Das Magdeburger Recht auf dem Gebiet der linksufrigen Ukraine: Geschichtsstunde



In der modernen Ukraine sieht man die lokale Selbstverwaltung immer noch als eine Art „Gnade“ der zentralen Regierung, die sich bereit zeigt, eigene Privilegien aufzugeben. Dabei ist es offensichtlich, dass die regionale Entwicklung im Staat um alle großen und kulturell bedeutenden Städte passiert und nicht immer in den administrativen Gebietszentren. Beispiele solcher Städte sind Kamjanez-Podilskyj, Mariupol (zu Zeiten des Friedens), Krementschuk oder Uman.

Entsprechend stimuliert die Selbstverwaltung in den Städten auch das Wirtschaftswachstum sowohl der Stadt selbst als auch der Region, in der sie sich befindet. Aus der Geschichte wissen wir, dass eine lokale Selbstverwaltung ein recht gut gelungener Kompromiss zwischen einem Machtzentrum der Staatsgewalt war, die eine wirtschaftliche Stütze brauchte, und den Kommunen, welche dem Staat diese Stütze lieferten. Als eines der bezeichnendsten Beispiele kann Magdeburg genommen werden. Im Magdeburger Recht ist der Sinngehalt eines Kompromisses zwischen dem Staat und einer städtischen Gemeinschaft des mittelalterlichen Zentraleuropas implementiert. Das Magdeburger Recht gab der Entstehung neuer Städte und dem wirtschaftlichen Aufschwung der Länder in Deutschland, Tschechien und Polen und der Entwicklung des Handels und Handwerks einen Anstoß.

Auch in die ukrainischen Lande ist dieses Recht gekommen: Anfang des 17. Jahrhunderts wanderte es über den Dnipro und begann seinen Marsch durch die linksufrige Ukraine.

Die Verbreitung des Magdeburger Rechts verbindet man mit den deutschen Kolonien, welche deshalb entstehen konnten, weil man sich in den Heimatstädten nicht verwirklichen konnte (und war damit ein spezifisch wirtschaftlicher „Drang nach Osten“). Die neuen Städte in Polen und im Regnum Galiciæ et Lodomeriæ des 13. Jahrhunderts und anschließend im Großfürstentum Litauen hatten für die Kolonien neue Perspektiven eröffnet. Die Fürsten waren daran interessiert, dass die Handwerker sich bei ihnen niederlassen und ihre Betriebe auf dem Gebiet dieser Länder aufbauen, deshalb wurden die Bedingungen des Magdeburger „Kompromisses“ zwischen einer städtischen Gemeinschaft und dem Feudalherren als eine typische Beziehungsform gerne angenommen. Die Litauischen Statute hatten das Magdeburger Recht im 16. Jahrhundert, für alle Städte als Norm etabliert, als ein Privileg, das vom Monarchen gewährt wurde. So wurden das Magdeburger Recht und die Kirchenprivilegien mit der Kolonisierung der linksufrigen Ukraine durch den polnisch-ukrainischen Adel auch auf diese Gebiete übertragen. Doch in der linksufrigen Ukraine waren diese in Zentraleuropa bewährten Normen nicht nur als Kompromiss zwischen der Staatsgewalt und der Kommune der Städte gedacht, sondern vielmehr dazu berufen, die Entwicklung alter, dekadenter Städte und die Entstehung neuer Kommunen zu stimulieren.

Von Beginn der Erschließung der Gebiete des ukrainischen linken Ufers an ist die polnische Verwaltung mit dem Problem einer vorherrschenden wirtschaftlichen Stellung der orthodoxen Kirche zusammengestoßen. Im Gegensatz zur städtischen Selbstverwaltung in Zentraleuropa, die sich auf einer wirtschaftlichen Basis begründete und bestrebt war, Bedingungen für den handwerklichen Betrieb zu schaffen, war die Voraussetzung in der linksufrigen Ukraine eine andere. Die Kirche hatte die Kontrolle über die Wirtschaft der Region monopolisiert und die Organisation der Gemeinden wurde von religiösen Verbindungen zusammengehalten. Das war auch der Grund, warum die polnische Regierung bestrebt war, den Einfluss der orthodoxen Kirche auf die städtische Selbstverwaltung und den Umfang der königlichen Privilegien, die den Städten im Magdeburger Recht zustanden, zu senken, und oft darauf bestand, dass die Vögte und andere offizielle Staatspersonen katholischen oder griechisch-katholischen Glaubens sein mussten.

