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Revolution auf Transkarpatenart

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Die Transkarpaten haben erneut ihre besondere Spezifik demonstriert, indem sie zur einzigen Region im Westen des Landes wurde, in dem nicht nur keine Gebäude der Gebiets- und staatlichen Regionalverwaltung durch Demonstranten besetzt wurden, sondern nicht einmal ein einziger Versuch der Erstürmung unternommen wurde. Obwohl die gesellschaftliche Anspannung hoch war, schien nur noch ein kleines bisschen zu fehlen und das Gebiet befreit sich von seinem ihm zugeteilten Image der weißen Raben….

Am heftigsten kochten die Leidenschaften Ende Januar, was mit dem groben Verhalten der Einsatzkräfte in Kiew zusammenhing. In Uschgorod fanden sich mehr als einmal mehrere Tausend zu Demonstrationen zusammen und den gesellschaftlichen Aktivisten gelang es, sich persönlich mit dem Bürgermeister Wiktor Porogelow (Mitglied der Partei der Regionen) und Gouverneur Alexander Ledida (Gebietsvorsitzender der Partei der Regionen) zu treffen und ihnen die Forderungen des Transkarpaten-Majdans zu überbringen: Erstens eine außerordentliche Sitzung des Stadtrats einzuberufen und freiwillig zurückzutreten; Zweitens den großen Saal der staatlichen Regionalverwaltung (SRV) der Gründung eines Volksrats Transkarpatiens (NRS) zur Verfügung zu stellen. Und der städtische und der Gebietsführer weigerten sich, diese Forderungen zu erfüllen.

Die größte Protestaktion war für den letzten Samstag im Januar vor der SRV geplant. Im Zusammenhang mit der Serie von Besetzungen von Gebietsräten in benachbarten und weiter entfernten Gebieten roch die Luft nach Pulver und der Vorahnung von etwas Außergewöhnlichem. Stattdessen geschah nichts Untypisches oder Originelles. Noch vor Beginn des annoncierten Protesttreffens vor der SRV versammelten sich einige Hundert Sympathisanten der Partei der Regionen (unter ihnen wurden Mitarbeiter des Bürgermeisteramts und der Kreisverwaltung bemerkt), vor denen sich eine lebendige Kette aus Milizionären mit Helmen und Schilden aufgebaut hatte. Und im Eingang des Gebäudes, das die Gegenspieler der Regierung wie eine Tribüne nutzen wollten, erschienen der Gouverneur Alexander Ledida, der Bürgermeister Uschgorods Wiktor Pogorelow, der Ex-Bürgermeister der Stadt Sergej Ratuschnjak (ein alter Mitstreiter des Gouverneurs) und andere. Die Aktivisten des Euromaidan (zu dem sich mehrere Tausend Menschen versammelt hatten) ließ man auch auf die Tribüne mit Mikrofonen und es ergab sich, dass sich die geplante Protestaktion in ein gemischtes Meeting verwandelte, bei dem auf der gemeinsamen Bühne nacheinander die Vertreter der entgegengesetzten Lager auftraten. Der Gouverneur erinnerte an die traditionelle transkarpatische Toleranz und bemerkte offen, dass der Protestteil des Platzes nicht nur durch seine Landsleute vertreten wird, sondern auch durch Galizier (einer der gesellschaftlichen Aktivisten bestätigte am Vorabend bei einem Treffen mit Alexander Ledida: In die Transkarpaten „…drängt eine Menge sehr aggressiver und radikal gesinnter Personen aus anderen Gebieten“, was sofort durch das Gebietsfernsehen verbreitet wurde). Dann trat ein Aktivist von Swoboda (Freiheit) mit einer These über das verbrecherische Regime und die Banditen an der Macht auf. Weiter ergriff der Bürgermeister Uschgorods das Wort und bekannte sich auch zur Toleranz, woraufhin ein Vertreter von Batkiwschtschyna (Vaterland) eine emotionale Rede über den Bürgermeister vortrug, der alles Mögliche plündert. Personen und Reden mit diametral entgegengesetzten Losungen wechselten sich ab in einem Kaleidoskop und erzeugten ein Gefühl von Surrealismus, ein typisch transkarpatisches Politikum vor gesamtukrainischem Hintergrund. Für Protestierende, die sich mit der listigen örtlichen Politik nicht auskennen, ging die Orientierung zwischen „Unseren und den Anderen“ flöten. Obwohl die Zahl der Protestteilnehmer exponentiell höher war, setzten Alexander Ledida, Wiktor Pogorelow und Sergej Ratuschnjak das kräftige Signal.

