„Wir brauchen Putin nicht, wir werden uns schon selbst besiegen“ - Über die Fünfte Kolonne in der ukrainischen Regierung
Der patriotische Aufschwung in der Ukraine ist solcher Art, dass man keine Zweifel daran zu haben braucht: Das Land wird im Krieg gegen das profaschistische Putin-Regime auf jeden Fall siegen! Die Frage ist nur, zu welchem Preis. Dieser könnte bedeutend niedriger sein, wenn die gegenwärtige ukrainische Regierung wirklich den Kampf gegen die Fünfte Kolonne aufnehmen würde.
Als Fünfte Kolonne bezeichnete man in Spanien zur Zeit des Spanischen Bürgerkrieges 1936-1939 die Agenten General Francos. Heute versteht man unter diesem Begriff jegliche geheime Agenten des Feindes: Saboteure, Spione, Provokateure, Terroristen und Einflussagenten.
Wenn man sich aufmerksam mit den ukrainischen Medien befasst, so kann man sich leicht davon überzeugen, dass die Fünfte Kolonne in der Ukraine zu Zeiten des Janukowytsch-Regimes luxuriös gelebt hat und auch jetzt noch gesund und munter ist, seit neue Leute infolge der blutigen Revolution der Würde [gemeint ist die „Eurorevolution“ von Ende November 2013 bis Februar 2014] an die Macht kamen. Vor kurzem zeigte dies der ukrainische Innenminister Arsen Awakow.
Wie man weiß, ist der Polizeichef des Landes ein aktiver Nutzer des sozialen Netzwerkes Facebook. Am 26. August veröffentlichte dieser einen umfangreichen Eintrag darüber, wie auf Regierungsebene Entscheidungen über die Zuteilung von Waffen an Einheiten der Nationalgarde und an das Sonderbataillon des Innenministeriums, welches aus Freiwilligen besteht, getroffen werden.
Für die, die nicht auf dem Laufenden sind: Die Nationalgarde und die Freiwilligeneinheiten in der Zone der Anti-Terroroperation (ATO) standen mit einfachen Maschinengewehren in den Händen Kämpfern gegenüber, die sorgfältig von einem Kommando des Kreml mit modernen Abwehrsystemen, Artillerie und gepanzerten Fahrzeugen ausgestattet wurden. Sogar wenn es darum ging, die Soldaten an einen neuen Standort zu bringen, waren diese dazu gezwungen, normale Zivilautos zu benutzen, was sie sehr angreifbar machte. Die Menschen starben zu Dutzenden. Die Situation wurde schließlich so unerträglich, dass vor zwei Wochen der Vorsitzende des Rechten Sektors Dmytro Jarosch in einem wütenden Offenen Brief, der an den Präsidenten Poroschenko adressiert war, explodierte.
„Petro Oleksijowytsch!“, schrieb Jarosch, „Es wurde Ihnen ein beispielloser Vertrauensvorschuss gewährt. Sie hatten versprochen, diesen Krieg schnell zu beenden, und Sie können das noch immer machen. Geben Sie den Patrioten, die Kampferfahrung haben, Waffen in die Hand. Es gibt ihrer viele, es sind Zehntausende. Sie sind bereit dazu, Vorreiter der Einsatzkräfte zu sein, den Terrorismus und die Aggressionen im Osten zu bekämpfen, aber sie brauchen die Anerkennung des Staates, Handfeuerwaffen, schwere Waffen, Technik. Vieles ist Ihnen untergeordnet, wenn auch mit gesetzlichen Beschränkungen, aber es gibt diese Möglichkeiten. Zum Schutz des Volkes und der Demokratie muss man sich auf das Volk und die Demokratie stützen, und nicht auf die Masse der Mafiosis, die unter sich nur Schmutz machen…“
Es zu wagen, mit solch einem Appell an die Öffentlichkeit zu gehen, war für Jarosch sicher nicht leicht. Während der Revolution und auch danach bewegte sich der Rechte Sektor im Grunde genommen immer, abgesehen von einzelnen Zwischenfällen, im rechtlichen Rahmen, und gleich welche Versuche von Aktivisten, über diesen hinauszugehen, wurden schnell gestoppt. Von der besten Seite zeigten sich die Anhänger des Rechten Sektors auch während der Kämpfe gegen die Söldner Putins. Doch durch die Bestrebungen der Kreml-Propaganda und der Fünften Kolonne der nationalen und internationalen Öffentlichkeit wurde dem Rechten Sektor ein ganz anderes Bild auferlegt. Einige Medien und Politologen zeigen ihn häufig als eine extremistische und rechtsradikale Formierung, welche angeblich faschistische Wurzeln hat. Unter diesen Umständen ist der Wunsch der Anhänger des Rechten Sektors nach ernsthafter Bewaffnung etwas, was viele missverstehen könnten.
