Marjana Gaponenko - Eine ukrainische Schriftstellerin deutscher Sprache


Ein Gespräch mit der Chamisso-Preisträgerin Marjana Gaponenko

Ihre ersten Gedichte auf Deutsch schrieb Marjana Gaponenko im Alter von 16 Jahren. Damals lebte sie noch in ihrer Heimatstadt Odessa. Heute wohnt die 31-Jährige in Mainz und hat schon mehrere Gedichtbände und zwei Romane veröffentlicht. Für ihr jüngstes Buch „Wer ist Martha?“ erhält Marjana Gaponenko am 28. Februar den renommierten Adelbert-von-Chamisso-Preis, der von der Robert Bosch Stiftung verliehen wird. Der Roman erzählt die Geschichte eines 96-jährigen Ornithologen aus der Ukraine, der nach Wien kommt, um dort, in der Stadt seiner Jugend, den Lebensabend zu verbringen. Mit „Wer ist Martha?“ habe die Schriftstellerin „eine ebenso zärtliche wie komische Feier des menschlichen Lebens“ gezeichnet und einen „neuen, aufregenden Ton“ in die deutschsprachige Gegenwartsliteratur gebracht, heißt es in der Begründung der Jury. In einem Interview hat Marjana Gaponenko über ihren Weg in die deutschsprachige Literatur und den preisgekrönten Roman erzählt.

Marjana Gaponenko: Auf diese Art und Weise habe ich diese Sprache überhaupt gelernt. Ich hatte einen tollen Privatlehrer, der eine ganz besondere Lernmethode hatte. Zuerst musste ich einen ziemlich komplizierten Text lesen, zum Beispiel einen naturwissenschaftlichen oder philosophischen. Diesen Text habe ich dann mit meinem dicken alten Wörterbuch übersetzt und alle unbekannten Wörter wurden herausgeschrieben. Dann habe ich meine eigene Geschichte mit diesen Wörtern geschrieben. Das hat mir immer Spaß bereitet, ich habe das wirklich mit Begeisterung gemacht. Ich habe hunderte von Geschichten geschrieben. Am Anfang waren sie grammatikalisch ziemlich falsch und standen auf tönernen Füßen. Doch darum ging es eigentlich gar nicht. Meine Freude am Erzählen wurde geweckt. Und das war wichtig. So habe ich Deutsch gelernt.

Und warum Deutsch meine literarische Muttersprache ist? Ganz einfach. Diese Angewohnheit, Geschichten zu schreiben und zu erzählen, habe ich beibehalten und den sprachlichen Rahmen nicht gewechselt. Außerdem habe ich das Gefühl, auf Deutsch schärfer und klarer denken zu können, sparsamer und genauer. Ich mag dieses Gefühl sehr gerne, es hat für mich eine gewisse Ästhetik, eine gewisse Exotik.

Marjana Gaponenko: Nein, das tue ich nicht. Und die Gründe habe ich oben genannt.

Marjana Gaponenko: Ich würde mich als ukrainische Schriftstellerin deutscher Sprache bezeichnen.

Marjana Gaponenko: Natürlich beeinflussen mich meine Herkunft, meine Vergangenheit und die Zeit, aus der ich komme. Doch wenn ich ganz ehrlich sagen soll, so glaube ich eher an die Umwelt, die uns prägt, an das soziale Umfeld, und dann in erster Linie an die Erziehung, die wir genießen, und an die Geisteshaltung, die wir sogar im gereiften Alter bewusst annehmen können. In meinen Augen prägt das alles den Menschen richtig und wirklich. Und diese Strukturen sind viel zu fein für den Begriff einer historischen oder geografischen Heimat, sie gehen darüber weit hinaus.

Marjana Gaponenko: Ich glaube, die Erinnerung an meine Kindheit. Das ist eine sehr lebendige Erinnerung, denn meine Familie lebt noch in Odessa. Und auch Hoffnung, die Hoffnung auf ein gutes Ende. Ich glaube an die Jugend, an den positiven Fortschritt. Die Jugend wird schon eine bessere Suppe kochen als die Alten. Es ist immer so.

Marjana Gaponenko: Natürlich würde ich mich freuen, wenn meine Bücher in meiner Heimat erscheinen würden. Aber das hängt ja nicht von mir ab.

Marjana Gaponenko: Nein, das könnte ich nicht, das würde ich mir nicht zutrauen. Zweimal dasselbe denken zu müssen, würde mir auch den Spaß verderben. Da würde ich sehr kritisch mit mir selbst werden.