Nach einiger Zeit versuchten die gegensätzlichen Teile des Platzes einander mithilfe traditioneller wie origineller Parolen zu übertönen (unter welchen besonders hervorstachen: „Tituschki!“ (ein Ausdruck für von der Staatsmacht bezahlte Demonstranten/Schläger), „Fort mit dem polnischen Adel!“ und „Bahnhof Lwiw!“). Zur Krönung des Konflikts in der Bürgerschaft wurden Würfe mit Schneebällen und Münzen durch die Kette der Polizisten, die konfus und in voller Ausrüstung herumstanden und nicht wussten, wie sie sich in dieser Situation verhalten sollten. Abends, als man begann, Barrikaden auf dem Platz zu errichten, zeigten die Gesetzeshüter doch noch Professionalität, indem sie einige unerschrockene Ausfälle „in die Reihen der Feinde“ machten und von dort einen Teil des Holzes und der Reifen stahlen….

Zur Hauptnachricht am nächsten Tag wurde der Anschluss von Jedynyj Zentr (Einiges Zentrum) mit Wiktor Baloga zu der Gebiets-Protestaktion; eben jenem, der 2010 den Einwohnern der Transkarpaten persönlich befahl, nicht für Julia Timoschenko zu stimmen, alle seine Ressourcen für den Sieg Wiktor Janukowitschs einsetzte und bis 2012 als Minister für innere Sicherheit in der Regierung Nikolaj Asarows arbeitete. Seit Beginn der Protestaktionen hielt sich Wiktor Baloga mit seiner Familienpartei abseits. Offensichtlich nahm die „offizielle“ Opposition auf gesamtukrainischer und Gebietsebene den Führer des Jedynyj Zentr nicht auf, wobei ihn auch niemand zu den wirklichen Regimegegnern zählt, sich an das mehrdeutige Verhalten Wiktor Balogas im Dienste des präsidialen Sekretariats Wiktor Juschtschenkos gegenüber dem doch recht brutalen Vorgehen in den Jahren 2005 bis 2010 in den Transkarpaten in Zusammenarbeit mit Wiktor Janukowitsch und Anderen erinnernd. Warum man entschied, Wiktor Baloga jetzt zum Verbündeten zu nehmen, ist wahrhaftig nicht bekannt. Es ist schwer vorzustellen, dass die Vertreter des patriotischen Flügels im Gebiet vergaßen, wie er sie mehrfach für seine politischen und kommerziellen Ziele benutzte. Der Vorsitzende der transkarpartischen Proswita Wladimir Pipasch erklärte von der Tribüne, dass man Jedynyj Zentr zur Vereinigung der Kräfte und zur Beendigung von Streit und Zwietracht einbezieht. (Übrigens wurden die Zwistigkeiten im oppositionellen Lager danach nicht beendet, sondern gelangten auf öffentliche Ebene unter Anwendung von Lautsprechern). Wahrscheinlich wusste das Gesellschaftsaktiv, das mit der mitreißenden Kraft der Protestbewegung Transkarpatiens auftrat einfach nicht, in welche Richtung es sich weiter bewegen sollte und entschied deshalb, einen erfahrenen politischen Spieler hinzuzuziehen. Und dieser versäumte es nicht diese Gelegenheit zu nutzen. Die Hauptforderungen des Transkarpaten-Majdans, die Einberufung einer außerordentlichen Sitzung des Gebietsrats zur Schaffung eines Volksrats der Transkarpaten und der Rücktritt des Gouverneurs, wurden nach der Ankunft Wiktor Balogas korrigiert. Bei seinem ersten Auftritt vor den Demonstranten drückte der Leiter des Jedynyj Zentr seine Überzeugung aus, dass sich der von seinem Bruder gesteuerte Gebietsrat zu einer Versammlung zusammenfindet und den vom Volk erwarteten Beschluss fasst. Und im Kreis der Aktivisten fügte er hinzu: Die Frage des Rücktritts Alexander Ledidas wird nicht beraten, insofern als „ … es nicht wichtig ist, wer die Regierung in der Region anführt. Die Leute beunruhigt die Gesamtsituation im Land.“ Es wurde deutlich, dass Wiktor Baloga inoffizielle Verhandlungen mit Alexander Ledida führte, über die er vermutlich nicht einmal seine neuen Mitstreiter informierte. Was seine Bestätigung am nächsten Tag fand, als während der außerordentlichen Sitzung des Gebietsrats die minimale Mehrheit (55 von 108 Abgeordneten) für die Einrichtung eines Volksrats der Transkarpaten in der Größe von 30 Personen (15 Gesellschaftsaktivisten und 15 Abgeordnete der Opposition nach dem Quotenprinzip) stimmte und sich an die Miliz wandte mit dem Befehl, den Platz vor der SRV zu räumen. Für diesen Beschluss und mit schweigendem Einverständnis Alexander Ledidas stimmten auch die Satelliten der PR. Offensichtlich hatte Wiktor Baloga dem Gouverneur versprochen, die Frage des Rücktritts nicht zu stellen und keine Gewaltaktionen in der Art vom Sturm auf Gebäude durchzuführen. Alexander Ledida schloss im Gegenzug die Augen vor der Einrichtung des NRS.

