Opposition beschließt gemeinsames Vorgehen bei den Parlamentswahlen im Oktober
Gestern wurde in der Ukraine der Tag der Einheit und Freiheit begangen. Bei seinem Auftritt im Palast „Ukraina“ erklärte Präsident Wiktor Janukowitsch, dass sich das Land richtig in der gewählten Richtung der Reformen bewegt. Die Verantwortung für die Verbesserung des Lebens in der Ukraine nahm Janukowitsch auf sich. Oppositionsvertreter, die auf dem Sophienplatz eine Versammlung abhielten, vereinbarten ihrerseits alles mögliche dafür zu tun, um Wiktor Janukowitsch auf verfassungskonformen Wege von der Regierung zu entfernen und und unterzeichneten eine Vereinbarung “Über das gemeinsame Vorgehen der vereinten Opposition der Ukraine“.
“Ich werde entschlossen und konsequent handeln“
Die feierliche Veranstaltung anlässlich des Tages der Einheit und der Freiheit im Nationalen Kunstpalast „Ukraina“ sollte um 11:00 Uhr beginnen. Doch begannen sich die geladenen Gouverneure, Parlamentsabgeordneten, Abgeordneten von regionalen Räten, Vertreter des diplomatischen Dienstes und, wie einer der Mitarbeiter der Präsidialadministration meinte, “Führer der öffentlichen Meinung“ sich bereits um 9:00 Uhr zu versammeln. Nach der Kontrolle durch Metalldetektoren (insgesamt waren zwölf aufgestellt) verteilten sich die Teilnehmer der Feierveranstaltung im Foyer oder gingen ins Café, wo sie sich Kognak oder Wodka und dazu belegte Brote mit Wurst oder rotem Fisch bestellten. Niemand ließ sich davon in Verlegenheit bringen, dass so früh getrunken wurde.
Die Verkündung der Einheit – die Vereinigung der Ukrainischen Volksrepublik und der Westukrainischen Volksrepublik – fand am 22. Januar 1919 in Kiew auf dem Sophienplatz statt. Der geeinte Staat existierte nur einige Tag – Ende Januar des gleichen Jahres wurde Kiew von Teilen der Roten Armee eingenommen. Als staatlicher Feiertag wird er seit 1999 begangen. Am 30. Dezember 2011 hob Präsident Wiktor Janukowitsch den Erlass Nr. 1619 von Wiktor Juschtschenko “Über den Tag der Freiheit“ (von 2005 an wurde am 22. November am Tag des Beginns der „Orangen Revolution“ gefeiert) und legte den Tag der Freiheit per Erlass Nr. 1209 mit dem Tag der Einheit zusammen.
Nach 10:00 Uhr begann sich der Saal allmählich zu füllen. Unerwartet bildete sich in seinem Zentrum eine kleinere Gruppe – durch den zentralen Durchgang ging der Premierminister der Krim, Anatolij Mogiljow. In diesem Moment war er der höchste Staatsangestellte im Saal, jedoch dauert dies nur 15 Minuten. Vertreter der Präsidialadministration, des Ministerkabinetts und religiöser Konfessionen wurden in den Palast „Ukraina“ zusammen über den sogenannten „Direktoreneingang“ in einem Mercedes-Bus gebracht, aus dem die Präsidentenberaterin Anna German als erste ausstieg. Ihr folgte der Erste Vizepremier, Andrej Kljujew, die Sekretärin des Rates für Sicherheit und Verteidigung, Raissa Bogatyrjowa, der Leiter der Staatlichen Steuerverwaltung, Alexander Klimenko, und der Vorsitzende der Kiewer Stadtverwaltung, Alexander Popow. “Wir haben einen Platz am Reihenende“, sagte der Vorsitzende des Auslandsaufklärungsdienstes, Grigorij Iljaschow, mit seiner Frau an der Hand, sich dabei auf seine Einladung berufend, der Vertreterin des Staatsoberhauptes beim Verfassungsgericht, Jelena Lukasch, die diese belegen wollte.
Präsident Wiktor Janukowitsch wurde vom Saal stehend begrüßt. Seinen Platz auf der Tribüne einnehmend, die im Zentrum der Bühne aufgestellt worden war, und die Hymne der Ukraine zu Ende hörend, begann das Staatsoberhaupt mit seinem zehnminütigen Auftritt. Kurz an die Kiewer Rus und an Taras Schewtschenko erinnernd, merkte Janukowitsch an, dass “eine freie und einige Ukraine nur als demokratische, europäische, ökonomisch und kulturell entwickelte Gesellschaft bestehen kann, in der jeder Bürger sich frei und geschützt fühlt“.
In diesem Minuten wurden den Zuschauern des „Ersten Nationalen“ (Fernsehsenders), der die Übertragung aus dem Palast „Ukraina“ realisierte, die aufmerksam dem Staatsoberhaupt lauschenden ehemaligen Präsidenten gezeigt: Wiktor Juschtschenko, Leonid Kutschma und Leonid Krawtschuk.
