgehakt hat man diesen Vorfall im Kreml offenbar nicht. Kornet hat im Übrigen Plotnizkij diese Geschichte jetzt vorgeworfen und sein Umfeld der Falsifizierung des Falls Zypkalow beschuldigt.

Die zahlreichen Streitereien und Konflikte um den „Helden“ Plotnizkij haben nicht gerade zur Popularität des Anführers der Lugansker Kämpfer beigetragen, was ein weiterer Grund für seinen Austausch gewesen sein könnte. Die „Miliz-Veteranen“ verachteten ihn für den Mord an den Kommandeuren Bednow, Drjomow und Mozgowoj, sie hatten keinen Zweifel an seiner Partizipation an den Liquidationen. Obgleich die Entscheidung zur Liquidation offensichtlich nicht Plotnizkij selbst traf (und auch die Säuberung der „Volkshelden“ wurde mit hoher Wahrscheinlichkeit von russischen Spezialeinheiten durchgeführt), haben diese Tötungen ganz deutlich in die Hände des „Anführers der LNR“ gespielt. Die unter den Angehörigen der Miliz populären Warlords verbergen ihre kritische Haltung gegenüber Plotnizkij nicht.

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Die Autorität des „Anführers der LNR“ wurde auch nicht unbedingt dadurch gestärkt, dass er als schwacher Führer und Dieb galt. Er wurde wiederholt und offensichtlich nicht ganz haltlos der Veruntreuung von humanitären Hilfen und Mitteln, die aus Russland für Renten und Löhne von „Staatsbediensteten“ zur Verfügung gestellt wurden, beschuldigt. Sämtliche Geldflüsse liefen über Plotnizkij, zum Nachteil der anderen „Player“, hinter denen natürlich auch jeweils ein Moskauer Kurator steht, und auch zum Nachteil der vom Kreml finanzierten Wirtschaft der „Republik“. In nur wenigen Jahren konnte der gierige, von sich überzeugte und skandalöse „Anführer“ alle gegen sich aufbringen. Und genau aus diesem Grund hat er sich in Moskaus Augen auch nach und nach zu einer potenziellen Bedrohung für das vom Kreml geschaffene Regime entwickelt. Als sich schließlich der Konflikt zwischen ihm und Kornet, der allerdings beim FSB hoch geschätzt wird, zuspitzte, hat sich schließlich gezeigt, dass Plotnizkij ohne Rückhalt dastand. Die Stimmung in der „LNR“ wird von Moskau allerdings genau beobachtet und die niedrige Popularität Plotnizkijs unter den „Idealisten“ sowie der Mangel an Vertrauen ihm gegenüber seitens der lokalen „Eliten“ hat wahrscheinlich dazu beigetragen, dass die Moskauer Hintermänner entschieden, ihn als „ungeeignet“ einzustufen.

Dabei wähnte sich Plotnizkij noch wenige Tage vor dem „Kornet-Putsch“ in Sicherheit. Er telefonierte mit Putin, was sogar auf den zentralen TV-Kanälen der RF gezeigt wurde.

Am 20. November wurde in den von Plotnizkij kontrollierten Medien gemeldet, dass Kornet vom „Lugansker Gericht“ seines Postens enthoben wurde. Und dies war anscheinend der entscheidende fatale Fehler des „Anführers der LNR“. Er versuchte genau die Person zu Fall zu bringen, die sich Moskau „ausgeguckt“ hatte, und das auch noch ohne diese Entscheidung mit dem Kreml abzustimmen. Damit hatte er sich endgültig verzockt. Kornet weigerte sich natürlich, die Entscheidung des „Gerichts“ anzuerkennen.

Nachdem er das „O.K.“ von seinen Kuratoren erhalten hatte, ging Kornet zur Gegenoffensive über. Er trat an die Öffentlichkeit und beschuldigte Plotnizkij für den ukrainischen Geheimdienst zu arbeiten. Interessanterweise warf Kornet dem „Anführer der LNR“ nichts direkt vor und enthob ihn scheinbar sogar der Verantwortung für das Geschehene. Angeblich wurde Igor Wenediktowitsch durch feindliche Agenten in die Irre geführt, die nun vom „Innenministerium der LNR“ identifiziert und ans Licht geführt wurden.

„Bewiesen ist die Beteiligung der Verwaltungsdirektorin des LNR-Leiters, Irina Tejzman sowie des Direktors des Staatssicherheitsdienstes, Jewgenij Seliwerstow, an der Inszenierung eines Staatsstreichs in der LNR im September 2016. Im Zuge dieser Ereignisse wurde der frühere Ministerpräsident und mein Kampfgefährte, Gennadij Zypkalow, getötet“, erklärte Kornet.

Aber der „Minister der LNR“ beließ es nicht nur bei Worten. Am Morgen des 21. Novembers tauchten im Lugansker Stadtzentrum bewaffnete Leute ohne Kennzeichnung auf, die von gepanzerten Fahrzeugen begleitet wurden und die Verwaltungsgebäude blockierten. Kornets Sicherheitskräfte übernahmen im Stadtzentrum vollkommen mühelos die Kontrolle. Niemand wollte für den diebischen Plotnizkij kämpfen.