Dmytro Jarosch entschied sich für einen offenen Appell an das Staatsoberhaupt mit sehr sensiblen Themen. Dazu kam es, weil die Situation in der ATO-Zone unter waffentechnischen Gesichtspunkten der Freiwilligen absolut inakzeptabel ist. Diese Situation weiter zu ertragen, wäre Verrat sowohl an den Leuten, die sich für den Schutz des Landes eingesetzt haben, als auch am Land selber.
Es folgt nun eine Geschichte des Innenministers darüber, wie die Regierung auf solche „SOS“-Signale reagiert hat. Wenn man Herrn Awakow Glauben schenken darf, bleibt die exekutive Disziplin in den Regierungsstrukturen nicht einfach nur niedrig, sondern absolut ekelhaft. Dies ist einfach nicht mehr zu dulden.
„Ich geben Ihnen 72 Stunden, um alle Formalitäten und Prozeduren auszuführen, damit die Waffen aus den Beständen an das Innenministerium und an die Nationalgarde ausgegeben werden. Was verstehen Sie davon nicht? Welchen Befehl soll noch erteilt werden? Der Ministerpräsident hat Ihnen einen klaren Befehl erteilt – führen Sie ihn aus!“ Derartige Anordnungen gab Awakow nach das Regierungsoberhaupt Arsenij Jazenjuk Beamten des Wirtschaftsministeriums und Verteidigungsministeriums noch vor einer Woche. Im Hinblick auf die äußeren Aggressionen, wenn in Zusammenstößen mit Terroristen Hunderte ukrainische Bürger sterben, werden solche und ähnliche Befehle „aus erster Hand“ nicht diskutiert. Aber nicht nur in der Ukraine. Die Angestellten der ausführenden Organe des Staates „raschelten“, wie der Innenminister erwähnte, einige Tage gemütlich „mit den Papieren“. Die vorgegebene Frist reichte ihnen nicht aus, um die Formalitäten zu erledigen und aus den Beständen das herauszugeben, was die Kämpfer brauchten.
„Es sind 72 Stunden vergangen. Nichts ist passiert. Die Mühlen der Bürokratie quietschen weiter, zeigen weiter normative Dokumente, dass alles nach Gesetz abläuft und wir werden weiter warten… Und die Waffen, die Waffen waren da, wo sie auch die letzten 20 Jahre über waren – in den Lagerhallen! In den Lagerhallen, und nicht in den Händen der Kämpfer des Bataillons „Asow“, das gestern russische Panzer bei Nowoasowsk aufgehalten hat“, sagte einer der Hauptsicherheitskräfte der Ukraine empört.
Letztendlich musste er noch einmal zum Ministerpräsidenten gehen. Zwischen ihnen ergab sich laut Awakow folgendes Gespräch:
- Wir haben keine Kräfte mehr, um die Stellung zu halten.
- Nicht?
- Nein.
- Nicht einmal Granatwerfer?
- Nein. Wir brauchen Putin nicht. Wir werden uns schon selbst besiegen. Die Bürokratie und das alte Prozedere sind stärker als der Ministerpräsident und der Minister.
- Nein, sie sind nicht stärker. ********** Ende der Veranstaltung. Krieg. Ich berufe die Regierung ein.
Mit den Sternchen verdeutlichte Herr Awakow natürlich ein paar sehr starke Worte, die es sich nicht ziemt, in der Öffentlichkeit auszusprechen. Wie man so sagt: Ein echter Mann!
Jetzt aber Schluss mit dieser erbärmlichen Geschichte! Diese ganze Geschichte endet damit, dass die Freiwilligenbataillone „Donbass“, „Dnipro-1“, „Asow“, „Schachtarsk“, „Kyjiw-1“, „Kyjiw-2“ und andere endlich die erforderlichen Waffen bekommen, insbesondere Panzer und Panzerabwehrwaffen. Von jetzt an haben sie etwas, womit sie denen, die die Grenze auf gepanzerten Fahrzeugen illegal überschreiten, begegnen können.