Wiktor Janukowitsch fasste kurz die Ergebnisse seiner Amtszeit als Präsident zusammen. In dieser Zeit nahm das Land, seinen Worten nach, Kurs auf eine Modernisierung; es gelang “die Inflation zu verringern, ein hinreichend großes wirtschaftliches Wachstum beizubehalten“, das 15-prozentige Haushaltsdefizit zu überwinden und “dank Gott die größte Ernte seit der Unabhängigkeit einzufahren“.
Dem Thema der Freiheit folgte das Thema der Unvermeidbarkeit von Strafen für Verbrechen. Wiktor Janukowitsch nannte nicht die Namen der Oppositionspolitiker, die den gestrigen Tag in Stätten des Freiheitsentzuges feierten. Jedoch folgte aus den Äußerungen des Staatsoberhauptes, dass er sich ihrer entsinnt und meint, dass Julia Timoschenko und Jurij Luzenko gesetzmäßig in Haft sind. “Diejenigen, welche die Ukraine unabhängig ihres Postens ins Nichts stießen, sollen die Verantwortung vor dem ukrainischen Volk tragen. Eben die Gleichheit aller vor dem Gesetz, die Unvermeidbarkeit der Strafe für Gesetzesverstöße ist ein Zeichen für einen Rechtsstaat“, ist Wiktor Janukowitsch überzeugt. “Wir haben ein Paket von Gesetzen zur Korruption beschlossen. Wir haben den Kampf mit dieser schandhaften Erscheinung aufgenommen. Weder hohe Posten, noch irgendwelche politischen Rückendeckungen werden Gesetzesbrecher vor der Rechtssprechung schützen“.
Zum Abschluss seines Auftritts stellte Wiktor Janukowitsch der gesamten Regierungsvertikale und der Regierung im Besonderen die Hauptaufgabe:“dass 2012 jeder Ukrainer die Effektivität und Leistungsfähigkeit unserer Handlungen spürt“. Bemerkenswert ist, das 2012 nicht nur das Jahr wird, in dem in der Ukraine der Finalteil der Europameisterschaften im Fußball stattfindet, sondern auch das Jahr der Wahlen zur Werchowna Rada. Lediglich ein Mal erinnerte er daran, dass in der Ukraine “eine neue demokratische Wahlgesetzgebung beschlossen wurde“. Anstatt dessen gab der Präsident zu verstehen, dass die Verbesserung des Lebens in der Ukraine nicht nur von den Bürgern, welche die “Modernisierungspolitik und die Idee eines modernen entwickelten Staates“ eint, sondern auch von ihm persönlich abhängt. “Ich bin mir dieses Ziels (der Bestätigung der Ukraine in der Welt“ bewusst. Ich weiß, wie es zu erreichen ist. Ich werde entschlossen und konsequent handeln“??, sagte Wiktor Janukowitsch, der den Wählern wörtlich das Versprachen gab. “Ich habe genügend politischen Willen dafür, um unseren ewigen Traum zu verwirklichen – eine starke und unabhängige Ukraine zu errichten“. Nach diesen Worten kam es zum ersten und einzigen Mal zu Applaus und eine Minute lang hätte man denken können, dass man auf dem Vorwahlkongress zur Nominierung von Wiktor Janukowitsch zum Präsidentschaftskandidaten weile.
Zum Schluss sagend, dass er an eine “geeinte, gerechte und unabhängige Ukraine glaubt, in der die Freiheit des Menschen, seine Bürgerrechte die höchsten Werte darstellen“, gratulierte Wiktor Janukowitsch allen zum Feiertag und begab sich in den Saal. Seinen Platz auf der Bühne nahmen Künstler ein, die mit einem Feiertagskonzert auftraten.
“Im Land ist die Mafia an die Macht gelangt“
Die Versammlung der Oppositionskräfte fand traditionell auf dem Sophienplatz statt. Um 12:30 Uhr begann die Versammlung, dort versammelten sich mehr als 10.000 Menschen – Aktivisten von „Batkiwschtschyna/Vaterland“, der Allukrainischen Versammlung „Swoboda/Freiheit“, der „Front Smin/Front der Veränderungen“, von „Nascha Ukrajina/Unserer Ukraine“, der Partei „Sa Ukrajinu/Für die Ukraine!“), UDAR und anderen oppositionellen politischen Kräften, die zum Widerstandskomitee gegen die Diktatur. Auf den Parteiseiten wurde die Versammlung als Vereinigungsversammlung angekündigt, jedoch waren nicht alle einfachen Parteimitglieder auf eine Zusammenarbeit mit ihren Oppositionskollegen eingestellt. So brachte eine Gruppe von Männern im mittleren Alter zur Versammlung ein Porträt von Julia Timoschenko und ein Plakat mit der Aufschrift “Solange Julia im Gefängnis sitzt, jagt der Verräter Juschtschenko hinter Bienen her“, wobei man sie darum bat, dieses zu entfernen.
