Peinlicher Film: Irgendetwas stimmt nicht mit dem „Geheimen Tagebuch des Simon Petljura“



Im ukrainischen Facebook wird lebhaft über den neuen heimischen Film „Das geheime Tagebuch des Simon Petljura“ des Regisseurs Oles Jantschuk diskutiert. Ungeachtet der Wichtigkeit und politischen Zweckmäßigkeit des Themas schreiben die Menschen nicht ausschließlich positive Bewertungen, sondern sehen den Film eher kritisch. Das zeugt davon, dass der ukrainische Zuschauer schon nicht mehr bereit ist, einen schlechten Film zu sehen und sich nur deshalb darüber zu freuen, weil er a) von uns und b) mit dem Ziel der Gegenpropaganda aufgenommen wurde, sondern auch darüber, dass. „Das geheime Tagebuch des Simon Petljura“ ein objektiv schlechter Film ist und Argumente wie „über Geschmack lässt sich schlecht streiten“ im Hinblick auf ihn zumindest nicht überzeugend sind.

Worum geht es? Das erfundene „geheime Tagebuch“ Petljuras, das er angeblich führte, während er in Paris im Exil war. Im Interview gibt der Regisseur zu, dass es nie ein solches Tagebuch gegeben hat, es wurde erfunden als Gerüst für das Sujet und ist inspiriert von dem, was Petljura tatsächlich in seinen Artikeln geschrieben hat.

Ein Gerüst ist daraus nicht geworden – im letzten Viertel des Films wird Petljura überhaupt nicht mehr gezeigt. Stattdessen wird auf der Leinwand der Gerichtsprozess gegen Samuil Schwarzburd [Scholom Schwartzbard, A.d.R.] gezeigt, so ermüdend und uninteressant gedreht, wie es nur geht.

Im Tagebuch, das von einer unpersönlichen Stimme gelesen wird, quält sich Petljura vor allem damit, woran die Erlangung der Unabhängigkeit der Ukraine scheiterte, über die Opfer und nutzlose Verhandlungen. Das alles wird von Schauspieler Sergej Frolow dargestellt, insgesamt nicht ganz so schlecht, wie es sein könnte – sein Petljura ringt nicht die Hände, läuft aber mit sehr traurigem Gesichtsausdruck durch die Straßen, durch Parks, sitzt am Fenster und raucht, liegt im Bett mit einer Frau (auf roten Samtkissen, die sich ins Gedächtnis mit ihrer unüberwindbaren Geschmacklosigkeit und dem Gefühl des Schams für alle Beteiligten schneiden), spricht mit einem Freund und potenziellen Mitstreiter im Kampf für die Ukraine, sitzt in Schützengräben und erteilt Befehle. Der Ausdruck seines Gesichts ändert sich praktisch nicht, es ändert sich nur die Umgebung seiner unendlichen existenziell-politischen Schwermut.

Die Schwermut weicht in drei Szenen anderen Gefühlen. Petljura schlägt wütend auf den Tisch, als er von Judenpogromen erfährt. Petljura schaut seine Tochter Lesja rührend an, als er mit ihr im Restaurant tanzt. Petljura lacht, als er mit einem Freund, dem französischen Journalisten Jean Pélissier, in einem Café sitzt und jener verdächtigt Männer am Nachbartisch, dass sie ihn mit Petljura verfolgen (eine Szene, die ein winziges Potenzial hatte etwas auszusagen, aber dieses Potenzial wurde durch die berufliche Ungeeignetheit des Regisseurs in die Kanalisation gespült).

Dann wird Petljura umgebracht (ich hoffe, das ist für niemanden ein Spoiler), und nicht nur umgebracht, sondern gerade dann, als er eine Zeitung auswählt und der Verkäufer dreimal sagt: „Das ist ein interessanter Artikel. Den empfehle ich zu lesen“ und damit sehr deutlich nahe legt, dass Petljura ein kluges Onkelchen ist, der Französisch lesen kann und sich zudem noch für das redaktionelle Material der führenden Zeitungen interessiert. Aber da – piff, paff – schießt Schwarzburd siebenmal. Es beginnt die Vorführung vor Gericht (uns werden einige Male Großaufnahmen gezeigt, Frau und Tochter Petljuras, Schwarzburd mit hervor quellenden Augen und der Regisseur Jantschuk selbst, der, wie sich nach der fünften überreichlichen Szene herausstellt, den Staatsanwalt spielt).