Vielleicht zur Freude zog der Innenminister folgenden Schluss: „Die Partei der Bürokraten im Kabinett wurde in Stücke gerissen.“
Selbstverständlich sollte man sich freuen, dass von jetzt an die freiwilligen Beschützer der Ukraine den bis an die Zähne bewaffneten Aggressoren zumindest nicht mit bloßen Händen gegenüberstehen. Aber was das Zerschlagen der „Partei der Bürokraten“ betrifft, sollte man nicht voreilige Schlüsse ziehen.
Wissen Sie, was einen durcheinander bringt? Viel zu lange entscheidet man über die elementarsten Dinge: Über die richtige Bewaffnung der Kämpfer in der ATO-Zone. Schon seit Wochen gibt es bei den Terroristen schwere Panzer und andere moderne Waffen. Und bei den Beamten der Strafverfolgungsbehörden der Ukraine gibt es nicht genug Entschlossenheit, den Patrioten Mittel zum Schutz in die Hand zu geben. Und die Leute sterben und sterben. Wer trägt dafür die Verantwortung? Und übernimmt er sie auch?
Man sollte der Beharrlichkeit Awakows Tribut zollen: Wenn auch mit großer Verspätung, so gelang es ihm doch, eine der Hauptfragen der ATO zu entscheiden. Doch wenn wir schon einmal bei dieser Geschichte sind: Der Innenminister nannte keinen Beamten, der es im Krieg wagte, einen einfachen Befehl des Ministerpräsidentens nicht auszuführen, ein Befehl, von dessen Durchführung das Leben von Bürgern abhängt.
Solange die Bürokraten in den warmen Stuben mit dem Papier raschelten, ließen etliche ukrainische junge Männer in der ATO-Zone ihr Leben. Dieser größte menschliche Schmerz hat schon einige Familien erreicht. Ein solcher Preis wegen behördlicher Verzögerung. Wer sind diese Verzögerer? Auf welchem Posten sitzen sie? Warum sabotieren sie einfache Anordnungen des Vorsitzenden des Kabinetts und ignorieren den Wunsch des Innenministers?
Über den Widerstand der Fünften Kolonne in der Ukraine spricht man schon seit langem und viel, aber noch kein mit Macht ausgestatteter Verzögerer, ein versteckter oder offener Verräter, wurde vor ein Gericht gebracht. Ich befürchte, dass eine anonyme Kritik vom Innenminister die Seelen derer berührt, die, in den warmen Büros sitzend, sich daran gewöhnt haben, die Aufgaben mit gemütlichem Teetrinken zu verbinden. Unter ihnen sind viele derer, die für die Partei der Regionen gearbeitet haben und immer noch arbeiten.
Warum hat der Innenminister keine konkreten Täter dieses verbrecherischen Verzögerns der Herausgabe von Waffen an die Sonderbataillone genannt – dazu sollte man ihm am besten selber fragen. Meine Version ist folgende: Diese leidenschaftliche Geschichte Awakows kann man viel eher als Eigenreklame einordnen, als dass es im realen Kampf gegen die Fünfte Kolonne etwas bringt.
Mittlerweile ist der innere Widerstand gegen den neuen Kurs des Landes sehr groß. Ich beschäftige mich dabei nur mit dem militärischen Aspekt dieses Problems. In den sozialen Netzwerken erscheinen jetzt häufig operative Nachrichten darüber, dass irgendeine Einheit der ATO-Kräfte umzingelt ist und dringend um Verstärkung bittet. Nicht selten wiederholen sich solche Nachrichten sehr oft innerhalb weniger Stunden, und manchmal – innerhalb weniger Tage. Irgendjemand überlässt bewusst oder aus Versehen die ukrainischen Kämpfer den Klauen des Feindes.
In den Medien wimmelt es von Fakten über offene Sabotage und Verrat militärischer und ziviler Art. Und – praktisch gesehen gibt es keine Folgen. Worte rechnen sich nicht. Auf Worte reagiert die Fünfte Kolonne nicht.
Wenn dies noch so weitergeht, dann wird Awakow noch ein Prophet sein, indem er sagt: „Wir brauchen Putin nicht. Wir werden uns schon selbst besiegen.“
2. September 2014 // Oleksander Koswinzew
Quelle: Zaxid.net