Experte: Der Rechte Sektor zerfällt
Was wollen die Rechtsradikalen in der Ukraine? Was ist das Geheimnis des Prawyj Sektor (Rechter Sektor)? Welche Rolle spielt Russland? – Der ukrainische Rechtsextremismus-Forscher Schechowzow im Interview mit der Deutschen Welle.
Anton Schechowzow arbeitet am University College London (UCL), wo er rechtsradikale Parteien und Bewegungen in Europa untersucht. Im Interview mit DW sprach der ukrainische Experte über die Gründe für die Entstehung des Rechten Sektors und dessen Bekanntheit, aber auch über das Wirken anderer rechtsradikaler Kräfte in der Ukraine.
DW: Wann haben Sie das erste Mal vom Rechten Sektor gehört?
Anton Schechowzow: Im November 2013, als sie auf dem Maidan in Kiew ein Zelt aufgestellt hatten. Das war der Ort, wo sie sich versammelten und für einen möglichen Berkut-Überfall trainierten.
Haben Sie damals vermutet, dass der Rechte Sektor solch eine Bekanntheit erlangen würde?
Nein. Ich war viel mehr beunruhigt über die paramilitärischen Gruppierungen innerhalb der Partei Swoboda (Freiheit). In den ersten Tagen des Euromaidan hatten sie in Lwiw einen neonazistischen Marsch veranstaltet. Ich schrieb damals in meinem Blog, dass eine Fortführung dessen den Gegnern des Euromaidan einen Vorwand liefern wird, diesen zu diskreditieren.
Heute sind überall im Zentrum Kiews Punkte zur Anwerbung von Rechter-Sektor-Aktivisten verteilt und die Medien berichten darüber. Wie ist das gelungen?
Erstens hat der Rechte Sektor eine erfolgreiche Propaganda betrieben und sich als radikalste Gruppe des Euromaidan positioniert. Sie waren die ersten, die Masken und Tarnanzüge zu tragen begannen. Zweitens bemühten sich die Medien – sowohl im Ausland als auch innerhalb der Ukraine –, den Gedanken aufzunötigen, der Euromaidan – das ist der Rechte Sektor. Besonders aktiv wurde das in den russischen Medien praktiziert um zu demonstrieren, dass der Euromaidan ein „faschistischer Putsch“ ist.
Der Rechte Sektor heute –was sind das für Leute?
Als ich mich im Januar mit ihnen unterhielt, sprachen sie von 300 aktiven Kämpfern. Nach den Februar-Ereignissen in Kiew begann deren Zahl schnell zu wachsen. Verschiedenen Einschätzungen zufolge gehören dem Rechten Sektor heute in der gesamten Ukraine schätzungsweise zweieinhalbtausend Personen an. Was die Ideologie betrifft, so ist der Rechte Sektor eine sehr breitgefächerte Bewegung. Nimmt man den Trysub (Dreizack), der von Dmytro Jarosch angeführt wird, so ist das die am wenigsten radikale Gruppe. Ich würde deren Ideologie als Nationalkonservatismus bezeichnen und nicht als Rechtsradikalismus. Sie ist schwer vergleichbar mit westlichen Parteien. Aber lässt man die Ökonomie mal außer Acht, dann würde ich den Trysub mit der Tea-Party-Bewegung in den USA vergleichen. Währenddessen ist die UNA-UNSO (Ukrainische Nationalversammlung – Ukrainische Nationale Selbstverteidigung) schon eine rechtsradikale Organisation.
An der Peripherie des Rechten Sektors gab es Gruppierungen vom Typ des Bilyj molot (Weißer Hammer), des Patriot Ukrajiny (Patriot der Ukraine) und der Sozial-nationalen Versammlung (SNA). Der Patriot Ukrajiny ist eine Charkiwer Struktureinheit, und die SNA ist auf dessen Grundlage in Kiew gegründet worden. Beide haben einen gemeinsamen Chef – Andrij Bilezkyj. Sie sind neonazistische Gruppierungen. Interessant ist, dass sie mit den städtischen Behörden Charkiws zusammengearbeitet haben. Der Patriot Ukrajiny betrieb, was man auf Russisch gemeinhin „Kryschewanije“ nennt, Schutzgelderpressung. Was die SNA betrifft, so hat diese ihren Standort in der Stadt Wassylkiw in der Oblast Kiew. Diese Organisation hat mit dem Regime von Präsident Wiktor Janukowytsch kooperiert und die Beobachtung der Wahlen verhindert, indem sie Beobachtern und Journalisten Zugang verwehrte. Das Ergebnis waren gefälschte Wahlen.
Kürzlich ist es zum Konflikt zwischen dem Rechten Sektor und dem ukrainischen Innenminister Arsen Awakow gekommen. Nach dem Tod eines der Anführer des Rechten Sektors, Olexandr Musytschko, fordern die Aktivisten den Rücktritt des Ministers und haben mit der Erstürmung des Parlaments gedroht. Was ist ihre Ansicht dazu?
