Eine Welt voller Wahnsinn


Was auch immer ihnen Psychoanalytiker sagen, glauben sie eines: ob Hitler oder Stalin – sie waren beide psychisch gesunde Menschen. Das betrifft auch ihre Diktatoren-Brüder Idi Amin, Ceaucescu, Saddam Hussein und all die anderen. Jede x-beliebige psychoanalytische Abhandlung hat zur klinischen Psychiatrie keinerlei Verbindung. Man sollte sich also folgendes merken: Die faszinierenden „psychiatrischen“ Untersuchungen, angestellt von Journalisten, wie auch die nicht weniger fesselnden Werke der Psychologen sind reinste Belletristik ohne jegliche psychiatrische Argumentation im zeitgenössischen Verständnis.

Aber auch der folgende Punkt ist zu beachten: Sobald wir die Persönlichkeit der Diktatoren oder Tyrannen als wahnsinnig beschreiben, holen wir den Schurken und Mörder aus der Zone der Mündigkeit heraus und stellen ihn im juristischen Sinne als unschuldig dar. Sobald wir den brutalen und bösartigen Herrscher als psychisch krank ansehen, haben wir das Recht, zu behaupten: Nicht der Mensch, sondern seine Krankheit ist schuld!

Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie mir der bekannte französische Psychiater Kyrill Kupernik einmal von seiner Konsultation des algerischen Diktators Ahmed Ben Bella berichtete. Bei diesem brutalen, machthaberischen Herrscher hatte sich zwar ein pathologischer Habitus in seiner Persönlichkeit herausgebildet, an einer ernsthaften psychiatrischen Störung litt er jedoch nicht. Doktor Kupernik beendete seine Geschichte damals mit folgenden Worten: „Ich hatte es mit einem primitiven Menschen zu tun, der es geschafft hatte, der alleinige Herrscher eines großen Landes zu werden.“

Wenn wir, liebe Mitbürger, diese miserablen Leute, die unsere sozialen Forderungen gekonnt ignorieren, freiwillig selbst an die Macht wählen, dann sind wir selbst schuld. Wir sind auch dann selbst schuld, wenn wir den sittenlosen Menschen gewählt haben und seine Handlungen im Anschluss nicht kontrollieren. Wenn sich die Staatsmacht nicht vor ihren Wählern fürchtet, dann fürchten sich die Wähler vor der Staatsmacht. Das ist das Prinzip der Diktatur.

Ich schreibe diese Zeilen angesichts einiger Mitteilungen – verfasst von unseren unehrlichen Politikern und leichtgläubigen Journalisten -, in denen behauptet wird, dass unser ehemaliger Präsidenten Viktor Janukowitsch psychisch krank sei. Besonders erschüttert hat es mich, diese Aussage von unseren ukrainischen Gesetzgebern zu hören, die doch juristisch hochgebildet sind. Zwei von denen baten mich sogar darum, diese Behauptung per psychiatrischer Fern-Diagnose zu belegen. Das ist eine sehr schlechte Idee, und eine gefährliche. Diese „revolutionäre Sachlichkeit“,mit der die Rechte in der Ukraine ignoriert werden, muss aufhören. Die faktische Okkupation der Krim durch Russland darf von der neuen Staatsmacht nicht als Freifahrtschein benutzt werden, um gegen die so notwendigen Gesetze zu verstoßen.

Und die Psychiatrie hat an dieser Stelle überhaupt nichts zu suchen.

…Na also, und auch nicht diese nutzlosen Nachforschungen über einen „psychiatrischen Schlüssel“, mit dem ein weiteres politisches Problem gelöst werden soll: die in den Massenmedien geführte Diskussion über den psychischen Gesundheitszustand von Wladimir Wladimirowitsch Putin.

24. März 2014 // Semjon Glusman

Quelle: Lb.ua

Übersetzerin:   Maria Ugoljew  — Wörter: 454

Hat Ihnen der Beitrag gefallen? Vielleicht sollten Sie eine Spende in Betracht ziehen.
Diskussionen zu diesem Artikel und anderen Themen finden Sie auch im Forum.

Benachrichtigungen über neue Beiträge gibt es per Facebook, Google News, Mastodon, Telegram, X (ehemals Twitter), VK, RSS und per täglicher oder wöchentlicher E-Mail.