Im Ergebnis verabschiedete der Gebietsrat keinen Appell an den Präsidenten, bewertete die Vorgänge im Land nicht und verurteilte auch nicht das Verhalten der Sicherheitskräfte in Kiew (davon, dem Gouverneur mit einer Zweidrittelmehrheit das Misstrauen auszusprechen wie im Ternopil oder Iwano-Frankiwsk, war überhaupt nicht die Rede; so etwas gehört in den Transkarpaten dem Bereich der Fantasy an). Man könnte sagen, dass das Abgeordnetenhaus dem Beispiel der Gebietsräte in Tschernowzy, Tscherkassy oder Chmelnizkyj folgte, die ebenso Volksräte einsetzten zur feierlichen Ankündigung radikaler Entscheidungen. Aber in all diesen Regionen waren die Protestaktionen weitaus gewaltiger und führten zum Sturm und zur Besetzung von Einrichtungen des SRV. Deshalb wird der „transkarpatische Konsens“ in keinen der bestehenden Algorithmen passen und gehört zum besonderen örtlichen Knowhow der Politik.

Nach Ende der Sitzung verlas ein Vertreter des NRS von der Bürgerseite (der Abgeordnetenteil des Rats wurde erst einige Tage später bekannt) auf dem Platz in Anwesenheit von 300 Demonstranten eine Deklaration zum Verbot der Partei der Regionen und der Kommunistischen Partei der Ukraine und forderte den Gouverneur auf zurückzutreten. Und die Miliz hob den Ring um das Gebäude auf, für dessen Bewachung keine Notwendigkeit mehr bestand.

Einige Stunden später erhob die Gebietsstaatsanwaltschaft Einspruch gegen die Einrichtung des NRS, woraufhin das Kreisverwaltungsgericht seine Veröffentlichung verbot. Noch ein paar Tage später begannen die Gebietsabgeordneten nacheinander ihre Beteiligung am NRS, zugunsten der bürgerlichen Aktivisten, abzusagen. Der tatsächliche Grund für die Absage ist offensichtlich – der nicht vorhandene Wunsch einem unverständlichen Organ anzugehören, das außer der Verkündung von Deklarationen keine weiteren Vollmachten hat….

Im Laufe der letzten Woche hat sich die gesellschaftliche Anspannung in den Transkarpaten deutlich gelegt. SRV, Miliz und andere staatliche Einrichtungen arbeiten im normalen Modus. Zu den angekündigten Protesttreffen kommen maximal einige Hundert Menschen und auf den Barrikaden wachen dauerhaft bis zu 50 Aktivisten. Die Zahl dieser und anderer wird sich verringern, es sei denn, die Regierung auf zentraler Ebene tut etwas, was das Volk in den Regionen empört.

Wer hat nun in diesem spezifisch transkarpatischen Konfliktlösungsfall gewonnen? Erstens der Gouverneur Alexander Ledida, der einer gewaltsamen Aktion mit Besetzung der Gebietsverwaltung entgangen ist, die Loyalität des Gebietsrats ihm gegenüber bewahrt und den Grad des Widerstands gesenkt hat mit dem Beschluss der Bildung des NRS, der keine reale Bedrohung darstellt. Zweitens Wiktor Baloga, der nach langer Pause wieder im Geschäft ist und seine Möglichkeiten gezeigt hat, Einfluss auf die Situation zu nehmen. Völlig zufrieden fühlen sich auch die Abgeordneten des Gebietsrats; der oppositionelle Teil, der sein Image als patriotisch gestärkt hat, indem er den NRS schuf ( aber eigentlich die Hände in Unschuld wäscht und das Recht auf heiße Beschlüsse an ein Organ übergibt, von dem überhaupt nichts abhängt), und die Regierungsanhänger, die gegenüber den Opponenten die „traditionelle transkarpatische Toleranz“ zeigten.

Der größte Teil der Gesellschaftsaktivisten des Euromaidan erweckt den Eindruck, als sei alles in Ordnung, mancher spricht sogar von der „samtenen Revolution in den Transkarpaten“, die ein Beispiel für die gesamte Ukraine geben sollte. Und einfache Demonstranten, die dem Ruf ihres Herzens zu den Protestaktionen folgen und sich mit den Feinheiten der Politik nicht auskennen, glauben, dass sie auch etwas erreicht haben, insofern als sie die Regierung zum Entgegenkommen genötigt haben. Das ist die Revolution auf Transkarpatenart, wenn alle zufrieden sind, sich aber in Wirklichkeit nichts geändert hat! Präsident Janukowitsch wäre glücklich, wenn er die Situation im Land nach dem transkarpatischen Szenario lösen könnte.

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7. Februar 2014 // Wladimir Martin

Quelle: Serkalo Nedeli

Übersetzerin:   Anja Blume — Wörter: 1700

Anja Blume ist Sozialpädagogin und übersetzt - zwischen eigener poetischer Tätigkeit - auch immer wieder Märchen und Lieder aus dem Russischen ins Deutsche. Ehrenamtlich ist sie im Bereich der internationalen Jugendarbeit tätig.

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