Insgesamt war die Verbreitung einer Selbstverwaltung in der Rzeczpospolita (Polen-Litauen) durch eine Normung der Gerichtsgrundlagen bedingt, welche die Beziehungen zwischen den Ständen regelten, aber auch das Zusammenspiel von Wirtschaft und Finanzen reglementierten. In der Republik Polen-Litauen war die Auftrennung der Stände und eine Verpflichtungszuweisung an diese sehr deutlich. Dies folgte aus dem Konzept der westeuropäischen Trennung der Personen in jene, die beten, die Krieg führen und die, die arbeiten. Neben denen, die beten, Krieg führen oder arbeiten, wurde der Platz für diejenigen, die Handwerk treiben und handeln, klar definiert. Dabei war auch genau bestimmt, welcher Tätigkeit jede soziale Schicht nachgehen sollte. So sollte der Adel das Schwert und die Leibeigenen beherrschen, die Geistlichen sollten sich Kirchenbelangen widmen und die Bürger Handwerk und Gewerbe treiben und handeln. Die Leibeigenen schließlich hatten dem Adel zu gehorchen und auf dessen Ländereien zu arbeiten.

Polen-Litauen hatte dem Bürgertum besondere Beachtung geschenkt, weil es die haushaltsfüllende Schicht war, sowohl für das Königreich als auch für die Wojewodschaften und die Starosteien. Deshalb mussten auch die Beziehungen zwischen den Ständen klar geregelt werden, was in einer großen Überarbeitung der Litauischen Statute erreicht wurde. Dies jedoch nicht auf dem Gebiet der Ukraine: Die Regelung der zwischenständischen Beziehungen war hier, wo es ein Kosakentum, eine nur ansatzweise Herausbildung von Städten in der linksufrigen Ukraine und einen Konflikt der Religionen gab, äußerst schwierig. Das Kosakentum wollte keine staatlichen Normen annehmen und einhalten. Nach der mongolischen Invasion im 13. Jahrhundert und der Dekadenz der Städte in der linksufrigen Ukraine sind auch die Traditionen der Selbstverwaltung verfallen und wurden von der kirchlichen Gemeinschaft abgelöst. Das alles wirkte sich auf die komplizierten Beziehungen zwischen den Ständen in den Städten aus. Es wurde z. B. im Dritten Litauischen Statut von 1588 bestimmt, dass ein Adeliger, der sich in der Stadt niederließ, Handwerk betrieb, oder eine Gastwirtschaft unterhielt, kein Recht hatte, seine Geburtsprivilegien zu nutzen. Doch in der Wirklichkeit trieb der Adel in den Städten, was er wollte, nutzte seine Privilegien wahlweise und unterstellte sich nicht den Normen der städtischen Selbstverwaltung. Hier sehen wir eine Parallele mit der Gegenwart, wenn kommerzielle Strukturen unter der Obhut von Organen der staatlichen Zentralgewalt auf die Organe der lokalen Selbstverwaltung überhaupt keine Rücksicht nehmen.

Die Regelung der wirtschaftlichen Aktivität der Handwerker und Händler durch den Staat sah eine Vereinheitlichung des Zollwesens vor. Im Dritten Litauischen Statut von 1588 normierte der König von Polen-Litauen Sigismund III. Wasa das Zollwesen und verbot, außer den zu der Zeit der Statuterstellung bereits festgelegten und der vom König erhobenen Zölle, weitere Abgaben dieser Art zu erheben. Die Magdeburger Privilegien hatten eine abschließende Liste der Zoll- und sonstiger Verpflichtungen der Bürger gegenüber der königlichen Verwaltung umschrieben; einige der besonders belastenden Verpflichtungen hingegen, und konkret die der Bewachung von Administrativgebäuden und der Stellung eines Fuhrparks für die Verwaltung und Polizei, wurden sogar gänzlich aufgehoben. Doch die Bürger hatten immer noch die Kriegspflicht zu tragen und mussten im Fall eines militärischen Feldzugs eine Bürgerwehr stellen. Dabei gingen sie unter eigener Flagge in einer eigenen Armeeeinheit, die von einem Ältesten (königlicher Dienstgrad für einen Burgbesitzer) gebildet wurde. Auch mussten die Bürger bei einer entsprechenden Ankündigung eines Ältesten sich als Truppen vor der Burg versammeln. Befehligt wurde die Bürgerwehr von einem Vogt.

