Eine Chance für Witalij Klitschko


Die Wahlkampagne von Witalij Klitschkos Partei „Udar“ ist die erfolgreichste unter den übrigen oppositionellen Parteien gewesen. Selbst wenn man dies nur nach den soziologischen Untersuchungen der „Stiftung für Demokratische Initiativen“ beurteilt, hat „Udar“ in den vergangenen Monaten stetig an Wählerstimmen gewonnen: im Juli waren es 9,7%, im August 11,5% und im Oktober zwischen 14% und 16%. Was sind die Gründe für diese Quote und wie sind die Perspektiven Klitschkos als Politiker?

h2 Das Geheimnis der wachsenden Quoten für Witalij Klitschko

Das Geheimnis ist ziemlich einfach. Die Gesellschaft durstet nach etwas Neuem, Frischen, Ungewohntem und Geheimnisvollem. Klitschko ist als Sportler bekannt, er ist charismatisch und entspricht völlig diesen Erwartungen. Man könnte seine öffentliche Wahrnehmung mit jener Wiktor Juschtschenkos im Jahre 2002 vergleichen. Klitschko befindet sich aber heute in einer gewinnversprechenderen Position als Juschtschenko damals. Im Jahr 2002 hatte letzterer zu tun mit zwielichtigen Überweisungen von Reserven der ukrainischen Nationalbank nach Zypern. Über Klitschko ist so etwas nicht bekannt und man kann niemanden damit schockieren, dass er sein Geld im Westen verdient und es auch dort anlegt. So, wie es damals bei Juschtschenko der Fall war, verbinden viele Klitschko mit etwas völlig Neuem, Frischem, das den „Durchbruch“ verspricht. So ist scheinbar die Natur des ukrainischen Wählers: er hofft irgendwie immer auf das Beste und denkt nicht darüber nach, dass auch das Schlimmste eintreten könnte. Man schafft sich vor Begeisterung einen Götzen und verlangt später aus Enttäuschung seine Absetzung.

Am 2. Oktober 2012 sagte Wadim Basjutinskij, Professor der Psychologie, Direktor des Laboratoriums für Psychologie der Massen und Gesellschaften am Institut für soziale und politische Psychologie der Nationalen Ukrainischen Akademie für Pädagogik, Folgendes über Klitschko: „Er versucht, intelligent zu sprechen, aber man merkt, dass es hierbei keine besondere Tiefe gibt…, er möchte fair verhandeln, soweit es in der ukrainischen Politik möglich ist…, er gibt auch ein Signal an die patriotisch gesinnten Wähler: an zweiter Stelle in seiner Liste steht die Schriftstellerin Marija Matios1, und dennoch kommt das ewige Problem auf, wer denn noch auf der Liste steht? Die weiteren Personen auf der Liste sind leider keine herausragenden, berühmten und positiv wahrgenommenen Persönlichkeiten“.

Eigentlich möchte auch niemand Klitschko zu einem Nobelpreisträger machen. Er braucht keine Rede in Stockholm abzuhalten und für so etwas wird er nicht gewählt. Es geht darum, dass sich nichts Bestimmtes über die politischen Qualitäten Klitschkos sagen lässt, solange er noch nichts in der Ukraine bewegt hat, zumindest in gewissen Maßen. Doch momentan hat er die Aufgabe, seine Leute ins Parlament zu bringen und seine Wahlkampagne zu beenden. Wer sind eigentlich Klitschkos Leute?

Klitschkos Kandidatenliste

Während meiner Recherchen für diesen Artikel sprach ich ziemlich viel mit Irina Geraschtschenko, Kandidatin Nr. 6 der „Udar“-Wahlliste und die am wenigsten umstrittene Person auf der Liste Klitschkos. Geraschtschenko hatte das Glück, aus der Partei „Nascha Ukraina“ zur Partei „Udar“ überzutreten. Sie spielte in der bekannten Seifenoper „Die Vergiftung Wiktor Juschtschenkos“ die Pressesprecherin des Politikers. Der Fairness halber sollte gesagt werden, dass Geraschtschenko diese Seifenoper nicht initiiert hatte. Insgesamt kann die Wahlliste Klitschkos damit beschrieben werden, dass darin zum Großteil Leiter der regionalen „Udar“-Vertretungen aufgestellt sind. Damit schiebt er vielen Widersachern den Riegel vor: Jeder einzelne seiner regionalen Leiter würde das letzte Hemd für seine Partei geben.

Die einzige Unzulänglichkeit der Liste ist der Akzent auf die ehemaligen Teilnehmer der „Orangenen Revolution“, die in Wirklichkeit niemals als ehemalig gelten. Es wurde versäumt, eine Person in die Liste aufzunehmen, die für den Süden und Osten der Ukraine bedeutend ist, beispielsweise einen größeren Unternehmer oder einen Professor der Odessaer Universität. Die Leiter der südlichen und östlichen Regionen der „Udar“-Partei sind nicht gelistet, möchte ich wiederholen, sie wurden nur angenommen, um die Wahlziele in den Regionen zu erreichen.

