Interview mit dem Chef des Präsidialamtes Wiktor Baloha
Gestern hat der Vorsitzende der Kommunistischen Partei Pjotr Simonenko die Prozedur der Amtsenthebung von Präsident Wiktor Juschtschenko eingeleitet. Der Leiter des Präsidialamtes Wiktor Baloha kommentierte in einem Interview mit dem Berichterstatter des “Kommersant-Ukraine“, Sergej Sidorenko, diese Initiative, ebenfalls über die Entwicklungen der ukrainisch-russischen Beziehungen und die Perspektiven eines Machtwechsels in Kiew erzählend.
Inwiefern ist, Ihrer Meinung nach, die Verkündung vorgezogener Präsidentschaftswahlen real?
Vor allem hat der amtierende Präsident, in Ausübung seiner Funktionen, nicht einmal die Verfassung oder die Gesetze der Ukraine verletzt. Und die Erklärungen der Mitglieder des faktischen Mitgliedes der demokratischen Koalition Pjotr Simonenkos – eben dank ihm finden die Koalitionsabstimmungen im Parlament statt – kann man sehr leicht erklären. Simonenko hat sich so an der Umsetzung der Anweisungen Timoschenkos begeistert, dass bald die Wähler nicht mehr verstehen, ob er nun ein Mitglied der Partei “Batkiwschtschina/Vaterland” (Vorsitzende Julia Timoschenko) oder Vorsitzender der Kommunistischen Partei ist. Und was diese “Gesetzesübertretungen” betrifft, von denen er heute redete, darunter über die Ernennung von Gouverneuren und Änderungen im Bestand des Sicherheitsrates, so hat Wiktor Juschtschenko diese als Antwort auf die flehentlichen Bitten von Timoschenko getan, die damals sehr Ministerpräsidentin werden wollte.
Das heißt Sie schließen die Möglichkeit einer Amtsenthebung aus. Wann finden dann die Präsidentschaftswahlen statt?
In der Frist, die von der Verfassung vorgesehen ist, am 17. Januar 2010. Ich habe keine Zweifel daran.
Doch Wiktor Juschtschenko hat gesagt, dass man sich aus diesem Grunde an das Verfassungsgericht wenden muss.
Nein, der Präsident wird dies nicht tun. Wahlen muss die Werchowna Rada ansetzen und ich denke nicht, dass ein anderes Datum bestimmt wird.
Einigen Nachrichten nach, hat der Präsident bereits die Entscheidung über die Form seiner Teilnahme an den Wahlen getroffen. Ist Ihnen davon etwas bekannt?
Ich weiß nicht, welche Entscheidung er getroffen hat. Sage ich Ihnen ehrlich.
Wenn wir zu den Ereignissen vor einer Woche zurückkehren – haben Sie eine erfolgreiche Abstimmung bei der Ernennung von Walentin Naliwajtschenko zum Vorsitzenden des SBU erwartet?
Ich gebe zu, dass dies eine Überraschung war. Und nicht nur für die Präsidialverwaltung, sondern auch für Litwin und Timoschenko. Niemand wollte ihn bestätigen! Ich sage Ihnen, wie es vor sich ging, dass die Kandidatur von Naliwajtschenko unterstützt wurde. In dem Moment als die Frage zur Abstimmung gestellt wurde, waren die Abgeordneten von “Unsere Ukraine – Nationale Selbstverteidigung” und von “Jedinyj Zentr/Einheitliches Zentrum” nicht im Saal und ohne diese wären 226 Stimmen nicht zusammengekommen. Offensichtlich wollte jemand zeigen, dass Baloha die Linie des Präsidenten nicht unterstützt. Doch Gott wollte es, dass die Leute (Vertreter des “Jedinyj Zentr/Einheitlichen Zentrums”) es schafften in den Saal zurückzukehren und die Abstimmung verlief erfolgreich.
Wenn Sie nicht an seine Ernennung glaubten, wozu hat Wiktor Juschtschenko die Kandidatur von Naliwajtschenko dann in die Rada eingereicht?