Die städtische Selbstverwaltung spielte in der Ukraine des 17. Jahrhunderts eine Schlüsselrolle für die Konzentration der Bevölkerung in den Städten. In diesem Sinn verfügte die polnische Krone über ein recht großes Kontingent an Wehrpflichtigen, die zudem noch für die eigene Ausrüstung selbst aufkommen mussten. So entstanden befestigte Städte als Stützpunkte der Verteidigung. Außerdem schuf die Stadt gute Bedingungen für eine effektive Steuererhebung, denn die Einkünfte der städtischen Bevölkerung waren wesentlich höher als jene auf dem Land, dazu war es auch aufgrund der territorialen Lokalisierung technisch einfacher. Die städtische Selbstverwaltung gab den Ältesten eine Möglichkeit, die nötigen Erzeugnisse in der gebrauchten Menge zu erhalten. Eine Verpflichtung, diese an die Burg zu liefern, oblag den städtischen Betrieben. Auf diese Weise war die Einführung einer städtischen Selbstverwaltung auf der Grundlage des Magdeburger Rechts gewissermaßen eine Form einer Partnerschaft zwischen den Handwerkern und Händlern der Städte und der feudal-königlichen Herrschaft.

Als Leiter der städtischen Selbstverwaltung trat der Vogt auf, der in Städten der linksufrigen Ukraine entweder vom König bestimmt, oder aber zuerst von der Stadt gewählt und anschließend vom König bestätigt wurde. Dabei wurde das Amt des Vogts zumeist auf Lebenszeit vergeben. Die Städte nahmen später langsam die Möglichkeit wahr, das Vogtsamt abzukaufen, womit dieses zu einem Wahlamt transformiert wurde. Vögte hatten das Anrecht auf einen Teil der Steuern, die in die „Truhe“ der Stadt gelangten, wie auch die Funktion eines Richters. In ukrainischen Städten erhielten sie vom Ältesten weiterhin Zuwendungen in Form von Ländereien, um auf diesen Landgüter aufzubauen. Das Gericht in den Städten war ein Schöffengericht, und bestand aus von Bürgern auf Lebzeiten gewählten Schöffen, während der Vogt in diesem den Vorsitz hatte. In die Kompetenz des Schöffengerichts fielen alle Einwohner der Stadt, also auch der Adel. Eigene Gerichte hatten auch die Produktionsstätten, ihnen waren die Mitglieder der jeweiligen Gemeinschaften in internen Belangen und bei kleineren Vergehen unterstellt. Die schwersten Verbrechen behandelte das Schöffengericht und das Burggericht, welches vom Ältesten oder vom Wojewoden angeführt wurde. Mit Entscheidungen von Gerichten der Produktionsstätten oder des Schöffengerichts konnten beim Gericht des Ältesten und dann sogar beim König in Berufung gehen.

Als eine Art Exekutivkomitee der Stadt fungierte der Magistrat, der aus Ratsherren bestand. In der Kompetenz der Ratsherren lag es, die Einhaltung der Gesetzgebung, die Normung der Produktionsstätten, den Wohlstand und die Bebauung der Stadt, u.a.m. zu gewährleisten. Der Vogt stand an der Spitze dieses Stadtrats.

Für die Entwicklung der Stadt wurde ein Fonds gebildet (es wäre falsch, diesen als Haushalt zu bezeichnen), der als die „Truhe“ bezeichnet wurde. In die „Truhe“ kamen Handelszölle von in die Stadt gebrachten Waren, Abgaben, die nach Gewicht und Maß erhoben wurden, die Brückenabgaben sowie Einkünfte der Bäder und der Fabriken, die der Stadt gehörten. Schließlich kamen auch Steuern, die auf die Einkünfte der Handwerker und Händler erhoben wurden, in die „Truhe“. Mit diesen Mitteln musste die Stadt ein Rathaus mit einer Uhr bauen und unterhalten, den Magistrat bezahlen und alles Nötige für dessen Tätigkeit zur Verfügung stellen. Auch bauten die Städte auf eigene Kosten Unterkünfte für Händler (die für die ausländischen und einheimischen Händler oft getrennt waren), Lagerhallen, in denen die Händler ihre Waren aufbewahren mussten, und weitere Infrastrukturobjekte. Nicht selten hatte das Magdeburger Privileg der Stadt erlaubt, eine eigene Mühle, eine Schnapsbrennerei, eine Ziegelfabrik, ein Wachswerk und andere Objekte zu bauen, die der Stadt Gewinn brachten. Die Mühle mussten dabei sowohl die Gutsherren mit eigenen Ländereien als auch die Bauern aus den umliegenden Dörfern zusammen benutzen.