Ich habe auf Fotos gesehen, dass unter anderem auch Vertreter des Patriot Ukrajiny zum Parlamentsgebäude gekommen waren. Das sind Personen, die der vorherigen Macht gedient haben. Das war eine Provokation. Ich würde mich der Meinung anschließen, dass Jarosch die Situation wenig unter Kontrolle hat. Dafür spricht auch, dass er als selbstnominierter Präsidentschaftskandidat auftritt, obwohl er vom Rechten Sektor als Kandidat aufgestellt worden ist. Scheinbar begreift er, dass es im Rechten Sektor zu viele Provokateure gibt.
Wie stark und wie einflussreich ist der Rechte Sektor in der ukrainischen Politik?
Elektoral ist er überhaupt nicht stark. Er hat keinerlei Chance, die 5-Prozent-Hürde bei den Parlamentswahlen zu überwinden. Die Mehrheit der ukrainischen Gesellschaft begreift, dass der Rechte Sektor die Ukraine in den Augen der zivilisierten Welt diskreditiert. Er besaß einen hohen Vertrauensbonus nach den Ereignissen in Kiew, aber den hat er verspielt.
Womit wird die Konfrontation von Rechtem Sektor und Innenministerium enden?
Ich glaube, das wird mit dem Zerfall des Rechten Sektors enden. Als Janukowytsch die Flucht ergriffen hatte und vor dem Beginn der Krimkrise war ich der Meinung, dass die Eingliederung in die Nationalgarde ein guter Weg für den Rechten Sektor sei. Jarosch hätte nicht in die Politik gehen sollen. In friedlichen Zeiten, selbst angesichts einer Situation wie auf der Krim, dürfen solche Strukturen wie der Rechte Sektor nicht existieren. Die unterschiedlichen Kräfte des Rechten Sektors hatte der Kampf für die nationale Befreiung der Ukraine geeint. Das ist das Einzige, was die Gesellschaft im Rechten Sektor unterstützte. Als er anfing mit offenen Provokationen zu agieren, begann die Unterstützung zu schwinden. Die Menschen fingen an zu begreifen, dass der Rechte Sektor unter anderem auch eine antieuropäische Ideologie ist. Ich glaube, dass in der Endkonsequenz die Schlüsselfiguren, die Provokateure des Patriot Ukrajiny, verhaftet werden. Der Rechte Sektor hat keine sehr gute Zukunft.
Wie stark ist im Moment die rechte Partei Swoboda, welche im Gegensatz zum Rechten Sektor sowohl im Parlament als auch in der Regierung sitzt?
Swoboda hat bei den Parlamentswahlen 2012 um die zehn Prozent bekommen. 2013 begann ihre Popularitätsquote heftig zu sinken. Während des Euromaidan versuchte sie, sich die Revolution zunutze zu machen und ihre Popularitätsquote anzuheben, aber sie verpasste diese Chance. Heute hat sie die Unterstützung von annähernd fünf Prozent der Bevölkerung. Die Ideologie der Swoboda findet immer weniger Anklang in der Gesellschaft. Die Menschen verstehen, dass das keine demokratische Partei ist.
Vor kurzem verlor Swoboda einen ihrer Posten – der Verteidigungsminister trat zurück. Welchen Einfluss hat die Partei in der Regierung?
Ich denke nicht, dass sie einen ernsthaften Einfluss hat. Die Regierung ist mit zwei Problemen beschäftigt. Sie versucht der russischen Aggression zu widerstehen und die Wirtschaftskrise zu bekämpfen. Swoboda hat keine Einflusshebel und sie haben kein moralisches Recht auf diesen Einfluss. Die Zahl ihrer Abgeordneten in der Werchowna Rada entspricht nicht dem realen Unterstützungsniveau in der Gesellschaft.
In den ukrainischen Medien kursieren viele Hypothesen darüber, dass Swoboda von ukrainischen Oligarchen finanziert wird, dass hinter ihr die “Hand Moskaus” steht. Glauben Sie daran?
Ich glaube nicht an die “Hand Moskaus”. In der Ukraine gibt es genügend eigene Handelnde. Ich denke, dass Swoboda speziell von Janukowitsch beworben wurde. Eben nach seinem Machtantritt erhielt diese Partei eine um einige Male höhere Fernsehzeit. Es gibt allen Grund zu der Annahme, dass Janukowytsch den Führer von Swoboda Oleh Tjahnybok vorbereitete, um ihn in die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen zu ziehen und dann leicht zu gewinnen.
Das Interview führte Roman Gontscharenko
02. April 2014 // DW (Deutsche Welle)
Quelle: Deutsche Welle