Es ist offensichtlich, dass Jantschuk und seine Co-Autoren an Petljura als Mensch nicht interessiert sind (und überhaupt ist niemand vom menschlichen Blickwinkel her interessant). Viel wichtiger ist für sie eine gewisse historische Gerechtigkeit herzustellen, ihren Helden von den Folgen der sowjetischen Propaganda reinzuwaschen und den eigenen Namen in die Geschichte des hybriden Kriegs einzuhämmern. Das letzte und wichtigste folgt daraus, dass Jantschuk verzweifelt versucht Parallelen zwischen der Geschichte vor hundert Jahren und dem heutigen Krieg mit Russland zu ziehen.

Der blinde Wunsch seinen Namen in goldenen kirchenslawischen Lettern in die Geschichtstafeln einzutragen, ist nicht das glücklichste Ziel, wenn man den Zuschauern seinen Film verkaufen will. Denn in einem Film geht es, im besten Fall, zunächst einmal um Kunst, mittels Ausdruck und Ideen, und erst dann um persönliche Ambitionen intergalaktischen Ausmaßes, die sacht zwischen den Klebestellen des Schnitts eingeflochten sein können.

Ist die Person Petljura interessant und könnte man über sie einen interessanten Film drehen? Ja. Über einen verrückten Autoreifen dreht man einen interessanten Film, über sprechende Autos, über schwarze Löcher, Kartoffeln auf dem Mars und darüber, wie gigantische Roboter gigantischen Ungeheuern aus den Tiefen des Ozeans aufs Maul hauen.

Aber Jantschuk denkt nicht an Film. Jantschuk denkt an politische Zweckmäßigkeit und daran, dass man unter der Flagge der Entkommunisierung und anderen Prozessen, die mit dem Umdenken der Geschichte verbunden sind, dem Zuschauer; und offensichtlich auch den Staatsbediensteten im Kulturbereich, einen unverdaulichen Haufen aus schlecht geschnittenen, inszenierten, geschriebenen und gespielten Szenen unterschieben kann. In seinen Versuchen den Haupthelden „pro forma“ von verschiedenen Seiten zu zeigen, scheitert Jantschuk am Abgrund von Abgeschmacktheit, Unfähigkeit und Vetternwirtschaft.

Die Tochter Petljuras, Lesja, spielt Jantschuks Tochter Wiktoria (ob sich der Regisseur auf diese Weise selbst mit der Hauptfigur identifiziert, ist eine andere Frage). Sie spielt schlecht, die Löckchen schüttelnd und mit den Wimperchen klimpernd. Im Übrigen war Lesja (die übrigens zum Zeitpunkt des Todes ihres Vaters 15 Jahre alt war, aber im Film wie ein mindestens 18-jähriges Fräulein erscheint) eine Poetin und keine uninteressante Person, eines weiteren Filmes wert, aber für den Regisseur dieses Streifens ist sie wiederum komplett uninteressant.

Die Existenz der Tochter sollte Petljura eine zusätzliche Dimension geben, sagend, dass er nicht nur Politiker ist, der für die Ukraine leidet, sondern auch Vater, der seine Tochter zwar selten sieht, sie aber dennoch liebt, so wunderbar ist er. In den Handlungsstrang mit der Tochter hätte man einarbeiten können, dass Petljura nie Zeit für sie hatte und sie ihm deshalb nie sagen konnte, was sie gern wollte (darüber gibt es im Film sogar ein Telefongespräch, aber das führt, wie die restlichen Szenen, nirgendwo hin), und seine politische Tätigkeit belastet die Familie zum Beispiel stark (für diese Wendung spricht der Satz von Petljuras Frau Olga: „Ich habe doch keinen Ataman geheiratet“, was sie in einer ziemlich intimen Szene sagt, um die Dimension der Geschmacklosigkeit aufzuzeigen, für die es kein Messgerät gibt). Aber dann müsste man die Bronzeschicht von Petljura abtragen, was diese Herausgeber platter Agitation offensichtlich nicht nötig haben. Zudem würde dies zusätzlich Professionalität voraussetzen, die, wie der Film zeigt, nicht vorhanden ist.

Wiktoria Jantschuk hat man übrigens aus welchem Grund auch immer auf dem Filmplakat platziert, woraus viele schlossen, dass „Das geheime Tagebuch des Simon Petljura“ ein Film über das Verhältnis Petljuras zu seiner Frau oder einer Geliebten ist. Der Film beginnt mit einer ins Nirgendwo führenden Szene der Flucht Lesja Petljuras aus irgendeinem Pensionat und zur nächsten Szene führt man uns mit ihrer Großaufnahme, dabei „Wo bist du?“ fragend. Das „geheime Tagebuch“ endet mit dem durch Europa irrenden Geist Petljuras mit rotem Schal und Untertiteln darüber, dass 65 Jahre nach seinem Tod die Ukraine die Unabhängigkeit erlangte.