Eine wichtige Einnahmequelle der Städte waren Jahrmärkte, die an den vielen katholischen und orthodoxen Feiertagen abgehalten wurden. Auf dem Jahrmarkt durften Handwerker aus anderen Städten ihre Ware ohne Abstimmung des Verkaufsrechts mit dem Produktionsmeister des entsprechenden Betriebs in der Stadt verkaufen. Die Verkäufer an den Ständen des Jahrmarkts mussten eine Jahrmarktsabgabe in die „Truhe“ der Stadt zahlen, während der Älteste von den Händlern Zollabgaben im Rahmen der Wege-, Brücken-, und anderer Steuern bekam. Übrigens verpflichteten die Litauischen Statute den Ältesten, die Wege und Brücken auch in einem guten Zustand zu halten. Wenn ein Lieferant von Waren aufgrund des schlechten Zustands der Wege oder einer Brücke Verluste erlitt, hatte er ein Anrecht auf deren Rückerstattung durch den verantwortlichen Adeligen.

Durch die Statute zur Verwendung des Magdeburger Rechts und auch durch die Privilegien des Handwerks erhielt die städtische Selbstverwaltung viele Rechte. So durften Stadtbewohner und Anwohner umliegender Dörfer z. B. keine Handwerkertätigkeit außerhalb der Produktionsstätte führen. Handwerker aus anderen Städten durften hingegen ihre Waren in der Stadt nicht verkaufen, wenn sie keine Genehmigung des Meisters eines entsprechenden Betriebs erhielten. Das stimulierte zur Einhaltung der internen Regeln des Betriebs und kann als eine Analogie einer Tätigkeitslizenzierung gesehen werden, die das Aufkommen von Fälschungen verhindern sollte. Wer die Regeln brach, musste den in den Handwerksprivilegien durch den König festgesetzten Strafen entgegensehen. Meist war das eine Geldstrafe oder ein Beschlagnahmen der Ware. Die damit erwirtschafteten Gelder und Waren gingen wie an die Burg, so auch an die „Truhe“ der entsprechenden Produktionsstätte. Oft waren den Händlern und Handwerkern aus anderen Städten zum Schutz der ansässigen Handwerker vor einer Konkurrenz nur Großverkäufe gestattet.

Eine besondere Stellung nahmen die Privilegien der Betriebe und Bürger für das Herstellen von Bier, Wein und Wodka ein. Dieses Privileg wurde von den Bürgern bis in den Anfang des 19. Jahrhunderts aufrechterhalten.

Das Magdeburger Recht hatte den Gebieten der Ukraine Traditionen der Kultur einer sozialen Harmonie gebracht, eine grundlegend neue Art der Gesellschaftsstruktur und des Wirtschaftens. Diese Tradition hat den Grundbaustein für einen wirtschaftlichen Aufschwung in den ukrainischen Gebieten, eine neue Arbeitsdisziplin und sozialen Verantwortung gelegt. Die Zeit mit dem Magdeburger Recht in der Ukraine in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zeigt, dass seine Implementierung wirtschaftlich notwendig war. Dank der Selbstverwaltung wurde die lokale steuerlich-finanzielle Basis größer. Außerdem gab und gibt die Selbstverwaltung eine Möglichkeit, Schlüsselpunkte der Kultur und Mentalität in den Regionen der Ukraine zu berücksichtigen, ohne diese auf die gesamtstaatliche Ebene zu übertragen.

Die Erfahrung mit der lokalen Selbstverwaltung in der heutigen Ukraine, so wie es sie damals gab, als im 17. Jahrhundert das Magdeburger Recht das Walten der Städte bestimmte und ihnen neue Perspektiven in den Handelsbeziehungen mit anderen, teils auch ausländischen Städten gab, wird auch die Eingliederung heutiger ukrainischer Städte in den Prozess der europäischen Zusammenarbeit auf einer Kommunalebene erleichtern.

4. Juli 2014 // Pawlo Sazkyj, Ihor Pryjantschuk

Quelle: Dserkalo Tyshnja

Übersetzer: Oleg Pogrebnyak

Übersetzer:   Oleg Pogrebnyak  — Wörter: 2110

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