Vor dem Bankrott


Noch vor wenigen Jahren galt die Ukraine als eine wahre Goldgrube für westeuropäi­sche Finanzinstitute. Es waren insbesondere österreichische Bankhäuser, die sich stark engagierten, weil eine enorme private Kreditaufnahme und – im Vergleich zu Westeuropa – hohe Verzinsung über Jahre satte Profite garantierten. Es folgte eine wahre Verschuldungsorgie. Doch mittlerweile herrscht Katerstimmung. Über die österreichische Bank »Raiffeisen International« (RI) berichtete jüngst das Wiener Wirtschaftsblatt: Bei einer Bilanzsumme ihrer ukrainischen Tochter von 5,4 Milliarden Euro seien mittlerweile 20,9 Prozent der Kundenkredite »ausfallsgefährdet«. Vor zwölf Monaten waren es nur 3,9 Prozent gewesen. Raiffeisen International habe nun ein »Ukraine-Problem«, konstatierte das Wirtschaftsblatt, da selbst in anderen schwierigen Finanzmärkten die Ausfallraten bei weiten nicht so hoch seien. In Rußland etwa betrage der Anteil »notleidender« Kredite neun Prozent. Am 1. Dezember, rechtzeitig zum Weihnachtsfest, hat RI daher weiteren Stellenabbau in der Ukraine angekündigt.

Probleme mit ausufernder Verschuldung und faulen Kreditden haben aber nicht nur die westeuropäischen Bankhäuser. Auch das Staatsdefizit überschreite die »Grenzen des Tragbaren«, erklärte der Vizeleiter der Präsidialverwaltung der Ukraine, Olexandr Schlapak, Ende November vor dem Parlament in Kiew. Schlapak wies darauf hin, daß die Verschuldung des Landes innerhalb eines Jahres von 95 Milliarden auf gegenwärtig 225 Milliarden Hrywnja (rund 28 Milliarden US-Dollar) geklettert sei. Dabei bildet das Staatsdefizit nicht mal den größten Teil der Auslandsschulden, die die Ukraine in den vergangenen Jahren aufgenommen hat. Insgesamt stehen Konsumenten, Unternehmen und öffentliche Haushalte des Landes mit rund 100 Milliarden US-Dollar in der Kreide.

Das Platzen dieser schuldenfinanzierten Konjunkturblase ließ das ukrainische Bruttoinlandsprodukt (BIP) im ersten Quartal 2009 um über 20 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum einbrechen. In den vergangenen drei Monaten lag das BIP immer noch um 15,9 Prozent niedriger als zur selben Zeit 2008. Auch die Binnennachfrage – die zuvor dank ausufernder Verschuldung ein wichtiger Konjunkturmotor war – wird in der Ukraine keine Wachstumsimpulse generieren können. Das Statistische Amt in Kiew meldete im Oktober, daß der Durchschnittslohn in der Ukraine gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 10,9 Prozent auf nur noch 162 Euro gefallen sei. Zudem kündigt sich weiteres Ungemach für die taumelnde Volkswirtschaft an. Nach Prognosen könnte die ukrainische Währung noch um weitere 20 Prozent gegenüber US-Dollar und Euro abgewertet werden, meldete die Nachrichtenagentur NRCU Ende November, wodurch die Bedienung der Auslandskredite weiter erschwert würde.

Es waren die bereits erfolgten massiven Abwertungen der Hrywnja bei Krisenausbruch, die zum drohendem Staatsbankrott der Ukraine maßgeblich beitrugen und den Internationalen Währungsfonds (IWF) auf den Plan riefen. Der gewährte Kiew einen Notkredit in Höhe von 16,4 Milliarden US-Dollar. Doch die Freigabe der restlichen Tranchen des IWF-Darlehenspaketes, von dem bereits über zehn Milliarden US-Dollar ausgezahlt wurden, gestaltet sich angesichts des in der Ukraine tobenden Wahlkampfes äußerst schwierig. Die Nachrichtenagentur Bloomberg meldete kürzlich, daß der IWF die nächste Rate in Höhe von 3,4 Milliarden US-Dollar im November eingefroren habe, weil Kiew es nicht vermocht habe, »die Sozialausgaben zu zügeln«. Präsident Viktor Juschtschenko ließ am 30. Oktober die Löhne und Renten im öffentlichen Dienst um 30 Prozent erhöhen, um so seine schwindenden Chancen beim Rennen um das Amt aufzubessern. »Wir werden die Ergebnisse der Wahlen abwarten müssen, bis wir die Arbeit mit der ukrainischen Regierung fortsetzen können«, sagte IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn der Nachrichtenagentur Reuters. Derzeit versuchen alle aussichtsreichen Bewerber um das am 17. Januar zu vergebende Präsidentenamt, mit immer großzügigeren Wahlgeschenken die Bürger für sich zu gewinnen.

Auch die Europäische Union verliere langsam die »Geduld mit der Ukraine«, berichtete am vergangenen Mittwoch der britische Telegraph. Der französische Europaminister Pierre Lellouche forderte unter anderem, daß keine Mittel des IWF oder der europäischen Steuerzahler verwendet werden, um »Wahlversprechen« zu finanzieren. Die europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung setzte mittlerweile die Entscheidung über die Auszahlung eines Darlehens in Höhe von 300 Millionen Euro aus.

Immerhin kann zumindest bis zum Wahlabend ein erneuter Gasstreit zwischen der Ukraine und Rußland mit entsprechenden Folgen für Westeuropa ausgeschlossen werden. Der Kreml wird sich hüten, den antirussischen Kräften um Juschtschenko eine solche Steilvorlage zu liefern. Ende November leistete der russische Ministerpräsident Wladimir Putin seiner ukrainischen Amtskollegin Julia Timoschenko sogar Wahlkampfhilfe, als er bei einem Treffen in Jalta auf eine zentrale ukrainische Forderung einging: Künftig wird Kiew nicht mehr mit hohen Vertragsstrafen rechnen müssen, wenn weniger Erdgas von Rußland bezogen wird, als ursprünglich vereinbart. Auch die bislang drohenden Strafzahlungen in Höhe von 1,9 Milliarden Euro erließ Putin der sich zunehmend an Moskau orientierenden Timoschenko.

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