Wenig Pappfiguren? Warten Sie mit dem Urteil. Bogdan Benjuk [Bohdan Benjuk, bekannter Schauspieler aus der Neonazipartei Swoboda, A.d.R.] in der Rolle Gruschewskijs [gemeint ist der 1. Vorsitzende der Zentralrada Michail Gruschewskij / Mychajlo Hruschewskyj – 1866 – 1934, A.d.R.] mit unnatürlichem Bart, der in Kürze zum Mem wird. Kulturminister Jewgenij Nischtschuk [Jewhen Nyschtschuk, auch bekannt in der Rolle der „Stimme des Maidans“, A.d.R.] in der Rolle Wladimir Winnitschenko [Wolodymyr Wynnytschenko, Stellvertreter Hruschewskyjs, 1880 – 1951, A.d.R.] mit wiederum unnatürlichem Bart und monströser Intonation eines drittklassigen Schauspielers mit Ambitionen und Tränen, die auf Kommando aus seinem rechten Auge rinnen. Der Intrigant Wolodin, der die ganze Verschwörung gegen Petljura anführt, mit dem schmalen Gesicht des archetypischen Bösen aus den James Bond Filmen (Jurij Odinokij). Samuil Schwarzburd (Oleg Trepowskij) karikaturartige Person mit Größenwahn. Das alles in schlechten Anzügen, Dekorationen a la francais, im Studio Dowschenko gebaut und – die Kirsche auf der Torte – mit im Studio überarbeiteten Repliken, die alles in den Bildern Geschehende noch unechter erscheinen lassen, obwohl das kaum noch möglich schien.

Und das alles für 48 Millionen Hrywnja (wovon 23 Millionen aus dem Staatshaushalt kommen) [etwa 1,4 Millionen Euro, A.d.R.].

Eigentlich sollte die Kritik nicht auf die Person des Regisseurs übergehen, wenn über seinen Film geschrieben wird, das gilt als unschicklich. Aber hier ist der Übergang gerechtfertigt: der Regisseur des „Geheimen Tagebuchs des Simon Petljura“ ist der Direktor des Kinostudios Dowschenko, und beklagt sich ständig darüber, dass das Kinostudio Dowschenko schrecklich unterfinanziert sei und damit das ukrainische Kino getötet wird. Und im Nebenberuf ist er Oberhaupt der Vereinigung der Kinematographen der Ukraine, in deren Namen er erzürnte Briefe darüber schreibt, wem der Staat für welchen Film Geld zuteilen sollte.

Einerseits entspricht der Film Jantschuks ganz seiner derzeitigen Oberschicht-Biografie, er ist genauso der Sowjet-Zeit entsprungen, mit stickiger Luft und lauten Schreien darüber, wie sehr man die Heimat lieben soll. Andererseits verstimmt, dass der Film nicht zu den Außenseitern gehört, nicht in die Kategorie „B“ fällt, sondern Teil des kinematographischen Mainstreams der Ukraine ist. Solche Filme werden bei uns immer noch sehr oft gedreht, und es werden noch mehr, weil dank der in der Kulturpolitik aufgetanen Lücken sich im Staat eine Nachfrage nicht mal nach dem neuen ukrainischen Film als solchem formiert hat, sondern nach dessen hellem Aushängeschild, vor dessen Hintergrund man ein Selfie machen und dumme Mitteilungen über „50 Prozent Computergrafik“ schreiben und sich als Verfechter der ukrainischen Kultur ausgeben kann. Der Film Jantschuks schreibt sich in diese Agenda mit Bravour ein. Womöglich werden es noch mehr, nicht mehr fern ist der skandalöse Film über Wassyl Stus (der mit den gleichen hysterischen Intentionen gedreht wird), über Oleksa Dowbusch (Buch Oles Sanin, mit einem Budget von 90 Millionen Hrwynja [etwa 2,7 Millionen Euro]) usw.

Das einzige Heilmittel sind negative Zuschauer-Bewertungen (die Geduld der Menschen ist schließlich nicht unendlich und die Blankoformulare für das unglückliche ukrainische Kino gehen schon zur Neige) und die Reaktion der Branchengemeinschaft, deren Mitglieder in Zukunft entscheiden werden, ob man Oles Jantschuk einige zig Millionen Hrwynja für das nächste peinliche Machwerk gibt oder nicht.

11. September 2018 // Darja Badjor, Redakteurin der Abteilung „Kultur“

Quelle: Lewyj Bereg

Übersetzerin:   Anja Blume  — Wörter: 1668

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