„Damit du nur von einem Gehalt lebst...“
Wieder wird bei uns eine Regierung gebildet und wieder wird davon gesprochen, dass die Minister von einem Gehalt leben müssen. Das alles ist gewöhnliches Geschwätz. Denn jeder, der weiß, wie das ukrainische Staatsgetriebe funktioniert, versteht, dass ein ukrainischer Minister von einem Gehalt nicht leben kann. Der Grund hierfür ist nicht mangelnder Wille, sondern, dass es nicht praktikabel ist. Das Amt an sich kostet viel Geld. Um so ein Amt zu bekommen, müssen Wahlen finanziert werden, es müssen Aktiva geteilt werden oder man hilft den richtigen Leuten dabei, ihre Milliarden an Offshore-Finanzplätzen zu platzieren. Denn einfach so macht einen keiner zum Minister.
In den 1990er Jahren gab es Fälle, in denen Leute zufällig Minister wurden. Wir hatten sogar einen stellvertretenden Ministerpräsidenten für Wirtschaft, der wirklich von einem Gehalt lebte und seine Mitarbeiter terrorisierte, auch sie müssten von einem Gehalt leben und dürften keine „Geschenksets“ annehmen. Er ging schnell unter. Doch die Hauptsache ist eine andere. Es hat sich auf die ukrainische Wirtschaft überhaupt nicht ausgewirkt, dass er nur von einem Arbeitslohn lebte. Doch Probleme hat er so viele geschaffen, dass man ihn in Bezug auf staatliche Ämter auch jetzt noch auf Schussweite hält. Soll er doch von einem Lohn leben, wenn er nicht leben kann wie ein Mensch.
Für die Menge kann man sich als Politiker einmal mit Fernsehjournalisten in der U-Bahn oder im Trolleybus zeigen, zum Spaß kann man ein billiges Mobiltelefon in die Hand nehmen und die Nummer einer psychiatrischen Klinik wählen. Doch wenn ein Minister mit seinem Aussehen und mit seiner Armbanduhr, die er für hunderttausend Dollar gekauft hat, dem Standard nicht entspricht, wird er einfach nicht als Mensch wahrgenommen. Mit einem solchen Minister möchte niemand etwas zu tun haben. Sogar seine Mitarbeiter machen sich über ihn lustig, haben – was das wichtigste ist – keine Achtung vor ihm und sabotieren in der Regel alle seine Anweisungen. Und er versteht nicht, was vor sich geht, hastet, tritt öffentlich auf, gibt Interviews, fährt ins Ausland und sorgt für PR. Nur sein Ministerium fällt schließlich zusammen und es muss ein normaler Minister mit teurer Armbanduhr genommen werden, der teure Klamotten trägt und einen Bentley fährt, den er gelegentlich für eine Hrywnja pro Stunde von einer Leasing-Firma pachtet.
Das ist nicht Lyrik, sondern unser Leben. Deshalb sind leere Wörter über die Pflichten eines Ministers unnütz. Ein Minister muss auf seinem Posten so viel verdienen, dass er sich später, wenn er dann nicht mehr Minister ist, vom Sicherheitsdienst und dem Innenministerium freikaufen kann. So oder so werden diese ein paar Strafprozesse eröffnen, um ihren Anteil zu bekommen. Deshalb muss man sich vorbereiten und gewissen Leuten „entgegenkommen“. Es tut ihnen gut, dir tut es gut und alle sind zufrieden. Es lohnt also nicht, zu vergessen, dass du zwar heute Minister bist, morgen aber schon nicht mehr. Deshalb muss ein Minister an seine Familie denken, an seine Kinder, seine Enkel und Urenkel. Damit der Urenkel später nicht beleidigt fragt: „was hast du denn da gemacht, Opa, wenn du nicht in der Lage warst, etwas für uns zu verdienen…“ Außerdem lohnt es sich, an zukünftige Ämter zu denken. Und da geht es schon wieder um Geld und Ausgaben. Deshalb kann man, wenn man im Amt gut „arbeitet“, anschließend zu einem erschwinglichen Preis ein neues Amt „aushandeln“. Doch wenn kein Geld da ist, gibt es auch keinen neuen Ministerposten. Das ist das Paradigma unseres Lebens.
Und hier spielt keine Rolle, wie viel ein Minister real verdient hat. Gott und der Staatsanwalt sind ihm Richter. Die Hauptsache ist, wie er die Arbeit organisiert hat. Wenn sein Ministerium wie ein Uhrwerk funktioniert, wenn die Wirtschaft sich entwickelt, wenn die Einnahmen der Ukrainer reell steigen, soll sich der Minister doch bemühen und man sollte ihn dabei nicht stören. Die Hauptsache ist es, fremde Gelder zu zählen. Und wenn es auch unmöglich ist, alle Gelder zu verdienen gilt für die schwere Arbeit der Minister: je mehr ein Mensch arbeitet, desto mehr bekommt er.
Sobald die Minister bei uns richtig arbeiten und verdienen, werden also auch die Einnahmen der Ukrainer steigen. Doch wenn ein Minister wie ein Habenichts von der Hand in den Mund lebt, ist auch seine Arbeit so, dass es besser wäre, er würde gar nicht arbeiten.
28. November 2014 // Alexander Ochrimenko – Präsident des Ukrainischen Analysezentrums
Quelle: Westi