Ja, sie wurde zum wiederholten Mal eingereicht, obgleich er begriffen hatte, dass es keine reale Möglichkeiten gab 226 Stimmen zu erhalten. Ich möchte nicht in die Seele des Präsidenten steigen und fragen, warum er dies macht. Wahrscheinlich ging der Präsident davon aus, dass früher oder später Naliwajtschenko bestätigt werden wird und hatte ein weiteres Mal recht. Doch ich versichere Ihnen – es gab keinerlei vorherige Absprachen zur Unterstützung von Walentin Naliwajtschenko durch BJuT (Block Julia Timoschenko).
Bei BJuT versichert man, dass man entschieden hat Naliwajtschenko zu unterstützen, als man vom Szenario des Präsidialamtes erfuhr, nach dem man Walerij Choroschkowskij zum kommissarischen Vorsitzenden des SBU (Sicherheitsdienst der Ukraine) ernennen wollte.
Das sind Mutmaßungen, diese Möglichkeit wurde nicht einmal diskutiert.
Derzeit formulieren die Premierministerin und ihre politische Kraft Anforderungen in Bezug darauf, wie der SBU die Untersuchungen in der “Angelegenheit ‘Naftogas’” führt. Welche ist Ihre Position in dieser Frage?
Es lohnt sich nicht das Gesetz mit Politik zu ersetzen. Es ist nicht meine Angelegenheit festzulegen, ob es eine Gesetzesübertretung (bei der Verzollung des Gases von RosUkrEnergo, dessen Vorstandsvorsitzender Dmitrij Firtasch ist) gab oder nicht. Soll der SBU die Untersuchung durchführen, ein Gericht wird in dieser Angelegenheit einen Schlusspunkt setzen.
Doch den ersten Stellvertreter des Vorsitzenden des SBU, Walerij Choroschkowskij, der die Untersuchung überwacht, verbinden mit Dmitrij Firtasch Geschäftsinteressen, insbesondere beim Fernsehsender “Inter” …
Ich sehe keine Wirtschaftsverbindungen zwischen ihnen.
Doch Choroschkowskij hat auf Pressekonferenzen und im Interview diese Tatsache zugegeben.
Sogar wenn es dieses Geschäft gibt, dann sehe ich darin keine Probleme. Firtasch – ist weder ein Synonym für das Böse noch eines für das Gute. Firtasch – das ist ein Mensch, der den Eingeboren/Aborigines nur dafür zum Fraß vorgeworfen wurde, damit Julia Wladimirowna (Timoschenko) mit jemanden kämpfen konnte. Wenn es Firtasch nicht gäbe – gäbe es Choroschkowskij. Oder Poroschenko (Pjotr Poroschenko, Leiter des Zentralbankrates), wenn er nicht rechtzeitig zu Timoschenko übergelaufen wäre, ihre Politik zu unterstützen beginnend, oder jemand anderes.
Nichtsdestotrotz haben die Vertreter von BJuT gerade ein deutliches Argument. Ist es korrekt, dass die Ermittlung in der Angelegenheit die mit dem Geschäft von Dmitrij Firtasch verbunden ist, von seinem Geschäftspartner überwacht/geleitet wird?
Und warum schenkte Julia Wladimirowna (Timoschenko) an dem erst jetzt Aufmerksamkeit und nicht vor anderthalb Jahren, als man Choroschkowskij zum Leiter des Zolls ernannte? Da es für sie heute vorteilhaft ist davon zu reden und Rechnungen zu begleichen.
Noch eine weitere Personalumstellung – der Rücktritt von Wolodymyr Ohrysko vom Posten des Leiters des Außenministeriums. Der Präsident erklärte, dass er am Dienstag einen Kandidaten als zukünftigen Minister für äußere Angelegenheiten benennt. Ist diese Ihnen bereits bekannt?
Der Präsident trifft die Entscheidung persönlich, wen man bei der Werchowna Rada zur Bestätigung auf diesem Posten einreicht. Ich weiß bislang nicht, auf welchen Kandidaten er sich festgelegt hat. Unter den Kandidaten gibt es amtierende Botschafter, jedoch nicht nur diese. Ich kann sagen, dass Wiktor Juschtschenko nur Kandidaten aus den Vertretern des Diplomatenkorps in Betracht zieht.