Der verängstigte „Anführer“ beschränkte sich auf lauthalsige Äußerungen, weil er eine Eskalation fürchtete, und ersuchte weiterhin die Unterstützung aus Moskau. Moskau hatte es aber nicht gerade eilig damit. Die Sache nahm schließlich für ihn eine böse Wendung. Am Abend des 21. Novembers zog eine große Kolonne mit Militärausrüstung aus Donezk nach Lugansk. Die Kämpfer der DNR erhielten aus Russland den Befehl, im Konflikt die Seite Kornets zu unterstützen.

Dabei spielte sicherlich auch die persönliche Fehde zwischen Sachartschenko und Plotnizkij ein Rolle. Dieser Fakt, der die Kontrollausübung in den besetzten Gebieten nicht gerade vereinfachte, wurde sicherlich auch vom Kreml berücksichtigt, als man entschied, welche der beiden Marionetten in dem Konflikt unterstützt werden sollte.

Innerhalb von Stunden zeigte sich, dass Plotnizkij weder seine „Republik“ noch seine „Hauptstadt“ unter Kontrolle hatte. Rein formell betrachtet, wurde er von niemanden entmachtet. Aber in einem Gebiet, in dem die Macht seit 2014 ausschließlich durch Waffengewalt erlangt und aufrechterhalten wird, ist per definitionem derjenige der Anführer, der davon am meisten besitzt. Am Morgen des 22. Novembers unterstützen alle bewaffneten Menschen in Lugansk Kornet.

Die letzte Hochburg Plotnizkijs – die „Generalstaatsanwaltschaft der LNR“ – wurde ohne große Anstrengung besetzt. Der „Generalstaatsanwalt“ Podobryj festgenommen. Plotnizkij saß einen ganzen Tag in einem seiner Verwaltungsgebäude in Lugansk fest und versuchte vergeblich, die Angelegenheit doch noch durch Anrufe in Moskau irgendwie zu seinen Gunsten zu drehen. Als er sich schließlich sicher sein konnte, dass ein zurück nicht mehr möglich war und Lugansk de facto von seinem Erzfeind kontrolliert wurde, gab es nur noch eines – die sofortige Flucht nach Moskau. Am 23. November machte sich eine Autokolonne mit Plotnizkij von Lugansk Richtung Rostow auf den Weg. Kornet wurde von Moskau verboten, ihn anzufassen oder in der Sache noch irgendwie anderweitig zu handeln. Am Abend des gleichen Tages wurde er bereits am Flughafen gesehen. Allein, ohne Bodyguards, mit kleinen Taschen in der Hand.

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Die weitere Entwicklung der Angelegenheit vorherzusagen, ist bislang nicht einfach. Möglich, dass Plotnizkij in naher Zukunft „abdankt“. Möglich, dass er sich für einige Zeit zurückzieht und seinen Rücktritt öffentlich bekannt gibt, wenn sich der Staub etwas gelegt hat. Seine baldige Rückkehr nach Lugansk scheint in jedem Fall nicht sehr wahrscheinlich. Der besetzte Teil des Lugansker Gebiets wird wie vorher auch jetzt noch von Moskau kontrolliert. Der Name des jeweiligen „Gauleiters“ ist ja dabei eigentlich nicht so bedeutend.

Allerdings gibt es eine Feinheit. Moskau hat mehr als einmal angeregt, die „Republiken“ zu vereinen. Immerhin würde dies die Verwaltung der besetzten Gebiete erheblich vereinfachen. Bis dato haben sich die lokalen Machtinhaber allerdings dagegengestemmt. Die „republikanischen Eliten“ haben es natürlich nicht gerade eilig damit, Macht und Befugnisse zu teilen. Zudem wollten sich die Lugansker und Plotnizkij nicht mit der ihnen zugeschriebenen Rolle der „kleineren Brüder begnügen“. Zu einem zusätzlichen Bremsklotz wurde die persönliche Fehde zwischen Sachartschenko und Plotnizkij. Der Kreml übte zwar keinen Druck aus, hat aber durchaus seine Unzufriedenheit hinsichtlich des Mangels an Aufmerksamkeit in Richtung seines Wunsches geäußert. Der offene Widerstand Plotnizkijs gegenüber dieser Frage hat die Moskauer besonders verärgert.

Die Erwartung, dass sich Kornet in dieser Angelegenheit eventuell als flexibler erweisen könnte, könnte das entscheidende Zünglein an der Waage gewesen sein, um Moskau davon zu überzeugen, den „Minister“ in dieser „epischen“ Schlacht der Marionetten zu unterstützen.

24. November 2017 // Jegor Firsow

Quelle: Serkalo Nedeli

Übersetzerin:    — Wörter: 1983

Jahrgang 1978. Yvonne Ott hat Slavistik und Wirtschaftswissenschaften an der Carl von Ossietzky Universität in Oldenburg studiert. Seit 2010 arbeitet sie als freie .

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