Eine Forscherin aus Russland schreibt die Wahrheit über Masepa


„Es ist erstaunlich, wie sich das politische Spektakel um den Bann, den Peter I. Iwan Masepa für die Erfüllung verschiedener Aufgaben auferlegte, über drei Jahrhunderte im Verständnis eines Großteils der russischen Historiker verwurzelt hat. Die Verdammnis des „Verrats“ – die Anklage, welche die Zeitgenossen – und sei es nur als Vorwand für die Zerstörung der autonomen Ukraine­ – wahrnehmen, gewinnt die Form von Axiomen und unbestreitbarer Sünde.“ Das ist keine Passage aus einem Auftritt Juschtschenkos oder Filarets (Vorsteher der orthodoxen Kirche des Kiewer Patriarchats). Das ist eine Frage, welche die russische Forscherin Tatjana Tairowa-Jakowlewa im Vorwort zu ihrem Buch „Masepa“ (erschienen in der bekannten Serie „ЖЗЛ/ShSL“ – Leben bekannter Leute) – einer historisch geprüften Biographie zum Hetman Iwan Masepa – aufwirft.

Dieses Buch kann man ohne Zweifel als Geschenk an das ganze ukrainische Volk betrachten – an alle ukrainischen Bürger, denen die Geschichte ihres Landes und ihrer Kirche etwas wert ist. Ich habe das Buch nicht in einem Zug durchgelesen, es handelt sich ja immerhin um eine ernsthafte, historische Forschungsarbeit, aber einzelne Stellen habe ich mehrfach gelesen, bewegt und mit großer Dankbarkeit für die Autorin. Ich überflog noch einmal mit den Augen die letzten Seiten des Buchs: „Es ist schon lange Zeit, sich von den Bännen und Verfluchungen in Richtung Masepa zu verabschieden und sich zu bemühen, eine Lehre aus den Tragödien unserer Vorfahren zu ziehen… Es lohnt sich nicht, propagandistischen Stempeln zu folgen, die sich bemühen, den russisch-ukrainischen Konflikt zu Anfang des 18ten Jahrhunderts mit der Habgier eines „betrügerischen Hetmans“ zu erklären. Man muss allen Mut zusammennehmen und zugeben, dass die Interessen und Ziele des jungen Russischen Imperiums und des geschwächten Hetmanats sehr verschieden waren. In gewisser Hinsicht wurde die Ukraine zur Geisel der geopolitischen Pläne Russlands…

Die militärische und wirtschaftliche Situation erlaubte es, eine Vereinigung der Ukraine durchzuführen und auszubrechen aus den schrecklichen Abgründen des Ruins der rechtsufrigen Ukraine. Allerdings wurden diese Pläne dem diplomatischen Spiel geopfert. Angesichts des schwedischen Vormarschs sollte sich die linksufrige Ukraine in einen ausgebrannten Landstrich, in eine Arena für Kriegshandlungen verwandeln. Eben diese beiden Faktoren zwangen Masepa, neben persönlichen Beleidigungen, zum Versuch einer Allianz mit Karl XII. Ein weiterer Faktor war der Plan zur Auflösung des Hetmanats und seines Einschlusses in die allgemeinen Strukturen des Russischen Imperiums… Masepa wollte nicht nur nicht, dass die reale Macht des Hetmanstabs in den leeren Titel des Fürsten verwandelt wird. Ihm war wirklich das wichtig, was auch Teil seiner zwanzigjährigen Arbeit war, sonst hätte er sich auf den Lorbeeren seines immensen Reichtums ausruhen können.“

In dieser kleinen Schlussfolgerung liegt das Wesen der Allianz des Hetmans Masepa mit Karl XII. Aber welchen professionellen Mut muss man besitzen, um sich im heutigen, politischen Russland, das auf „offizieller“ Ebene nur eine Interpretation dieser Ereignisse und der Persönlichkeit Masepas zulässt, einen solch ehrlichen Blick auf den Hetman zu leisten. Beim Durchblättern der Beilagen zum Buch fand ich einen Brief des Hetmans an Motrja Kotschubej. Die Romanze ist eine der leuchtendsten Episoden seiner Biographie. Einige der Briefe wurden bereits veröffentlicht, einige Fragmente wurden Teil moderner Schauspiele, aber als ich sie durchlas, verstand ich den Autor. Sie konnte sich dem Charme Masepas einfach nicht entziehen. Der Hetman konnte als frommer Mensch die Treue zu seiner Frau aufrechterhalten, die er wohl nicht sehr geliebt hat, aber nach ihrem Tod konnte er die gebildete und wohl schönste Frau seiner Zeit erobern und sie liebend, sich doch von ihr lossagen. In unserer Zeit ist es üblich, Lobreden auf die Liebhaber und Helden zu sprechen, denen nichts etwas ausmacht, und die keine Grenzen und Wertigkeiten kennen. Aber diese Briefe und genauso die Geschichte der Romanze zwischen Iwan Stepanowitsch und Motrja zeichnen ein anderes Bild. „Ein Poet und Philosoph […] mit einem scharfsinnigen und spöttischen Geist, der zwanzig Jahre am Ruder der Ukraine stand und erfolgreich im Ozean des politischen Kampfes manövrierte“, sich dabei aber nicht über den kirchlichen Kanon und den Segen von Motrjas Eltern hinwegsetzte. Es ist bekannt, dass er die zu ihm geflüchtete Motrja zu den Eltern zurückschickte. „Mir Euer Gnaden erhaltend, könnte ich das Maß an Gier nicht aushalten, ja und Euer Gnaden ebenfalls, wir würden anfangen, wie Eheleute zu leben, und dann käme der Unsegen der Kirche und der Eid, ohne den wir miteinander nicht leben können“. Auch wenn sich mit dem Segen der Kirche ein großzügiger Spender und persönlicher Freund der Kirchenoberen gefunden hätte, so wäre doch das Fehlen des elterlichen Segens eine ernsthafte Barriere gewesen.