Unter den Hauptproblemen der Ausrichtung der Außenpolitik sind die gegenseitigen Beziehungen mit Russland. Wiktor Juschtschenko und Dmitrij Medwedjew haben sich nicht einmal getroffen und in Moskau erklärt man, dass man die Aktivierung beiderseitiger Kontakte nicht als notwendig ansieht. Sehen Sie Möglichkeiten diese Situation zu ändern?
Falls es bei zwei Seiten keinen Wunsch gibt sich zu einigen, ist das sehr schlecht. Wir sind Nachbarn und wir müssen die Entwicklungen unserer gegenseitigen Beziehungen forcieren. Es ist nötig, dass die Außenminister Russlands und der Ukraine Möglichkeiten suchen diese zu verbessern und nicht versuchen diese zum Scheitern zu bringen. Und ich denke, dass die Abkühlung der Beziehungen, welche in der letzten Zeit beobachtet wurde, wird bald der Vergangenheit angehören.
Das heißt, die Situation wird von der Ernennung eines neuen Ministers geändert werden?
Ich schätze Ohrysko für seinen Professionalismus. Doch unter ihm konnten die außenpolitischen Behörden unserer Staaten kein gegenseitiges Verständnis erreichen und dies bleibt auf dem Gewissen sowohl unseres Ministers, als auch des russischen Außenministers (Sergej Lawrow). Ich werden nicht bewerten, wer mehr Recht hatte und wer Schuld an dieser Situation ist. Ich möchte, dass wir von vorn anfangen.
Einer der Konfliktmomente in den gegenseitigen Beziehungen mit Russland war die Erklärung des ukrainischen Außenministeriums zur Möglichen Erklärung des Botschafters (Russlands) Wiktor Tschernomyrdin zur Persona non grata. Wolodymyr Ohrysko hat sich kaum eigenständig zu diesem Schritt entschlossen …
Nein, dies war eben eine persönliche Initiative von Ohrysko. Das war nicht die Idee des Präsidenten oder seines Sekretariats. Ich habe dies selbst am Abend aus den Nachrichten erfahren und war erstaunt, wozu wir eine solche Konfrontation brauchen.
Wird Wolodymyr Ohrysko nach der Entlassung im Außenministerium arbeiten?
Der Präsident wird gemeinsam mit Ohrysko in der nächsten Zeit eine Entscheidung treffen, auf welchem Posten er dem Staatsoberhaupt am nützlichsten sein wird.
Die Situation in Kiew ist nicht einfach. Der Kiewer Stadtrat hat seinen Sekretär von der Leitung der Sitzungen entbunden, es gab Aufrufe an den Präsidenten Leonid Tschernowezkij von seinem Posten zu entfernen …
Ich teile nicht die Meinung, dass der Präsident den Bürgermeister seines Amtes entheben soll. Das Gesetz zur Hauptstadt sieht dies nicht vor. Doch der Präsident ist sehr kritisch in Bezug auf Leonid Tschernowezkij eingestellt. In den letzten zwei Wochen hat er eine Reihe von Entscheidungen des Bürgermeisters aufgehoben. Und ich muss konstatieren, dass die Zahl der Fehler der Kiewer Regierung steigt.
Doch beim Präsidialamt sagte man, dass es eine juristische Handhabe der Entbindung Leonid Tschernowezkijs von der Ausführung der Pflichten des Leiters der Kiewer Stadtverwaltung gäbe.
Nur für zwei Monate. Und wenn die Situation kritisch werden sollte, wird der Präsident von diesem Recht Gebrauch machen.
Was muss geschehen?
Es hat bereits alles statt gefunden! Der ganze Organismus der Verwaltung von Kiew ist krank und diesen kann man unmöglich mit Hilfe des Teams von Tschernowezkij heilen. Warum? Weil es da keine – mit Ausnahme einiger Menschen – Leute gibt, die tatsächlich die Hauptstadt verwalten können. Sie wissen nicht, wie man das Leben der Kiewer verbessert. Ja, sie wissen, wie man Land stiehlt oder kommunale Unternehmen verkauft, doch dies nähert Kiew nicht dem Niveau der europäischen Hauptstädte an.