Eduard Gurwitz und Sergej Kunizyn sind aus völlig anderen Gründen in der Wahlliste, als wegen ihrer „Nähe“ zu Odessa oder Simferopol. Und von den „Orangenen“ sind außer Irina Geraschtschenko noch Marija Matios, der ehemalige Direktor für Innere Sicherheit der Ukraine, Walentin Naliwajtschenko, der ehemalige Finanzminister Wiktor Pinsenyk und der ehemalige Jurist der Partei „Nascha Ukraina“ Walerij Karpunzow vertreten.

Marija Matios steht auf Nummer zwei der Wahlliste – um offensichtlich aus taktischen Gründen eine Frau unter den ersten fünf Mitgliedern der Liste zu haben. In der Ukraine hat man jedoch bereits negative Erfahrungen mit der Wahl von Politikern mit schriftstellerischem Hintergrund gemacht: Dmitrij Pawlytschko, Pawla Mowtschana, Wladimir Jaworiwskij haben nicht mehr als verschiedene Meetings zustande gebracht.

Walentin Naliwajtschenko kam zu „Udar“ erst, nachdem er sich endgültig von „Nascha Ukraina“ Juschtschenkos getrennt hatte. Als Vorsitzender des ukrainischen Sicherheitsdienstes hatte Nalywajtschenko keine großen Misserfolge, aber auch keine besonderen Erfolge.

Klar ist, wie Wiktor Pinsenyk zu „Udar“ kam. Geraschtschenko behauptet, dass Klitschko und Pinsenyk sich seit der Parlamentskampagne im Jahre 2006 kennen, in der die ruhmlose Parteiallianz „Pora-PRP“ (“Partei der Reform und Ordnung”, a.d.Ü.) ihre heroischen 1,47% bekam.

Nach Meinung von Geraschtschenko sollten die ukrainischen Wähler die Ehrlichkeit des Wirtschaftsfachmanns Pinsenyk schätzen, der sich immer gegen unrealistische Budgets als faktische Erweiterungen sozialer Programme ausgesprochen hat. Manche können sich vielleicht an das Durchsickern einer Information vom 10. Februar 2012 zu WikiLeaks erinnern, als er mit dem amerikanischen Botschafter darüber spricht, dass die wirtschaftlichen Handlungen der Premierministerin Julia Timoschenko ein „populistisches Abenteuer“ seien. Nach diesem Vorfall konnte Pinsenyk unmöglich auf der Wahlliste von Jazenjuk stehen.

Wie wird Witalij Klitschko als Politiker sein?

Ich riskiere es mal zu vermuten, dass die Anführung der einen oder anderen politisch tätigen Person in Klitschkos Liste für den Wähler nicht von Interesse sein wird, da er keine Lust haben wird, sich mit den einzelnen Personen auf der Wahlliste eingehend zu beschäftigen. Selbst wenn Klitschko in seine Wahlliste irgendeinen Cocker-Spaniel eingetragen hätte, wäre dieser Cocker-Spaniel ein Volksdeputierter der Ukraine geworden. Deshalb ist es eigentlich gar nicht wichtig, dass auf seiner Liste ehemalige „Orangene“ stehen. Es geht nur darum, wie sich Klitschko selbst politisch positioniert.

Ende Oktober gibt er an, dass er eine Zusammenarbeit mit der “Partei der Regionen” nicht ausschließt. Am 2. August 2012 sagte Klitschko, dass seine Partei „Udar“ dazu bereit sei, mit der “Partei der Regionen” zum Wohle der Ukraine zusammenzuarbeiten. Wenn sich die Fragen prinzipiell am Wohl des Staates orientieren, würde er sich für diese einsetzen. Am 10. Oktober 2012 sagte Klitschko in einem Interview mit der Zeitung “Kommersant”, dass er das Verlangen der Opposition, Janukowitsch herabzusetzen, für populistisch halte. Jetzt ist es noch zu früh, um zu beurteilen, wie Klitschko als Politiker sein wird.

Eine andere Sache muss er aber auch berücksichtigen: Die Parlamentswahlen 2012 sind die einzigen Wahlen, bei denen der Effekt des Novums wirken kann. Nach kurzer Zeit werden die Menschen beginnen, das von Klitschko Gesagte mit seinen Taten zu vergleichen. Ich schätze, dass Klitschko ungefähr ein Jahr Zeit hat, bis sich die öffentliche Meinung über ihn als Politiker vollständig gebildet hat.

18. Oktober 2012 // Wjatscheslaw Pichowschek, ständiger Publizist bei Lewyj Bereg

Quelle: Lewij Bereg

1 Marija Matios (geb. 1959) ist eine ukrainische Schriftstellerin, die in Kiew lebt. Bekannt wurde sie nicht nur durch ihre schriftstellerische Tätigkeit, sondern vor allem auch durch ihren Vergleich des Obelisken auf dem Grab des unbekannten Soldaten in Kiew mit einem männlichen Geschlechtsorgan. Dieser Vergleich hat für große Aufregung gesorgt.

Übersetzerin:   Katharina Jaroschak  — Wörter: 1197

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