Marjana Gaponenko: Ich muss gestehen, dass ich da einen großen Nachholbedarf habe. Natürlich sind mir die Namen Andruchowytsch, Schadan und Sabuschko geläufig, aber ich habe mir das Schönste für das Alter aufgespart.

Marjana Gaponenko: Meine Vorlieben würde ich in Phasen teilen. Es gab Phasen, wo ich gerne und fast ausschließlich Gedichte gelesen habe. Dann hatte ich eine Kafka-Phase. Dann habe ich gerne Fabeln und Märchen gelesen. Daniil Charms habe ich immer geliebt. Aber ich bin sehr vorsichtig, was das Lesen von Belletristik angeht. Als Schriftstellerin bin ich leicht verwirrbar und das kann ich mir wirklich nicht leisten. Darum begnüge ich mich mit der Lektüre von Büchern, die mit meiner Recherche zusammenhängen.

Marjana Gaponenko: Ich habe darüber nachgedacht, welche Stadt zu einem alten Menschen passen würde, der aus dem Westen der Ukraine kommt. Und da ist meine Wahl auf Wien gefallen, auf ein gewisses Hotel, in dem Lewadski als Kind Schokoladentorte gegessen hat. Das habe ich mir so ausgedacht. Und dieses schöne Hotel Imperial ist ein sehr würdiger Ort für einen alten Herren, um zu sterben. Das war alles geplant.

Marjana Gaponenko: Ich habe diesen alten Mann tatsächlich gesehen, in einem Hotel in der Nähe von Amsterdam. Er saß sehr elegant vor seinem Eisbecher an der Theke in der Hotelbar. Er hatte weder Haare noch Zähne, aber er war hoch elegant, mit Fliege und Weste. Er saß mir gegenüber und hat sich über sein Eis sehr gefreut. Ich habe mit ihm kein einziges Wort gewechselt, aber diese Erscheinung, diese Persönlichkeit hat mich dermaßen beeindruckt, dass ich wochenlang an diesen alten Herrn denken musste. Nach drei oder vier Wochen habe ich mir dann gedacht, ich schreibe einfach einen Roman über diesen alten Mann, der alleine in einem Hotel sitzt und sein Eis genießt. Ich habe mir überlegt: Warum sitzt er da alleine? Warum ist er so elegant? Was hat er vor? Warum geht man als alter Herr in ein Hotel? Dann dachte ich mir, er ist umgezogen und wohnt jetzt in diesem Hotel, weil er Angst hat, alleine in seiner Wohnung zu sein. Aber ich wollte unbedingt ein gutes, tröstliches Ende haben. Ich wollte diesen alten Mann nicht so einsam darstellen. Diese Einsamkeit wollte ich einfach verdrängen und das kann man machen, wenn man Geschichten schreibt. Man kann das Schönste hervorholen und herauszaubern.

Marjana Gaponenko: Ich recherchiere gerne, sehr viel und sehr lange. Es dauert ein paar Monate und manchmal ein halbes Jahr, bis ich das Gefühl habe, loslegen zu können. Ich habe eine große und gut sortierte Bibliothek und ich muss nur wissen, auf welchem Gebiet ich mich bewegen kann. Dann lese ich ein paar Monate und mache sehr viele Notizen. Und irgendwann macht es klick und ich weiß, dass ich mich jetzt hinsetzen und meine Geschichte schreiben kann. Ich recherchiere wirklich sehr viel und das ist ganz wichtig. Ich möchte auf keinen Fall über etwas schreiben, wo ich mich nicht auskenne. Das wäre eigentlich das größte Verbrechen für mich, wenn es ein Verbrechen gibt.

Marjana Gaponenko: Für das nächste Buch habe ich mir schon zwei Figuren überlegt. Ein Geschichtsphilosoph fährt mit seinem Schüler in einer Kutsche durch Europa. Und in dieser Geschichte wird das Holz eine gewisse Rolle spielen. Das Holz, die Zeit, die Vergänglichkeit – das sind eigentlich Themen, die mich beschäftigen. Aber mein Protagonist wird deutlich junger sein als Lewadski in meinem letzten Roman. Er ist erst 51. Also fast ein Kind (lacht).

Text: Ljudmyla Sikaljuk, Nikolai Berdnik

Hat Ihnen der Beitrag gefallen? Vielleicht sollten Sie eine Spende in Betracht ziehen.
Diskussionen zu diesem Artikel und anderen Themen finden Sie auch im Forum.

Benachrichtigungen über neue Beiträge gibt es per Facebook, Google News, Mastodon, Telegram, X (ehemals Twitter), VK, RSS und per täglicher oder wöchentlicher E-Mail.