Das heißt vorgezogene Wahlen sind in Kiew möglich?
Ich denke, dass man diese recht bald durchführen kann. Man braucht die Kiewer nicht zu quälen.
In dieser Frage fällt Ihre Position mit der von BJuT zusammen.
Eben nicht! Meinen Informationen nach, unterstützt BJuT heute bereits nicht mehr die Idee des Wechsel der Kiewer Regierung. Timoschenko hat sich mit Tschernowezkij getroffen und sie haben einen Nichtangriffspakt getroffen. Ja, in ihren Worten setzt Timoschenko die Kritik von Tschernowezkij fort, um ihr Rating nicht zu senken. Doch in der Angelegenheit wird BJuT keinerlei Schritte vornehmen, um den Kiewer Bürgermeister zu ersetzen. Es gibt einen guten Indikator: die Regierung hat das Recht eine Kommission zur Überprüfung von Gesetzesverletzungen durch die Kiewer Stadtverwaltung einzusetzen und versprach viele Male dies zu tun, doch warum auch immer hat sie dies nicht getan. Dies ist ein Lakmustest für die gegenseitigen Beziehungen zwischen dem Bürgermeister und der Premierin. Solange wie diese Kommission nicht anfängt zu arbeiten und auf den Kabinettssitzungen nicht die Frage aufgeworfen wird, wie der Vorsitzende der Kiewer Stadtverwaltung seine Funktionen erfüllt, kann man überzeugt sein, dass Timoschenko und Tschernowezkij ausgezeichnete gegenseitige Beziehungen haben.
Und wie wahrscheinlich sind vorgezogene Parlamentswahlen?
Ich bin ein Anhänger von Reformen der Wahlgesetzgebung und unterstütze die Idee, dass die nächsten Wahlen in der Form von offenen Listen durchgeführt werden. Doch das bedeutet nicht, dass man so schnell wie möglich Wahlen nach dem neuen System durchführen muss! Das Volk möchte Stabilität. Obgleich wenn die Politiker, darunter die parlamentarischen Kräfte, sich nicht einigen können, dann spricht die Straße. Und dies braucht niemand. Daher rufe ich alle dazu auf sich zu vereinigen, Verhandlungen mit dem IWF zu führen, notwendige Änderungen in das Gesetzeswerk einzutragen und die zweite Tranche des IWF zu erhalten, die für uns äußerst notwendig ist.
Von welchen Änderungen im Gesetzeswerk reden Sie?
In erster Linie ist es notwendig Änderungen in den Haushalt einzutragen. Man muss ehrlich zugeben, dass wir mit dem heutigen populistischen Budget nicht leben können und den Einnahmen- und Ausgabenteil nicht umsetzen können. Man muss dem Volk die Wahrheit sagen, dass es dieses Geld im Haushalt nicht gibt, dass man den Gürtel enger schnallen muss und von den Mitteln leben, die es gibt. Man muss auf die Sonderregeln verzichten, welche aus populistischen Erwägungen in den letzten Jahren von verschiedenen politischen Kräften angenommen wurden.
Doch mit der Rücknahme von Vergünstigungen ist das Problem nicht gelöst. Der IWF hat viele Forderungen – so zur Erhöhung des Rentenalters und zur Erhöhung der Gaspreise und vieles andere.
Um den gesamten Mechanismus der Verhandlungen mit dem IWF zu beschreiben, reicht ein Interview nicht. Ich kommentiere nur eine Kleinigkeit, welche das Rentenalter betrifft. Bei uns arbeiten viele Leute nach dem Renteneintritt weiter, Staatsangestellte schreiben Anträge, dass sie länger im Staatsdienst arbeiten können. So liegt nichts schreckliches in der Erhöhung des Renteneintrittsalters. Falls der IWF dies empfiehlt, müssen wir dem Gehör schenken, doch die Vorschläge nicht sofort annehmen. Es ist lediglich der politische Willen der Koalition notwendig und kein Populismus. Und noch besser wäre der politische Willen des gesamten Parlamentes.
Das Interview führte Sergej Sidorenko
Quelle: Kommersant-Ukraine