Die Versammlung begann mit einem Gottesdienst und dem Lied „Tscherwona Kalyna“. Sofort danach übergab der Ansager das Wort dem Ersten Stellvertreter der Partei „Batkiwschtschyna“, Alexander Turtschinow. Er verlas den Versammelten eine Botschaft von Julia Timoschenko, die im Gefängnis Katschanowka geschrieben wurde, wo sie eine Gefängnisstrafe absitzt. Die Führerin von „Batkiwschtschyna“ adressierte ihr Schreiben an “diejenigen, die nicht aufgegeben haben, ihre Hände nicht in den Schoß gelegt haben und von den Knien aufgestanden sind“. “Im Land ist die Mafia an die Macht gelangt, doch ist das nicht einfach die Mafia, nicht nur Banditen. Das ist die Mafia, die alles Ukrainische hasst, es nicht versteht und es fürchtet“, übermittelte Turtschinow den Anwesenden die Worte der Parteiführerin. “‘Ein Team – ein Sieg’ das ist die einzige Losung der derzeitigen Opposition“, beendete Alexander Turtschinow die Verlesung unter Applaus.
Die übrigen Auftretenden sparten ebenfalls nicht mit beleidigenden Worten an die Adresse der Regierung und riefen die Oppositionellen dazu auf, gemeinsam zu handeln.
“Ich wende mich an ‘Batkiwschtschyna’ – könnt Ihr das Land retten, wenn ihr nicht einmal Timoschenko befreien könnt? Ihr könnt es nicht! Ich wende mich an Arsenij Jazenjuk – und können Sie es? Falls wir einzeln handeln, dann wird es keine Front geben, keine Veränderungen!“, entrüstete sich der Schriftsteller Wassilij Schkljar, der in seinem Auftritt mit dem Namen der Partei, die von Arsenij Jazenjuk angeführt wird, spielte.
Den Auftritt des Führers von „Swoboda“, Oleg Tjagnybok, begrüßten seine Anhänger mit ohrenbetäubendem Lärm und Rufen „Tja-gny-bok!“, wodurch er mit einer Geste seine Anhänger beruhigen musste. Tjagnybok, obgleich er die Regierung auch kritisierte und die derzeitige Führung des Landes als „Usurpatoren“ bezeichnete, widmete einen großen Teil seines Auftrittes konkreten gemeinsamen Handlungen der Opposition, sagte dabei, dass die Aktivisten vor Ort gemeinsam in den Wahlkommissionen arbeiten und einen Dialog untereinander für den Sieg der Opposition bei den Parlamentswahlen führen sollen. Er erklärte, dass die Opposition, wenn sie ins Parlament gelangt, in einer ersten Handlung ein Gesetz zum Impeachment beschließen und alles mögliche dafür tun sollen, damit Wiktor Janukowitsch vom Posten des Präsidenten zu entfernen: “Wer hat gesagt, dass wir uns bis 2015 (nächste Präsidentschaftswahlen) gedulden sollen, um diese Banditenregierung loszuwerden?“
Rechnungen mit dem Staatsoberhaupt möchte auch Arsenij Jazenjuk begleichen, der versprach: im Falle eines Sieges der Opposition bei den Wahlen, wird im Parlament eine spezielle Kommission gegründet, die sich der Aufklärung der Handlungen der jetzigen Regierung widmen wird. “Heute verkünde ich die Freiheit, die Freiheit vom jetzigen Präsidenten und der derzeitigen Regierung!“, erklärte der Führer der Partei „Front Smin“ unter zustimmenden Rufen.
Am Ende der Versammlung verlas der Ansager den Text des Abkommens “Über das gemeinsame Vorgehen der vereinten Opposition“, zu dessen Beschluss sich die Führer der Oppositionsparteien versammelt hatten. In der Präambel des Dokuments heißt es, dass “die vollwertige Realisierung der politischen und sozialen Rechte der Bürger der Ukraine unmöglich ohne die Beseitigung des regierenden Regimes von Janukowitsch ist“ und dass eine reale Möglichkeit eine Regierungsänderung auf verfassungskonformem Wege die Wahlen zur Werchowna Rada am 28. Oktober dieses Jahres darstellen.
Alle Parteien, die den Vertrag unterzeichneten, verpflichten sich während des Wahlkampfes einander nicht öffentlich zu kritisieren, alle Anstrengungen für die Einstellung der politischen Repressionen und eine Befreiung von Julia Timoschenko und Jurij Luzenko zu unternehmen. Daneben sieht das Dokument die Bildung einer einzigen Liste von Direktwahlkandidaten bei den Parlamentswahlen nach dem Prinzip „ein Wahlkreis – ein Kandidat der vereinten Opposition“, die Abstimmung der Kandidaten für die Wahlkommissionen und der Wahlbeobachter und ein gemeinsames Vorgehen zur Verhinderung von Wahlfälschungen vor. Die letzte Aufgabe betrifft die Oppositionshandlungen nach den Wahlen. Im Falle eines Sieges “schafft die vereinte Opposition eine Parlamentsmehrheit und beginnt mit dem Prozess der Formierung einer neuen ukrainischen Regierung“.
Nach der Unterzeichnung des Dokuments gingen die Oppositionellen auf der Wladimirstraße zu den Denkmälern von Taras Schewtschenko und Michail Gruschewskij, wo Blumen niedergelegt wurden.
Walerij Kalnysch, Artjom Skoropadskij
Quelle: Kommersant-Ukraine