Die Forschungsarbeit Tatjana Tairowa-Jakowlewas ist ein Buch für alle. Die strengen Vertreter aus akademischen Kreisen können sich einlesen in die Geschichte der verschiedenen Perioden des Hetmanats und nebenbei etwas über das Schicksal anderer Familien aus der Schlachta, von Parteigängern und Gegnern des Hetmans lernen. Wenn Sie lesen, wie der Hetman es fertig brachte, diplomatische Spiele gleichzeitig mit verschiedenen Regierungen, Monarchen und auch mit seinen eigenen Offizieren zu führen, werden Sie wie die Autorin zugeben, dass nur Masepa „die Ukraine aus dem Chaos des Ruins befreien, Kompromisse mit den gegenüberstehenden Lagern finden, aufbauen und schaffen, siegen und vereinen konnte.“

Die Liebhaber der Kirchengeschichte werden seinen Weg als „kämpferischen Rechtgläubigen“, tiefgläubigen Menschen und großzügigen Mäzen aufmerksam nach-verfolgen. Außerdem hatten sein Interesse zur orthodoxen Theologie, die riesigen Mittel, die er für den Bau orthodoxer Kirchen und Klöster spendete, ernsthaft Tradition. Seine Mutter Maria Mokiewskaja, die nach dem Tod ihres Mannes Äbtissin des Petschersker Himmelfahrtklosters wurde, hatte Einfluss auf ihn, die Schwester war ebenfalls Nonne und der Vater Anhänger des Staatswesens…
Über mich selbst würde ich folgendes sagen: Wenn der Hetman Masepa mich früher in der Torkirche beim Eingang ins Kiewer Höhlenkloster (das er selbst erbauen ließ) nur anlächelte, so erinnere ich mich von nun an seiner, in jeder Kirchenbank, an welcher die Lebensläufe der Heiligen, vom Heiligen Dimitrij Rostowskij verfasst, stehen.

Denn unsere liebsten Sammlungen von Heiligenbeschreibungen (griechische und römische, übertragen aus verschiedenen Sprachen) erblickten das Licht erst dank des Heiligen Dimitrijs und der unmittelbaren Unterstützung unseres Hetmans. „Masepa war ein tief gläubiger Mensch, von heiligem Verstand, für den die christlichen Werte heilig waren“, schreibt Tairowa-Jakowlewa, wenn sie über seine Korrespondenz mit Klostervorstehern und Kirchenoberen berichtet. Diese Korrespondenz ist absolut selbstverständlich, denn das „Gebot der Seele“ war für ihn immer interessant. Der Begriff „Anathem/Kirchenbann“ klingt für jeden gläubigen Menschen grauenvoll. „Was hindert die Kirchenoberen, einen Entscheidung über die Aufhebung des Kirchenbanns zu fällen, der in den besten Zeiten unserer Kirche ausschließlich aus politischen Gründen ausgesprochen wurde?“, ich erinnere daran, dass ich bereit war, diese Frage dem Patriarchen der Russisch-Orthodoxen Kirche, seine Heiligkeit Kirill, zu stellen, als er im Sommer die Ukraine besuchen wollte.

Diese Frage wurde auf dringende Bitte des Assistenten Kirills von der Fragenliste an seine Heiligkeit gestrichen. Aber ich glaube nicht, dass sie von der Tagesordnung gestrichen ist. Die ukrainische Kirche selbst gibt sich in Bezug darauf sehr offenherzig. „Ich verneige mich vor Masepa“, sagt einer der Kirchenoberen der Ukrainischen Orthodoxen Kirche, Bischof Sofronij (Dmitruk). „Der Imperator, der 23.000 Leute Baturins brutal umbringen ließ, war der Initiator dieses Kirchenbanns. Hat ein solcher Mensch das Recht, einen solchen Bann selbst über einen einfachen Menschen auszusprechen? Und hier geht es um einen Staatsmann, dessen Mutter und Schwester das Nonnentum angenommen hatten…“

Meine Freundin, ein Mädchen aus einer sehr national eingestellten Familie, ist russischsprachig (beherrscht aber hervorragend Ukrainisch) und sagt, dass sie ihre Verbindung zu Russland und zur russischen Literatur fühlen wird, solange ihre Lieblingsschriftstellerin lebt. Den Namen der Schriftstellerin nennt sie nicht, aber Sie werden ihn leicht erraten. Sie ging (zusammen mit Boris Akunin) im letzten Jahr nicht zum Tee zu Putin, obwohl man sie dazu eingeladen hatte und schreibt sich außerdem mit Chodorkowskij.

Ich bin nicht so radikal. Ich habe zu Russland in vielen Bereichen viel mehr Sympathien: in der Literatur, in der Publizistik, in der Wissenschaft, Religion und sogar im Sport, aber die russische Opposition und die Bürgerrechtler sind eine besondere Schwäche von mir. Aber obwohl ich mit großem Bedauern verfolge, was in Russland geschieht, liebe ich doch alles, was die schöpferische, russische Minderheit schafft. Denn nur dank solchen Menschen, wie Tatjana Tairowa-Jakowlewa gelingt das am wenigsten Wahrscheinliche: Nämlich nicht die formale Verbindung, sondern die tiefe emotionale und kulturelle Beziehung zwischen unseren beiden Völkern zu erhalten.

Mascha Mischtschenko

Quelle: UNIAN

Übersetzer:   Stefan Mahnke  — Wörter: 1359

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